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- 03.07.2017
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Todlangweilig
„MIR IST LANGWEILIG!“
Die Worte hallten durch die Höhle und ließen die Wände zittern. Tod stapfte vor ihrem Thron hin und her und dunkler Dampf stieß aus den Nasenlöchern.
Der Schnitter verneigte sich tief, sodass die Kapuze über sein Gesicht fiel und nur noch eine schwarze Höhle zu erkennen war. „Herrin, es tut mir sehr leid. Aber wie Sie wissen, sind wir vollkommen damit ausgelastet, all die Seelen der Verstorbenen einzusammeln. Es werden einfach immer mehr Menschen.“
„DAS INTERESSIERT MICH NICHT.“ Tod schaute zu ihm hoch und zog eine Schnute. „ÜBERLEG DIR WAS SPANNENDES FÜR MICH! ODER ...“, ihre Finger bildeten eine Faust, die sich plötzlich öffnete, „ICH LASS DEINEN SCHRUMPELIGEN KOPF EXPLODIEREN!“
„Sehr wohl, Herrin. Sehr gerne.“ Der Schnitter buckelte noch ein paar Mal und schlich davon.
Wieder saß Tod alleine in dem Loch im Gestein, das sie ihren Thronsaal nannte. Nach all den Jahrtausenden konnte sie die kalten Wände nicht mehr sehen.
Früher, da war Tod wichtig und beschäftigt gewesen. Schließlich hatte es allein in ihrer Verantwortung gelegen, dafür zu sorgen, dass die Seelen ordnungsgemäß in die Nachwelt überführt wurden. Anfangs hatte Tod nicht viel zu tun, ein Mensch nach dem anderen, angemessene Pausen zwischen den Todesfällen. Aber dann hatten die Menschen angefangen, sich zu vermehren wie die Karnickel. Und der Job artete in richtigen Stress aus, Tod kam irgendwann nicht mehr hinterher und der Eingang zur Nachwelt verstopfte.
Das hatte eine Aufregung geben. Durch den Rückstau waren die Seelen auf der Erde umher gewandert und hatten die Menschen verwirrt. Sie gerieten in Panik, töteten sich gegenseitig und das Gedrängel vor Tods Toren wurde noch größer. Es wurde so schlimm, dass sich schließlich Gott und Teufel einmischten und meinten, so könne es nicht weitergehen. Ob sie nicht ein paar Helfer gebrauchen könne? Die beiden regelten in Himmel und Hölle ja auch nicht alles alleine, sondern ließen Engel und Dämonen für sich schuften.
Und so war Tod zu ihren Schnittern gekommen. Die waren wirklich sehr hilfreich, sie wollte da nicht meckern. Aber sie waren solche Spießer, arbeiteten nur und schlichen in ihren Kutten durch die Gänge. Außerdem hatte Tod jetzt so wenig zu tun, dass ihr nur noch langweilig war.
Aus lauter Verzweiflung hatte sie angefangen, ihre Höhle zu dekorieren. Aber da sie nur Schwarz verwenden durfte, waren ihre Möglichkeiten begrenzt. Der Tod in einem hellblauen Thron? Den würde ja keiner mehr ernst nehmen! Wenigstens das mit dem Glitzer hatte sie durchsetzen können. Glitzer geht immer.
Tod hüpfte auf ihren Thron, die Füße baumelten frei in der Luft. Was könnte sie unternehmen? Sie hatte schon lange nicht mehr beim Fährmann vorbeigeschaut, meistens war er noch mürrischer als die Schnitter. Vielleicht konnte Tod ihn ja heute aus der Reserve locken und ihr erschien eine Bootsfahrt grade sehr viel unterhaltsamer als dieses Rumhocken.
Sie wuselte durch die dunklen Gänge und drängelte sich an den Toten vorbei, die auch auf dem Weg zum Fährmann waren, um von ihm zu ihrem endgültigen Aufenthaltsort gebracht zu werden. Sie schlurften und torkelten ohne Elan, standen im Weg und Tod wurde ungeduldig. Sie blieb stehen, hob die Arme und zeigte dann auf den vor ihr liegenden, von Toten verstopften Tunnel: „AUS DEM WEG. TOD MÖCHTE VORBEI!“ Sofort drängten sich die Körper an den Rand des Tunnels und es tat sich eine Gasse für Tod auf. Sie kicherte und hüpfte hindurch, als wäre sie ein lebendiges Mädchen auf einer Blumenwiese.
