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Tränen
Tränen tropften auf das leblose Papier, das einst, als ein prächtiger Baum über der Erdoberfläche thronte. Sie weinte leise vor sich hin, unfähig ihr Leid in Worte zu fassen. Kein schmerzvoller Schrei konnte ihrer Kehle entweichen, keine Geste war adäquat genug, um das auszudrücken, was sie fühlte. Sie wollte etwas aufschreiben, aber als sie das weiße Blatt Papier sah, kamen die Erinnerungen wieder. Wie schön war die Zeit, als sie gemeinsam schrieben, ohne Pausen, nächtelang. Sie las ihm vor, was sie vollbracht hatte und sah erwartungsvoll in seine dunkelbraunen Augen, wartend auf die Meinung, die einzig wahre, die Lebenswichtige. Die Meinung, welche ihrem Leben einen Sinn gab.
Sie wagte es nie seine Beiträge zu kritisieren. Ihr kam es nicht in den Sinn sein Tun zu hinterfragen, denn es war perfekt, perfekt wie er. Nickend saß sie da und lauschte seinem Lesen, seiner sanften Stimme. Sie hörte keine Worte und Sätze, es war viel mehr eine warme Woge, die sie übergoss, als er ihr vorlas.
Und dann kamen die schlechten Zeiten. Er wurde immer aggressiver, trank immer mehr und kümmerte sich um nichts mehr. Schreiben konnte er auch nicht mehr, ihm viel nichts mehr ein, sagte er. Tagelang zog er durch Kneipen und anderen zwielichtige Etablissements, nahm alles und jeden zu sich, wovon er sich Besserung versprach. Er suche die Heilung von einem Virus, der ihn der Kreativität beraubte. Sie blieb allein zu Hause und machte weiter, wie gewohnt, hoffte, dass er alleine zur Besserung findet. Sie ließ ihn machen. Und er machte weiter bis zum Schluss. Ein Anruf der Polizei teilte ihr mit, dass es aus war, dass es ihn nicht mehr gab. Vor den Zug geschmissen, mitten in der Nacht, mit 3 pro mille. So endete sein Leben im Rausch, den er gewohnt war.
Und was blieb ihr?
Erinnerungen an eine vergangene Zeit, die für immer treu neben ihr schlafen würden.
Alleine bewältigte sie ihren Alltag. Sie ging zur Arbeit, kam zurück, und war wieder da, im Haus voller kalter Schätze. Seine Bilder hingen immer noch an der Wand, die Werke schwebten majestätisch im Raum und lasteten auf ihr, wie mahnende Denkmäler.