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Tikowa: Sturm über Tikowa, 3474 A.D.
STURM ÜBER TIKOWA, 3474 A.D.
„Es gibt keinen Ort namens Tikowa.“ sagte eine freundliche Stimme zu ihr.
Sie konnte nichts sehen. „Wo bin ich?“ schrie sie der Dunkelheit entgegen.
Wieder sagte die Stimme: „Es gibt kein Tikowa.“
Sie versuchte nachzudenken. Sie konnte sich noch an die Sondereinheiten erinnern, die plötzlich das Lager gestürmt hatten. Mindestens ein Dutzend hatte sie töten können, bevor sie durch die Betäubungsgeschosse bewußtlos wurde. Jetzt war sie hier, an einem unbekannten Ort, die Augen verbunden. „Wo bin ich?“ fragte sie noch einmal, dieses Mal ohne zu schreien. Jemand packte sie am Kopf und eine furchterregende Stimme flüsterte ihr ins Ohr: „An einem Ort, den du nicht mehr lebend verlassen wirst!“ Dann bekam sie einen Schlag auf den Hinterkopf und wurde wieder ohnmächtig.
Sie hatten sich in einem großen Raum versammelt, welcher durch die dunklen Fenster vor der hellen Sonne geschützt wurde. Es waren zehn Gestalten, die sich getroffen hatten, um endgültig eine Lösung für das Problem zu finden. „Die letzte Bastion der verfluchten Engel. Tikowa. Und wir können es nicht finden.“ sagte Golem. „Vor sechshundert Jahren haben wir endlich die Kontrolle über die Menschen erhalten. Seit sechshundert Jahren.“ Er blieb vor einem der Fenster stehen. „Wir haben zu lange gewartet.“ Er schloß seine Augen. „Tikowa. Eine unbedeutende Stadt der Engel. Und wir können sie nicht finden. Sie nicht auslöschen.“ Golem sah die anderen an. „Wissen Sie, seit vier Monaten bin ich auf der... Oberfläche. Man erwartet Ergebnisse von mir. Und alles, was ich von Ihnen höre, ist, daß man Tikowa noch nicht gefunden hat.“ Einer der anderen räusperte sich. Golem sah den anderen an und sagte: „Wollen Sie sich zu dieser Sache äußern, General Fendor?“
General Fendor erhob sich von seinem Stuhl, sah Golem und die anderen an und sagte: „Es stimmt, uns fehlt Tikowa, um endgültig bestimmen zu können.“ Fendor schluckte schwer. „Wahr ist auch, daß meine Truppen Tikowa bisher nicht ausfindig machen konnten.“
Golem unterbrach ihn. „Warum nicht?“
„Sämtliche kartographischen Unterlagen wurden vor etwa achthundert Jahren systematisch von den anderen vernichtet. Wir haben Jahre gebraucht, um alle Städte der Engel ausfindig zu machen. Wir haben auch alle finden können... außer... außer Tikowa.“ Fendor sah schuldbewußt nach unten.
Golem hatte sich wieder auf seinen Stuhl gesetzt. Er sah Fendor an. „Sie werden Tikowa finden, General Fendor. Wenn nicht, werde ich Sie direkt zu unserem Fürsten schicken. Ist das klar?“ Fendor nickte. Golem sah alle Anwesenden an. „Ich werde euch alle zu ihm schicken!“ Keine wagte, zu widersprechen.
Golem hatte alle bis auf Fendor nach draußen geschickt. Als schließlich nur noch er und Fendor in dem großen Raum waren sagte er: „Wunderschön, nicht?“
Fendor konnte nur mit dem Kopf schütteln. „Was soll hier oben so schön sein? Außerhalb der Stadt ist alles unbewohnbar, seit der Schlacht vor sechshundert Jahren.“
„Sie haben Recht, Fendor.“ sagte Golem. „Und trotzdem, es ist wunderschön.“ Fendor sah ihn fragend an. Golem deutete aus dem Fenster. „Der Sonnenuntergang!“
Fendor sah aus dem Fenster. „Seit Milliarden von Jahren geschieht dies. Es ist von der anderen Seite so bestimmt worden. Da kann man nichts ändern.“
„Ja.“ Golem sah nach draußen. „Vor langer Zeit hätte ich mir nicht träumen lassen, so etwas noch einmal zu erleben.“ Golem sah Fendor an. „Ich habe nicht vor, mir diese Sonnenuntergänge entgehen zu lassen. Sie werden dafür sorgen. Fendor, haben Sie mich verstanden! Sie sorgen dafür!“
Fendor sah aus dem Fenster. „Die Sonne ist untergegangen.“ Er schaute zu Boden.
Fendor hatte Golem nichts von seinem ‚Fang‘ berichtet. Eine junge Frau. Er mußte zugeben, daß sie hübsch war. Und sie war zäh, selten für einen Menschen. Als er im Sicherheitstrakt angekommen war, sah Fendor sich die Aufzeichnungen an. „Sie hat nichts gesagt?“
Ein junger Wachsoldat sagte zu ihm: „Nein General, nichts.“
Fendor nickte. „Hm, ich werde zu ihr reingehen.“
„Sir, ich muß Sie warnen!“ sagte der Wachsoldat. „Sie ist so anders...“
„Ja, sie ist kein normaler Mensch. Bei ihrer Gefangennahme hat sie die Hälfte meiner Männer getötet. Ich werde trotzdem mit ihr sprechen.“ Fendor gab dem Wachsoldaten seine Waffe.
„Sie wollen unbewaffnet dort reingehen?“
Fendor lächelte. Dann begab er sich zur Zelle und machte die Tür auf. Er trat hinein und schloß die Tür hinter sich.
Es war dunkel, absolute Dunkelheit. Fendor machte dies nichts aus. Wie die anderen der Teufel konnte auch er bestens mit Dunkelheit umgehen. Die Frau tastete sich an der Wand entlang. „Ich bin General Fendor.“ sagte er zu der Frau. Die Frau blieb regungslos stehen, sagte nichts. Sie war nackt. Fendor konnte die Verletzungen erkennen, die man ihr bei ihrer Verhaftung zugefügt hatte. An einigen Stellen ihres Körpers blutete sie. Fendor war verärgert. Offenbar war einer vom Geheimdienst bei der Frau gewesen. Trotzdem fragte er sie: „Haben Sie sich selbst die Verletzungen zugefügt?“ Er erhielt keine Antwort. Die Frau stand immer noch regungslos da und sah mit ihren zornigen, gleichzeitig aber auch furchtsamen Augen angestrengt in die Dunkelheit. „Wenn Sie es waren, kann ich Ihnen nicht helfen.“ sagte Fendor. „Das sind die Regeln. Wenn es allerdings einer von uns...“
Sie unterbrach ihn und flüsterte mit zittriger Stimme: „Das bin ich nicht gewesen.“
Fendor nickte. „Gut, ich werde anordnen, Sie ärztlich behandeln zu lassen.“ Er wollte gerade gehen, doch er drehte sich noch einmal um. Warum sollte er ihr glauben? Sie war ein Mensch. Er sah die Frau an. Sie war wunderschön. Fendor schüttelte mit dem Kopf und verließ die Zelle. Bevor er die Tür wieder verschloß sagte er zu der Frau: „Ich werde Ihnen einige Fragen stellen, wenn Sie behandelt worden sind.“
Als er von dem Wachsoldaten seine Waffe wieder ausgehändigt bekam fragte ihn dieser: „Und?“
„Was und?“
Der Wachsoldat trat an Fendor heran und flüsterte: „Hat sie was gesagt?“
Fendor verneinte. „Nein, hat sie nicht. Verständigen Sie die medizinische Abteilung. Sie hat Verletzungen. Ach, und geben Sie mir das Protokoll für die Zelle.“ Der Wachsoldat gab ihm das Protokoll. Fendor las es sich durch, dann war er fündig geworden. „Vielen Dank. Ich werde morgen wieder hier sein. Sorgen Sie dafür, daß die Frau nach der Behandlung in eine Zelle in Block D kommt.“ Der Wachsoldat nickte. Fendor verließ den Sicherheitstrakt. Er war wütend. Ein verfluchtes Geheimdienstarschloch namens Kjotow war bei der Frau gewesen. Die Frau hatte Recht gehabt. Bestimmt hatte Kjotow ihr die Verletzungen zugefügt.
- - -
Zur gleichen Zeit, als Fendor bei der Frau in der Zelle war, als Golem immer noch an den Sonnenuntergang dachte und der Wachsoldat aufmerksam die zahlreichen Monitore betrachtete, zur gleichen Zeit waren die wenigen noch lebenden Engel in Tikowa angekommen. Ihre letzte Bastion. Die letzte Hoffnung, die endgültige Verdammnis aufzuhalten. Sie hatten sich in der Bibliothek versammelt. Unter den Engeln befanden sich einige Menschen, die der dunklen Seite entkommen waren. ER hatte angeordnet, die Menschen aufzunehmen, als die Schlacht vor sechshundert Jahren begann. Ein Engel hatte sich erhoben und bat um Ruhe. Nach und nach wurde es still. Alle sahen den Engel an. „Ihr wißt, wer ich bin.“ sagte dieser. Wie konnte man das nicht wissen. Cole Parker. Der Hüter des Gesetztes. Der Wächter über Tikowa. Seit mehr als eintausendfünfhundert Jahren. Parker sah sich um. Was er sah entmutigte ihn ein wenig. Überall ängstliche Gesichter, Resignation lag in der Luft. Er wollte gerade etwas sagen, als sich plötzlich die mächtige Tür öffnete und eine Gestalt die Halle betrat. Die Gestalt hatte einen langen schwarzen Mantel an und hatte ihr Gesicht unter einer großen Kapuze verdeckt. Parker wußte nicht warum, aber er hatte plötzlich ein Dejavu. Die Gestalt bahnte sich ihren Weg durch die Menge und blieb schließlich vor Parker stehen. Dann zeigte sich die Gestalt. Es war eine Frau, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hatte dunkles und langes Haar, welches sie sich zu mehrern Zöpfen gebunden hatte. Was Parker auffiel, waren die traurigen Augen, die ihn ansahen.
Die Frau sagte zu Parker: „Sind Sie Cole Parker?“ Er nickte leicht mit dem Kopf. „Ich bin Alanis. Eine lange Reise habe ich hinter mir, um hierher nach Tikowa zu gelangen. Cole Parker, ich muß mit Ihnen sprechen.“ Alanis sah sich um, blickte ihm dann wieder ins Gesicht. „Allein!“ Dann zeigte sie Parker ihren Unterarm. Kurze Zeit später hatte Parker die Bibliothek räumen lassen und nur noch er und Alanis standen in der großen Halle unter den imposanten Kronleuchtern.
„Es ist wunderschön.“ sagte Alanis, als sie sich die Wände ansah. „Wer hat das gemacht?“
Parker zuckte mit den Schultern. „Das weiß keiner, manche denken, ER hätte es erschaffen. Nicht nur die Wände... die ganze Bibliothek.“ Alanis murmelte etwas, aber Parker hatte es nicht verstehen können. Behutsam tippte er ihr an den Arm. Sie drehte sich blitzschnell um und schleuderte Parker zu Boden. Dann erkannte sie ihren Fehler und half ihm auf. Parker hielt sich den Rücken. „Verzeihen Sie mir, Cole Parker.“ sagte Alanis.
Dieser winkte ab. „Nein, schon gut, meine Schuld. Ich habe einen Moment lang nicht nachgedacht.“ Er sah wieder den traurigen Blick in ihren Augen. Sie war schön. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so etwas schönes gesehen. „Was will der Genesis Orden von Tikowa, Alanis?“ fragte er sie.
Alanis sah zu Boden. „Wir waren zu zweit. Doch unterwegs wurden wir von der dunklen Seite überrascht... Sie hat es nicht geschafft. Vermutlich ist sie bereits tot.“ Sie wischte sich eine einzelne Träne aus dem Gesicht.
„Wer?“ wollte Parker wissen.
„Trish.“
„Trish war Ihre Freundin?“
Alanis schüttelte den Kopf. „Wer dem Genesis Orden beitritt, hat keine Freunde, Cole Parker.“
Er fuhr sich durchs Haar. „Okay. Was also will der Orden von uns?“
„Wir brauchen die Unterstützung von Tikowa, um die bevorstehende Schlacht gegen die Truppen der anderen Seite gewinnen zu können. Es gibt sonst nichts mehr. Tikowa ist als einziges übrig geblieben.“
Parker wurde schlecht und er mußte sich setzen. Irgendwie war es ihm klar gewesen, ihm mit jedem Tag bewußter geworden, an dem immer mehr Flüchtlinge nach Tikowa gelangten. „Ihr wollt kämpfen?“ fragte er Alanis.
„Ja, Cole Parker. Der Orden hat es so beschlossen.“
Beide schwiegen und betrachteten die Wände. Noch ein Kampf, dachte Parker. Noch eine Schlacht. Schöne Scheiße.
- - -
Die Stadt hatte sich zu einem Moloch entwickelt. Fendor war auf dem Weg zum Geheimdienstkomplex. Er hatte vor, sich diesen Kjotow vorzunehmen. Auch wenn die Frau nur ein Mensch war... Fendor dachte nicht weiter nach, er war angekommen. Er sah sich um, bevor er den gigantischen Komplex aus Türmen und Hallen betrat. Was er sah, machte ihn noch wütender. Überall tummelten sich die Menschen, sie waren dreckig. Der Müll bedeckte fast vollständig die Straßen. In weiter Ferne sah er die riesigen Schutzwälle, welche die Stadt umgaben. Die Menschen hatten nicht den Hauch einer Chance, ihrem Schicksal zu entkommen. Das Schicksal, welches seit sechshundert Jahren nicht mehr in SEINER Hand lag. Fendor wurde vom Empfang angewiesen, zu warten. Ihm blieb nichts anderes übrig. Verfluchte Bürokratie. Nicht alles, was sie von den Menschen übernommen hatten, war gut. Fendor setzte sich. Um sich die Zeit zu vertreiben, dachte er über die Frau nach. So schön. Er hatte vergessen, sie nach ihrem Namen zu fragen. Hat das überhaupt jemand schon getan? Und diese seltsame Tätowierung an ihrem Unterarm. Was hatte dies zu bedeuten? Jemand berührte ihn an der Schulter.