Schließlich kam sie zum Totenfluss, der wie immer im Nebel lag, sodass man das andere Ufer nicht sehen konnte. Der Fährmann meinte, das wäre besser für die Atmosphäre und außerdem würden die Leute so was erwarten. Bei blauem Himmel und bunten Schmetterlingen würde wohl jeder annehmen, er hätte den falschen Abzweig genommen. Aber Tod wusste es besser. Die Stimmung hier passte einfach zu der Laune des Fährmanns, düster und deprimierend.
Am Anleger warteten bereits einige Seelen auf ihre Überfahrt. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis der Fährmann mit seinem Boot von der anderen Seite zurückkam. Und da schälte sich auch schon sein Holzboot aus dem Dunst, leise platschten die Ruder auf das trübe Wasser.
„HEY, MANNI!“ Tod hüpfte auf und ab. Wie in Zeitlupe hob der alte Mann seinen Kopf und schaute zu ihr auf. Seine Augen waren unter den buschigen Brauen kaum zu erkennen. Er bewegte keine Miene und näherte sich dem Steg. Tod kam ihm entgegen und hüpfte in das Boot, sobald es nah genug war. Es schwankte und Wasser klatschte gegen das Holz. Sofort wurden die Toten aktiv, die unter der Wasseroberfläche warteten. Ihre fauligen Hände griffen durch die Wasseroberfläche auf der Suche nach Opfern, die sie hinunter ziehen konnten.
Darauf war Tod besonders stolz, denn sie selbst hatte entschieden, dass Verstorbene, die sich weigerten, die Fähre zu betreten, ein Gewicht an die Füße bekamen und im Fluss vor sich her gammeln durften. Das sah echt gruselig aus und war eine Warnung an alle anderen, die sich nicht überwinden konnten, einen Fuß in das Boot zu setzen.
„MIR WAR LANGWEILIG UND ICH HAB GEDACHT, ICH KÖNNTE DICH NOCHMAL NE RUNDE BEGLEITEN. WAS MEINST DU?“ Sie stieß, den Fährmann in die Seite. „IST DOCH VIEL BESSER ALS IMMER ALLEIN MIT DIESEN GANZEN TOTEN GESELLEN, ODER?“ Mehr als leichtes Nicken gab es nicht als Antwort, aber das kannte Tod schon. Sie machte es sich auf einer der hölzernen Bänke gemütlich und wartete, bis die Toten sich auf das Boot begeben hatten. Neben Tod setzte sich niemand. Die anderen Fahrgäste drängten sich möglichst weit von ihr entfernt an das andere Ende des Bootes, sodass sie in Schieflage gerieten. Manni ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und langsam setzte sich das Boot in Bewegung.
Tod mochte es, wie der Nebel alle Geräusche dämpfte, sie in eine eigene Welt entführte. Es war, als würde nur noch die kleine Insel um sie herum existieren. Vor einigen Jahren hatte sie ein Lied aufgeschnappt, das ein trauriger Gaukler gesungen hatte, und es ließ sie nicht mehr los. Natürlich war das Lied albern und einiges darin falsch, aber sie sang es gerne im Nebel.
„ES IST EIN SCHNITTER, HEIßT DER TOD
HAT GEWALT VOM GROßEN GOTT:
HEUT WETZT ER DAS MESSER,
ES SCHNEIDT SCHON VIEL BESSER,
BALD WIRD ER DREIN SCHNEIDEN,
WIR MÜSSEN’S NUR LEIDEN.
HÜT DICH, SCHÖNES BLÜMELEIN!“
Die Toten wurden unruhig, pressten sich noch weiter an die Reling und das Boot fing an zu schlingern.
Tod unterbrach ihren Gesang. „WAS IST DENN LOS MIT DENEN? MANNI, KANNST DU NICHT DAFÜR SORGEN, DASS DIE EINFACH RUHIG DA STEHEN?“
„Sonst stehn se ruhig da.“ Der weiße Bart wackelte kurz.
