Mitglied
- Beitritt
- 08.08.2002
- Beiträge
- 888
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Too blind to see
Too blind to see ...
Die Bewegungen waren zuckend, orientierungslos. Blue Elton stakste durch die Landschaft, schüttelte sein dichtes blaues Haar. Er fühlte sich nicht unwohl, aber ein wenig gestresst war er schon. So gar keine Anhaltspunkte, keine Wegweiser. Als wäre die Erdoberfläche wie ein Tuch unter ihm weiter gezogen worden und Ritsch … jetzt war er auf unbekanntem Terrain.
Blue Elton schob seine weiß umrandete Mondbrille zu Recht. Sie gab ihm das Aussehen einer großen Fliege. Das Glas der Brille war sehr dunkel. Sie versetzte die Landschaft rundum ebenfalls in dunkles Blau. Blaue Berge, blauer Himmel, silberblauer Mond und eine dunkelblaue Kuh auf einem blau schimmernden Feld. Sie wirkte ähnlich verloren wie er.
Der dunkle Anzug mit taillierter Jacke und weiter Glockenhose war immer sein Markenzeichen gewesen. Hier wirkte seine Kleidung seltsam deplaziert. Auch recht, schließlich war er etwas Besonderes. Eben ein schriller Typ. Lässig mit seinen langen Beinen, den weißen Handschuhen und dem dunkelblauen Schmollmund. „He Leute, hier bin ich. Was ist los, kommt raus, begrüßt mich“. Er drehte sich stolz im Kreis, wartete auf Publikum. Den Kopf hoch erhoben, herausfordernd. Kein Mensch nahm von ihm Kenntnis.
„Brrr, Brauner, brrr“ hörte er und nahm im Augenwinkel ein altmodisches Kutschengespann mit Pferden wahr. Hinter der dunkelblauen Brille wirkte es wie ein laut vor sich hinrumpelndes Mondgefährt. „Geh aus dem Weg. Du musst mich doch längst gesehen haben, tänzelst da auf dem Fuhrweg herum. Mach Platz!“ Ohne weiter auf Blue Elton zu achten, trieb der Kutscher die Tiere an.
Blue Elton hechtete zur Seite. Mit seinen langen Beinen und dem wirren blauen Haar landete er in einem dunklen Weizenfeld. Einer Vogelscheuche gleich stand er verdutzt im Getreide. Das hatte er nun davon. Was für ein Einfall ein Blue-Ticket zu kaufen und einfach ins Blaue zu fahren, ohne dass ihm das wer eingebläut hätte.
Nach Hause konnte er nicht mehr. Die Landkarten würden lange nicht mehr in die alte Richtung verschoben werden. Sein Haus in Bluevelvet war von neuen Mietern bezogen. Seinen Job als Leadsänger in der Beerdigungs-Blues-Band hatte er gekündigt. Nun stand er da, war einfach losgefahren und in Bayern aus dem Zug gestiegen.
Blue-Elton fand eine kleine Wohnung mit blauen Tapeten. Innerhalb seiner vier Wände fühlte er sich fast ein bisschen wie zu Hause. Er erzählte sich immer wieder wie schön alles ist. Die blauen Berge, die blauen Seen, die Brezn und die Mädels in den Dirndln. Doch vielleicht log er sich ja einfach das Blaue vom Himmel herab. Denn das Glück seiner Ankunft, ging langsam aber sicher den blauen Bach hinunter.
Blue-Elton stolzierte am See entlang. Stundenlang, tagelang, wochenlang. Er setzte sich auf Uferbänke, las, studierte die Menschen, versuchte ins Gespräch zu kommen. Doch niemand hatte Interesse daran.
Auch einen Job fand er nicht. Die Briefe die er auf blauem Papier an freundliche Menschen schrieb, blieben meist unbeantwortet. Einige wenige schrieben zurück „Nein, Danke, eine schöne Zukunft wünschen wir.“
Auch der kleine Mann vom Beerdigungsinstitut fand seine Lieder seltsam, unpassend. Aber immerhin durfte Blue-Elton dort manchmal ganz still und möglichst unsichtbar die Räume fegen. Singen durfte er bei der Arbeit nicht.
Das tat er nur abends, allein, in der Badewanne. Dort ließ er seine Lieder Note für Note im Schaum des Badewassers versinken. Er sah auf seine Beine hinunter. Sie waren lang, sehr lang, hingen über den Badewannenrand. Aber für einen Spagat, über zwei Orte gespannt, dafür reichten sie nicht. Die alte Heimat hatte er hinter sich gelassen. In der neuen Heimat gelang es ihm nicht anzukommen.
Heimatlos.
„Schluss jetzt, Wohl dem, der einen blauen Vogel hat …“ sagte er beherzt zu sich und kleidete sich an. Hinter den Bäumen im Wald suchte er nach Visionen. Grandiose Einfälle flogen ihm zu wie Seifenblasen. Sehr bald platzen sie wieder mit schmatzendem Geräusch. Sie waren einfach zu groß geraten.
Aber wenn Blue-Elton sich beim Tagträumen manchmal mit seinen hohen Plateausohlen in Wurzeln verfing, musste er kichern. Dann plauderte er mit Feen, Elfen und sprach mit den Bäumen. Er malte Figuren in den Sand und in der blauen Stunde erzählte er dem Wind seine Geschichten. Ob das seine Heimat war, die Träume, die vielen Bilder im Kopf?
Dieser Gedanke gefiel ihm. Er fühlte sich erleichtert, weit und frei. Blue-Elton ließ sich mit ausgebreiteten Armen rücklings in das blaue Weizenfeld fallen. Die dunkelblauen Ähren standen hoch und fingen ihn weich auf. Dabei verrutschte das Dunkel vor seinen Augen. Er nahm die Brille ganz aus dem Gesicht und staunte. Eine wunderbare bunte Welt tat sich vor ihm auf, die Welt der Farben, die Welt der Phantasie.
Heimat.