Eine gut gekleidete Frau sagte zu ihm: „Vierzigster Stock, Zimmer 313, General.“
Fendor lächelte sie an. „Danke.“ Dann ging er zu den Fahrstühlen. Ihm war aufgefallen, daß die Frau die Hörner mit ihren Haaren verdeckt hatte. Er drückte den Knopf. Viele machten das in letzter Zeit, vor allem die jungen, die noch nicht so lange hier oben waren, selbst Golem. Er schüttelte den Kopf. Der Fahrstuhl hielt, Fendor trat aus und stand inmitten eines langen und dunklen Ganges.
Es klopfte an der Tür. Der Mann am Fenster machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen. Er sah aus dem Fenster. Von hier oben sahen sie noch zerbrechlicher aus. Wie er sie haßte. Es klopfte erneut. Wenn er hier das Sagen hätte, und nicht dieser Golem, er...
Eine Stimme unterbrach seine Gedanken. „Sie haben nicht ‚Herein!‘ gesagt.“
Er drehte sich. Na toll, einer vom Militär. Er zwang sich ein Lächeln auf und sagte: „Was kann ich für sie tun... General...?“ Er sah ihn fragend an.
„Ich bin General Fendor, Mister Kjotow.“
„Sie kennen meinen Namen?“
Fendor setzte sich und sah sich um. An den Wänden hingen keine Bilder. Und außer einem Schreibtisch, drei Stühlen und einen Schrank voller Akten gab es sonst nichts weiter. „Ihr Jungs vom Geheimdienst seid ganz schön spartanisch eingerichtet, was?“ sagte Fendor mit einem spöttischen Lächeln zu Kjotow.
Der hatte sich nun ebenfalls gesetzt. „Wir sind hier, um zu arbeiten, General. Beim Militär mag dies vielleicht anders sein. Haben Sie viele Bilder bei sich hängen?“ Er sah Fendor an.
Dieser ließ sich nichts anmerken und sagte: „Sie waren heute im Sicherheitstrakt bei dieser Frau, die meine Truppen in der letzten Woche festnahm, wie hieß sie noch...“ Fendor holte einige Akten aus seiner Jacke und blätterte diese durch. „Verdammt, irgendwo muß es doch...“
„Ihr Name ist Trish, General.“ sagte Kjotow.
„Vielen Dank. Also, Sie waren heute bei Trish?“
„Ja.“
„Warum?“
„Ich glaube nicht, daß ich Ihnen verpflichtet bin, dies zu sagen.“
Fendor holte einen Ausweis hervor und warf ihn zu Kjotow. „Oh doch, Sie glauben ja gar nicht, wie sehr Sie mir verpflichtet sind, Kjotow.“
Der sah sich den Ausweis an. ‚Level 10A‘ las er. Daneben der Magnetstreifen und ein Foto von Fendor. Er schluckte schwer. Wenn Fendor es wollte, würde Kjotow morgen sterben. Und ich habe ihn unten warten lassen. „Was wollen Sie wissen?“
Fendor lächelte. „Ah, es geht doch.“
Kjotow gab ihm den Ausweis wieder. „General?“
„Diese Frau, Trish, sie ist meine Gefangene. Ich war heute bei ihr. Sie blutete am Hinterkopf. Sie hat Schürfwunden am ganzen Körper. Ich mußte sie in die medizinische Abteilung versetzen lassen. Trish war verängstigt. Glauben Sie mir, bei ihrer Festnahme hat sie viele meiner Männer getötet. Denken Sie, daß so eine Frau nach sechs Tagen Einzelhaft in völliger Dunkelheit Angst bekommt?“ Er erhielt keine Antwort. „Denken Sie das?“
Kjotow blickte zu Boden und murmelte leise: „Nein... denke ich nicht.“
„Sie waren das, nicht wahr. Sie haben ihr die Verletzungen zugefügt. Antworten Sie mir!“
Kjotow hatte panische Angst. Der General hatte sich vor ihm aufgebaut. „Ja.“ flüsterte Kjotow.
„Ihr Typen vom Geheimdienst seid doch alle gleich. Erst schlagen. Dann fragen. Wieder schlagen. Und noch einmal schlagen, um die Antworten zu erzwingen. Ihr seid ein widerwärtiges Pack.“ Fendor trat einen der Stühle um. Kjotow zuckte zusammen. Fendor hatte sich wieder etwas beruhigt. Er sah Kjotow an, er spürte, wie sehr der Mann vor ihm Angst hatte. „Und was hat sie gesagt?“
„Was?“
„Hat Trish irgendwas gesagt, nachdem Sie sie bearbeitet haben?“
„Tikowa.“
Fendor holte tief Luft. „Sie weiß, wo Tikowa liegt?“
„Nein, sie hat nur Tikowa gesagt.“
„Sonst nichts?“
„Nein. Sonst hat sie nichts weiter gesagt. Das müssen Sie mir glauben.“
Fendor stellte den Stuhl wieder auf. „Sie sind ein Arschloch, wissen Sie das?“ sagte er zu Kjotow und verließ den Raum.
Kjotow sackte zusammen. Morgen bin ich tot, dachte er. Er stand auf und sah aus dem Fenster. Wie er diese Menschen haßte.
Unten verließ Fendor den Geheimdienstkomplex. Vorher hatte er in der Militärzentrale angerufen und ein Eliminierungsformular ausstellen lassen.
Wenige Stunden später mußte Kjotow erkennen, daß er sich geirrt hatte. Als er abgeführt wurde, wußte er, daß er den nächsten Tag nicht mehr erleben würde. Noch am gleichen Abend wurde Zimmer 313 im vierzigsten Stock neu besetzt. Kjotow selbst war ein Fall für die Akten geworden, jene, die in den hintersten Regalen langsam verstaubten.
Am nächsten Morgen trafen sich Golem und Fendor. Beide betrachteten den Sonnenaufgang. Golem war begeistert. „Jeden Tag stehe ich früh auf, um mir dieses Schauspiel nicht entgehen zu lassen.“ Fendor sagte nichts, holte nur tief Luft. „Gefällt es Ihnen etwa nicht, General?“
„Ich bin schon zu lange hier, Golem.“ Fendor sah aus dem Fenster. „Ich bin kurz nach der Schlacht nach oben versetzt worden. Es gab viel zu tun. Am Anfang war ich auch begeistert. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, man stumpft ab. Man genießt nur noch die Kleinigkeiten, die angenehm auffallen.“
„Was denn für Kleinigkeiten?“ wollte Golem wissen.
„Gestern zum Beispiel.“ sagte Fendor und lächelte. „So ein kleiner mieser Typ vom Geheimdienst hatte mir irgendwie den Tag versaut.“ Er faßte sich an eines seiner Hörner. „Nun, er wird es nie wieder tun...“
Golem begann laut zu lachen und sagte: „Ja, der Geheimdienst. Die werden es nie lernen. Leg dich nicht mit einem General vom Militär an.“ Fendor pflichtete ihm bei. Dann wurde Golem ernst und fragte Fendor: „Tikowa?“
Fendor sah Golem an und holte tief Luft und sagte: „Letzte Woche haben wir einen Menschen verhaftet, eine Frau. Vielleicht weiß sie etwas über Tikowa. Ich werde sie nachher selbst verhören.“
„Enttäuschen sie mich nicht, Fendor.“ sagte Golem. „Ich betrachte Sie als einen Freund, als einen Verbündeten.“
Fendor sah verschämt nach unten. „Eine große Ehre. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Golem.“
Golem nickte. „Sie können jetzt gehen.“ Fendor salutierte vor Golem und ging. Golem sah noch eine kurze Zeit aus dem Fenster, widmete sich dann aber wieder seiner Arbeit.
- - -
Auch in Tikowa ging die Sonne auf. Alanis hatte die Nacht bei Parker verbracht. Er hatte mit der unbequemen Couch vorlieb nehmen müssen. Sie wachte vor ihm auf und ging ins Wohnzimmer. Alanis sah Parker an. Seit mehr als eintausendfünfhundert Jahren war er hier in Tikowa. Kein anderer Engel war länger hier als er. Ob es ihm klar war, was für eine Rolle er in den kommenden Wochen spielen würde? Sie war sich nicht sicher. Sie ging zurück ins Schlafzimmer. Leise fing sie an zu singen: „Between Reality an Madness...“ In Gedanken versunken stand sie nackt vor dem Bett und bemerkte somit auch nicht, wie Cole Parker gähnend und leicht verschlafen sich von der Couch erhob.
Er ging leise zum Schlafzimmer. Er hörte ihren leisen Gesang. Sie hatte einer wunderbare Stimme. Er lugte durch den Türspalt. Parker sah Alanis, wie sie sich zu ihrem Gesang rhythmisch bewegte. Sie ist nackt, stellte er fest. Und obwohl es ihm peinlich war, konnte er es sich nicht verkneifen, sie anzusehen. Er war förmlich geblendet von ihrer Schönheit. Nein, sagte er zu sich. Sie ist... vollkommen, ja.
Dann bekam er plötzlich einen Schlag ins Gesicht und fiel um. Leicht benommen stand er auf. Alanis sah ihn zornig an. Sie hatte sich das Bettlaken umgewickelt. Parker hob entschuldigend die Hand und ging ins Badezimmer, um sich seine blutende Nase zu reinigen.
„Das hätten Sie nicht tun dürfen, Cole Parker!“ sagte Alanis, immer noch verärgert.
„Ja, Sie haben Recht!“ sagte er und schenkte ihr einen Kaffee ein. Sie saßen am Tisch. Alanis sagte nichts, und Parker fand auch nicht die richtigen Worte, um ein Gespräch anzufangen. Er nahm einen kleinen Schluck aus der Tasse. So lange bist du nun hier, sagte er zu sich. Und du hast nichts dazu gelernt.
- - -
Trish wachte auf. sie blinzelte. Ihre Augen mußten sich erst wieder an das helles Licht gewöhnen. Wo war sie? Sie erinnerte sich. Die dunkle Zelle. Der grausame Teufel, der sie geschlagen hatte. Trish war standhaft geblieben. Außer einem ‚Tikowa‘ hatte er nichts aus ihr herausprügeln können. Aber war das nicht schon zuviel, was sie verraten hatte. Er hatte ihr zwar einzureden versucht, Tikowa würde es nicht geben, aber... Hatte sie zuviel gesagt? Und dann der andere. Der wissen wollte, wer ihr die Verletzungen zugefügt hatte. Er wollte ihr helfen. Langsam konnte sie wieder klar denken, und ihre traurigen Augen sahen, wo sie sich befand.
„Guten Morgen, Trish.“ sagte eine Stimme zu ihr. Sie erkannte einen Mann, der vor ihrem Bett saß, in dem sie lag. „Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“ fragte der Mann.
Sie nickte. Sie kannte diese Stimme. Es war die von dem Mann aus der Zelle, der ihr helfen wollte. Trish hatte etwas Mühe mit dem Sprechen, doch nach einigen Versuchen konnte sie klare Sätze formulieren. „Krankenstation.“ sagte sie.
Der Mann lächelte und sagte: „Nun, Krankenstation trifft es nicht ganz, aber irgendwie kommt es schon hin. Trish?“
Sie sah ihn an. „Woher wissen Sie meinen Namen?“
„Von demjenigen, dem Sie Ihren Aufenthalt hier in der medizinischen Abteilung zu verdanken haben.“ Sie zuckte zusammen. „Er ist tot.“ sagte der Mann.
„Und wer sind Sie?“
„Ich bin General Fendor. Ich habe Sie festgenommen. Können Sie sich daran noch erinnern?“
Trotz ihrer Schmerzen lachte sie laut. „Ja. Leider habe ich nicht jeden von euch Mistkerlen töten können.“ Dann verstummte sie. Sie mußte an Alanis denken. War sie entkommen, befand sie sich hier oder war sie... tot?
„Ihrer Partnerin ist leider die Flucht geglückt.“ sagte Fendor. „Aber immerhin haben wir ja Sie, Trish. Glauben Sie mir, wir bekommen nicht allzu oft Besuch vom Genesis Orden.“
„Was?“
„Ihre Tätowierung am Unterarm. Ich habe mich kundig gemacht. Es ist das Zeichen des Genesis Orden, nicht wahr?“ Sie sah ihn nur an, sagte nichts. „Es ist das Zeichen, oder?“ sagte Fendor. „Ihr Schweigen bestätigt meine Vermutung. Trish?“ Sie fiel wieder in den Schlaf. Fendor ärgerte sich. Verdammt. Er winkte einen der Pfleger zu sich heran. „Diese Frau wird nicht nach Block D gebracht. Lassen Sie sie in mein Haus bringen. Haben Sie mich verstanden?“ Der Pfleger nickte verängstigt. Fendor sah ihn an. Ein Mensch, dachte er, der würde alles tun, um mich zufrieden zu stellen. Er sah Trish an. Er konnte nicht anders, er mußte sie berühren. Unbewußt zog sie ihren Arm zurück, so daß ihre Tätowierung zu sehen war. „Lassen Sie ein digitales Foto davon machen und senden sie das Bild dann an folgende Adresse.“ Er gab dem Pfleger ein kleines Kärtchen. Der Mensch sah Fendor verunsichert an. „Ach so, die Karte können Sie behalten. Sollten Sie mal in eine Kontrolle geraten, zeigen Sie die den Wachen.“ Der Mensch lächelte. Fendor sah ihn grimmig an und brummte: „Haben Sie alles verstanden?“ Der Mensch nickte mit seinem Kopf. „Können Sie nicht antwor...“ Jetzt fiel es Fendor wieder ein, den menschlichen Angestellten in fast allen Abteilungen waren die Sprechorgane entfernt worden, aus Angst, sie konnten ihre Stimmen gegen das System benutzen. Fendor lächelte und dachte: Als ob man dazu eine Stimme braucht. Er stand auf, er mußte sein Haus vorbereiten. Auf Trish. Für Trish.
