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Totem
Ich weiß, dass du mich siehst, dachte Ria. Ich weiß, dass du da bist. Ihre Augen starrten gebannt. Sie waren eingefallen und rotgeädert.
Außer der Brandung war es still. Charlie antwortete nicht, aber er würde kommen, dass war sicher. Er kam immer.
Deine Tricks wirken bei mir nicht, Schätzchen, dachte sie. Ihr Gesicht war verdreckt, die Kleidung zerschlissen. Ria schlang die Decken enger um sich. Sie fror, doch Ria war mit den Gedanken abwesend.
Die Holzstatue ähnelte den Abbildern des Donnervogels. Es war ein Totempfahl, er hätte aus einen WIldwestfilm stammen können.
Dennoch war es nicht der DOnnervogel am Kopf thronte. Das Tier schien mindestens zehn Gliedmaßen zu besitzen und Es hatte die Augen eines Fisches.
Der frische Seewind zerzauste ihr Haar und sie blickte kurz auf. Der Himmel färbte sich am Horizont bereits in einen sanften Rotton. In einer anderen Situation hätte sie wahrscheinlich über die Schönheit des Abendrotes gestaunt. Doch nun wirkte es kalt und grausam auf sie, wie Blut. Das Blut ihrer toten Freunde, oder Charlies.
Sie betrachtete das intensive Rot und dachte daran, wie sie aufgebrochen war. Es war nur ein Job gewesen. Ein Job, eine Reise von vielen.
Sie verfolgte, wie die Brandung den Strand hochrollte und wieder hinabsank. Sie fragte sich, warum sie damals an Bord gegangen war. Dann wären sie noch am Leben. Ria verstand es nicht.
Mit einem Schaudern erinnerte sie sich an das Donnergrollen. Der Sturm war der Anfang. Sie hatte versucht Charlie aus dem Weg zu gehen, doch dann hatte er, hatte es, sie doch herausgelockt und in die Falle getrieben
„Kapitän, wir sollten lieber in den Hafen zurückkehren“
„Nein, wir können nicht umdrehen. Wir sind mit der Fangquote im Rückstand und brauchen den Tag. “
„Aber, Sir…“
„Die Lola hat schon schlimmere Stürme erlebt.“
Rias Gedanken schweiften ab, sie nortierte oberflächlich das Wichtigste. Der elegante Kugelschreiber, ein Geschenk, an dem sie sehr hing, kratzte über das Papier.
Rias Magen rebellierte, aber sie zwang sich der Übelkeit nicht nachzugeben.
„Und wie gefällt es ihnen auf der Lola, Ms. Benici? Ich hoffe, das wir ihnen eine guten Einblick in das Leben auf einem Kutter gewähren können“, sagte der Kapitän.
„Natürlich, ich finde es faszinierend. Was fangen sie genau?“
„Langusten, die erzielen den höchsten Gewinn. Wir fangen sie mit Reusen , nicht mit Schleppnetzen, das würde die Qualität mindern.“
Der Kapitän blickte zum Horizont und runzelte die Stirn. "Wir sollten lieber reingehen."
Sie betraten den Gemeinschaftsraum. Er bestand aus einer Sitzecke mit Tisch und einem abgetrennten Bereich für die Küche. Ein Radio dudelte im HIntergrund. Jazz.
Dan nickte ihnen zu.
„Schönes Wetter, was?“
„Wie mir das gefehlt hat“, sagte er und sie lachten beide. "Wir sind zulange an Land geblieben, galube ich"
Ria setzte sich an den Tisch, um ihren Magen zu beruhigen. Sie versuchte nicht an den schwankenden Boden zu denken.
„Sie sehen blass aus“, bemerkte der Koch.
„Es geht“. Sie rang sich zu einem Lächeln durch.
„Einen Moment ich glaube, ich hab da was“. Er öffnete mehrere Schränke und fand schließlich, was er suchte. Er reichte ihr eine Schachtel.
