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Too blind to see

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08.08.2002
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Too blind to see

Too blind to see ...


Die Bewegungen waren zuckend, orientierungslos. Blue Elton stakste durch die Landschaft, schüttelte sein dichtes blaues Haar. Er fühlte sich nicht unwohl, aber ein wenig gestresst war er schon. So gar keine Anhaltspunkte, keine Wegweiser. Als wäre die Erdoberfläche wie ein Tuch unter ihm weiter gezogen worden und Ritsch … jetzt war er auf unbekanntem Terrain.

Blue Elton schob seine weiß umrandete Mondbrille zu Recht. Sie gab ihm das Aussehen einer großen Fliege. Das Glas der Brille war sehr dunkel. Sie versetzte die Landschaft rundum ebenfalls in dunkles Blau. Blaue Berge, blauer Himmel, silberblauer Mond und eine dunkelblaue Kuh auf einem blau schimmernden Feld. Sie wirkte ähnlich verloren wie er.

Der dunkle Anzug mit taillierter Jacke und weiter Glockenhose war immer sein Markenzeichen gewesen. Hier wirkte seine Kleidung seltsam deplaziert. Auch recht, schließlich war er etwas Besonderes. Eben ein schriller Typ. Lässig mit seinen langen Beinen, den weißen Handschuhen und dem dunkelblauen Schmollmund. „He Leute, hier bin ich. Was ist los, kommt raus, begrüßt mich“. Er drehte sich stolz im Kreis, wartete auf Publikum. Den Kopf hoch erhoben, herausfordernd. Kein Mensch nahm von ihm Kenntnis.

„Brrr, Brauner, brrr“ hörte er und nahm im Augenwinkel ein altmodisches Kutschengespann mit Pferden wahr. Hinter der dunkelblauen Brille wirkte es wie ein laut vor sich hinrumpelndes Mondgefährt. „Geh aus dem Weg. Du musst mich doch längst gesehen haben, tänzelst da auf dem Fuhrweg herum. Mach Platz!“ Ohne weiter auf Blue Elton zu achten, trieb der Kutscher die Tiere an.

Blue Elton hechtete zur Seite. Mit seinen langen Beinen und dem wirren blauen Haar landete er in einem dunklen Weizenfeld. Einer Vogelscheuche gleich stand er verdutzt im Getreide. Das hatte er nun davon. Was für ein Einfall ein Blue-Ticket zu kaufen und einfach ins Blaue zu fahren, ohne dass ihm das wer eingebläut hätte.

Nach Hause konnte er nicht mehr. Die Landkarten würden lange nicht mehr in die alte Richtung verschoben werden. Sein Haus in Bluevelvet war von neuen Mietern bezogen. Seinen Job als Leadsänger in der Beerdigungs-Blues-Band hatte er gekündigt. Nun stand er da, war einfach losgefahren und in Bayern aus dem Zug gestiegen.

Blue-Elton fand eine kleine Wohnung mit blauen Tapeten. Innerhalb seiner vier Wände fühlte er sich fast ein bisschen wie zu Hause. Er erzählte sich immer wieder wie schön alles ist. Die blauen Berge, die blauen Seen, die Brezn und die Mädels in den Dirndln. Doch vielleicht log er sich ja einfach das Blaue vom Himmel herab. Denn das Glück seiner Ankunft, ging langsam aber sicher den blauen Bach hinunter.

Blue-Elton stolzierte am See entlang. Stundenlang, tagelang, wochenlang. Er setzte sich auf Uferbänke, las, studierte die Menschen, versuchte ins Gespräch zu kommen. Doch niemand hatte Interesse daran.

Auch einen Job fand er nicht. Die Briefe die er auf blauem Papier an freundliche Menschen schrieb, blieben meist unbeantwortet. Einige wenige schrieben zurück „Nein, Danke, eine schöne Zukunft wünschen wir.“
Auch der kleine Mann vom Beerdigungsinstitut fand seine Lieder seltsam, unpassend. Aber immerhin durfte Blue-Elton dort manchmal ganz still und möglichst unsichtbar die Räume fegen. Singen durfte er bei der Arbeit nicht.