Zu Hause angekommen, verständigte er als erstes Golem von seinem Vorhaben. Golem war nicht gerade begeistert und es kostete Fendor viel Überredungskunst, seinen Plan durchzusetzen. „Denn immerhin“ sagte Fendor, „geht es hier darum, daß ich mir sicher bin, daß sie mehr weiß, als sie uns bis jetzt hat vorspielen können... Sie ist eine Schwester des Genesis Orden. Und der Orden und die Städte der Engel waren seit jeher eng miteinander verbunden... In einer sterilen Umgebung wie der medizinischen Abteilung oder anderswo wird es schwierig werden, ihren Willen zu brechen. Vielleicht kann ich ihr Vertrauen gewinnen... Ja, Sie haben richtig gehört... Zwei oder drei Monate? Schwer zu sagen... Wenn es kein Erfolg bringen sollte, werde ich die Konsequenzen ziehen und meinen Rücktritt anbieten... Der Mensch? Nun, die Frau wird sterben, wenn sie nicht mit uns kooperiert... Haben sie vielen Dank, Golem.“ Oh ja, Fendor hatte sein Bestes geben müssen. Er war sich nicht sicher, ob er nicht zu knapp kalkuliert hatte. Er hatte von früheren Versuchen solcher Art gehört. Die hatten sich über einen weit größeren Zeitraum hingezogen und meistens keinen Erfolg gebracht. Er holte tief Luft, massierte kurz seine Hörner und begann dann, sein Personal einzuweisen.
- - -
Es kursierten viele Gerüchte über den Genesis Orden. Kein Mensch, nicht einmal ein Engel und erst recht nicht ein Teufel, konnte mit Bestimmtheit sagen, wo sich die Ordensburg befand. Wenn man den vielen Erzählungen Glauben schenken wollte, so lag sie irgendwo in der südlichen Hemisphäre. Afrika vielleicht, oder Australien. Daß sie sogar im ewigen Eis liegen sollte, daran glaubten die wenigsten. Dem Mythos nach war der Orden einige Jahre nach dem ersten und wohl auch einzigen Armageddon, welches die gebeutelte Menschheit erleben mußte, entstanden. Die beiden Seiten hatten Millionen von Menschen für ihre Zwecke eingespannt, vorwiegend Männer. Für viele eine plausible Erklärung, warum nur Frauen Zutritt zum Orden gewährt wurde. Was sich hinter den Mauern der Ordensburg tat, wußte niemand. Die einzige Gewissheit, welche die momentanen Herrscher hatten, war die, daß der Orden sie bekämpfte. Mit aller Kraft. Mit allen Mitteln. Kein Mensch, kein Engel, kein Teufel hatte je eine der sagenumwobenen Schwestern gesehen. Und nun, sechshundert Jahre nach der großen Schlacht, wollte der Zufall es, daß sich zwei Schwestern in beiden Lagern befanden.
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Parker hatte Alanis die Stadt gezeigt. Sie waren an vielen Flüchtlingslagern vorbeigegangen. Menschen und Engel, früher undenkbar, saßen nun dicht aneinander gedrängt, und harrten dessen, was ihnen bevorstehen sollte.
„Ihre Gesichter sind voller Furcht, voller Ungewissheit.“ sagte Alanis.
„Sie haben einfach Angst.“ sagte Parker. Sie blieben stehen. Parker erzählte weiter: „Viele Menschen, die es bis hierher geschafft haben, sind in den ersten Tagen oft nicht in der Lage, die Zustände zu beschreiben, die in ihrer Welt herrschen. Es muß schlimm sein. Die gigantische Stadt, umgeben von hohen Mauern. Ständig die Angst, willkürlich das Opfer eines Teufels zu werden. Und wissen Sie was das Schlimmste überhaupt ist, Alanis?“
Sie sah ihn an. „Nein, Cole Parker.“
„Es muß der Moment sein, in dem sie erkennen, daß sie nach ganz unten kommen, zu denen, die sie getötet haben.“
„Es gibt Ausnahmen.“
„Das glaube ich nicht. Seit der Schlacht töten wir keine Menschen mehr. Und alle, die sich hier befinden, sind Flüchtlinge aus der Stadt.“ Alanis sah Parker an und umfaßte seine Hand.
Er wollte etwas sagen, aber sie legte ihm einen ihrer Finger an die Lippen. „Ruhig, Cole Parker.“ Dann nahm sie Parkers andere Hand und drückte sie an ihre zierlichen Brüste. Wo vorher noch unzählige Stimmen um sie herum waren, umgab sie Stille. Alanis hatte ihre Augen geschlossen. Plötzlich begann Parker am ganzen Körper zu zittern, ihm wurde kalt und es kam ihm vor, als ob jeden Moment sein Kopf explodieren würde. Er wollte schreien, aber es gelang ihm nicht. Alanis hatte ihn umarmt. Und dann geschah es.
Parker sah sich um, alles war verzerrt, vereinzelt hörte er Geräusche, die er nicht verstehen konnte. Alanis war verschwunden. Er befand sich in einem Gebilde aus verzerrten Farben. Aus den undefinierbaren Geräuschen begann sich eine Stimme herauszukristallisieren. „Sieh!“ sagte die Stimme immer wieder, bis sie alles übertönte. Parker hielt sich die Ohren zu. Und dann gelang es ihm endlich, seinen Schmerzen Ausdruck zu verleihen. Er schrie. Die Stimme war weg und er stand auf einer grünen Wiese. Hinter sich hörte er lautes Gelächter. Er drehte sich um, und was er sah, raubte ihm fast den Verstand. Vor ihm erhob sich eine riesige weiße Kuppel. Etwas zog ihn zu der Kuppel, er wehrte sich nicht dagegen. Wie von Geisterhand öffnete sich ein Tor. Und dann war Parker in der Kuppel. In der Mitte stand eine große Säule aus Granit. Auf ihrer Spitze befand sich...
Parker fiel auf die Knie. „Bist DU es?“ schrie er.
Von allen Seiten sagte eine sanfte Stimme zu ihm: „Ja, ICH bin es.“
Parker begann zu weinen. Also hatte ER Zuflucht in der Ordensburg gefunden. Sie mußte es sein. „Warum hast DU uns verlassen?“
„ICH habe Euch niemals verlassen.“ Parker schloß seine Augen.
Als er sie wieder öffnete, befand er sich in Tikowa. Alanis stand vor ihm. „Geht es Ihnen gut, Cole Parker?“ Cole konnte nicht mehr. Er fiel zu Boden und verlor sein Bewußtsein. Alanis nahm ihn behutsam in ihre Arme. Dann rief sie in die Menge: „Ich brauche einen Arzt!“ Sie sah Parker an. „Tut mir leid.“ flüsterte sie.
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„Gefällt es Ihnen?“ fragte Fendor Trish. „Da ist ein bequemes Bett, etwas Kleidung... wenn Sie etwas brauchen, drücken sie einfach den Knopf da an der Tür.“ Er zeigte zu einer Sprechanlage, die neben der Tür befestigt war.
Trish wußte nicht, wie sie reagieren sollte. „Warum machen Sie das?“
„Oh, eigentlich dürften Sie gar nicht hier sein. Wenn das jemals einer rausbekommt, dann sind Sie tot. Und ich auch!“ Trish ging langsam auf das Bett zu. Fragend sah sie Fendor an. Der war begeistert. „Nur zu, es ist Ihres.“ ermutigte er sie.
Trish setzte sich. Sie strich über die Bettdecke. „Ich dürfte nicht hier sein?“ fragte sie Fendor.
„Offiziell sind Sie tot, Trish. An den Folgen eines Verhörs, welches ein Agent des Geheimdienstes durchführte. Nun... dieser Agent ist auch...“ Er sah sie an.
Trish erwiederte seinen Blick. „Der Agent, der mich geschlagen hatte. Er ist tot!“
„Ja.“
Trish lächelte und flüsterte leise: „Gut.“
Fendor ging zur Tür. „Ich werde Ihnen erst einmal etwas Zeit zur Eingewöhnung geben. Noch was. Die Fenster lassen sich nicht öffnen und es gibt keine scharfen Gegenstände hier im Raum. Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch.“ Er bekam keine Antwort. Er runzelte die Stirn. Dann ging er aus dem Zimmer.
Trish war auf dem Bett sitzengeblieben. Warum tut er das? Sie war sich sicher, daß er etwas über Tikowa wissen wollte. Ich muß vorsichtig sein, sprach sie sich selbst Mut zu. Sie legte sich hin. Trish konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so bequem gelegen hatte. Sie mußte sich selbst eingestehen, daß sie es sehr genoß. Kurz darauf war sie auch schon eingeschlafen.
Fendor hatte Golem zugesichert, ihn regelmäßig zu kontaktieren. Sie hatten vereinbart, eine abhörsichere Leitung zu benutzen. Sie trauten dem Geheimdienst nicht.
„Schon Fortschritte?“ wollte Golem wissen.
„Sie ist erst seit einigen Tagen hier. Sie ist noch sehr mißtrauisch.“ sagte Fendor.
„Das nützt mir nichts. Die Zeit wird knapp, ich will Ergebnisse.“
„Die werden Sie auch bekommen.“ versicherte Fendor.
Golem schwieg eine Weile und sagte dann: „Nur Sie, ich und Ihr Personal wissen von der Sache. Ich habe es dem Fürsten nicht gesagt.“
„Nein?“
„Nein, es schien mir zu riskant.“
Fendor war um einiges erleichtert und sagte: „Gut.“ Er konnte spüren, wie unwohl sich Golem am anderen Ende der Leitung fühlte.
„Fendor, ich muß Schluß machen.“
„Ja, Golem.“ Fendor sah aus dem Fenster. „Golem?“
„Was gibt es noch?“
„Die Sonne ist untergegangen.“
„Und?“
„Es ist Ihnen gar nicht aufgefallen, nicht wahr?“
„Ich werde Sie kontaktieren!“ sagte Golem und legte auf. Tatsächlich, die Sonne war untergegangen. Für Golem war es inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Und er stand auch nicht mehr so früh auf.
- - -
„Etwas wird geschehen, Cole Parker.“ sagte Alanis. Zwei Wochen waren seit dem Vorfall vergangen.
„Alanis, ich war in der Ordensburg, bei IHM! Sie kamen zu mir. Ihr wollt eine Schlacht. Aber Sie tun nichts. Keine genaueren Angaben, Sie geben mir keine konkreten Vorstellungen, wie wir das bewerkstelligen sollen.“
Alanis stand von dem Stuhl auf. Sie befanden sich in der Bibliothek. „Noch ist es nicht soweit, Cole Parker.“
„Was verschweigen Sie mir? Daß der Genesis Orden noch nicht genug...“ Alanis hatte sich zu ihm umgedreht. Natürlich, dachte Parker. Das ist der Grund. „Der Orden hat nicht genug Engel, oder?“ Sie sagte nichts, sah ihn nur an. „Alanis?“
„Sie haben Recht, Cole Parker.“
„Also geschieht es doch? Nur sie kommen nicht zu uns nach Tikowa, sie kommen zu euch, in die Ordensburg.“
„Ja.“
Parker war sprachlos. Wie konnte das sein? Wie konnte einer von den Menschen heutzutage als Engel wieder auferstehen? Er mußte sich setzen.
„Cole?“
Er sah sie an. Das erste Mal, daß sie ihn nur mit seinem Vornamen ansprach. „Ja?“
„Etwas wird geschehen.“
„Was?“
„Was noch nicht sein kann, nicht zu diesem Zeitpunkt.“ Sie hatte sich ebenfalls wieder gesetzt. Alanis berührte eine Hand von Cole. Sie sah ihn an, doch er zog seine Hand nicht weg. „Es ist eine neue Generation von Engeln, Cole.“
„Sie sind auch ein Engel, nicht wahr?“
„Ja. Wir sind in einer Welt gestorben, die von der anderen, der dunklen Seite bestimmt wird.“
„Aber wie könnt ihr dann... Warum seid ihr nicht da unten... Warum?“
„Ich weiß es nicht. Ich bin gestorben und in der Ordensburg wieder aufgewacht. Ich kann es Ihnen nicht erklären, warum? Vielleicht hat ER es so gewollt.“
Parker sah es genau so, was für einen anderen Grund sollte es sonst geben? ER hatte sich nach der verlorenen Schlacht einen sicheren Ort gesucht und neue Engel um sich gescharrt. Engel, die in einer trostlosen und brutalen Welt gestorben waren. So mußte es wohl sein. Und doch nahm ER nicht jeden. „Ihr müßt etwas besonderes sein.“ sagte Cole zu Alanis.
„Ja, das sind wir.“ Alanis nahm Parkers Hand und küßte sie. „Alanis, nein... es ist eine Ewigkeit her, seit ich...“
„Für mich doch auch, Cole!“ sagte sie.
Parker beugte sich über den Tisch und gab Alanis einen sanften Kuß auf ihre Lippen.
Alanis schloß ihre Augen, als Cole sie küßte. Ob er es auch so vermißt hatte, wie sie.
Parker streichelte zärtlich ihr Gesicht. Dann sagte er zu ihr: „Wie schön du doch bist.“
Draußen, außerhalb der Bibliothek, sahen die Menschen und Engel zu den Wolken am Himmel, die plötzlich dunkler wurden.
- - -
„Guten Morgen, Fendor.“ sagte Trish und setzte sich mit einem Lächeln an den gedeckten Tisch.
„Den wünsche ich Ihnen auch.“ erwiederte Fendor. Drei Wochen waren vergangen, seit er sie zu sich geholt hatte. Fendor sah Trish zu, wie sie das Frühstück einnahm. Es hätte alles so einfach sein können, dachte er. Gehirnwäsche, Wahrheitsdrogen, doch solches Wissen war in den Wirren nach der Schlacht abhanden gekommen, verloren gegangen.
„Was ist mit Ihnen?“ fragte Trish. Sie hatte den leeren Blick gesehen, mit dem Fendor an die Decke starrte.
Er zuckte zusammen und sagte: „Entschuldigung. Trish, haben Sie etwas gesagt?“
„Ja. Was ist mit Ihnen?“ Sie aß weiter.
Fendor schob seinen Teller von sich. „Seit drei Wochen sind Sie bei mir. In der ersten Woche haben Sie kaum mehr als vier Sätze von sich gegeben. Eine schwierige Zeit für uns beide.“ Das war es wirklich, Golem wurde immer ungeduldiger.
