Moin Carlo!
Dass Peter-Joseph Lenné den ‚Flora‘ genannten Kölner botanischen Garten einst in stramm kampfeslustigem Preußengeist errichtet hatte, wusste man.
Starker Einstiegssatz
Die Schaugewächshäuser hingegen waren neu und doch ganz dem „gemischten deutschen Stil“ der späten achtzehnhundertsechziger und -siebziger Jahre nachempfunden, wie ein Praktikant, Absolvent eines Freiwilligenjahres oder dergleichen, Besuchern stolz und ungefragt zu erklären wusste. Das Bouquet setzte sich zusammen aus Sukkulenten jeder Form, Farbe und Größe. Ein schmaler, von dreieckigen Pflastersteinchen gesäumter und mit weißem, glatt gestrichenen Sand belegter Pfad schlängelte sich vorbei an Kakteenknospen, ausladenden Blütenkelchen, Palmengewächsen und Araukarien in Knallgrün und Krapprot.
Ich mag das sehr. Dieser wissende, perfekt informierte Erzähler. Mich erinnert das, auch im folgenden Abschnitt, an Mishimas Stil. Weiß nicht, ob du ihn gelesen hast oder ob das ein subjektives Empfinden von mir ist, weil ich quasi mit ihm sozialisiert wurde, aber der Ton, die Erzählposition, die Kamerafahrt und das Aufziehen des Textes an der Umgebung, die historisch betrachtet und eingeordnet wird, das alles ist sehr ähnlich. Also nur positiv gemeint - da ist natürlich Carlo drin, was sehr viel wert ist, das nur als Referenz.
Es wäre übrigens witzig, wenn du das echt als Persiflage an Mishima geschrieben hättest. Dein Text geht ja in eine, ja, wie soll ich sagen, antifaschistische Richtung letztendlich, Mishima war ja bekennender Royalist
All das war Tillmann verhasst und verhasst waren ihm Sebastian und Gesa Oreschko, sogenannte ‚gute‘ und vor allem einzige ‚Freunde‘, auf die man nun bereits seit über einer Viertelstunde wartete.
Von der Sprache her mag ich diesen Satz sehr gerne.
Ich mag auch das Debakel an diesem Satz, an der Szene. Die Einsamkeit, von der du erzählst. Ich denke, das kennen viele, dass man sich mit Leuten abgibt, die man eigentlich gar nicht leiden kann, die mit ihrem Politikgelaber einen auf den Sack gehen und man ärgert sich immer, wenn man sie getroffen hat, aber man tut es immer wieder
Seine Partnerin – Tillmann wusste selbst nicht so ganz, wie es zu dieser Verbindung gekommen war – klammerte sich Kaugummi kauend und seit fünf Minuten debil zur Gewächshausdecke starrend an seinen Arm.
debil würde ich streichen. Die Szene ist sowieso schon witzig. Man versteht auch, dass sie debil an seinem Arm hängt, weil sie Kaugummi kaut und praktisch glotzend nichts sagt. Weniger wäre hier mMn mehr
Mit der Sneakerspitze versuchte Tillmann unbemerkt, die magentafarbenen Blüten einer Mammillaria zu kappen. Jawohl, die Zeit seiner frühkindlichen Pflanzenversessenheit konnte mit diesem, seinem fünfzehnten Geburtstag offiziell für beendet erklärt werden. Scheiß auf Lenné!
Das finde ich sehr stark. Dieser Schwenk in seine Kindheit. Das klingt verdammt echt.
Nach weiteren zehn Minuten endlich stießen Sebastian und Gesa Oreschko aus dem Palmenhaus dazu, offenbar, weil sie nach zehn Jahren Freundschaft mit Tillmann Palmen und Sukkulenten noch immer nicht voneinander unterscheiden konnten und das, obwohl einer wie Sebastian für sich beanspruchte, in den großen gesellschaftlichen und kulturellen Fragen, dem Tod, den er den ‚Schafen‘ wünschte, wortführend zu sein.
Haha
Vom ‚großen Austausch‘ redete er neuerdings gern, von Renaud Camus und dem ‚Schuldkult‘.
Hier hätte ich mir Konkretes gewünscht. Ich sage mal, als Youngster unseren Alters und jünger, weiß man, was das ist, in gewissen Bubbles jedenfalls, aber eigentlich weiß man auch nicht, was es damit auf sich hat. Also, das sind Schlagworte, aber konkretisiert, was Sebastian konkret sagt, fände ich es besser.
Vom ‚großen Austausch‘ redete er neuerdings gern, von Renaud Camus und dem ‚Schuldkult‘.