Das tat er nur abends, allein, in der Badewanne. Dort ließ er seine Lieder Note für Note im Schaum des Badewassers versinken. Er sah auf seine Beine hinunter. Sie waren lang, sehr lang, hingen über den Badewannenrand. Aber für einen Spagat, über zwei Orte gespannt, dafür reichten sie nicht. Die alte Heimat hatte er hinter sich gelassen. In der neuen Heimat gelang es ihm nicht anzukommen.

Heimatlos.

„Schluss jetzt, Wohl dem, der einen blauen Vogel hat …“ sagte er beherzt zu sich und kleidete sich an. Hinter den Bäumen im Wald suchte er nach Visionen. Grandiose Einfälle flogen ihm zu wie Seifenblasen. Sehr bald platzen sie wieder mit schmatzendem Geräusch. Sie waren einfach zu groß geraten.

Aber wenn Blue-Elton sich beim Tagträumen manchmal mit seinen hohen Plateausohlen in Wurzeln verfing, musste er kichern. Dann plauderte er mit Feen, Elfen und sprach mit den Bäumen. Er malte Figuren in den Sand und in der blauen Stunde erzählte er dem Wind seine Geschichten. Ob das seine Heimat war, die Träume, die vielen Bilder im Kopf?

Dieser Gedanke gefiel ihm. Er fühlte sich erleichtert, weit und frei. Blue-Elton ließ sich mit ausgebreiteten Armen rücklings in das blaue Weizenfeld fallen. Die dunkelblauen Ähren standen hoch und fingen ihn weich auf. Dabei verrutschte das Dunkel vor seinen Augen. Er nahm die Brille ganz aus dem Gesicht und staunte. Eine wunderbare bunte Welt tat sich vor ihm auf, die Welt der Farben, die Welt der Phantasie.

Heimat.

 

Hallo schnee.eule

Nach den ersten Zeilen entschied ich mich, deine Geschichte mit einer von Elton John entlehnten blauen Brille zu lesen, um mich nicht durch andere Farben ablenken zu lassen.
Ich fand es humorvoll, das Leben des Blue-Elton aus seiner Perspektive mitzuerleben, in seiner Sinneswahrnehmung gefangen zu sein. Dass er sich dabei einer lyrischen Prosa bediente, als Leadsänger in der Beerdigung-Blues-Band ist man eben von einem bestimmten Rhythmus geprägt, passte zum Stück.

Es war wichtig traditionelle Tracht zu haben und gierig in die nicht traditionellen Dirndlausschnitte zu gaffen.

Das Bild ist köstlich, doch hinterfrage ich mich seit dem lesen, was an den Dirndlausschnitten denn nun nicht traditionell ist? Es ist doch die schönste Tradition, das Gaffen, die Bayern nebst dem Fensterln kennt.

Der blaue Schleier vor seinen Augen wurde nach unten gedrückt und eine neue Welt tat sich vor ihm auf.

Beinah märchenhaft mutete mir dieser Ausklang an, ein wenig wehmütig Abschied nehmend von einer blauen Welt. Doch die schönen Farben des Alltags, es ist immerhin nicht immer Grau, dürften Blue-Elton zu neuen bunten Impressionen inspirieren.

War mir sehr vergnüglich zu lesen, der Alltag einmal anders.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Vielen lieben Dank, Anakreon!

Tja, es mutet seltsam an, aber als Zuagraste erlebe ich es immer wieder. Die Traditionstracht hat kaum Ausschnitt und muss bestimmten Regeln entsprechen. Die anderen Dirndln werden. vor allem von den Männern, kritisiert und sehr genossen.