Trish trank ihr Glas aus und sagte: „Was haben Sie erwartet, daß ich mich mit Ihnen unterhalten würde, als wären Sie ein Freund von mir?“
„Bin ich es nicht, Trish?“
„Wie bitte?“
„Sie sind hier, weil ich Ihnen Schutz geben kann. Wären Sie weiterhin im Sicherheitstrakt geblieben, wären Sie wahrscheinlich längst tot. Irgendeiner vom Geheimdienst hätte...“
„Ich lebe!“
„Ja Trish, Sie leben. Und das verdanken Sie mir, Ihrem... Freund.“
Trish sagte nichts. Schließlich, nach einer Weile fragte sie ihn: „Darf ich gehen?“
„Selbstverständlich.“ Trish stand auf und verließ das Eßzimmer. Fendor schloß seine Augen und dachte wieder über Trish nach. Wenn es so nicht funktioniert, dann nie. Er gab Trish drei Tage, um auf seinen Köder anzubeißen. Sollte sie danach immer noch nicht bereit sein, von sich aus zu erzählen, was sie wußte, dann würde sich Fendor die restlichen zwei Monate sparen und sie gleich umbringen. Aber wollte er das überhaupt, Trish töten?
Trish war wieder zu sich ins Zimmer zurückgekehrt. Sie schwankte. Wenn es wirklich wahr wäre, wenn er sie wirklich gerettet hatte. Sie strich sich über ihre Tätowierung. Einige Tränen fanden einen Weg aus ihren Augen und liefen die Wangen hinunter. Fendor hatte keine Anstalten gemacht, sie nach ihrem Wissen über Tikowa oder den Genesis Orden zu fragen. Im Gegenteil, er hatte viel über sich erzählt. Wie er kurz nach der Schlacht hierherkam, seine Karriere beim Militär, die ersten Wochen, in denen er faszinierend die Sonnenuntergänge betrachtete. Er hatte auch erzählt, daß die Teufel viele Eigenschaften der Menschen übernommen hatten. Bekleidung, Bürokratie, Dienstleistungen, so vieles. Sogar von den Hetzjagden hatte Fendor berichtet. Und hatte Trish dabei nicht stets einen traurigen Unterton heraushören können? Oder war es Einbildung ihrerseits. Mehr und mehr Tränen liefen über die Wangen. Und Fendor selbst. Er hatte eine fast magische Anziehungskraft auf sie. Sein gepflegtes Äußeres, die freundliche Stimme... Fendor. Trish begann heftig zu weinen. Sie blickte wieder auf ihre Tätowierung. Der Orden. Tikowa. Hatten sie denn überhaupt eine Chance. Sollte sie deswegen sterben?
Sie lief zur Tür, drückte den Knopf und sagte mit zittriger Stimme: „Bitte, ich muß mit dem General sprechen.“ Es ertönte ein Summen und die Tür öffnete sich. Sie lief zum Arbeitszimmer des Generals. Ohne anzuklopfen stürmte sie herein.
Im selben Moment beendete Fendor das Gespräch mit Golem. Er sah Trish erstaunt an und wollte ihr eine Frage stellen. Dazu kam er nicht mehr.
Trish umarmte ihn und gab ihm einen festen, innigen Kuß.
Am nächsten Morgen wachte Trish in seinen Armen auf. Fendor hatte die ganze Nacht wachgelegen. Sie berührte eines seiner Hörner und lächelte. „Du siehst müde aus.“
„Ich habe nicht schlafen können.“
„An was hast du gedacht?“
Fendor küßte Trish. „An dich!“ Und dann sagte Trish etwas zu ihm, daß er fast aus dem Bett gefallen wäre. „Was hast du gesagt?“ Er sah sie ungläubig an. Fendor konnte spüren, wie schwer es für sie war. „Trish?“ sagte er leise und berührte sie.
Sie zitterte am ganzen Körper. Dann flüsterte sie: „Tikowa, willst du wissen, wo es liegt? Tikowa?“
Fendor hatte es die Sprache verschlagen. Er schüttelte mit dem Kopf und ging ans Fenster. Draußen gingen einige seiner Angestellten ihren Pflichten nach. Er beobachtete, wie ein Gärtner das Laub zusammenfegte. Fendor sah ihm weiter zu, und dachte nach. Ob Trish wirklich bereit war, ihr größtes Geheimnis preiszugeben? Hatte sie sich in ihn verliebt? Hatte er sich verliebt, in Trish? Und wenn es ein Trick war, wenn sie seinen Plan durchschaut hatte? Er drehte sich um. Trish hatte sich aufrecht gesetzt, die Decke glitt von ihren Schultern runter und Fendor konnte die ganze Schönheit bewundern, die von Trish ausging. „Würdest du es mir sagen?“ wollte er wissen.
„Ja, ich denke schon.“
„Dann sag es mir.“ Er setzte sich zu ihr auf das Bett.
Sie standen vor einer riesigen Weltkarte. Golem sah Fendor fragend an. „Dort soll es sein?“ fragte er voller Zweifel. Er deutete auf einen leeren Fleck. „Da ist nichts, nur Wüste. Da kann nichts sein!“
„Ich glaube ihr, es hat sich herausgestellt, daß sie eine Schwester des Genesis Orden ist. Man sagt, die Anhängerin dieses Orden wären keiner Lüge fähig.“ Das war natürlich gelogen, Fendor wußte das.
Golem sah wieder auf die Karte. „Also liegt Tikowa am Arsch der Welt, irgendwo zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit? Fendor, unsere Außenposten haben mehrere Male dieses Gebiet durchkämmt und haben nichts entdecken können. Nun?“
Fendor nahm all seinen Mut zusammen und sagte zu Golem das, was Trish ihm erzählt hatte: „Es ist keine Frage des Sehens, sondern eine Frage des Glaubens. Wenn man erst einmal dort ist, und daran glaubt, dann wird Tikowa sich zu erkennen geben.“
Golem fing an zu lachen. „Schwachsinn, Fendor! Was soll das. Hat das dieser Mensch gesagt?“
„Ja. Golem, es ist der bisher eindeutigste Hinweis, den wir jemals bekommen haben. Und er stammt von einer Schwester des Genesis Orden.“
„Hat sie auch etwas über die Ordensburg gesagt?“
„Nein, das hat sie nicht.“ sagte Fendor. „Niemand würde dieses Geheimnis jemals aus ihr hervorbringen können. Niemand!“
„Also gut.“ sagte Golem, „Ich soll meine Truppen zu einem Fleckchen schicken, welches im Nichts liegt. Das ist machbar. Aber wie, um alles in der Welt, wie soll ich die Truppen dazu bringen, dort dann an Tikowa zu glauben?“ Fendor gab keine Antwort, er wußte es nicht. Golem hatte sich auf seinen Stuhl gesetzt. „Und wie soll ich das dem Fürsten erklären?“ Er sah Fendor an, doch dieser sagte auch weiterhin nichts, konnte nur mit den Schulten zucken.
- - -
Der Himmel über Tikowa war nun fast vollständig von dunklen Wolken verdeckt. Wind kam auf. Cole und Alanis standen vor Parkers Haus. „Wann habt ihr das letzte Mal einen Sturm gehabt?“ wollte Alanis wissen.
„Das ist lange her. Kurz vor der großen Schlacht.“
Alanis sah ihn an. „Dann wird es bald geschehen.“
„Was?“
„Die Schlacht, der neue Kampf.“ Sie lächelte ihn an. Cole wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Alanis zog ihn zu den Flüchtlingslagern. „Du mußt es ihnen sagen, sie darauf vorbereiten!“
„Alanis, ich...“ Dann stand er auch schon inmitten einer unruhigen Menge aus Menschen und Engeln. Alanis stand neben ihm und hatte seine Hand umklammert. Wollte sie ihm Kraft geben? Parker erinnerte sich an seinen Aufenthalt in der Ordensburg, an die Worte von IHM. Parker hob seine Arme. Es wurde still. Dann sagte er laut: „ER hat uns nie verlassen! Nie! ER ist an einem Ort, um neue Kräfte zu sammeln. Für eine neue Schlacht!“ Er sah Alanis an. Die nickte ihm ermutigend zu. „Ich war dort, glaubt mir. Ich bin in der Ordensburg gewesen, bei IHM, bei den Schwestern des Genesis Orden. Sie existiert! Und sie werden uns beistehen.“ Er zeigte auf Alanis. „Sie ist eine Schwester des Orden, sie wird uns helfen. Bald werden auch die anderen Schwestern bei uns sein. Bald wird ER wieder bei uns sein!“ Cole holte tief Luft. „Was wir jetzt tun müssen, ist uns auf die Schlacht vorzubereiten. Denn eines steht unwideruflich fest.“ Er sah zu den dunklen Wolken. „Es wird einen neuen Sturm über Tikowa geben, einen neuen Kampf zwischen Gut und Böse. Und wir haben nicht mehr viel Zeit.“ Immer noch war es still. Immer noch wollte keiner so recht an das glauben, was der Sheriff ihnen gerade gesagt hatte. Cole sah Alanis unsicher an und sagte leise zu ihr: „Was jetzt?“
Alanis machte ihren tätowierten Arm frei und zeigte Menschen und Engeln das Zeichen des Genesis Orden. „Ja, ich bin eine Schwester des Genesis Orden. Ja, ich werde euch helfen. Cole Parker hat Recht. ER wird uns beistehen!“ Cole sah sie fragend an. „Vertraue mir.“ flüsterte sie ihm zu.
Und dann gab es kein Halten mehr. Wie in einem riesigen Ameisenhaufen lief alles kreuz und quer durcheinander und doch hatte alles eine gewisse Ordnung. Die Menschen und Engel in Tikowa begannen sich auf den Sturm vorzubereiten.
- - -
„Das Dumme an einem Engel ist...“ sagte Fendor zu Trish, „daß sie so schwer zu töten sind. Nur ein gezielter Kopfschuß gilt als sicher.“ Trish verzog das Gesicht. „Langweile ich dich?“ fragte er und gab ihr einen Kuß.
„Nein, es ist nur... Fendor?“
„Ja?“
„Ach nichts.“ Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht.
Jetzt verstand Fendor. „Es tut mir leid, hörst du? Es war nicht meine Absicht, dir Angst zu machen.“ Er umarmte sie. „In meinem Haus bist du sicher. Ich werde nicht zulassen, daß man dir etwas antut. Ich werde das nicht zulassen.“ Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. Er strich ihr langsam durch ihr langes dunkles Haar. „Ich haben ihnen nicht erzählt, daß du ein Engel bist. Ich habe ihnen gesagt, daß die Schwestern des Genesis Orden Menschen sind.“
Sie drückte sich fest an ihn. „Fendor?“
„Ja?“
„Ich liebe dich!“
Es dauerte eine Weile, doch dann sagte auch Fendor die für Trish erlösenden Worte: „Ich liebe dich auch, Trish“
Sie dankte es ihm mit einen Kuß. „Wie soll es jetzt weitergehen?“
„Der Fürst kann erst an die Oberfläche gelangen, wenn der letzte Engel gestorben ist.“
„Alle Schwestern werden in Tikowa sein, selbst ER.“
„Ja, aber du... wir werden es nicht sein.“ Trish sah ihn an. Und dann erzählte Fendor ihr von seinem Plan, wie beide gemeinsam das alles überstehen konnten.
Golem sah Fendor entsetzt an. „Sie wollen nicht an meiner Seite kämpfen? Nicht dabei sein, wenn wir dieses elendige Tikowa dem Erdboden gleichmachen? Sind Sie verrückt geworden, Fendor?“
„Die letzten Wochen waren für mich sehr anstrengend gewesen, Golem. Das ständige Zusammensein mit diesem Menschen hat mich fast krank gemacht.“ sagte Fendor.
Golem rieb sich beide Hörner. „Was ist mit dem Menschen geschehen?“
„Ich habe ihn gestern töten lassen.“
„Gut, gut. Dachte schon, Sie wären vielleicht weich geworden...“
Fendor unterbrach ihn. „Bei allem Respekt, aber eine Beleidigung muß ich mir nicht bieten lassen.“
„Sie haben Recht, verzeihen Sie mir. Aber was soll ich machen? Der Mann, der herausgefunden hat, wo Tikowa liegt, ausgerechnet der Mann soll nicht an meiner Seite an vorderster Front siegreich sein?“
„Glauben Sie mir, Golem. Es war immer mein Wunsch, selbst mit dabei zu sein, wenn der letzte Engel stirbt, damit der Fürst emporsteigen kann. Aber mein gegenwärtiger Zustand...“ Fendor wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht.
„Fendor, geht es Ihnen gut?“
„Verzeihung, ich mußte nur eben... Heute morgen habe ich von dreißig Versuchen nur achtundzwanzig geschafft.“
„Sie haben die Mindestanforderung nicht geschafft?“
„Nein, nicht einmal das. Und es ärgert mich. Es tut mir leid, Golem, aber ich wäre keine große Hilfe für Sie in dieser Schlacht.“
„Vielleicht haben Sie Recht. Ich kann keine unzuverlässigen Generäle gebrauchen. Also gut, dann werden Sie sich in meiner Abwesenheit um die Belange vor Ort kümmern.“ Er sah Fendor an. Der hatte sich setzen müssen. Golem legte seine Hand auf Fendors Schulter und sagte leise: „Sie müssen sich nicht schämen, Fendor... mein Freund. In ein paar Tagen ist alles vorbei. Dann haben wir endgültig die Herrschaft erlangt. Der Fürst wird es Ihnen danken. Denn Sie, Fendor, Sie haben dies erst alles möglich gemacht.“
„Golem, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.“
„Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich erst einmal aus.“ Fendor stand auf und wollte gehen, als Golem sagte: „Sie haben Ihr Haus doch desinfizieren lassen?“ Fendor sah in erstaunt an. „Der Mensch, der bei Ihnen war.“
„Oh, natürlich, ja, das habe ich.“ Golem lächelte. Fendor verließ den Raum. Ich wünsche dir alles Gute, mein Freund, dachte Golem. Natürlich wußte er über Fendor Bescheid. Immerhin war er der Oberbefehlshaber über sämtliche Truppen, die sich auf der Oberfläche befanden. Golem hatte überall seine Spione sitzen, so auch unter den Angestellten von General Fendor. Aber Golem hatte nichts unternommen. Vielleicht war es das Telefonat mit Fendor gewesen, als dieser ihn darauf aufmerksam machte, daß er, Golem, die Sonnenuntergänge nicht mehr wahrnahm, diese als Selbstverständlichkeit betrachtete. Was, wenn der Fürst tatsächlich zu ihnen nach oben kam? Die Welt würde enden und in einem chaotischen Etwas neu beginnen. Würde es dann noch so etwas geben? Golem sah aus dem Fenster. Sonnenuntergänge? Sonnenaufgänge? In den letzten Tagen war er wieder früher aufgestanden, um sich dieses Schausspiel anzusehen. Ehrlich gesagt, er liebte es. Und als Golem das bewußt wurde, hatte er beschlossen, Fendor an dessen Plan nicht zu behindern. Tikowa würde fallen, daran bestand kein Zweifel. Er würde einfach eine neue Stadt erfinden, welche von Engeln bevölkert wurde, von deren Existenz man bisher nichts wußte. Noch immer sah Golem aus dem Fenster. „Viel Glück, mein Freund.“ sagte er leise zu sich. „Das wünsche ich euch beiden!“
Fendor war in sein Haus zurückgekehrt und eilte sofort zu Trishs Zimmer. Aber dort war sie nicht. Das Bett war umgeschmissen worden, überall lagen Kleider verstreut auf dem Boden. Und da war, Fendor schluckte schwer, da war Blut. „Trish?“ rief er. Er erhielt keine Antwort. Plötzlich hörte er etwas. Es klang wie ein dumpfer Schrei. Das Geräusch kam aus seinem Arbeitszimmer. Er rannte nach oben und stieß die Tür auf. Zwei Männer standen an seinem Schreibtisch. Trish hatten sie an den Stuhl gefesselt. Sie lebt, dachte Fendor erleichtert.