Tod kniff ein Auge zusammen und schaute Manni an. Er war keine große Hilfe. Sie verschränkte ihre Arme und starrte in den Nebel. War das öde hier. Wie hatte sie nur denken können, dass so ein Bootsausflug mit Toten und einem uralten Mann unterhaltsam sein könnte?
Frustriert stand sie auf. „ICH HAB KEINEN BOCK MEHR, MANNI. DEINE TOTEN SIND ÖDE!“ Sie stieg auf die Bank, hüpfte auf das Wasser und rannte Richtung Ufer. Vielleicht war sie jetzt doch etwas unfreundlich gewesen. Sie drehte sich um und wollte Manni noch winken, aber sein Boot war schon im Dunst verschwunden.
Tod schlurfte zurück in den leeren Thronsaal, warf sich dort auf den Boden und streckte Arme und Beine von sich. Die Decke aus Stein war weit über ihr und es funkelten ihr Leuchtsterne entgegen, die sie dort angeklebt hatte. Und doch hatte sie das Gefühl, sie würde erdrückt, als wäre sie lebendig begraben, was irgendwie albern war, weil sie ja tot war.
Tod seufzte. Nichts passierte. Sie räusperte sich. „HUMPF!“ Nach ein paar Sekunden hörte sie eilige Schritte und kurz darauf erschien der Schnitter im Saal.
„Herrin, können wir etwas für Sie tun?“
Tod begab sich in den Schneidersitz und schaute ihren Diener mit großen Augen an.
„UND, HAST DU SCHON EINE IDEE?“
„Eine Idee wofür genau, Herrin?“
Tod ließ sich wieder auf den Boden fallen. So viel Unfähigkeit konnte man doch nicht ertragen! Um die Toten und ihre Zuordnung kümmerten sich die Schnitter wie ein Buchhalter um seine Zahlen. Aber wenn sie mal einen Wunsch hatte, nur einen kleinen Wunsch, war das natürlich vernachlässigbar.
Sie sprang auf die Füße. „MIR IST LANGWEILIG! UND DU SOLLTEST DIR GEFÄLLIGST WAS ÜBERLEGEN!“
„Sehr wohl, Herrin, sehr richtig. Es gab bereits eine Sonderkonferenz zu diesem Thema und wir haben ein paar Punkte ausgearbeitet. Möchten Sie diese Vorschläge hören?“
Oh, da hatten die Schnitter ja doch mal an sie gedacht. Wie schön. Tod hüpfte zu ihrem Thron und setzte sich. „LEG LOS.“
Er zog einen vergilbten Block aus seiner Kutte, blätterte etwas herum – zur Hölle, wie viele Notizen kann man denn haben? – und hustete trocken.
„Vorschlag Nummer Eins wäre die „Wandergruppe Unterwelt“. Einmal die Woche wird eine Wanderung zu interessanten Punkten der Unterwelt organisiert, wie zum Beispiel dem Fegefeuer oder der Goldenen Brücke. Schnitter werden Sie begleiten und relevante Informationen ...“
„LAAANGWEEIIILIIIG.“ Wandern? In der Unterwelt? Die Schnitter waren wirklich die schlechtesten Eventmanager im Totenreich.
„Sehr richtig, Herrin. Entschuldigen Sie. Der zweite Vorschlag wäre, dass Sie an der wöchentlichen, informellen Versammlung der Schnitter teilnehmen. Wir treffen uns jeden Dienstagabend, um die interessantesten Fälle der Woche zu diskutieren oder auch die ein oder andere Anekdote aus der Menschenwelt zu berichten. Wussten Sie, dass die Menschen denken, wir bräuchten eine Sense, um den Lebensfaden durchzuschneiden? Wie unhandlich.“ Die Schultern unter dem schwarzen Stoff zuckten leicht. Lachte der etwa?