„ Was ist das?“
„Kandierter Ingwer. Hat mir bei meiner ersten Fahrt.Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt“
„Einen Versuch ist es wert. Danke“
Die Süßigkeit schmeckte gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht.
„Bleiben sie am besten hier unten, Ria. Ich muss mich jetzt nach oben“
Dan starrte zu Boden.
„Rayes hatte heute wieder einen Anfall. Er saß am Tisch und ist zusammengebrochen, einfach so“
Man hörte wie der Kapitän auf der Türschwelle stehen blieb.
„Hat er was gesagt?“
Dan nickte, ohne aufzusehen. „Er hat vor sich hin gestammelt. Ich habe nur wenig verstanden. Aber etwas hörte ich immer wieder heraus“
Er verstummte.
Einen Moment lang beherrschten die krächzenden Töne des Radios den Raum. Es erinnerte Ria an das Rauschen eines Funkgeräts.
Dan fuhr fort:„ Rayes ist mir ja schon immer seltsam vorgekommen, wenn sie mir Bemerkung gestatten. Aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm um ihn steht“
Dieses unheilvolle Gefühl, das etwas Schreckliches geschehen würde, sie es aber mit aller Kraft nicht verhindern konnten, befiel Ria.
"Reden sie mal mit ihm, Sir?"
"Natürlich". Das Gesicht des Kapitäns wirkte eingefallen und aschfahl.
Dieses Gefühl verfolgte sie bis heute. Sie wollte fortlaufen, fliehen, aber wo sollte sie hingehen? Hier gab es meilenweit kein Land oder Schiffe. Außerdem war da noch etwas anderes.
Ria stand auf und betrat das Zelt. Auf dem Tisch lagen zwei Küchenmesser, eine der wenigen Dinge, die sie aus dem Schiff hatten retten können. Mit müdem Blick betrachtete sie ihr Spiegelbild. Es wäre so einfach.
Den Matrosen, Rayes, fanden sie schließlich auf dem Unterdeck. Er baumelte leblos am Deckenbalken, wie ein grausiger Traumfänger. Eine Blutpfütze hatte sich unter ihm gebildet. Ria erinnerte sich noch genau, wie sich die Blutstropfen von den Fingerkuppen gelöst hatten und die Oberfläche beim Einschlag Wellen schlug.
Sie erinnerte sich an das kalkweiße Gesicht des Kapitäns, als er dem Matrosen die Ärmel hochkrempelte. Dort , in großen roten Linien stand es geschnitzt, Charlie. Rayes war der erste gewesen, den Charlie sich holte. Er hatte sie alle geholt. Sie legte die Klinge an ihre Pulsadern. Der Stahl war kalt. Nein, sie konnte es nicht.
Ihr war als würde sie das Schwanken des Schiffes spüren und den WInd um die Ecken pfeifen hören. Dann der Schlag, der Boden hatte gezittert.
„Was war das?“ Ria befand sich im Navigationsraum, als ein harter Schlag die Lola erschütterte. Der Kugelschrieber glitt ihr aus der Hand.
Der Stift schlug auf den Boden auf und rollte unruhig hin und her.
Ein erneuter Stoß erschütterte den Raum. Ria konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
„Was zur Hölle …“, fluchte der Kapitän.
„Wir wurden von irgendetwas gerammt“
Jenes unheilvolle Gefühl befiel sie wieder. Eine kriechende Angst, Ria schüttelte sich.
Der Kapitän wandte sich an einen Mann, den Ria als Harris in Erinnerung hatte: "Sehen sie nach, ob der Rumpf beschädigt ist"
Der Angesprochene nickte und machte sich auf den Weg. Rias Blick folgte ihm.
Ein bitterer Geschmack legte sich auf Rias Zunge und ihr war, als würde sich ihre Kehle zuschnüren. Sie hielt den Atem an.
Die Erschütterung war weitaus heftiger, als die Vorherige. Ria hielt sich die Ohren zu und warf sich auf den Boden. Trotzdem ging ihr das Geräusch durch Mark und Bein.