Einer der beiden Männer kam auf ihn zu und sagte: „Schön, daß Sie doch noch aufgetaucht sind, General.“
Kein Zweifel, sie kamen vom Geheimdienst. „Wer sind Sie?“
„Ich bin Mr. Lecoq.“ Lecoq deutete auf den anderen und sagte: „Das ist Mr. Ricardo. Und die junge Frau hier, die brauche ich Ihnen ja nicht vorzustellen, nicht wahr, General?“ Lecoq sah Trish an. „Ein hübsches Ding, diese Menschenfrau, obwohl...“ Er zwinkerte Fendor zu. „Wir beide wissen ja, was sie wirklich ist.“
Fendor packte Lecoq an dessen Mantel, Ricardo griff sofort in seine Innentasche, doch Lecoq winkte ab. Fendor ließ ihn los. „Was wollen Sie von mir, Lecoq?“
„Es war nicht einfach, hinter Ihren Plan zu kommen. Ich muß zugeben, Ihre Methoden unterscheiden sich von den unseren. Und wenn ich ehrlich bin, halte ich die Ihre für die bessere, für die unblutigere Lösung.“
„Ich habe Sie etwas gefragt!“
„Ja General, und ich werde Ihnen auch antworten. Es mag vielleicht keinen interessiert haben, daß Kjotow wenige Stunden nach Ihrem Besuch von der Regulierungsstelle aus dem Verkehr gezogen wurde. Uns jedoch kam es äußerst merkwürdig vor. Immerhin war Kjotow ein fähiger Mitarbeiter des Geheimdienstes.“
Fendor sah Lecoq verächtlich an. Sie kamen nicht vom Geheimdienst. Noch schlimmer: Abteilung für Innere Angelegenheiten. Widerliche Spürhunde, verlogen und arrogant. „Kjotow hat einen meiner Gefangenen mißhandelt und mich nicht so behandelt, wie es sich für einen General wie mir gebührt.“ sagte Fendor und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Ricardo sich ihm langsam näherte.
Lecoq lachte. „Oh, er hat einen General nicht gebührend behandelt. Welches Level haben Sie?“
„10A.“
„Beachtlich.“ sagte Lecoq. Dann sah er Fendor an und sagte mit ernster Stimme: „Ich habe 12B. Also kommen Sie mir nicht mit ‚Gebührend behandeln‘! Ich bräuchte nur mit meiner Augenbraue zucken und Sie und Ihre kleine Engelsschlampe sind tot.“ Ricardo war nur noch wenige Schritte von Fendor entfernt. „Ich will, daß Sie öffentlich zugeben, das System sabotiert zu haben. Sie werden erzählen, einem Feind Unterschlupf gewährt zu haben. Und dann werden Sie sich selbst töten... ehrenhaft, wie es sich für einen General in Ihrer Position... gebührt. Mit dem Engel da werde ich noch viel Freude haben.“
Ricardo war in Reichweite. Fendor reagierte blitzschnell. Er gab Lecoq einen Faustschlag in dessen verdutztes Gesicht. Dann rammte er Ricardo sein Knie in die Seite. Dieser fiel nach Luft keuchend zu Boden. Fendor sprang auf ihn und holte die Waffe aus Ricardos Mantel. Sein Knie hatte er auf Ricardos Brust gesetzt, so stark, daß dieser nach Luft schnappte. Fendor hatte die Waffe auf Lecoq gerichtet.
Der hielt sich seine blutende Nase. „Sie haben mir die Nase gebrochen, Sie verdammter Drecksack, ich wer...“
Weiter kam er nicht. Fendor hatte ihn in den Kopf geschossen. Von Lecoq war nur noch ein kleines Häufchen Asche übrig geblieben. Fendor beugte sich zu Ricardo und flüsterte ihm ganz leise zu: „Das Gute an uns Teufeln ist, daß wir so wenig Spuren hinterlassen.“ Dann schoß er auch Ricardo in den Kopf. Fendor steckte die Waffe ein. Das wäre geschafft. Trish! „Alles in Ordnung?“ fragte er und befreite sie von ihrem Knebel und den Fesseln.
„Ich habe Angst gehabt.“ sagte Trish und umarmte Fendor. „Daß du nicht mehr zurückkommst, ich dich nie mehr wiedersehen werde. Ich habe Angst gehabt, Fendor, schreckliche Angst.“ Sie begann zu weinen.
Er tröstete sie, gab ihr einen Kuß. Auf dem Boden lag der Ausweis von Lecoq. Er sah in ihre Augen. „Alles wird gut, Golem hat mit geglaubt. Jetzt müssen wir nur noch aus der Stadt raus.“ Und das ist das wirklich schwierige an der ganzen Sache, dachte Fendor.
- - -
Der Wind war immer stärker geworden, alles deutete auf einen gewaltigen Sturm hin, welcher Tikowa heimsuchen würde. Alanis hatte vielen Menschen und Engeln den Umgang mit Waffen gelehrt. Cole kümmerte sich um die logistischen Probleme. Und dann waren sie plötzlich da, die Schwestern des Genesis Orden. Sie hatte die beschwerliche Reise überstanden. Es waren vielleicht zweitausend Frauen, die den Weg von der Ordensburg nach Tikowa gefunden hatten. Bei sich trugen sie ein großes dunkles Gefäß, aus dessem Inneren ein bedrohliches Summen zu hören war. Alle Menschen und Engel hatten sich versammelt. Alanis war zufrieden. Cole stand bei ihr.
„Es wird nicht leicht werden, Cole.“
„Ja Alanis, wir sind zu wenig. Die anderen werden das vierfache haben.“ Sie standen auf einem Hügel, um das Heer zu überblicken. Ungefähr sechzigtausend hatten sich versammelt, um gegen das Böse zu kämpfen.
„Alanis?“ sagte eine Stimme hinter ihnen. Cole und Alanis drehten sich um.
Alanis sank auf die Knie, beugte sich nach unten und sagte: „Ehrwürdige Mutter, ich habe für Sie gebetet.“
Die Ehrwürdige Mutter sah Cole an. „Sie sind Cole Parker.“
Cole wußte nicht genau, wie er sich zu verhalten hatte. Er sah Alanis, die voller Demut auf dem Boden kniete. Er sagte etwas verunsichert: „Ja, ich bin Parker. Freut mich, Sie kennenzulernen.“
„Würden Sie Alanis und mich allein lassen? Gehen Sie zu den anderen Engeln. Bitte.“
Cole wollte zwar etwas sagen, doch dann sah er, wie sich einige andere Schwestern sich mit dem Gefäß näherten. Parker nickte und ging.
Die Mutter half Alanis aufzustehen. „Du magst diesen Cole Parker, oder?“
„Ja. Verzeiht mir, wenn ich gegen die Regeln verstoßen habe.“
Die Mutter lächelte. „Das hast du, in der Tat. Doch uns steht ein gewaltiger Sturm bevor, was kümmern mich da irgendwelche alten Regeln.“ Sie zeigte auf das Heer. „Sieh sie dir an, Alanis, das ist unsere letzte Chance, um den Fürsten aufzuhalten. Ich spüre die Angst, welche die Menschen umklammert, die Ungewissheit, an der die Engel leiden. In wenigen Minuten werden sie wieder voller Hoffnung sein, überzeugt sein, das Richtige zu tun.“ Beide schwiegen. Die anderen Schwestern hatten den Aufstieg geschafft und stellten das Gefäß ab. Das Summen wurde immer lauter.
Parker war beim Heer angekommen. Alle sahen zu dem Hügel, auf dem sich die Schwestern versammelt hatten. Keiner wagte es, auch nur einen Laut von sich zu geben. Plötzlich war der Wind weg und die Sonne durchbrach die finstere Wolkendecke. Alle sahen sich an. Dann öffneten zwei Schwestern des Genesis Orden das Gefäß. Und aus dem Summen wuchs ein Orkan, der durch das Tal fegte, sich seinen Weg durch Engel und Menschen bahnte. Ein grelles Licht war über dem Hügel zu sehen. Die Menschen mußten sich ihre Hände schützend vor das Gesicht halten, während die Engel beinahe gierig in das Licht sahen. Das grelle Licht hatte die Form einer Kugel und es schleuderte donnernde Blitze aus seinem Inneren. Jeder dieser Blitze war zugleich ein gesprochenes Wort von IHM. Sie alle hatten es gehofft, und jetzt war ER bei ihnen, sprach ihnen Mut zu. Tikowa war bereit für die Schlacht. Der Himmel wurde langsam wieder von dunklen Wolken verdeckt.
- - -
„Haben Sie das gesehen, Golem?“ fragte ihn einer seiner Generäle.
„Ja, verdammt, das habe ich.“ Alle hatten gesehen, wie aus weiter Ferne grelle Blitze gen Himmel fuhren. Golem drehte sich zu seinen Generälen um. „Denkt daran, wenn wir da sind, müssen wir glauben, daß Tikowa existiert!“ Golem hatte eine gewaltige Streitmacht um sich gescharrt. Fünfhunderttausend Mann, die nur darauf warteten, Tikowa zu überrennen. Sie zogen weiter, die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herab. Die vielen Menschen, die bei ihnen waren, stöhnten vor Qualen, die Hitze war unerträglich, der heiße Wüstensand schmerzvoll. Golem kannte keine Gnade. Er trieb sie voran, zu dem weißen Fleckchen Erde, daß auf seiner Karte verzeichnet war. Der Ort, an dem Tikowa lag. Wie es wohl Fendor in diesem Augenblick gehen mag, dachte Golem. Ob es die beiden schon geschafft hatten? Er wußte es nicht und dachte auch nicht mehr darüber nach. „Syrried! Kommen Sie her!“ schrie er einen der Generäle zu.
Syrried lief zu Golem. „Ja?“
„Erinnern Sie mich nach der Schlacht daran, daß wir endlich den Sinn dieser seltsamen Unterlagen herausfinden.“
„Die wir in den Fabriken gefunden haben?“
„Ja, genau. In den verfallenen Fabriken mit den vier ineinander verschlungenen Kreisen.“
„Ich werde mich darum kümmern, Golem.“
„In Ordnung, gehen Sie jetzt wieder zu Ihrer Truppe, Syrried!“ Ein Krieg in der Wüste, dachte Golem, zu Fuß! Lächerlich! Gut, daß sie in der Überzahl waren.
Fendor wurde ungeduldig. „Komm schon, Trish, wir müssen los.“
„Einen Moment noch.“ Trish hatte die künstlichen Hörner, welche sie von Fendor erhalten hatte, an ihrem Kopf angebracht.
„Trish!“ Er sah plötzlich einige Blitze, die in unglaublich weiter Ferne zum Himmel schossen. Die Schlacht, dachte er, sie beginnt.
„Fertig.“ sagte Trish.
„Gut, bist du bereit?“
Sie nickte. „Ja.“
„Vertraust du mir?“
„Ich vertraue dir.“
„Liebst du mich?“
„Ich liebe dich“
„Gut. Denk daran, ich werde dich beschützen.“
„Ich weiß.“
Beide verließen Fendors Haus. Er blieb stehen und drehte sich noch einmal um. „Ich lasse alles hinter mir zurück.“ flüsterte er.
Trish schmiegte sich an ihn. „Fendor?“
„Ich bereue nichts.“ sagte er zu ihr. Dann gingen sie in Richtung der riesigen Mauern. „Wir werden es schaffen, Trish.“
- - -
„Sie sind da.“ sagte Alanis.
Die Ehrwürdige Mutter nickte. „Ja, sie haben uns gefunden.“
Um sie herum fiel ganz Tikowa zusammen. Wo eben noch die Häuser, das Tal, der Friedhof waren, es umgab sie nur noch Wüste. Und dann sahen sie auch schon die übermächtige Armee der Finsternis.
- - -
Sie hatten den Punkt erreicht. Golem sah sich um. Nichts geschah. Die Generäle sahen ihn fragend an. „Ihr müßt glauben!“ schrie er. „Sagt es jedem unserer Männer. Jeder muß glauben, daß es dieser Ort ist!“ Es dauerte eine Weile, doch dann bebte die Wüste. Die sengende Hitze verwandelte sich in eine angenehme kühle Brise und auch die Wüste war nicht mehr. Um sie herum standen Häuser. Bäume spendeten Schatten. „Tikowa!“ schrie Golem, „Wir sind in Tikowa!“ Und dann sahen sie auch schon die Streitmacht der anderen. „Keine Gnade!“ schrie Golem und feuerte seine Waffe ab. Die Schlacht hatte begonnen.
- - -
Es war soweit, ein zweites Armageddon wurde erschaffen. Von den Engeln, den Teufeln, den Menschen. Die Zeit blieb stehen, während sich beide Seiten ohne Mitleid und ohne Erbarmen bekämpften. Golems Truppen kamen schnell voran und trieben die anderen immer weiter zurück. Er hatte sich mit seinem Stab auf einen Hügel zurückgezogen und konnte mit ansehen, wie sein Heer das der anderen Seite einzukesseln begann.