Wenn Blue-Elton dir Vergnügen bereitet hat, wunderbar. Er wird mit der sich auftuenden Welt auch großes Vergnügen haben. Sein Dasein hatte in der blauen Sichtvariante ja auch schon vergnügliche Momente.

Alles Liebe, schnee.eule

 

Hallo Bubo scandiacus,

da bewegt sich ein Blaumann also ins Blaue hinein, obwohl niemand ihm das eingebläut hat. Vielleicht lügt er sich auch das Blaue vom Himmel herunter, bis er schließlich einsieht:

„Zu weit hatte er sich bereits von der blauen Wurzel, seinem Heimatort entfernt. Er hatte lange Beine, aber der Spagat über zwei Orte gespannt, hätte ihn zerrissen.“

Also – ‚back to the roots‘ oder auf das Neue einstellen, geht sicher besser ohne die Blautönung aller Eindrücke: Wohl dem, der einen Vogel hat …


„Der blaue Schleier vor seinen Augen wurde nach unten gedrückt und eine neue Welt tat sich vor ihm auf.“

Wenn ich durch deinen Buchstabenwald gehe, hinter deinen Worten nach „Visionen“ suche, komme ich leider nicht weiter: Zu gleichförmig und zu wenig zielgerichtet reiht sich Absatz an Absatz, das Vögelchen empfinde ich als süßlich, wird dem Blues des Beerdigungs-Blues-Bluessänger nicht gerecht.

„Vielleicht war das seine Heimat. Das Blau seiner Gedankenwelt. Vielleicht war seine Heimat sein stummer Gesang, sein Flüstern mit Elfen und Feen. Seine Träume vom Hafen und großen weißblauen Schiffen die ihn hinaustrugen auf den Ozean.“

Das sind schöne Worte, doch wie fügen sie sich zu einer Gesamtheit, einer Idee über reine Seltsamkeit hinaus?
Also: Einerseits ist es schön durch diese phantastische Welt zu schreiten, andererseits hat sie mich nicht angeregt, über sie nachzudenken oder mir ihre Geheimnisse vor Augen geführt.


Hier einige Änderungsvorschläge:

„Zuckende Bewegungen, unorientierter Schritt. Blue Elton stakst durch die Landschaft. Er fühlt sich nicht unwohl, aber ein wenig gestresst war er schon.
So gar keine Anhaltspunkte, keine Wegweiser. Als wäre die Erdoberfläche wie ein Tuch unter ihm weiter gezogen worden. Ritsch … und jetzt war er auf unbekanntem Terrain.“

Zuckende Bewegungen, unorientierter Schritt. Blue Elton stakst durch die Landschaft. Er fühlt sich nicht unwohl, aber ein wenig gestresst ist er schon.
So gar keine Anhaltspunkte, keine Wegweiser. Als wäre die Erdoberfläche wie ein Tuch unter ihm weiter gezogen worden. Ritsch … und jetzt ist er auf unbekanntem Terrain.

„Gib mir ein Blue-Ticket. Die weitest entfernte Stelle die ich mit meinen letzten 433 Mondtalern bekommen kann“.

Kann.“


„He, Mann .. bist du irre“ rief er dem Fuhrwerk hinterher.

Mann … bist du irre?“,
(Um die Satzzeichenanhäufung zu vermeiden: irre?“ Laut rief er dem Fuhrwerk hinterher.)


„Dabei hatte dieser sich so einen schwungvolle und bizarre Tonfolge ausgedacht.“

so eine


„Du willst mir was zeigen, Vögelchen?“ lachte Blue-Elton und hüpfte erfreut durchs Zimmer. „Ja, warum nicht, warum nicht .. „

nicht …“

Liebe Grüße,

Woltochinon

 

Hallo, Woltochinon!

Deine Anmerkungen sind sehr hilfreich.
Vor allem der Anfang klingt treffsicherer, besser gesetzt, super!!