Tod verschränkte die Arme und entsandte einen Todesblick, der den Schnitter frösteln und wieder zur Besinnung kommen ließ. Diese blöden Schnitter vergnügten sich doch tatsächlich ohne sie. Dabei jammerten sie sonst immer nur rum, wie viel sie zu tun hätten. Und so was sollte sie unterstützen? Am liebsten würde sie diese Veranstaltung verbieten. Das würde denen so passen, dass sie sich jetzt still dazu setzte und so tat, als fände sie trockenes Blabla unterhaltsam.
Der Schnitter sammelte sich und fuhr fort. „Der nächste Vorschlag wäre ein Besuch bei den Apokalyptischen Reitern. Hier muss ich erwähnen, dass wir bisher noch nicht dazu gekommen sind, mit einem der Herren zu sprechen. Wie Sie wissen, treiben sie sich ja immer sonst wo rum.“
Tod mochte die Apokalyptischen Reiter nicht. Natürlich hatte sie als Tod vor nichts Angst, aber diese Männer waren schrecklich wild und laut und gar nicht freundlich zu ihr, was eigentlich eine bodenlose Unhöflichkeit darstellte. Und dann waren da noch die Pferde. Die waren riesengroß und hatten ihre Hufe nicht im Griff.
„ICH GLAUBE NICHT, DASS DIE REITER LUST HABEN, MIT MIR EINEN AUSFLUG ZU MACHEN.“
„Aber Herrin, wie kommen Sie darauf? Natürlich ist es für jeden eine Ehre, mit Ihnen Zeit verbringen zu dürfen.“
„HMMM, ICH WEIß NICHT. HABT IHR NOCH EINEN WEITEREN VORSCHLAG?“ Geknickt ließ Tod die Schultern hängen und starrte auf den Boden vor ihrem Thron.
„Eine Idee haben wir noch diskutiert. Eigentlich widerspricht Sie den Vorschriften ...“
Tod schaute auf. „JA?“
„Vielleicht wäre es gut, wenn Sie jemandem in Ihrem Alter hätten, mit dem Sie etwas unternehmen könnten.“ In Tods Alter? Tod war so alt wie die Welt. Was redete der Schnitter da?
„Es ist eigentlich nicht erlaubt, die Toten auf der Reise aufzuhalten, aber vielleicht können wir ab und zu eine Ausnahme machen. Wir könnten Jungen oder Mädchen hier behalten und nicht sofort über den Fluss schicken. Natürlich geht das nicht für immer, schließlich muss die Seele irgendwann weiterreisen – aber wir konnten in den Regularien nirgendwo ein klares Verbot eines verlängerten Aufenthalt finden.“
Tod war verwirrt.
„WAS SOLLEN DIE KINDER HIER TUN?“
„Naja, wir hatten gedacht ... vielleicht wäre es für die Herrin schön, einen Freund zu haben.“
Tod schwirrte der Kopf. Ein Freund. Für den Tod? So etwas hatte es noch nie gegeben.
Sie kannte das Konzept der Freundschaft, sie war ja schließlich nicht doof. Aber sie hatte es noch nie selber ausprobiert. Freunde vertrauen einander. Freunde unternehmen viel gemeinsam. Freunde haben zusammen Spaß! Die Idee war gar nicht so schlecht.
Tod rutschte aufgeregt auf ihrem Thron herum. Sie könnten Manni besuchen und ihn auslachen, weil er immer so mürrisch war. Oder sie könnten die Schnitter Dienstagabends belauschen und sie mit Steinen bewerfen. Oder ...
„Herrin? Was halten Sie davon?“ Der Schnitter hielt die Notizblätter verkrampft in seinen knochigen Fingern.
„SUPER IDEE! SOFORT LOSLEGEN! ICH WILL SO SCHNELL WIE MÖGLICH EINEN FREUND.“
Tod klatschte in die Hände. Vor Aufregung natürlich und nicht als Applaus für den Schnitter. Nicht, dass der sich noch was einbildete.
Es vergingen einige Tage, bis der Schnitter an der Decke entlang angeschlurft kam und ein paar Meter entfernt stehen blieb.
„Herrin, haben Sie einen Moment?“
„KLAR. SCHIEß LOS!“
„Herrin, ich habe Besuch dabei. Vielleicht wäre es angemessen, wenn Sie ihn aufrecht empfangen.“
Tod stieß sich von der Lehne des Throns ab und kullerte aus dem Handstand in die respekteinflößenste Position, die ihr auf die Schnelle einfiel.