„Schneller, als wir gedacht haben.“ sagte Ganymed, einer von Golems Generälen.
„Ja, meiner Meinung nach zu schnell. Das ist zu einfach gewesen.“ sagte Golem.
Syrried kam angerannt. „Wenn es weiter so geht, haben wir in drei bis vier Stunden die Schlacht für uns entschieden.“
„Danke, Syrried. Aber sehen Sie sich das an.“ Golem deutete hinunter zum Tal. „Sie lassen sich absichtlich in die Enge treiben. Nur an einer einzigen Stelle kämpfen sie verbissen, selbst wenn sie dadurch getötet werden. Da werden sie zuschlagen.“
„Wer?“
„Der Genesis Orden.“ Golem sah in das Tal hinab. „Und ER!“
Dann geschah es. Wie Golem es vorausgesagt hatte, stürmten die Schwestern des Genesis Orden aus ihrem Versteck, vor ihnen in Form einer riesigen Flammensäule ER. Es waren die Menschen, die leiden mußten, waren sie doch leicht verwundbar, im Gegensatz zu den Engeln und den Teufeln. Sie waren auch die einzigen, die keine Schußwaffen bekommen hatten. In dieser Hinsicht waren sich, so unglaublich es auch sein mochte, Engel und Teufel einig. Und so standen sich die Menschen mit primitiven Schwertern gegenüber, um ihrer Seite mit unvorstellbarer Brutalität zum Sieg zu verhelfen. Viele Menschen starben einen grauenhaften Tod. ER, die Flammensäule, wütete unter den Teufeln. Die Schwestern erschossen einen Teufel nach dem anderen. Langsam wurde das Kräfteverhältnis ausgeglichen.
„Golem?“
„Was ist, Ganymed? Ich sehe es selbst. Wir müssen IHN aufhalten.“ Die Frage war nur: Wie? Golem rief Syrried zu sich. „Sehen Sie das große Gebäude da unten? Das mit der Kuppel?“
Syrried nickte und sagte: „Ja, aber ich verstehe nicht ganz.“
„Kommen Sie! Kommt alle mit, ich vermute, es ist SEIN Gebäude!“ Sie liefen den Hügel runter. Auf ihrem Weg zur Bibliothek töteten sie viele Engel und doppelt so viele Menschen. Dann waren sie da. „Wenn es das ist, was ich denke...“ sagte Golem und betrat die Bibliothek. Die Flammensäule schien plötzlich zu schreien und änderte ihre Richtung. Sie bewegte sich direkt zur Bibliothek. „Sehen sie sich das an.“ Golem zeigte auf die bemalten Wände. „Der Sage nach hat ER diese Bibliothek hier in Tikowa errichtet. Es muß so sein. Die ganze Schöpfung, hier verewigt, das kann nur ER gewesen sein.“
Ganymed deutete aus dem Fenster. „ER ist darüber nicht sehr erfreut“ In der Tat, die Flammensäule raste unter ohrenbetäubendem Donnern auf die Bibliothek zu. Wußte ER, was sie vorhatten?
„Es ist also wahr.“ sagte Golem. „Es ist SEIN Werk.“ Er holte ein Feuerzeug aus seiner Tasche, nahm sich ein Buch aus dem Archiv und zündete es an. „Verbrennt sie. Verbrennt die Bibliothek!“
Kurze Zeit später stand die Bibliothek in Flammen. Und die Säule aus Feuer, ER, wurde immer kleiner und war schließlich verschwunden.
„Gut so, ER ist weg!“ sagte Golem. „Kümmern wir uns jetzt um den Genesis Orden!“
Syrried lief neben Golem. „Woher haben Sie das gewußt? Das mit der Bibliothek?“
„In den anderen Städten der Engel, die wir vernichtet haben, gab es immer ein Gebäude, welches von IHM stammte. Lesen Sie keine Akten, Syrried?“
„Doch, aber...“
„Weil ER nie etwas dagegen unternommen hatte?“ Golem lächelte, als sie das Schlachtfeld erreicht hatten. „Nur war ER damals nicht dagewesen. ER mußte sich erholen!“ Syrried verstand. Golem und die anderen stürzten sich ins Schlachtgetümmel. Der Boden war von Blut durchtränkt, die Luft von Asche verhüllt, der Asche von Engeln und Teufeln. Die Schlacht neigte sich dem Ende zu. Als ER von Golem besiegt wurde, bekamen die Truppen der dunklen Seite den Kampf wieder in den Griff. Systematisch und ohne Mitleid trieben sie ihren Feind in die Enge.
- - -
Selbst ER und der Fürst der Finsternis wurden von etwas erschaffen, einem Wesen jenseits von Raum und Zeit. Durch die Schlacht hatten beide es geschafft, das Wesen zu zwingen, ein zweites Mal die Zeit anzuhalten. Ob dieses unvorstellbare allmächtige, ultimative Wesen es nun wollte oder nicht. Doch der Sturm war nun vorrüber, und das Wesen gab dem Pendel der Zeit einen neuen Schwung.
- - -
Es war vorbei, Tikowa hatte dem Sturm nicht widerstehen können. Sie hatten die Überlebenden zusammengetrieben, ganze fünftausend Menschen und Engel.
Golem stand triumphierend auf dem Hügel und schrie: „Ihr habt es nicht für möglich gehalten, doch letzten Endes haben wir gewonnen!“ Syrried und Ganymed standen neben ihm. Die dunklen Wolken hatten sich gelichtet und nach und nach erhellten die Sonnenstrahlen das blutige Schlachtfeld, auf dem unzählige Leichen der Menschen lagen, zwischen ihnen die letzten Überbleibsel von den gefallenen Engeln und Teufeln: Asche. „Viele sind gestorben!“ schrie Golem zu seinen Truppen. Vor allem aber zu denen von der anderen Seite. „Sie sind für ihn da unten gefallen!“
Syrried, der neben ihm stand, sagte leise zu Golem: „Sollte der Fürst jetzt nicht erscheinen?“
Golem nickte und sagte: „Ja, Syrried. Aber solange noch ein Engel lebt, ist es dem Fürsten verwehrt, an die Oberfläche zu gelangen. Selektiert sie, trennt die Menschen von den Engeln.“ Er sah zu den Gefangen. „Die Menschen werden in unsere Lager gebracht, die Engel... die Engel werden vor Ort getötet! Sie haben den verbleibenden Tag Zeit dafür, Syrried!“
„Zu Befehl, Golem.“
Golem sah Ganymed an. „Sie werden General Fendor von unserem Sieg berichten und... Nein, warten Sie.“ Er hatte einen Moment lang nicht nachgedacht. „Nein, unterstützen Sie General Syrried. Ich selbst werde Fendor die Nachricht übermitteln.“
„Sie wollen nicht bleiben?“ fragte Ganymed.
„Der Fürst wird nicht hier erscheinen, General. Ich werde in die Stadt zurückkehren, um mit General Fendor die Ankunft vorzubereiten. Kontakten Sie mich, wenn alle Engel getötet worden sind!“
„In einer Stunde erhalten Sie Nachricht von mir!“ Ganymed ging Syrried nach. Hatte Golem nicht zu knapp kalkuliert? Einige Tage würde es dauern, bis Golem wieder in der Stadt war. Und er und Syrried hatten nur wenig Zeit, sämtliche Engel zu töten. Es würde knapp werden.
- - -
Fendor und Trish waren an der riesigen Mauer angekommen. Einer der Wachsoldaten kam zu ihnen. „Kann ich Ihnen helfen?“ wollte er wissen.
Fendor lächelte ihn an. „Guten Abend. Ich habe meiner Begleiterin seit ihrer Ankunft versprechen müssen, ihr das Land hinter den Mauern zu zeigen. Nun, heute habe ich vor, mein Versprechen einzulösen.“
Der Wachsoldat sah ihn leicht unsicher an. „Tut mir leid, General, aber Golem hat angeordnet, daß während seiner Abwesenheit keiner...“
„Golem ist nicht hier!“ sagte Fendor und zeigte dem Wachsoldaten seinen Ausweis.
„12B.“ stammelte der Soldat. Fendor gab Trish einen leichten Schubs. Diese lächelte und zeigte auch ihren Ausweis. Dem Wachsoldaten wurde schlecht. ‚10A‘ las er. Scheiße, dachte er, ein Scheißtag. „General, es... nun... äh, ich, tut mir leid, aber Golem...“
„Golem ist an der Front, um unseren Sieg über die andere Seite zu gewährleisten. Haben Sie, hat Ihre Mannschaft nicht die Mitteilung erhalten?“
„General?“
„Während Golems Abwesenheit leite ich sämtliche Angelegenheiten dieser Stadt! Und jetzt!“ Fendor sah den Wachsoldaten bedrohlich an. „Jetzt öffnen Sie das Tor, oder ich werde dafür sorgen, daß Sie ab morgen Ihren Dienst im Sektor M antreten!“
Der Wachsoldat sah Fendor entsetzt an. Sektor M, der südliche Teil der Stadt. „Verzeihen Sie mir, General.“ sagte er und wies die anderen an, das Tor zu öffnen.
„Danke!“ sagte Fendor. „Ihre Beförderung? Wann ist die?“
„Oh. In... äh... In vier Monaten.“
„Ihr Name?“
„Captain Barinov, General. Pawel Barinov.“
Fendor nickte. „Danke, Barinov. Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Beförderung schon eher kommt.“
„Vielen Dank, General!“ sagte Barinov.
Fendor winkte ab. „In vier bis fünf Stunden werden wir wieder da sein.“ sagte Fendor zu Barinov. „Ich gehe davon aus, daß bei unserer Rückkehr alles glatt laufen wird!“
„Oh ja, davon können Sie ausgehen, General!“ sagte Barinov. Fendor und Trish gingen durch das Tor. Barinov ließ es wieder schließen und ging zum Wachturm. Oben angekommen, sah er, wie der General und die Frau langsam nur noch zu zwei winzigen Punkten wurden, um schließlich am Horizont zu verschwinden.
- - -
Sie hatten entsetzt mit ansehen müssen, wie die Bibliothek in Flammen aufging und die Feuersäule erlosch. Parker lief los und suchte nach Alanis. Endlich hatte er sie gefunden, in ihren Augen brannte der Haß. „Alanis!“
Sie sah sich suchend um. „Cole?“
Dann stand er ihr gegenüber. „Es ist vorbei, siehst du? Da drüben.“ Er deutete zur Bibliothek. „Und ER ist auch fort. Alanis!“
„Cole, ich verstehe nicht... was?“
„Wir haben verloren. Wir müssen weg.“ Alanis sackte zusammen. Parker kniete sich zu ihr herunter. „Alanis! Hör mir zu. Sie werden uns töten, hast du gehört? Sie werden uns töten!“
Alanis sah ihn an und flüsterte: „Was sollen wir jetzt tun?“
Er half ihr aufzustehen. „Lauf! Und dreh dich nicht um, lauf einfach, unsere letzte Chance.“ Dann nahm er sie bei der Hand und beide liefen in die Wüste hinaus.
Keiner der beiden sah noch einmal zurück nach Tikowa.
„Syrried, warte!“ schrie Ganymed.
„Was gibt es, wo ist Golem?“
„Golem ist bereits auf den Rückweg zur Stadt, um die Ankunft des Fürsten vorzubereiten.“
„Verstehe.“ Beide gingen an den Gefangenen entlang. „Kümmerst du dich um die Menschen, Ganymed?“
„Ja.“ Dann begannen sie mit der Selektion. Eine Stunde später ließ Ganymed Golem eine Nachricht zukommen.
„Befanden sich unter den Gefangenen auch Schwestern des Genesis Orden?“ wollte Golem wissen.
„Vielleicht fünf- oder sechshundert.“
„Erschießen!“ befahl Golem. Ganymed bestätigte. Kurz darauf waren Alanis und Trish die einzigen Überlebenden des Genesis Orden.
Einige Tage später existierte Tikowa nicht mehr. Golem ließ alles niederbrennen. Schließlich war Tikowa nichts weiter als ein leeres Fleckchen Erde, so wie auf Golems Karte. Sie standen wieder in der großen Halle. Golem sah aus dem Fenster. „Fendor ist also verschwunden. Dieser Captain, Barinov, hat man ihn verhört?“ „Ja, er sagte, General Fendor hätte die Stadt mit einer Frau verlassen.“ „Das ist es.“ sagte Golem. „Diese Frau ist der Grund, warum der Fürst noch immer da unten gefangen ist. Das ist es.“ Er sah seine Generäle an. „Sucht sie. Findet Fendor und die Frau. Und wenn ihr sie gefunden habt, tötet sie. Alle beide!“ Er ließ sie wegtreten. Golem konnte nur hoffen, daß Fendor für sich und die Frau einen sicheren Ort gefunden hatten, um sich zu verstecken. Er hoffte es inständig.
- - -
„Ich kann nicht mehr, halt! Warte!“ Alanis und Cole hatten endlich die Wüste hinter sich gelassen und waren in den Bergen angelangt. Parker mußte sich setzen. Es war ihm deutlich anzumerken, wie sehr ihm die Strapazen ihrer Flucht zusetzten.
„Cole, wir müssen die Berge überwinden.“
„Tut mir leid, Alanis. Aber ich habe keine Kraft mehr. Gib mir ein paar Stunden, um mich auszuruhen.“
„In Ordnung, Cole, wir werden die Nacht hier verbringen.“ sagte Alanis. Sie setzte sich zu Cole, der sich gegen einen Felsen gelehnt hatte.
„Alles wird gut, Alanis.“ murmelte er leise. Dann war Parker auch schon eingeschlafen.
Sie schmiegte sich an ihm. Wenn wir die Berge überwunden haben, ist es nicht mehr weit bis zum Portal, dachte sie. Sie fiel ebenfalls in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen machten sich beide auf den mühseligen Weg, durch die Berge zu kommen. Es war nicht leicht für Cole, er war nicht so durchtrainiert wie Alanis. Oft mußte sie ihm helfen, sich an den Wänden hochzuziehen. Aber dann hatten sie es geschafft. Sie hatten die Berge überwunden.
„Warst du schon mal hier?“ fragte er sie.
