Was ist neu

Tommy - Land der heimatlosen Herzen

Mitglied
Beitritt
20.05.2015
Beiträge
4
Zuletzt bearbeitet:

Tommy - Land der heimatlosen Herzen

Ich lernte Tommy an einem lauwarmen Sommerabend im August kennen, als ich mit meinem Rucksack Richtung Süden wanderte.
Ich war gerade dabei die Stadt zu verlassen und mich von den kalten Nächten der Berge abzuwenden, um endlich das Meer zu sehen, um es zu riechen und den Sand zwischen meinen Zehen zu spüren, da saß er in einem meditativen Schneidersitz auf der Straße und sprach mich an, ob ich nicht etwas Kleingeld für ihn hätte. Ich sagte ihm, dass ich selbst nur noch ein paar Scheine habe und mir davon etwas zu rauchen kaufen wollte und ob er wüsste, wo man hier gutes Gras bekommt.
"Klar, komm einfach mit. Ich bin übrigens Tommy" ,stelle er sich mir vor und lächelte mich mit seinem zahnlosen Gesicht an. Ich folgte ihm durch die königlichen Straßen Südtirols, die ihren Glanz noch immer nicht verloren haben, dann blieben wir vor einem Kiosk stehen, Tommy kaufte sich ein Bier, schoss den Kronkorken weit hinauf, den Sternen entgegen, kippte den ersten Schluck auf die Straße und gedachte so all seinen toten Saufkumpanen, die schon viel zu lange durstig unter der Erde
verfaulten ...
“Champagne dellà Strada“ sagte er und trank das Bier mit einem Schluck leer.
Er scherte sich nicht um die Meinungen der Leute; er war wie er war und ich erkannte, als ich ihn mit großen Schritten durch die Menge schreiten sah, dass er das einzige Stück Leben zwischen all den toten Seelen der Menschheit, zwischen all dem Hochmut, der aufgesetzten Dekadenz der Gesellschaft war.
Er stand dort wie ein Held aus einer anderen Zeit; einsam, hungrig und überstrahlte mit seinem ehrlichen, heimatlosen Lächeln die Lügen unseres Lebens ...
Und während wir so durch die Straßen taumelten, sprach er alle möglichen Leute nach Geld an und er war so charmant dabei, dass, als wir uns den Weg durch die Touristenmassen gebahnt hatten, er seine Hosentasche voll Kleingeld und ein paar Scheinen hatte.
"Da soll mal einer sagen, das Leben sei hart auf der Straße" ,sagte er und fing lauthals an zu lachen. Sein barbarischer Schrei hallte über die schlafenden Dächer der Stadt.
Wir schlenderten durch die lauwarme Nacht, sahen die Berge von weither wie römische Feuer leuchten und währenddessen, erzählte er mir, dass er in vielen Ländern unterwegs war, aber endlich ein Ort zum Bleiben gefunden hat. Ich fand schon früher faszinierend, mit welcher Leichtigkeit sich die Heimatlosen durch das Leben tragen lassen, also die Richtigen, die Landstreicher, nicht die, die zwischen den Hochhausscheuklappen der Städte langsam verfaulen ...
Sie reisen durch die Länder, leben ein paar Monaten an den Küsten Südfrankreichs, oder in den Höhlen über Andalusien, und wenn es ihnen zu langweilig wird, ziehen sie weiter, wohin auch immer und manchmal schwitzen sie dabei und manchmal frieren sie, manchmal hungern sie und manchmal ist ihr Bauch so voll, dass sie nicht mehr laufen können. Aber eigentlich ist es genau diese Art zu leben, die wahrhaftig ist, sie lernen das Leben auf eine Art und Weise kennen, wie es uns niemals möglich sein wird.
Und auch wenn die Nächte manchmal einsam und kalt sind, so sind die Tage so voller Schönheit, dass es sich lohnt, dafür zu leiden.
Tommy und ich erreichten den Fluss, dessen Wasser leuchtend wie ein Saphir in den Bergen entsprang und weit in die feurige Seele Italiens hinabgleitet. Wir gingen nahe an der Böschung entlang und ich schaute verträumt in den Himmel, betrachtete die Berge, die ringsherum wie große Brüder über uns wachten.
"Hier ist es, Mann", sagte Tommy und ich sah ein altes Holzschild, dass mit einem Weinbergpfahl in den Boden gerammt wurde, auf dem geschrieben stand: "Hier ist freies Land".
Ich fragte Tommy, was es mit dem Schild auf sich habe und er erklärte mir, dass sich hier vor zehn oder 20 Jahren ein Punker niedergelassen habe, und dieses kleine Stück wunderbaren Landes zum Land der heimatlosen Herzen erklärt habe. "Hier sollen alle die Schutz finden, die ihn benötigen" stand mit einem Messer in den Baum geritzt.
Ich ging die Böschung hinunter und überall saßen Leute, in der Ecke kochten sich gerade ein paar Schwarze über einem Feuer Kaffee, auf einem Holzstamm saßen ein paar alte Männer und drehten sich einen Joint. Das war wahrhaftig ein freies Land!
Und anders als ich es gedacht hätte, herrschte dort mehr Ordnung als an irgendeinem touristenüberlaufen Strand, an den Bäumen waren Mülltüten befestigt und jedes noch so kleine Stück Plastik wurde sorgfältig entsorgt.
Tommy erklärte mir, dass es hier wichtig sei, Ordnung zu halten und alles so zu hinterlassen, wie man es vorgefunden habe.
Von einem Baum zum anderen war eine durchlöcherte Plane gespannt und darunter stand ein Einkaufswagen, mit allem, was man so brauchte; es lagen ein paar Decken dort drin, Geschirr, Dosenöffner, Korkenzieher usw.
Tommy stelle mich allen vor. "Weil man das eben so macht", sagte er. Und alle begrüßten mich herzlicher, als ich es von meinen Studentenfreunden gewohnt war.
Sie gaben mir Bier, etwas zu rauchen, ich musste nicht mal dafür bezahlen – ich tat es trotzdem – und wir saßen den ganzen Abend am Feuer, unterhielten uns, lauschten dem nächtlichen Wahnsinn und sahen zu, wie einer nach dem anderen rückwärts vom Holzstamm fiel, einige Zeit auf dem Rücken lag und wieder aufstand, ein Bier öffnete, einen kräftigen Zug am Wanderjoint nahm und weiter ging die Sause ...
Ab und zu verabschiedete sich jemand und ein anderer kam neu dazu und irgendwann so gegen Mitternacht, fing einer der Schwarzen an, auf einem Holzstumpf zu trommeln, nach und nach stiegen alle mit ein, ich nahm zwei alte Weinflaschen und schlug sie sanft zusammen, andere stampften mit den nackten Füßen im Wasser, Steine wurden aneinander geschlagen, Hände geklatscht, gesungen, getanzt und gelacht.
>Halt dich fest mein Freund, die Nächte hier sind wild und schön.<
Noch heute bin ich Tommy dankbar dafür, dass er mich mit zu diesem magischen Ort genommen hatte, mir ein Einblick in sein wunderbares Leben erlaubt hatte
Und nie in meinem Leben hatte ich heiligere, schönere und herzlichere Menschen getroffen, als diese von Armut gezeichneten Engel, die Nachts wie Diamanten auf den Straßen der Städte leuchten.