Zum anderen der Satz
Also – ‚back to the roots‘ oder auf das Neue einstellen, geht sicher besser ohne die Blautönung aller Eindrücke: Wohl dem, der einen Vogel hat …

.. ja, klar, das ist vollkommen richtig was das Entweder ... Oder betrifft! Das ganze Blau ist allerdings in einem meiner Bilder hervorgekommen und pocht auf sein Recht ...

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Was mich ein bisserl ratlos macht ...

„Vielleicht war das seine Heimat. Das Blau seiner Gedankenwelt. Vielleicht war seine Heimat sein stummer Gesang, sein Flüstern mit Elfen und Feen. Seine Träume vom Hafen und großen weißblauen Schiffen die ihn hinaustrugen auf den Ozean.“
Das sind schöne Worte, doch wie fügen sie sich zu einer Gesamtheit, einer Idee über reine Seltsamkeit hinaus?
Also: Einerseits ist es schön durch diese phantastische Welt zu schreiten, andererseits hat sie mich nicht angeregt, über sie nachzudenken oder mir ihre Geheimnisse vor Augen geführt.

Meinst du damit, dass auf diese "Heimat" mehr eingegangen werden müsste? Was für Erlebnisse er dort hat? Was in dieser Welt geschieht, wie es sich dort lebt ... etwas in dieser Richtung?

Danke, lieben Gruß, schnee.eule

 

Hallo liebe schnee.eule,

„Meinst du damit, dass auf diese "Heimat" mehr eingegangen werden müsste? Was für Erlebnisse er dort hat? Was in dieser Welt geschieht, wie es sich dort lebt ... etwas in dieser Richtung?“

Mein Problem ist, das ich nicht weiß ob der Text voller entschlüsselbarer Symbole ist (über die ich dann im Kontext nachdenken kann) oder ob es um eine Art Begriffsmalerei geht, die für sich alleine wirken soll.


Am Schluss wird der Mann seiner bisherigen Welt (Sicht) beraubt – ist das ein Schock? Gewinn, Verlust?

„Das ganze Blau ist allerdings in einem meiner Bilder hervorgekommen und pocht auf sein Recht ...“

Kannst du das noch ein bisserl erläutern? Too blind to see … :D

Tschüß …

Woltochinon

 

Lieber Woltochinon!

Ich wurde mehrmals mit der Frage nach Heimat konfrontiert und wollte mich gern mal schreibend mit der Thematik auseinander setzen. Der Begriff war für mich nie greifbar ...

Den Zugang fand ich über ein Bild das ich mit dem Begriff im Kopf malte ... eben Blue-Elton. Ich mag ihn, er ist ca. 120 cm groß und steht an meine Wohnzimmerwand gelehnt. Und er erzählte dann eben die Geschichte.

Das Verrutschen der Brille ermöglicht ihm neben dem Blau auch andere Farben wahrzunehmen ... auf dem Bild sind es die Farben einer Blumenwiese, vor allem Rot ... was er draus macht weiß ich noch nicht.

Danke für deine Fragen, so kann ich den Faden weiterspinnen ...

herzlich, schnee.eule

 

Hallo, Asphaerisch!

Vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit dem Text ..

Deine Zeilen haben mir geholfen, von der mitgeschleppten Kritik und Beruteilung eines Land-und Leutethemas wegzukommen. Wo er landet ist wirklich irrelevant, muss noch versuchen es auch so darzustellen.

Ich schreibe bereits an einer abgeänderte Variante die genau diese Punkte berücksichtigt und freu mich auf ein schwereloseres Dahinstapfen von Blue-Elton.

Einen schönen Tag wünsche ich Dir, schnee.eule

 

Danke Euch nochmals ...

Wolto, es waren einfach so gute Gedanken die du mir geschickt hast, ich musste sie einfach einbauen. Jetzt ist für mich alles stimmig.

Alles Gute, schnee.eule

 

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