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Timor Parvo - Der Feuerteufel
Halbzeit.
Norberts Mannschaft lag klar in Führung. Wenn das kein Grund zum Feiern war. Er schaltete den Fernseher stumm, steckte sich ein paar Gummibärchen in den Mund, griff nach der Schachtel Zigaretten und öffnete sie.
"Licht aus!"
Erschrocken blickte er sich im Raum um. Niemand da. Wer sollte auch da sein, er wollte heute den Fußballabend alleine genießen.
"Ich sagte Licht aus!"
Mühsam drückten sich zwei kleine Ärmchen am Schachtelrand aus der Packung und mit großen Augen blickte ihn eine Zigarette an.
"Willst du dass ich blind werde?"
"Äh...nein...also...ich wusste nicht..."
"Erst läßt du uns wochenlang hier drin vermodern und jetzt sowas...", anklagend schüttelte die Zigarette den Kopf.
"Woher soll ich wissen, dass ihr...ich meine...", verteidigte sich Norbert.
"Steht doch wohl groß und deutlich auf der Packung: 'Rauchen kann tödlich sein'"
"Ja schon, aber ich dachte, das wäre nicht auf euch bezogen."
"Jetzt weißt du es. Und jetzt leg' mich bitte wieder auf'n Tisch, ja?!"
Vorsichtig legte Norbert die Schachtel zurück. Die Zigarette kroch mühsam hervor und ging mit hinter dem Rücken verschränkten Armen auf und ab.
"Sag' mal, wie heißt du eigentlich?", fragte Norbert.
"Peter. Wie sonst?", irritiert erwiderte er den Blick.
"Also, Peter. Und jetzt?!"
"Lass mich nachdenken...hmm...", die Zigarette wippte nachdenklich auf ihren kleinen Fußballen "...ich denke ich werde dich anklagen."
"Anklagen?!"
"Ja. Brandstiftung!"
"Also, hör ma...das geht nu aber echt zu weit."
"Findste?! Erst bringste meine ganze Familie um und denn nicht dazu stehen."
"Konnt' ich doch nicht wissen..."
"Konnt' ich doch nicht wissen, konnt' ich doch nicht wissen... ", wütend funkelte Peter mit den Augen. "Seid ihr soweit, Jungs?"
"Jau, kann losgehen Chef!", antwortete eines der Gummibärchen.
"Gut. Fesselt ihn."
An abgerollten Lakritzschnecken befestigte Enterhaken flogen durch die Luft und trafen zielsicher die Sofalehne. Horden von Gummibärchen hangelten sich daran entlang. Ein besonders gefährlich aussehendes Exemplar erklomm Norberts Nase und zielte mit einer angespitzten Salzstange auf Norbert.
"Keine Bewegung, Alter, sonst gib's Ärger!"
Inzwischen fesselten weitere Mitglieder des Stoßtrupps Norberts Hände auf den Rücken.
"Fertig Jungs?", rief Peter laut.
"Okay"..."Jau"..."Alles Roger" tönte es aus verschiedenen Richtungen.
"Na, denn woll'n wer mal."
Der Einzelkämpfer auf Norberts Nase nahm eine noch aufmerksamere Haltung ein und wog seine Waffe in der Hand.
"Wenn du dich schuldig bekennst und gleich gestehst, kannst uns 'ne Menge Ärger ersparen", sagte Peter.
"Ich plädiere auf unschuldig."
"So, unschuldig...hmmm...", Peter wirkte ein wenig nachdenklich.
"Rambo!" sagte er scharf.
"Aua"
Ein kleiner Bluttropfen quoll aus Norberts Wange.
"Das is' Folter", beschwerte er sich.
"Stimmt", antwortete die Zigarette. "Weitermachen"
"Halt, Moment, könn' wir uns nicht irgendwie einigen? Ich denk', du wolltest mich verklagen?", beschwerte sich Norbert mit weinerlicher Stimme.
"Ich habe meine Meinung geändert", kam die lakonische Antwort.
Der Gummibärchen-Stoßtrupp hatte sich mittlerweile vom Sofa abgeseilt und sich in Marschformation aufgestellt.
"Melden gehorsamst Ausführung des Auftrags", sagte der Anführer haltungannehmend zu Peter. Dieser grüßte zackig zurück und befahl die Versorgung der Truppe mit Nahrung. Oh du schöner Westerwald singend marschierte sie in Richtung Küche davon.
Norberts Wangen zierten mittlerweile ein paar rote Bächlein. Das Hemd wies mehrere kleine Flecken auf und Rambos teuflisches Grinsen ließ keine Gnade erwarten.
Peter hatte es sich auf der Tischkante gemütlich gemacht und schaukelte geduldig wartend mit den Beinen.
"So, ich denke das reicht erst einmal", sagte er. "Bekennst dich jetz schuldig?"
"Was erwartet mich für 'ne Strafe?"
"Brandstiftung?! Hmmm....lass mich überlegen..."
"Darf ich nochmal...darf ich nochmal...?" Fröhlich in die Hände klatschend hüpfte Rambo dabei auf Norberts Nase herum.
"Nein...Ruhe...lass mich nachdenken", antwortete Peter. Er stand wieder auf und schritt mit hinter dem Rücken verschränkten Armen auf und ab. Vor sich hin murmelnd schaute er gelegentlich in Norberts Richtung. Laut schmatzende Geräusche und das Getrippel vieler kleiner Füße war aus Richtung der Küche zu hören. Ansonsten herrschte Todesstille in der kleinen Wohnung.
Plötzlich hob Peter einen Zeigefinger und setzte sich am Kinn kratzend hin.
″...wird Ihnen präsentiert von...″
Erschrocken fuhr er auf und sah zu der Geräuschquelle.
″Was ist das?″, fragte er.
″Fernseher″, antwortete Norbert.
″Oh...int'ressant...″
″Was machen die da?″, fragte Peter.
″Fußball spielen″
″Was is' denn das?″
″Das Runde muss in das Eckige″, gab Norbert Auskunft.
″Aha...int'ressant...″
Rambo wagte einen kurzen Blick über die Schulter, schaute aber sofort wieder aufmerksam in Richtung Norbert.
Hi Ho...Hi Ho
Singend, mit geschulterten Spargelstangen und Pommes kamen die Gummibärchen aus der Küche. Einige rollten kleine Erbsen vor sich her, andere mühten sich mit Fingerhüten voll Salz ab.
″Ganz Kompaaaniiiie...Stillgestanden!″, befahl ihr Anführer. Sofort verstummte der Gesang und die kleine Gruppe nahm Haltung an.
″Verpflegung gefasst, Beute gesichert″, meldete er der Zigarette.
Diese nahm die Meldung militärisch entgegen, befahl ″Rührt euch″ und wendete sich wieder dem Fernseher zu.
″Worum ging's da...?″, fragte er nochmal.
″Soll ich es euch erklären?″
″Wär' 'n Anfang...mach ma'″, antwortete Peter.
Norbert begann die Grundzüge des Spiels zu erklären. Den Fernsehabend hatte er sich eigentlich anders vorgestellt, aber es hätte schlimmer kommen können. Was, wenn er sich heute eine Zigarre gegönnt hätte?