Ich würde statt "er" "Sebastian" schreiben. Scheiße, ich muss dir etwas gestehen. Ich hatte beim ersten Lesen - es kann auch der späten Stunde geschuldet sein - die beiden Figuren durcheinandergebracht beim Lesen. Ich dachte, Tillmann sei der Rechte und Sebastian der andere. Vllt bringt dir diese Rückmeldung was im Bezug darauf, dass man an kleinen Stellen wie hier die Figurenkonstellation deutlicher machen könnte (so gemeint, dass man anstelle des ein oder anderen "er" den konkreten Namen schreiben könnte). Kann aber auch etwas Persönliches von mir sein, dass ich es durcheinandergebracht habe gestern.
Von Semlitsch, Martin Sellner und dem Briten Collett hingegen sprach Sebastian nie oder nur selten und doch war klar wie Leberknödelsuppe, wem er all diese windschiefen Metaphern, jenen Volksliedgut-deutschen Abgesang auf das in Willkommenskultur ersaufende, gute Deutschland verdankte.
Würde er nicht "Lichtmesz" anstelle von Semlitsch sagen?
So durfte Tillmann sich über ein schmales Büchlein mit dem Titel ‚Ethnopluralismus‘ freuen, mit dem er freudig auf Sebastian eingedroschen hätte, wäre da nicht dieser Restfunken verachtenswürdiger Loyalität gewesen, den er sich aus einem unerfindlichen Grund selbst nicht verbieten konnte und der ihn dazu überredete, seinen Geburtstag mit ebenjenen Menschen auszuhalten. So bitter es war: Tillmann musste sich eingestehen, dass er sich ein Leben ohne Freunde schlichtweg nicht vorstellen konnte. Lieber einen Rassisten und Antisemiten und zwei für dessen Ressentiments taubstumme und sowieso gänzlich apolitische Freundinnen als jene Einsamkeit, die ihm blühte – jetzt, da er Lenné mit seinem Tritt nach der Mammillaria endgültig den Laufpass gegeben hatte.
Das klingt sehr echt. Im Sinne von authentisch - schön!
Was Tillmann sich auch unter Denkanstrengungen nie hatte erklären können, war (...) dem Interesse seiner Partnerin – nennen wir sie Thessa – für die geraubte Südseekunst des Rautenstrauch-Joest-Museums.
Hier ist eine Doppeldeutigkeit. Also ich als Leser frage mich hier, ob das Attribut des Geraubten der Südseekunst von Tillmann oder dem Erzähler kommt? In der jetzigen Form dachte ich zuerst, der Erzähler kategorisiert das als geraubt. Dabei ist es ja Tillmanns Sicht, dass diese Dinge eben geraubt sind, und deswegen verachtet er Thessa. Das kommt hier nicht ganz klar raus, mMn, dass das Attribut des Geraubten von Tillmann kommt.
„Es reicht ja schon der moderate Islamismus“ – „Houellebecq, den magst du doch, Unterwerfung.“ – „Nicht gelesen? Stell dir mal vor …“
Finde ich nicht stark und konkret genug - ich würde sogar sagen, das ist beinahe klischeehaft, wie er spricht. Vllt wäre das 2014 wirklich sehr innovativ und neu, aber heute - ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel - klingt das für mich zu sehr nach "Klischee", zu bekannt.
Wenn du hier etwas konkreter werden würdest und etwas klischeefreies, treffendes nehmen würdest anstelle dieser Aussagen, würde das die Szene stark aufwerten, mMn
In sich bleiben, dachte Tillmann. Aber wo war der Trafostecker?
Nee. Also das ist natürlich meine subjektive Meinung, mein Geschmack, aber auch mein Empfinden von kohärenten Stil oder Klamauk. Für mich ist der Trafostecker zu ulkig. Also, davor war der Text schon witzig, die ganze Konstellation, aber da ist auch das Ernsthaftige im Text, im Geschehen, man weiß, es geht um rechts-links, ich denke, jeder kennt diese Situationen, jeder hat alte Freunde oder aktuelle Freunde, wo man sich politisch nicht einig ist ... also im Grunde zeigst du etwas sehr Aktuelles sehr authentisch, greifst den Zeitgeist, es ist auch schon witzig beschrieben und das passt! Das bringt Leichtigkeit und macht Bock. Aber das Ulkige hier ist mir etwas drüber, es ist jetzt kein Totalschaden, versteh es nicht falsch, eine Feinheit, aber für mich bräuchte es diesen "Schenkelklopfer" im Text nicht, ich finde das eher anstrengend und so auf Effekt gesetzt vom Text, als ob du deinem Text an sich nicht vertrauen würdest ... solche "Schenkelklopfer" sind für mich als Leser auch anstrengend, weil ich richtig merke beim Lesen, wie der Text etwas von mir will, LACHE JETZT, und dann will ich natürlich nicht!
Aber: Nur meine POV!
„Nur ein Beispiel.“ Sebastian deutete auf das mexikanische Beet. „Du brauchst ein Treibhaus, sonst wächst das hier nicht. Nur künstlich halt. Willkommen in Deutschland. Wie gesagt, ich hab nichts gegen die. Aber muss sich ja nicht unbedingt vermischen. Deutschland ist nun mal eben kein Gewächshaus.“
Den Dialog finde ich noch nicht stark genug, um seiner Position - und zwar den Text zu tragen, die Wut aus Tillmann herauszukitzeln und das Dilemma für den Leser sichtbar zu machen - gerecht zu werden.