 

Und nie in meinem Leben hatte ich heiligere, schönere und herzlichere Menschen getroffen, als diese von Armut gezeichneten Engel, die Nachts wie Diamanten auf den Straßen der Städte leuchten.

Klingt wie bei Kerouac abgeschrieben und einmal durch die Mangel gedreht.

Ich kann diesen Absolutheitsanspruch in einem Text nicht ab, wenn man mir erklären möchte, was "wahrhaftiges Leben" ist, und dass man es nur so und so leben kann und sollte. Was genau möchte mir der Text erzählen? Auf mich wirkt der wie aus dem Selbstbausatz, Masterplot Beat Generation Adventure: Exotik, Reisen, Rucksack, Punk, Drogen, die Natur als großer Bruder, wir huldigen der Natur als die Essenz alles Seienden, ein paar Schwarze die dann natürlich zu später Stunde trommeln (Bongos!), der "magische Ort." Und dann erklärt Tommy aber schnell noch im wahrhaft freien Land, dass man auch ja alles wieder sauber und ordentlich haben möchte! Was für ein braver Bürger, der Tommy! Nach der Orgie keine Spur.

Ich kann aus diesem Text nichts mitnehmen, weil er nichts erzählt. Du nimmst dir keine Zeit, einen Protagonisten einzuführen, den Erzähler zu verorten, du huschst da drüber weg, da kann keine Atmosphäre enstehen. Der Text ist so hingeschrieben, dass er beim letzten Satz endet, dieser Huldigung der armen Engel, denn die wissen, wie das Leben zu laufen habe. Im Grunde ist das auch eine absolut bürgerliche Vorstellung, diese Bewunderung, eine Art Stellvertreterleben.

Konstruktiv: Szenischer schreiben, Dialog (die sind nicht vorhanden und wenn, sind sie platt, wie Stichworte), show, don't tell, eine Prämisse setzen. Sprachlich finde ich das auch sehr bieder, da lebt und atmet nichts, das wirkt wie in zehn Minuten runtergehastet.

Gruss, Jimmy

 

Vielen Dank für die ehrliche und konstruktive Meinung/ Kritik.
Ich werde daran arbeiten.


Lieber Gruß

Nico

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom