Tonlos
Ich raste mit hoher Geschwindigkeit die Alleestraße des kleinen Vorortes entlang, als im selben Moment ein Hund auf die Straße lief. Mit einer Vollbremsung brachte ich den Wagen zum Stehen.
„Scheiß Köter“, brüllte ich. Übellaunig stieg ich über die Beifahrertür aus. Ich mußte erst einmal frische Luft schnappen. Der graue Februartag mit seinem naßkalten Hochnebel lud nicht gerade zu einem Spaziergang ein. Trotzdem ich mußte laufen. Wut und Ärger über mich und dem Prüfungskomite tobte in mir. Ich hatte mich lange auf diesen Tag vorbereitet. Die Zwischenprüfung, meines Gesang Studiums fing um 8.00 Uhr Morgens an. Mein Termin war um 9.30 Uhr.
Ganz früh, es war noch dunkel, fing ich an zu üben. Vorsichtig versuchte ich die Tonleiter.
„Mhm- Mhm- Mhm“, piepste ich mit großen Lockenwicklern im Haar. Meine Stimme war noch belegt und kratzig . Ich hatte wenig geschlafen. Gegen 7.00 Uhr fing ich an, mich beim Üben der Tonleitern mit dem Klavier zu begleiten. Da klingelte es Sturm an der Tür. Es war Werner, mein aroganter Nachbar. Er roch miefig, nach kaltem Zigarettenrauch und nach Schweiß.
„Sag mal, weißt du eigendlich wie spät es ist?
„Ich weiß“, antwortete ich gereizt, „aber Singen ist mein Beruf, und ich habe heute Zwischenprüfung. Es ist jetzt keine Zeit zum Diskutieren“, fauchte ich gallig. Schließlich muß ich Ausschnitte aus Bachs h-Moll Messe singen“, erklärte ich wichtig“. Irgendwie muß ich wohl konmisch ausgesehen haben mit den Wicklern im Haar.
„Mann müßte das Katzengejammer verbieten, sing dich doch im Stadtpark oder im Auto ein“, motzte Werner verächtlich.
Empört schlug ich ihm die Tür vor der Nase zu, und ging zurück an mein Klavier, um mich weiter einzusingen.
Mich hatte dieser Vorfall völlig aus dem Tritt gebracht. Irgendwie bekam ich nun keinen sauberen Ansatz mehr hin, und sang betrübt auf den Klavierhocker.
„Das fängt ja gut an“, jaulte ich . Panick machte sich in mir breit.
Ruck zuck war meine Zeit dahin. Ich mußte mir noch meine Wickler aus dem Haar nehmen, und mir die Locken stylen, und dann auch schon losfahren. Jetzt war ich nicht einmal richtig eingesungen. Ich übte nochmals im Auto meine Stimme in wahre Höchstleistungen zu versetzen. „Mhm- Mhm- Mhm“, trillerte ich. „Die Ta, die TA, die Tahhhnte. Die So, die So ,die Sooone“, flötete ich immer einen Tonleiter höher zwischen den Rotphasen der Ampeln im schleppenden Stadtverkehr.
Natürlich kam ich fast zu spät. Ich hatte nur noch Zeit, kurz in den Spiegel zu sehen, um dann gleich in den Prüfungsraum aufgerufen zu werden. Mit Zittrigen Händen sortierte ich meine Noten. Die Stimmgagel sollte mir den richtigen Ton geben.
„Mhhmm“, nein der Ton Stimmte nicht. Ich merkte das ich bis unter den Ponny rot anlief. Warscheinlich machte ich gerade Webung für Osram. Nach einer viertel Stunde, und einigen heftigen Patzern sagte der Hochschulprofessor vielen Dank zu mir. „Dass müssen Sie aber noch üben. So können wir die Prüfung nicht durchgehen lassen“.
Enttäuscht hockte ich auf dem Stuhl wie ein Häufchen Elend. Die Noten der h-Mollmesse lagen auf meinen Knien. Mit aller Gewalt verbot ich es mir zu heulen.
Ich hatte alles verpatzt hatte keinen gescheiten Ansatz hinbekommen, und mehr wie eine reudige Straßenkatze gejault. Enttäuscht und mit hängendem Kopf verließ ich die Musikhochschule.
Der kleine Spaziergang tat mir gut, ich hatte nun wieder einen freien Kopf. Zwar ärgerte ich mich immer noch über die verpfuschte Prüfung, aber ich stieg in mein Auto ein, und fuhr singend nach Hause. Nun hatte ich einen klaren Ansatz. „Na, ja pech gehabt“, sagte ich mir. Nun war es mir auch egal.