„BESUCH?“
„Sehr wohl, Herrin. Ich habe Weena dabei, sie möchte Sie gerne kennenlernen.“ Er schaute hinter sich. „Zeig dich, Weena. Du musst keine Angst haben.“ Hinter dem Schnitter lugte ein Mädchen hervor. Die Haare hingen schlaff bis auf die Schultern, auf ihrem T-Shirt pupste ein Einhorn einen Regenbogen. Mit großen Augen starrte sie Tod an.
„Hallo.“ Weena hob vorsichtig die Hand.
„HALLOOO, FREUT MICH, DASS DU DA BIST.“ Tod hüpfte mit Riesenschritten auf das Mädchen zu, von den Wänden rieselten Steine und Dreck.
Weena quiekte und versteckte sich in dem Gewand vom Schnitter. Iiih, dort war es bestimmt total muffig.
Tod blieb stehen und runzelte die Stirn. „SCHNITTER? WAS SOLL DAS? SIE SOLL MIT MIR SPIELEN UND SICH NICHT IN DEINEM MODRIGEN UMHANG VERKRIECHEN. SAG IHR, SIE SOLL RAUSKOMMEN!“
Er drehte sich zu dem Mädchen um und redete leise mit ihr. Weena schaute immer wieder kurz in Tods Richtung, wie ein Reh, das den Wolf sah. Komisches Mädchen.
Schließlich wandte sich der Schnitter wieder zu Tod: „Herrin, es gibt wohl ein unvorhergesehenes Problem.“ Er stierte auf den Boden, als stünde dort die Lösung. Tod sah hin. Dort stand nichts.
„ICH HÖRE ...“
„Weena hat etwas Angst. Sie dürfen das nicht persönlich nehmen, Herrin, sie ist einfach noch verwirrt, weil sie ja gerade erst gestorben ist und ganz allein.“
„ABER GERADE DANN BRAUCHT MAN EINEN FREUND! DAS IST DOCH ALLES QUATSCH!“ Tod ging wieder auf Weena zu. „KOMM, WIR UNTERNEHMEN JETZT WAS UND LENKEN DICH AB. ICH ZEIG DIR MANNI, DER IST ECHT DER KNALLER.“
Weena wimmerte und dicke Tränen kullerten die Wangen hinab. „Bitte hör auf zu schreien.“
„ICH SOLL AUFHÖREN ZU SCHREIEN?“ Ratlos sah Tod zum Schnitter. „WAS WILL SIE?“
„Herrin, es könnte daran liegen, dass Menschen eure machtvolle Stimme nicht gewöhnt sind. Sie ist doch sehr ehrfurchtsgebietend.“
„IST SIE DAS?“ Tod ging langsam zu ihrem Thron und setzte sich. Nicht, dass ihre Bewegungen hier noch eine Panik auslösten. Sie umarmte die Knie und vergrub ihr Gesicht. „GEHT WEG.“
Als Tod später aufschaute, war sie wieder allein. Wie immer.
Die Schnitter gaben sich wirklich Mühe. Sie brachten einen potentiellen Freund nach dem anderen in Tods Thronsaal. Sie versuchten die mutigsten Kinder zu finden, die wildesten und lautesten.
Da war ein Mädchen, dessen Vater General war und das ihr Leben lang nur angebrüllt worden war. Ein anderes mit einem grünen Gürtel in Karate, ein Junge mit fünf großen Brüdern, Kinder aus den einsamsten Dörfern und lautesten Städten.
Sie liefen schreiend hinaus, verfielen in Schockstarre, weinten, schlugen mit den Fäusten auf den Boden und einer sagte: „Wie abartig ist das denn?“, und kotze ihr vor die Füße. Es lief immer auf das gleiche hinaus. Sobald Tod den Mund aufmachte, zerstörte ihre Stimme jeglichen Gedanken an Sympathie. Mit der Zeit war sie davon überzeugt, dass das Konzept Freundschaft nicht für den Tod geeignet war.