Wen meint er mit "die"? Das hab ich nicht ganz geblickt.
Für mich ist Sebastian auch kein Hardcore NPD-Rassist. Hier nimmt für mich der Text eine zu einfache Abkürzung. Ich sehe ihn als Identitären. Identitäre würden so etwas Biologistisches - gemäß ihrer eigenen Ideologie - eher nicht von sich geben. Oder meint Sebastian hier, dass sich Kulturen nicht vermischen sollen?
Hier würde ich noch mal nachlegen, Carlo, an dem Dialog
Mit versteckter Neugier und von der anderen Tischseite aus befragte ihn der Polizist mit dem Fleischergesicht. Warum er seinem besten Freund hinterrücks und heimtückisch einen Igelkaktus ins Gesicht gerammt habe, dem Sebastian in – so wörtlich – völliger Schmerzunempfindlichkeit (die Nadeln bohrten sich ja schließlich auch durch die eigene Hand) das Gesicht ausgekratzt, ihn in Tobsucht gebissen, beschimpft und mit einem schmalen Buch eines rechtsextremen Kleinverlages bis zur Besinnungslosigkeit verprügelt habe. „Nun“, begann Tillmann und sortierte Szene und Gefühle noch einmal in seiner vor Müdigkeit trägen Erinnerung. Er ahnte, dass es auf das Motiv ankommen würde. Letztlich kam es immer auf das Motiv an. „Ich glaube, das mit der Freundschaft ist einfach nicht das Richtige.“
Das Ende ist nicht meins. Das macht den Text eher zu einer Glosse als einer Kurzprosa. Das ist mir zu sehr Slapstick. Ja, dieses Ende gibt deinem Text einen Bogen, einen Anfang und ein Ende, aber das Ende in seiner jetzigen Form kommt mir übertrieben vor - ich spüre den Autor ein wenig zu viel hinter dieser Szene, der will, dass es jetzt noch mal richtig knallt, und zwar auf eine besonders lustige Art.
Ich fände es in Ordnung, wenn die beiden Freunde in eine Schlägerei o.ä. kämen zum Schluss, das bahnt sich ja an, aber ich kann mir vorstellen, dass ohne den witzigen Tonfall und der Übertreibung am Ende der Text besser funktionieren würde. Wenn Tillmann z.B. Sebastian schlägt, und Sebastian fällt in ein Blumenbeet o.ä. und die beiden schlagen sich. Das wäre doch ein perfektes Ende, wieso braucht es den Witz mit dem Kaktus und das humoristische Element des fleischigen Cops? Wenn du das unulkig schilderst, wird das Fiasko der Szene doch gut deutlich und man kann mitfühlen und versteht, was du sagen möchtest.
Ich finde die Sache mit dem Kaktus auch ein wenig unlogisch. Hat er Meth genommen oder wieso spürt er die Stacheln in seiner Hand nicht? Das nehme ich dem Text nicht ab. Da möchte der Text noch mal drüber gehen, noch mal was WOAH-mäßiges zeigen. Auf mich hat das den gegenteiligen Effekt. Wenn du hier das Ulkige abbauen würdest, hättest du den besseren Text, meine Meinung
„Ich glaube, das mit der Freundschaft ist einfach nicht das Richtige.“
Neee Carlo, das als letzter Satz ist furchtbar!
Das klingt wie aus einem belehrenden Witz oder die Moral von der Geschicht, ganz direkt aus dem Mund einer Figur für den Leser gesagt.
Den Anfang fand ich sau stark, im Mittelteil würde ich die "identitären" Aussagen Sebastians noch konkretisieren und das Ende gefällt mir nicht. Mir gefällt das Glossenhafte und Ulkige nicht daran. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu belehrend oder als ob ich die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte, aber mein Eindruck ist, dass du eine Gabe hast, und zwar witzig und locker zu schreiben, und das Witzige und Lockere kannst du vom Text auf deine Leser überspringen lassen, aber - und das ist mein persönlicher Eindruck, ich kann mich natürlich irren - meiner Meinung nach stimmt die Dosierung hiervon noch nicht ganz, in weiten Teilen des Textes stimmt die Dosis Lockerheit und Witz und an ein paar Stellen haust du zu viel davon rein und dann leidet für mich der Text und die Literarizität, und das finde ich schade, weil hier drin für mich ein starker kurzer Text steckt, der an gewissen Stellen einfach überzuckert wurde.
Mann, ich hoffe, du nimmst mir meine ehrlichen Worte nicht übel. Aber wie gesagt, es ist auch nur meine Meinung und du siehst ja an meinen Vorrednern, dass die jetzige Form deiner Story auch gut ankommt. Your choice!
Beste Grüße
zigga