„Ja.“ sagte Alanis. „Komm, Cole, es ist nicht mehr weit.“
„Was meinst du?“
„Bis zum Portal, es ist nur noch ein kleines Stückchen. Siehst du den Wald dort?“
„Ja.“
„Da müssen wir hin!“ Sie liefen zu dem Wald. Er bestand aus mächtigen Eichenbäumen, die dicht aneinander gereiht waren.
„Du weißt, was du tust?“ fragte Cole Alanis.
Sie blieben stehen. „Cole, wir sind auf dem Weg zur Ordensburg. Viele glauben, sie liegt hier auf der Erde. Doch es ist nicht so, es ist eine andere Ebene, eine andere Welt.“ Plötzlich hörten sie ein Geräusch. „Das sind sie, offenbar haben sie unsere Flucht bemerkt. Schnell, weiter!“ Sie liefen tiefer in den Wald hinein. Hätten sie einen Moment gewartet, hätten sie erkannt, daß dieses Geräuscht ein Ast war, der zu Boden fiel. Doch nun standen sie vor dem Portal. Vor dem Portal lagen Laub und Äste. „Die anderen Schwestern haben es nach ihrer Ankunft so hinterlassen? Sie hätten es tarnen sollen.“ sagte Alanis. „Wir werden auf der anderen Seite den Ausgang zerstören.“
„Dann werden wir niemals wieder zurückkehren können.“
„Ja, Cole. Nie mehr. Und hier gibt es auch nichts, was uns zurückhalten könnte.“ Sie gab ihm einen Kuß. „Vertraust du mir, Cole?“
Er sah sie an, in ihre Augen. „Ja. Ich vertraue dir!“ sagte er.
Sie nahm seine Hand. „Dann komm!“
Beide betraten das Portal. Um sie herum wurde es dunkel. Cole schaute zu Boden. Doch da war nichts. Als ob sie im leeren Raum schweben würden. „Das wird sich jetzt... komisch anfühlen.“ sagte Alanis.
„Was?“ Doch er erhielt keine Antwort mehr. Dann geschah es. Er fühlte keinen Schmerz. Was geschieht hier mit mir, dachte er. Beide wurden plötzlich tiefer in den Raum katapultiert. Immer schneller rasten sie auf einen Punkt zu, der schwach leuchtete. Ob es der Ausgang ist, fragte sich Cole. Der helle Punkt wurde immer größer und auch seine Helligkeit nahm stetig zu. Cole mußte die Augen schließen, so hell war es geworden. Cole wurde bewußtlos. Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer Wiese. Um sich herum hörte er Vögel. Zu Hause, dachte er, ich bin zu Hause. Im Paradies. Endlich.
„Cole?“ sagte eine Stimme zu ihm. „Cole, alles in Ordnung, du hattest dein Bewußtsein verloren, alles in Ordnung.“
Er kannte die Stimme. „Alanis!“ Er stand auf.
Alanis sah ihn lächelnd an. „Wir haben es geschafft!“
„Haben wir das?“
„Ja, dreh dich um!“
Er drehte sich um. Vor ihm lag eine riesige, weiße Kuppel. Die Ordensburg. „Ich war schon einmal hier, Alanis.“
„Ja, die Vision, weißt du noch?“
„Ja.“
Alanis stand vor dem Portal, welches sie hierher gebracht hatte. „Geh in Deckung!“ sagte sie zu ihm. Er ging einige Schritt rückwärts. Alanis nahm einen großen und dicken Ast und begann auf das Gerüst des Portals zu schlagen. Der Boden begann zu vibrieren. Schließlich brach das Portal in sich zusammen. „Das war es, Cole! Wir sind in Sicherheit!“
Der Lärm schreckte zwei Gestalten auf, die sich in der Ordenbsurg befanden...
- - -
Als sie das Tor passiert hatten, war Trish davon überzeugt gewesen, jeden Augenblick erschossen zu werden. Doch Fendor gab ihr Kraft. „Trish, wir werden es schaffen!“ sagte er immer wieder zu ihr. Sie gingen einfach gerade aus und sahen sich nicht um. Bald waren die Mauern und somit die Stadt verschwunden.
„Wie geht es jetzt weiter?“ fragte Trish.
„Ehrlich gesagt... ich weiß es nicht. Weiter als bis hierher habe ich nicht gedacht.“ Trish sah ihn sprachlos an. „Komm schon, Trish. Immerhin haben wir es bis hierhin geschafft, oder?“
„Ja.“ sagte sie leicht verärgert. Sie sahen sich um. Östlich von ihnen lagen die Berge.
„Auf keinen Fall in die Richtung.“ sagte Fendor, „Hinter den Bergen tobt die Schlacht. Bleibt uns nur der Süden.“ sagte er.
„Warum Süden?“
„Im Norden ist es verdammt kalt und der Westen bietet außer zahlreichen Erdbeben nur wenig Anlaß, sein Glück ausgerechnet dort zu versuchen. Wie gesagt, bleibt nur noch der Süden.“ Trish sah ihn weiter fragend an. „Trish, ich habe keine Ahnung, was sich im Süden befindet. Laß es uns einfach versuchen, okay?“
„Okay.“ sagte sie und ging los.
Er sah ihr nach. Oh ja, sie war eigensinnig, ein Sturkopf wie er und... schön. Er ging ebenfalls los und nach wenigen Metern hatte er sie eingeholt. Beide gingen Hand in Hand, hätte ein zufällig vorbeikommender Mensch, Teufel oder Engel Trish und Fendor gesehen, er hätte sie für ein frischverliebtes Pärchen halten müssen. In der Tat: Es war so!
Sie betraten den Eichenwald, als Alanis und Parker sich noch durch die Berge kämpften. Und langsam konnte sich auch Trish wieder daran erinnern, schon einmal in diesem Wald gewesen zu sein. „Fendor, in diesem Wald befindet sich das Portal!“
„Portal?“
„Der Weg in die Ordensburg.“
„Du meinst, sie befindet sich nicht hier auf der Erde?“
Trish schüttelte den Kopf. „Nein, an einem Ort, der überall, nur nicht hier ist!“ Sie gingen weiter.
„Wir werden da durchgehen, durch das Portal?“
„Ja, es wäre ein sicherer Ort, wenn wir das Portal auf der anderen Seite zerstören...“
„Nein, Trish!“ Fendor blieb stehen. „Dann wäre uns der einzige Weg versperrt, durch den wir wieder zurückkämen.“
„Willst du denn zurück, Fendor? Hierher?“ Fendor sagte nichts. Trish verstand ihn nicht. „Was, wenn sie das Portal finden? In die Ordensburg gelangen. Sie werden mich töten. Uns töten! Das wäre der finale Sieg, um dem Fürsten zur Freiheit zu verhelfen. Willst du das wirklich, Fendor? So sag doch was!“
„Vielleicht gibst du einem alten Teufel wie mir eine gewisse Zeit, um mich an die neue Umgebung zu gewöhnen.“ Und dann machte er ihr eine Liebeserklärung, wie es nur ein Teufel tun konnte: „Wenn ich es dort nicht aushalten würde, wenn mich nichts mehr dort hielte, ich würde in diese Welt zurückkehren. Aber ohne dich, Trish! Dazu liebe ich dich zu sehr, als daß ich dir diese Welt noch einmal antun müßte. Und ich würde das Portal hier zerstören. Wenn es mich dann schließlich den Tod kosten würde, ich würde mit dem Wissen sterben, daß du lebst. Weiterlebst, um diese Welt, so brutal und trostlos sie auch sein mag, zu erhalten. Denn es würde noch schlimmer kommen, wenn der Fürst emporgelangt.“ Er sah sie an. „Trish?“ Sie hatte zu weinen angefangen. „Ich wußte gar nicht, daß ein Engel so viele Tränen in sich hat.“ sagte Fendor und lächelte sie an. Dann gab er ihr einen Kuß.
„Dann machen wir es so, Fendor. Und ich bete, daß du die Ordensburg nie mehr verlassen willst. Denn du mußt wissen, ohne dich würde ich zugrunde gehen. Du bist nicht der einzige, der Liebe zu geben hat. Komm, es ist nicht mehr weit.“
Dann standen sie vor dem Portal. Fendor warf das Laub und die Äste achtlos auf den Boden, mit denen die Genesis Schwestern sorgsam das Portal bedeckt hatten. Dann nahmen sich Trish und Fendor an die Hand und betraten das Portal. So wie es Parker später erging, so erging es auch Fendor. Er wurde bewußtlos. Und er wachte erst wieder auf, als er sich auf der grünen Wiese vor der Ordensburg befand. Er hörte die Vögel. Spontan mußte er sich fragen: Die gibt es noch? Trish half ihm, aufzustehen. Dann gingen sie zur Ordensburg. „Kann ich da überhaupt rein?“ fragte Fendor und zeigte auf seine Hörner.
„Hier gelten andere Gesetzte, Fendor. Du hast nichts zu befürchten.“ sagte Trish und stieß Fendor durch das Tor, welches sich vor ihnen geöffnet hatte.
- - -
„Gestatten Sie mir den Versuch einer Erklärung, mein Fürst.“ sagte Golem. Er hatte seinen obersten Befehlsherrn am anderen Ende der Leitung, den Fürsten der Dunkelheit. Golem fiel ein, daß viele der Menschen in der Stadt noch immer Antichrist sagten, dabei war der Fürst doch von Anfang an... „Ja, mein Fürst. Sie haben wie immer Recht. Tikowa ist ausgelöscht... das versuche ich Ihnen die ganze Zeit zu erklären, vielleicht gibt es noch woanders... Ja, noch eine Stadt, die wir übersehen haben, das ist auch mein Gedanke... Ich weiß, wir haben immer geglaubt, Tikowa wäre die letzte übriggebliebene Stadt der Engel... Nun.“ Jetzt kam für Golem der weitaus unangenehmere Teil. „Leider muß ich Ihnen mitteilen, daß General Fendor mit größter Wahrscheinlichkeit aus der Stadt geflohen ist. Die Truppen suchen bereits nach ihm, aber... ja... eine Frau... Ein Engel? Glauben Sie das wirklich? Ich... ja.“ Der Fürst gab ihm die Schuld an seinem Verbleib in der dunklen Tiefe. „Natürlich... Selbstverständlich werde ich die Konsequenzen dessen aktzeptieren... Haben Sie vielen Dank, mein Fürst.“ Er legte auf. Das war es. Er war tot. Golem gab sich noch eine Stunde, bevor sie auftauchen würden. Die Arschlöcher von der Inneren Angelegenheit, die so wie er auch eine direkte Verbindung zum Fürsten hatten. Er zog eine Schublade seines Schreibtisches auf und nahm eine kleine Schußwaffe in die Hand. Draußen ging wieder einmal die Sonne unter. Es ist bei jedem Mal schöner, dachte Golem. War es das wert? Dieser Sonnenuntergang? Hatte Golem dafür seine Prinzipien aufgegeben? Fendor und dieser Frau, diesem Engel, die Flucht gestattet? „Oh ja.“ sagte Golem leise. „Mein Freund, wo immer ihr euch befindet. Bleibt dort. Laßt dies nicht enden.“ Die Sonne war untergegangen. Es klopfte an seiner Tür. Tut mir aufrichtig leid, Jungs, aber wie immer kommt ihr Scheißer zu spät! Er hielt sich die Waffe an seine Schläfe und drückte ab.
Als sie den Schuß hörten, brachen sie schnell die Tür auf. Sie fanden nur noch ein Häufchen Asche. Einer sagte: „Warum müssen es immer diese selbstgerechten Abgänge sein?“ Dann gingen sie wieder.
Der Fürst tobte vor Zorn!
- - -
Im selben Augenblick, als Golem seinem Leben ein Ende machte und der Fürst vor Wut aufschrie, stand Fendor in der Kuppel, in der Ordensburg. Er war keines Wortes fähig. Ungläubig sah er sich um. Die Wände der Kuppel, die schwach von brennenden Fackeln erleuchtet wurden, waren voll mit Motiven der Geschichte.
„Ja, es ist überwältigend, nicht wahr?“ sagte Trish. „Da ist die Sintflut, Sodom und Gomorra, Moses...“ Fendor nickte. Trish lächelte. „Ich glaube, es ist eine Art Leidenschaft von IHM.“ sagte sie.
„Du meinst, ER war das?“
„ER war eine lange Zeit hier, Fendor.“ Sie zeigte zu der Granitsäule. „Die ganze Zeit über, seit der letzten Schlacht, hat ER hier Ruhe gefunden und SICH erholen können. So seltsam es auch klingen mag, Fendor. Ich bin in eurer Welt gestorben.“
„Und als Engel wieder auferstanden?“
„Ja, ER hat mich hierher geholt. Wir... ich glaube, daß ER die Ordensburg erschaffen hat. Und daß ER noch immer die Fähigkeit besaß, die Verstorbenen zu SICH zu holen. Trotz SEINES Zustandes.“
„Es muß kurz nach der Schlacht passiert sein.“ sagte Fendor.
„Mich holte ER vor über fünfhundert Jahren zu SICH. ER war immer existent. Und ER hat uns vieles gelehrt.“
„Ja, ihr habt uns ganz schön zugesetzt.“
„Ich rede jetzt nicht von den Kämpfen zwischen den Teufeln und dem Orden, Fendor. Das ist zwangsläufig geschehen. Ich rede davon, daß ER uns das gegeben hat, was wir so sehr vermißt hatten.“
Fendor sah sie an und sagte: „Was ihr vermißt habt?“
„Ja, Geborgenheit, Zuversicht... Liebe!“
„Und tue ich das nicht?“ fragte er sie.
„Ach Fendor.“ Sie umarmten sich. „Sieh dich um. Fendor?“
Er sah sie an. „Ja?“
„Bitte bleib hier, bei mir!“
Er war müde geworden. „Ich möchte jetzt gern schlafen.“ sagte er. Trish zeigte ihm die Unterkünfte.