Kaffeetassen fielen und verteilten ihren Inhalt, bevor sie in tausend Scherben zerbrachen. Der Aschenbecher rutschte vom Tisch und zerschellte.
Dann war alles ruhig und Ria öffnete die Augen. Eine Spur der Verwüstung zog sich durch den Navigationsraum.
„Verfluchte Scheiße“, entfuhr es dem Kapitän, „Ist jemand verletzt?“
„Kapitän!“. Dan stand in der Tür. Er atmete schwer und Blut sickerte aus einer Wunde an der Stirn. „ Wir sind leck geschlagen. Der Lagerraum läuft bereits voll. Ich weiß nicht wielange die Tür hält“
„Die guten Nachrichten hören ja gar nicht mehr auf“. Er griff nach dem Funkgerät. „Mayday, hier spricht die Lola. Wir sind leck geschlagen und sinken. Brauchen dringend Hilfe. Ist da wer?“. Es knisterte nur, doch niemand antwortete. Der Kapitän wiederholte die Ansage, aber die Funkstation blieb still. „ Reinholdt, übernehmen sie!“
Die Befehle wurden ausgeführt. Der Kapitän nickte Dan zu und eilte ihm hinterher.
Ohne zu überlegen, folgte ihnen Ria. Etwas trieb sie vorwärts, sie konnte nicht sagen ob es dieses Gefühl war oder einfach nur Neugierde.
Sie durchquerten ein Treppenhaus und den Gemischschaftsraum, dann standen sie vor der Lagerraumtür. Es war eine schwere Stahltür mit Bullauge. Der Lagerraum war nun komplett mit Wasser gefüllt. Es sickerte an den Seiten bereits durch. Mit jedem Schritt schwappte ihnen mehr Wasser entgegen.
„Oh mein Gott“, flüsterte der Kapitän. Etwas schlug gegen das Fenster und Risse bildeten sich. Es war so schnell wieder weg , wie es gekommen war und hinterließ eine Rote Wolke.
"Was war das?"
"Nichts gutes", sagte Dan und wischte sich das Blut von der Stirn. Das purpurne Wasser sickerte durch die lecken Stellen der Tür.
Die Sonne war fast verschwunden. Feine rote Linien glühten wie feine Adern aus Feuer. Sie zogen sich den Totempfahl entlang. Die Augen von Charlies Abbild leuchteten auf und ein Heulen, wie ein dumpfes Nebelhorn hallte über die See. Die Brandung verebbte und die Stille der Nacht sank herab.
Es beginnt. Ria starrte auf das offene Meer hinaus. Die See begann zu brodeln.
Nur du und ich, Charlie.
Ria war bereit ihrem Schicksal gegenüber zu treten. Ihre Hände schlossen sich krampfhaft und die Griffe der Messer. Sie wollte sich nicht in den Tod flüchten.
Es heulte erneut und der Laut durchdrang sie und ließ sie frösteln. Das Wasser färbte sich purpurn, als hätte ein Hai eine Robe gerissen.
Etwas kam an die Oberfläche. Es sah aus wie eine gigantische Seeschlange. Tausend Augen schienen sie anzustarren. Das Etwas richtete sich auf.Bein näherer Betrachtung erkannte Ria sie, als Saugnäpfe. Ria straffte sich und musste unwillkürlich lachen. Furcht hatte sie keine, sie konnte es nicht erwarten ihrem Peiniger gegenüber zu treten.
„Hallo, … Charlie“
Sie hob die Klingen. Ein weiterer Tentakel hob sich aus den Fluten. Ria war sich der Lächerlichkeit dieser Geste bewusst. Was sollten diese Zahnstocher schon gegen so ein Monster ausrichten?
Ein sinestres Grinsen umspielte ihre Lippen und sie sprach: "Nun werden wir es beenden Charlie".
Dann sausten die Tentakel hinab. Das Finale hatte begonnen.