Eigentlich war es auch besser so. Wie anstrengend das wäre, sich immer nach jemandem richten zu müssen. So konnte sie das tun, worauf sie Lust hatte. Tod setzte sich auf ihren Thron und seufzte. Ganz schön schwierig sich zu entscheiden, wenn man alles machen konnte, was man wollte ...
„OH MANN, SCHNITTER. ICH HAB DOCH GESAGT, ICH HAB KEINE LUST MEHR. ICH KANN DIESE ANGSTHASEN NICHT MEHR ERTRAGEN! UND AUßERDEM KOMME ICH GUT ALLEINE KLAR.“ Der Schnitter verbeugte sich mehrmals hintereinander. Tod dachte schon, er wäre hängen geblieben wie eine alte Schallplatte.
Wie passend es jetzt wäre, ihm und dem neuen Angsthasenmenschen einfach die Tür vor der Nase zuzuknallen. Blöderweise hatte ihre Höhle keine Tür. Das sollte sie schnellstmöglich ändern lassen.
„Entschuldigen Sie, Herrin. Ich weiß, Herrin. Aber Stella machte einen sehr vielversprechenden Eindruck. Sie ist bisher einmalig.“
Hinter dem Schnitter kam ein Mädchen hervor, das geradezu albern putzig aussah. Ihre braunen Haare waren zu zwei seitlichen Zöpfen geflochten, sie trug ein blaues Kleid und weiße Ballerinas. Pfff, die würde Wasserfälle weinen, sobald Tod loslegte.
Stella sah sich mit großen Augen um.
Tod wollte es hinter sich bringen und sich wieder ihren eigenen Plänen widmen. Sie richtete die volle Aufmerksam auf ihre Fingernägel und sagte: „HERZLICH WILLKOMMEN, STELLA!“ Die Erde erbebte von dem Dröhnen ihrer Worte und Stella blieb wie angewurzelt stehen. Doch anstatt sich wie erwartet in Schnitters Umhang zu verkriechen, wurden ihre Augen noch größer und funkelten. Sie stand dort und gab keinen Piep von sich. Es schien, als würde sie auf mehr warten.
„SCHNITTEEEEER? WAS IST MIT IHR? WARUM SAGT SIE NICHTS?“ Das Mädchen klatschte aufgeregt in die Hände und wandte sich an den Schnitter. Ihre Hände bewegten sich und zeichneten Muster in die Luft, die keinen Sinn ergaben. Das Mädchen war wohl nicht ganz bei Trost. Super Idee vom Schnitter ihr eine Verrückte zu schicken.
Doch dann fing der Schnitter auch noch an in der Luft herum zu fuchteln. Das war doch wirklich unverschämt.
„SCHLUSS DAMIT! ICH WILL WISSEN, WAS HIER LOS IST!“ Tod hüpfte von dem Thron und stemmte die Fäuste in die Hüfte.
„Natürlich, Herrin, entschuldigen Sie.“ Er legte eine Pause ein und schaute das Mädchen kurz an. „Stella ist taub. Sie kann Ihre Stimme nicht hören, aber sie kann sie spüren.“ Stella schaute Tod erwartungsvoll an. „Und das scheint ihr zu gefallen.“
„TAUB?“ Tod beobachtete das Mädchen. Das sah man ihr gar nicht an. „UND DESWEGEN HAT SIE KEINE ANGST?“ Tatsächlich lösten ihre Worte bei Stella nur noch mehr Begeisterung aus. Sie ging ein paar Schritte auf Tod zu und nickte auffordernd. Ganz schön dreist, die Kleine. Und mutig. Bisher war kein Kind auf Tod zugegangen.
Okay, wenn Stella mehr haben wollte, konnte sie das kriegen. Tod schrie, der Boden vibrierte, die Wände wackelten und sogar der Schnitter sah beunruhigt aus. Stella hüpfte herum, wie eine Murmel auf einem Lautsprecher, und jauchzte vor Freude. Ihr Lachen war so sorglos und frei, dass Tod einfach mitlachen musste und bald kugelten sich beide auf dem Boden und hielten sich die Bäuche.
Tod bekam kaum mit, wie der Schnitter trocken seufzte und aus der Höhle schlich.