Fendor war nun schon seit einigen Tagen hier. Er dachte über vieles nach. Trish schien es zu gefallen. Als ob eine gewaltige Last von ihr genommen worden war. Trish! Die letzten Nächte mit ihr waren sehr schön, sehr befriedigend für ihn gewesen. Er beobachtete einen kleinen Vogel, der auf einem Strauch saß. Dieser Vogel weiß nicht, was ich bin, dachte Fendor. Dieser Vogel weiß nicht, daß ich mit dafür gesorgt habe, daß es sie in der anderen Welt nicht mehr gibt. Fendor begann zu weinen. Was habe ich getan? Was mache ich hier? Habe ich das gewollt? Alle meine Fehler, meine von mir begangenen Taten, werden mir hier mit aller Deutlichkeit aufgezeigt. Habe ich das wirklich gewollt? Er lief zurück zur Ordensburg. Er rannte zu Trishs Zimmer. Sie schlief. Fendor legte sich neben sie. Leise flüsterte er ihr ins Ohr: „Es tut mir leid. Aber dies ist nicht mein Leben. Diese Welt ist... gegen mich.“ Trish drehte sich unruhig um, wachte aber nicht auf. „Wie sehr ich dich liebe. Du glaubst es kaum.“ Fendor schloß die Augen. Dann schlief er ein. Stunden später wurden sie von einem lauten Krachen geweckt. Trish schreckte auf. „Was ist passiert?“ fragte Fendor
„Das Portal!“ sagte Trish.
Fendor stand auf. „Bleib hier, Trish. Ich werde nachsehen.“ sagte er zu ihr.
„Sei vorsichtig!“
„Ja, versprochen.“ Er ging nach draußen.
Alanis trat einige Schritte zurück. Beide, Cole und sie, sahen, wie das Portal in sich zusammenbrach. „Für alle Ewigkeit.“ flüsterte Alanis zu Cole.
Er legte seinen Arm um ihre Schulter. „Ja, für alle Ewigkeit. Das wars, es gibt kein Zurück mehr in die andere Welt.“ Plötzlich hörten sie einen lauten Schrei, und als sie sich umdrehten, sahen sie von der Ordensburg eine Gestalt auf sich zukommen. „Großer Gott!“ sagte Cole. „Siehst du, was ich sehe?“
Alanis nickte. Es war ein Teufel. „Sie sind bereits hier.“ sagte sie. „Das Portal. Sie haben es entdeckt und sind hierher vorgedrungen.“
Der Teufel schrie wieder laut auf, irgendwie war es ein schmerzlicher Schrei, Cole empfand es so, gefüllt mit unendlicher Trauer. Der Teufel fiel vor dem zerstörten Portal auf die Knie. Tränen liefen ihm übers Gesicht. „Was habt ihr getan?“ schrie er. Cole und Alanis gingen noch etwas weiter zurück. Langsam stand der Teufel auf, das Gesicht noch immer dem Portal zugewandt.
„Cole, bleib zurück!“ sagte Alanis. Plötzlich wurde es still. Der Teufel drehte sich um. Seine Augen waren voller Flammen der Wut auf die beiden. Er war bereit, sie zu töten. Dann sprang er und riß Alanis zu Boden. Beide kämpften miteinander.
Cole stand hilflos da, wußte nicht, was er tun sollte. Dann sah er, wie eine zweite Gestalt aus der Ordensburg auf sie zukam. Alanis gab dem Teufel einen kräftigen Tritt in den Bauch, so daß der Teufel einige Meter durch die Luft geschleudert wurde. Schnell rappelte sich dieser wieder auf, bereit für einen neuen Angriff. Cole sah Alanis ihre Schmerzen deutlich an. Einen zweiten Angriff wird sie nicht überstehen, dachte er und stellte sich vor sie.
„Geh weg, Cole!“ stammelte sie.
„Nein!“ sagte Cole und sah den Teufel mit festem Blick an.
Bevor dieser ihn angreifen konnte, stieß ihn die zweite Gestalt zu Boden. Alanis schob Cole zur Seite und sah ungläubig die Gestalt an. Es war eine Frau, die dem Teufel behutsam an ihre Brust drückte. „Trish?“
„Alanis?“
„Trish, du bist es wirklich.“ Trish stand auf und ging auf Alanis zu.
Als beide sich gegenüberstanden, löste sich die Anspannung von Alanis. „Ich dachte, du wärst tot.“ schluchzte sie.
„Das dachte ich auch. Aber Fendor hat mich gerettet.“ Trish zeigte auf den Teufel, der noch immer auf dem Boden saß und Cole und Alanis mißtrauisch ansah.
Cole hatte sich neben Alanis gestellt und sagte zu Trish: „Ich bin Cole Parker.“
„Ich bin Trish, Mr. Parker.“
„Er ist ein... Teufel.“
„Ja, das ist er.“ sagte Trish. Sie sah liebevoll Fendor an, der sich erhoben hatte. „Und er hat mir das Leben gerettet.“ Schweigend standen sie vor dem zerstörten Portal. Nach einer Weile sagte Trish: „Wir sollten zurück in die Ordensburg gehen. Es gibt einiges zu klären.“
Die Granitsäule, der Ruheplatz von IHM war ein Meisterwerk der Kunst. Es waren keine Motive der Schöpfung, wie in der zerstörten Bibliothek Tikowas oder den Wänden der Ordensburg, nein, es waren ausschließlich Werke von Menschen: Picasso, Dali, Rembrandt, Wesolowski. „Als ob ER den Menschen gegenüber eine Schuld empfunden hätte.“ sagte Trish.
Sie standen vor der Säule. Cole und Alanis sahen Fendor noch immer skeptisch an.
„Du hast einem Teufel Zugang zur Ordensburg ermöglicht, Trish!“ sagte Alanis.
„Fendor ist nicht wie die anderen, Alanis.“ Trish hatte sich beinahe schützend vor Fendor gestellt. „Er hat mir das Leben gerettet, und dafür sein Leben aufgegeben.“
Cole sah noch immer die Säule an und murmelte: „Nun, er wird diesen Ort nicht wieder verlassen können.“
„Sprich deutlich zu mir, Engel!“ fuhr ihn Fendor an.
Cole sah Fendor fest in die Augen. „Du bist hier gefangen, auf alle Ewigkeit!“
Fendor nickte. „In der Tat, das bin ich. Es gibt kein Zurück.“ Fendor hielt sich die Augen zu. „Gefangen, das ist es, für alle Ewigkeit... Trish?“
„Ich bin bei dir.“ Sie stand neben ihm und sagte zu den anderen beiden: „Versteht ihr nicht, er, Fendor hat mir das Leben gerettet. Dank seiner Hilfe bin ich der Hölle entkommen, diesem Moloch, dieser grausamen Stadt.“
Cole wurde wütend und sagte: „Wart ihr dabei? Als Tikowa fiel? Als ER durch die Teufel besiegt wurde? Als die Bibliothek in Flammen stand? Ich bin mir sicher, sie haben alle anderen Engel getötet. Wir drei sind die einzigen, die den Fürsten davon abhalten können, nach oben zu gelangen.“
„Das seid ihr!“ sagte Fendor. „Ich werde euch nichts tun!“ Er sah Trish an. „Ich habe einen Eid geleistet.“
„Dir Teufel sollen wir vertrauen?“ sagte Cole und sah Fendor mit haßerfülltem Blick an.
Fendor sah Cole und Alanis an. „Ob ihr wollt, oder nicht. Das müßt ihr wohl. Tut mir leid.“ Dann sagte er zu Trish: „Ich muß hier raus! Der Haß mir gegenüber ist einfach zu viel für mich.“ Fendor verließ die Ordensburg.
Trish sah Cole und Alanis zornig an. „Nicht den Hauch einer Chance habt ihr ihm gegeben. Er ist nicht so wie die anderen! Glaubt mir! Gebt ihm die Möglichkeit, euch das zu beweisen. Ich bitte euch!“
„Also gut Trish.“ sagte Alanis. „Wenn du es so willst.“ Sie sah Cole an. „Cole?“
„Liegt es an mir, darüber zu entscheiden, ob wie einem Teufel trauen sollen?“
„Sein Name ist Fendor!“ sagte Trish.
„Liegt es an mir, ob wir Fendor trauen sollen?“ fragte Cole. Alanis nickte.
Und Trish sagte: „Du hast ihn bei seinem Namen genannt, immerhin ein Anfang, oder?“
Cole holte tief Luft. „Also gut!“
Fendor begann zu rennen, weg von der Ordensburg. Sie hatten ihm die Möglichkeit genommen, nach Hause, in seine Welt zurückzukehren. Sie hatten ihn in Frage gestellt. Nicht anerkannt, daß er das Leben von Trish gerettet hatte. Diese beiden verfluchten Engel. Er war an einer Schlucht angelangt. Fendor war völlig außer Atem. Wie lange war er davongelaufen? Er wußte es nicht. Die Gegend war so anders, keine Wiesen, keine Bäume. Er horchte. Und keine Vögel. Nur kalter, toter Stein. Er sah in die Schlucht hinunter. Unter ihm, vielleicht einige hundert Meter, verhüllte dichter Nebel die wahre Tiefe der Schlucht. Was ist das hier, fragte er sich. Noch immer ein Teil der Ordensburg?
„Wo ist er?“ fragte Alanis.
„Ich weiß es nicht.“ sagte Trish.
„Wir suchen nach ihm.“ sagte Cole. „Wenn einer von uns ihn gefunden hat, dann muß derjenige ihn davon überzeugen, daß wir es mit ihm versuchen werden.“ Er sah die beiden an. „Wenn er wirklich so ist, wie Trish es beschrieben hat, dann ist es die Sache wert.“
Alanis sah Trish an. „Trish? Wenn er...“
„Glaub mir Alanis, Fendor verdient es. Ich glaube an ihn. Und... ich liebe ihn.“
Alanis sah Cole an. Der schüttelte mit dem Kopf.
Der Nebel in der Schlucht begann ein merkwürdiges Eigenleben. Er verformte sich zu Gesichtern. Fendor konnte nur sprachlos und voller Entsetzen zusehen, wie sich in dem Nebel vertraute Gesichter ihm zuwandten. Er wußte, es konnte nicht real sein, und dennoch... Golems Gesicht, das von Kjotow, Barinov, Lecoq, das Antlitz des Fürsten. Und alle dieser Gesichter sprachen zu ihm. Der Nebel sprach zu ihm. „Fendor!“
„Ich höre euch.“
„Ja. Glaube nicht an die, welche dich täuschen!“
„Was?“
„Die Engel, glaube nicht an sie! Glaube an uns!“
„Nein, hört auf!“
„Du bist, was du bist.“
„Ich bin...“
„...ein Teufel!“
„Ein Teufel.“
„Das bist du. Du gehörst uns! Spring, und alles wird gut!“
„Nein! Ich liebe sie! Hört ihr? ICH LIEBE SIE!“
„Aussichtslos. Sie suchen bereits nach dir, wollen dich töten.“
„Nein, hört auf!“
„Sieh doch selbst!“
Fendor drehte sich um. Er sah, wie dieser Engel... Wie war noch sein Name? Cooper? Cole? Ja, Cole. Er sah, wie Cole sich ihm näherte und ihm mit mit seinen Händen Zeichen gab. Was wollte er?
„Fendor!“ schrie Cole. „Fendor!“
Vielleicht waren es Fendors Tränen, die ihm den Blick trübten. Vielleicht war es der Nebel. Fendor sah Cole auf sich zukommen. Und Cole hatte eine Waffe in der Hand. Er wird mich töten, dachte Fendor. Wo ist Trish?
Cole sah Fendor, wie dieser rückwärts ging. Er wird in den Abgrund stürzen. „Nein! Fendor!“
Fendor sah erneut in den Nebel, welcher ihn auf seltsame Weise aufforderte, zu sich zu kommen. Fendor hörte wieder den Nebel. „Komm Fendor, bring es hinter dich!“ Dann stand Cole vor ihm.
Außer Atem fragte Cole Fendor: „Alles in Ordnung? Fendor?“ Cole sah, wie Fendor mit verängstigtem Blick wieder einen Schritt nach hinten ging. „Nein, Fendor! Trish wartet auf dich! Hör auf, sie liebt dich doch!“
Fendor sah Cole an. Vor ihm stand ein Racheengel, das Schwert der Buße auf ihn gerichtet. „Nein.“ stammelte Fendor. „Das habe ich nicht gewollt!“
Cole wollte nach Fendor greifen, doch dieser stürzte sich in die Schlucht. „Verdammtes Arschloch!“ schrie Cole ihm hinterher. Plötzlich begann der Nebel zu steigen. Was soll das, dachte Cole. Alanis und Trish waren bei ihm angekommen.
„Fendor?“ wollte Trish wissen.
„Es tut mir leid, aber er...“ Weiter kam er nicht.
Der Nebel hatte die Schlucht verlassen und war direkt über ihnen. „Cole?“ schrie Alanis.
Trish lag am Boden und weinte. Sie schrie immer wieder: „Warum? Warum?“
Alanis wurde es langsam bewußt. „Es ist vorbei, endgültig. Der Fürst hat gewonnen.“ Der Nebel wurde dichter und dunkler.
Cole legte seine Hände schützend um die beiden. „Er hat dich geliebt, Trish!“ sagte er. „Aber er war nun mal ein Teufel!“ Dann schlossen Trish, Alanis und Cole die Augen. Der Sturm, welcher über Tikowa getobt hatte, er hatte nun die Ordensburg erreicht. Aus der Schlucht fuhren des Fürsten Rächer hinauf und zerstörten die Ordensburg, zerstörten Cole, Alanis und Trish und somit die einzige Hoffnung, das Unvorstellbare aufzuhalten. Der Weg war nun frei. Für den Fürsten.
ER befand sich fernab von der Welt, die der Fürst nun neu erschuf. ER hatte aufgegeben. Für immer.
- - -
Und jenseits von Allem schloß das ultimative Wesen seine Augen. Diese beiden von ihm geschaffenen Geschöpfe, sie hatten wieder einen Krieg ausgefochten. Dem Wesen war es egal geworden. Nicht noch einmal würde es zulassen, den Lauf der Dinge zweier seiner sturköpfigen Kinder bestimmen zu lassen. Nicht noch einmal. Das Wesen hatte seine Augen wieder geöffnet. Es bewachte das Pendel der Zeit, wie seit Äonen von Jahren. Natürlich muß sich das Wesen die Frage gefallen lassen: Warum hatte Ses zugelassen, daß die Ordensburg von einem teuflischen Sturm überrollt werden konnte? Nun, man wird es nie erfahren. Vielleicht verfolgte das Wesen seinen eigenen Plan, etwas völlig Neues...
ENDE
[Beitrag editiert von: Poncher am 05.04.2002 um 00:04]