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Tour de soleil
Kilometer fünfzehn und Oma ist voll in Fahrt. Die Sonne flirrt und luftspiegelt auf dem staubigen Radweg, aber Omas Redefluss kann durch die brütende Mittagshitze nicht zum Versiegen gebracht werden. Mama fährt neben ihr, schwitzend, keuchend, und tritt verbissen in die Pedale und riskiert nur ab und zu einen kurzen Seitenblick auf ihre Schwiegermutter. Der genervte Ausdruck auf ihrem Gesicht spricht Bände, aber davon lässt sich Omi nicht beeindrucken.
Früher, ja früher haben sie auch herrliche Ausflüge gemacht. Sie und Opa - Gott hab’ ihn selig - und der Junge. Wie glücklich sie damals doch waren und welchen Spaß sie hatten, und wie dünn der Bub seither geworden ist. Ob Mama das noch nicht aufgefallen ist, will Oma wissen. Und auch, warum die Kinder so verwahrlost aussehen? Wann Mama denn mal mit denen zum Frisör gehen wird, fragt sie. Tausend Bissigkeiten würden Mama einfallen, aber sie hat beschlossen stumm zu leiden. Düster fixiert sie den breiten Rücken des „dünnen Buben“, der kaum zwanzig Meter vor ihr neben den Kindern radelt. Warum hört der sich nicht dieses Geschwafel an, denkt sie frustriert.
Kilometer sechzehn und die Kinder sind am Ende. Die Sonne prügelt unbarmherzig auf ihre weizenblonden Köpfe ein und ihr Durst ist grenzenlos. Die Tochter quengelt, ihr Hinterteil fühle sich an wie ein Nadelkissen. Der Sohn lamentiert lautstark über seine schmerzenden Knie. Beide wollen sie von Papa wissen, wann sie denn endlich, endlich zum Gasthaus kommen.
Aber Papa schwitzt wie ein Schwein und hat nicht die geringste Ahnung, wie weit das verfluchte Wirtshaus noch weg ist. Sein Schädel dröhnt, Schweiss läuft ihm in die Augen und sein Rücken jault bei jedem Tritt in die Pedale laut auf. Ob Papa noch Wasser in der Flasche habe, hechelt der Sohn. Schon lange nicht mehr. Sie will sofort eine Pause machen, rebelliert die Tochter. Nicht schon wieder! Papa ist mit den Nerven am Ende, als er grimmig zu Mama und Oma blickt, die fröhlich zwanzig Meter hinter den dreien radeln. Warum hört die sich nicht dieses Gejammer an, denkt er frustriert.
Kilometer siebzehn und erst jetzt bemerkt der Liebhaber den Sonnenbrand auf seinem Hintern. Er wähnte sich im Schatten der riesigen Birken gut geschützt, aber die Sonne findet immer einen Weg. Auch egal, beschließt er und bemüht sich, nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Keine Wolke am Himmel, denkt die Liebhaberin. Ihr fehlen die Risse der Schlafzimmerdecke, die sie ihn solchen Situationen zu zählen pflegt. In der Nähe hört sie nerviges Kindergequake und Erwachsenengekeife, das rasch vorüberzieht. Ob die uns hier sehen können, geht ihr durch den Kopf. Ein Sonnenstrahl blendet sie und sie schließt die Augen. Vielleicht hält er das ja für Erregung, überlegt sie. Aber er kann nichts mehr denken und plötzlich versteift sich sein ganzer Körper und er stöhnt auf. Noch zwei finale Stöße, dann findet sein gequältes Hinterteil Erlösung im kühlen Gras. Du hast ihn doch rechzeitig rausgezogen, fragt sie. Was denn genau ihr Problem sei, will er nun wissen. Nicht schon wieder, denkt sie frustriert.
Kilometer achtzehn und der Wirt kichert irre, als er durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden nach draußen blinzelt. Auf der glühenden Terrasse seiner Gaststätte steht eine schwitzende, staubschmutzige Familie und sieht nicht glücklich aus. Ein Mädchen, das weint und ihren Po reibt, ein Junge, der finster seinen Vater anblickt. Der rüttelt wild an der abgesperrten Eingangstür und flucht und keift seine Frau an, dass er viel lieber ins Schwimmbad gegangen wäre. Eine alte Frau mit riesigen Schweissflecken unter den Achselhöhlen redet beschwichtigend auf ihn ein.
Sieh dir diese Idioten an, flüstert der Wirt zu seiner Frau, die hinter ihm sitzt. Sieh sie dir nur an. Er grinst breit, bleckt seine gelben Zähne und streichelt zärtlich die Schrotflinte, die er in den Händen hält. Dicke Schweissbäche rinnen über sein mondrundes Gesicht. Seine Frau würde gerne schreien, aber das breite Klebeband über ihrem Mund lässt sie kaum atmen. Und so schnauft sie nur wild durch ihre blutende Nase und zerrt an den Fesseln, die ihre tauben Arme an ihrem Rücken zusammenzwingen. Ihre Augen quellen panisch hervor, als sie ihrem Mann dabei zusieht, wie er zur Tür geht und dabei den Abzugshahn seines Gewehres spannt. Seid ihr durstig?, gurrt er fröhlich vor sich hin. Seid ihr durstig?