tolle Meinungen
„ Ich sag meine Meinung, wann ich das will, das ist meine Meinung, und die sag ich, wann ich das will, ist das klar (?), du hast deine und ich hab meine, o.k.!?!“
Ja, dann sagt sie doch, wann ihr das wollt. Ständig muss man diesen abgedroschenen, schnöden Zickenaphorismus ertragen. Überall im Privaten oder auch im Fernsehen, besonders in den gehirnamputierten und sich von allem Überlegen in die Tiefe freimachenden Sendungen des verbalen Gelees und der Weichspeisenthemen. Man sitzt und tarnt Dummschwätzen in einer mit einem Maschinengewehr bei Ladehemmungen vergleichbaren Art als „Diskussion“. Klingt ja auch besser, hochtrabender. Man erzählt so, was gerade passend erscheint, steigert sich in Lautstärke und Grammatikfehlern, bis zum finalen Rettungsschuss: Hör mal zu, ich sag meine Meinung......!
Ja, ja ich weiß. Applaus. „Endlich hat es mal jemand gesagt und es ihm/ ihr mal so richtig gezeigt.“
Um Missverständnisse abzuwürgen: Der Satz, so wie er dort steht, kann nicht richtiger sein, er ist ein zu schützendes Ergebnis der Aufklärung. Jeder, der ihn benutzt, hat sie alle auf seiner Seite: Kant, Voltaire, Rousseau, Schopenhauer, Nietzsche, ...
Was man abändern muss, sind die Häufigkeit, die Formulierung und die Momente der Anwendung.
Ich will mal zunächst das etwas Profanere anpacken, nämlich die Häufigkeit und die Formulierung. Welcher Beruf verfehlende Redenschreiber setzt diesen postmodernen Überemanzen (im Sinne der Aufklärung, also auch männliche) diese Scheiße bis zur abstoßenden Eintönigkeit ihres Geschwafels immer wieder auf ihr Manuskript? Merken sie nicht, was für einen lauen Auftritt sie sich bei der immer wiederkehrenden Verwendung dieses Satzes geben? Und dann noch die tausendfach in jede Richtung einheitliche Betonung. Freunde, formuliert das doch mal öfter um, ich kann es nicht mehr hören. Einen Ratschlag gebe ich hier aber bestimmt nicht, da müsst ihr kreativ sein, oder den Satz ganz weglassen. Womit ich bei der Häufigkeit bin. So, wie es aussieht, gehen viele davon aus, dass man nur sehr begrenzt aufnahmefähig ist, oder der Satz toller wird, wenn man ihn wiederholt. Es bringt doch nichts, wenn man ihn ständig rekapituliert, wir wissen doch, dass ihr ganz wahnsinnig selbstständig seid und euch von nix und niemandem einschüchtern lasst. Und um zum letzten zu kommen, gebe ich noch einen Tipp: Der Satz, der passt gar nicht immer! Oft ist er unbewusst rhetorische Notlösung, um ein im Prinzip verlorenes Gespräch diplomatisch abzubrechen und dabei als Sieger auszusehen. Gewiefte Feiglinge.
Manchmal, kaum zu glauben, ist eine Meinung nämlich, ich will vorsichtig sein, nicht ganz so super begründet, wie man das gerne hätte. Es kann sogar der größte anzunehmende Unfall kommen: Der andere hat euch in den Grundannahmen eures Urteilens widerlegt! Aber das ist Theorie... Man muss, nur so unwichtig nebenbei, eben auch mal merken, wenn der Gegenüber überhaupt keine Verbotsüberlegungen bezüglich der Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung anstellt. Es scheint, als ob ihr euch das jedoch inbrünstig herbeiwünscht, damit ihr wieder mit eurem Mädchen- für- alles- Satz punkten könnt.
Und, eventuell ebenfalls hilfreich, es geht manchmal gar nicht um Meinungen, sondern um Sachverhalte. Peinlich, peinlich, wer das nicht klar sieht, aber keine Panik: Ihr seid in guter Gesellschaft, viele in eurem Umfeld sind genauso unaufmerksam wie ihr selbst, die nehmen gar nicht wahr, dass ihr abgegriffenen Müll labert.