- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Todesritt
Todesritt
Sie sitzt am Fenster. Sie fühlt sich kalt und leer. Was ist nur aus ihrem Leben geworden?
Er ruft nach ihr, blind vor Schmerz. Alles ist dunkel. Sie fröstelt, es riecht muffig in dem Raum, alles wirkt duster. Der dunkle Teppich, die braunen Möbel. Ein starker Geruch von Medizin und Desinfektionsmittel steigt ihr in die Nase. Sie würgt, spürt wie sich ein saurer, brennender Geschmack in ihrem Mund ausbreitet. Sie kann sich nicht gegen dieses Gefühl wehren, sie haßt ihn. Nein, Haß reicht nicht aus um diesen Gefühl Ausdruck zu geben. Sein ständiges Röcheln, sei rasselnder Atem, seine stinkenden Ausscheidungen die sie täglich entsorgen muß. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst, ein Schatten auch in ihrem Herzen. Langsam kriecht er immer tiefer und frißt sich in ihre Seele. Sie fühlt sich verbittert, einsam.
Schon wieder ruft er nach ihr, diesmal mit schneidender Stimme. „Komm her, Rhaline! Ich brauch dich. Jetzt!“ Sie zuckt zusammen, jedesmal fühlt sie sich schlecht wenn sie es ihm nicht recht gemacht hat. Langsam steht sie auf und geht sich sträubend in Richtung Schlafzimmer. Ein Schwall üblen Geruchs kommt ihr entgegen. Krankheit, alter Schweiß, eine Spur von Verwesung. Sie kann ihren Ekel nur mit Mühe unterdrücken. Wie lange muß sie dies schon ertragen? Wann hatte es angefangen? Wann hatte sie aufgehört, Mensch zu sein. Es scheint ihr eine Ewigkeit her zu sein. Erinnerungen steigen in ihr auf. Das Meer, das sich mit sanften Wellenbewegungen vor ihr auftut. Ein klarer, weißer Sandstrand. Musik im Hintergrund, lachende Menschen. Ein leichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht, erstirbt jedoch im selben Moment. Die schneidende Stimme reißt sie in die Realität zurück. „Wo bleibst du?“ Erschrocken über ihre eigene Nachlässigkeit bemüht sie sich etwas freundlicher zu schauen, setzt ihre Maske auf. Sie will ihn nicht noch mehr verärgern. „So, und nun setz dich ein bißchen zu mir, hier auf die Kante.“ Gierig starrt er auf die sich unter ihrer Bluse abzeichnenden Brustwarzen. Eine fleckige alte Hand tastet zittrig nach ihren Brüsten. Sie schaudert vor Ekel, vor Angst, dass er mehr verlangen wird. Sie weiß, sie muß tun, was er verlangt, denn sie ist sein Eigentum – gekauft, wie eine Ware. Auch wenn sie wollte, sie hätte keine Zukunft ohne ihn, nicht hier, in Deutschland. Die kalte Hand beginnt ihre Brust zu kneten. Er stöhnt. „Komm her, zieh das Ding da aus und leg dich zu mir. Schau her, mein Lümmel, er wird schon ganz hart.“ Mit automatischen Handgriffen, völlig abwesend, beginnt sie seinen Penis zu massieren. Er ist klein und krumm, strömt einen fischigen Geruch aus. Sie bemerkt es nicht mehr, sie fühlt es nicht mehr. Sie hat vergessen, warum sie das Leben liebt. Da war einmal etwas, aber jetzt war es nicht mehr da. Sie war mehr tot als lebendig. „Setz dich auf mich, reite mich!“ Seine röchelnde dünne Stimme zittert vor Erregung. Sie tut was er verlangt. Sie tut es mechanisch, versucht, sich fort zu träumen. Dennoch kann sie ihren Ekel nicht unterdrücken. Langsam beginnt sie sich auf ihm zu bewegen. Es schmerzt. Er windet sich unter ihr und wimmert wie ein kleines Kind. Sie bewegt sich schneller. Jetzt ist sie wieder am Meer, bei ihrer Familie. Das Wasser rauscht sanft im Hintergrund. Ein krächzendes Stöhnen, das schließlich in ein Röcheln übergeht, reißt sie jäh aus ihren Gedanken. Sie verlangsamt ihre Bewegungen als sie sein Zucken bemerkt. Sein ganzer Körper beginnt zu zucken, bis es nur noch ein leichtes Zittern ist und dann ganz erstirbt.
Es ist vorbei. Sie denkt, er ist endlich gekommen, doch irgendetwas stimmt nicht. Sie steigt von ihm hinunter. Sein röchelnder Atem - sie hört ihn nicht. Sie tastet nach seinem Herz – sie fühlt nichts. Erst als sie ihn genau ansieht, bemerkt sie, daß seine Augen leblos und starr zur Decke blicken. Kurz fühlt sie so etwas wie Trauer in sich aufkommen, die sich jedoch sogleich in ein lautes, tiefes Lachen wandelt.
Ende
Jesa