Toter Rummel
Ein toter Ort ist der Rummelplatz. Tot. Verstorben. Scheinbar bunt. Ein toter Ort ist der Rummelplatz.
Fahrgeschäfte leuchten auf, Schildchen blinken in Neonfarben, Explosionen von Gerüchen und Eindrücken setzen sich wie lebendige Partikel an meiner Haut fest und bilden eine zweite Haut aus Nichts.
Scheinbares Lachen, scheinbare Farben, scheinbare Formen und scheinbarer Spaß kämpfen in meinem Herzen und wollen nicht zusammenpassen, nicht kooperieren und nicht wahr sein---
Denn der Schein trügt. Schon lange ist dieser Ort tot. Tot, tot, tot. Der Tod ist hier schon lange eingezogen, in die endlosen Schlangen vor der Achterbahn, in die luftigen Höhen des Kettenkarussells, in die Abenddämmerung des Feierabends, in die Gesichter der Kinder und Erwachsenen. Tot hat der Tod diesen Ort gemacht; leblos und verloren und grau.
Die Menschen, die hierher kommen entspannen nicht, lachen nicht, sie tun nur so, sie weinen nicht, täuschen nur Gefühle vor, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind und nur ein Bluff der trügt, so wie du denkst, du träumst die ganze Nacht, aber in Wirklichkeit waren es nur Sekunden voller Traumbilder und dein Gehirn spielt dir einen gemeinen Streich.
Alles ist unecht und surreal und eine Kopie von Zeiten, in denen die Musik dem nun toten Ort klangvolle Lieder einflüsterte und der Duft der Zuckerwatte den Platz erfüllte und das Leben dem Rummelplatz Wärme einhauchte.
Geschrei weht hinüber, Streit--- Und trotzdem scheint alles still zu sein, alle Herzen starben, verwelkten auf einem Friedhof, wo keine Blumen der Hoffnung blühten und Knospen aufgingen, weil es so kalt war.
Dieser Ort ist so tot, weil ich nichts fühle, während meine müden Augen ihn Sekunde für Stunde anstarren und mir so schrecklich kalt ist. Die Sonne muss unecht sein, denn sie scheint zwar, aber guckt nicht hier herüber und die Wolken sind sicher nur aufgeklebt auf einem Himmel, der auf ein weißes Blatt gezeichnet und nicht richtig ausgemalt wurde.
Die Wörter kreisen in meinem Kopf herum wie die Sitze des Kettenkarusells, die eine Schwerelosigkeit vorgaukeln und durch die Lüfte fliegen, an ihren Ketten aus Eisen oder Stahl oder sonstwas. Vögel zwitschern oder rufen oder schreien und ich sehe mich nach einem Aufnahmegerät um, einem CD-Player oder etwas anderem, weil ich nicht glauben kann, dass das wirklich passiert, bestimmt wurde nur alles aufgenommen und man spielt mir hier einen Streich, versteckte Kamera oder so und ich soll nur glauben, dass das hier real geschieht. Real. Real erscheint mir hier gar nichts, ja, alles und jeder ist nur Schein, in Wirklichkeit ist keiner mit dem anderen wirklich hier, er denkt nur an sich und was er dann alleine zu Hause machen wird und was er noch für Aufgaben erledigen muss und was es noch für Probleme gibt.
Es wird spät und jemand zieht den Mond den Himmel herauf, aber es ist nicht der Vollmond, nicht der perfekte runde Kreis ohne Ecken und Kanten der leuchtet oder auch nicht, nein, es ist der Halbkreismond oder wie das Ding heißt und er sieht irgendwie angefressen aus, hat wohl schlecht geschlafen und guckt nun missbilligend auf den toten Ort.
Da es ein toter Ort ist, frage ich mich, ob und wenn ja, wann denn die Geister kommen und wie diese aussehen. Ich frage mich, ob es wohl Verstorbene sind, Geliebte oder Feinde oder verwesende Leichen mit Würmern in den Augen oder einer Made in der knochigen Faust.
Ich frage mich, ob dieser Ort noch schlimmer werden kann, ich denke, er ist nicht die Hölle, aber tot, und da man das Wort „tot“ nicht steigern kann, wie man ihn denn jetzt sonst nennen solle, wo er noch toter zu sein scheint.
Und meine Gedanken wabern in meinem Kopf herum, kommen aber nicht an und schwimmen gegen ein unendliches Konzentrationsgefälle in die falsche Richtung, gegen den Strom, dabei muss ich eigentlich auch nach Hause gehen und Aufgaben erledigen und Probleme lösen oder Abendessen oder so. Und da bemerke ich das erste Gespenst am Himmel, weißlich, es ist wie eine Wolke und vielleicht ist es auch eine, aber sie macht mir trotzdem Angst und ich bekomme eine Gänsehaut, während ich auf dem toten Ort hier stehe, auf einem alten Rummelplatz, der verlassen ist und nicht mehr laut und nicht mehr farbenfroh und der einzige Geruch schmeckt alt und morsch auf meiner Zunge und das einzige Geräusch ist der Wind, der zwischen den Fahrgeschäften herumheult und irgendwas zu suchen scheint. Es ist so leer und ich denke, ich werde jetzt gehen, stecke meine Hände in die Hosentaschen und schlendere los von diesem Ort, der schon lange tot zu sein scheint, denn ich merke, dass ich nur in meine Erinnerungen versunken bin, so wie wenn man in einen dunklen tiefen See fällt und es einen nach unten zieht.
Ich atme auf und plötzlich ist da kein dunkles Wasser um mich herum und da sind Sterne am Himmel, die mich wegtragen, nach Hause, einem Ort, der hoffentlich niemals tot sein wird.