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Tiehleknud
„Wo bin ich hier?“
Dieser Gedanke war das Erste, das Kathrin durch den Kopf schoss, als Sie die Augen öffnete und nur eine alles verschlingende Dunkelheit wahrnahm.
„Wie komme ich hierher?“
Sie brauchte einige Zeit um ihre Gedanken zu ordnen.
Immense Schmerzen schossen wie ein Blitz durch ihren Kopf.
Aus einem Reflex heraus versuchte sie sich an ihren Kopf zu fassen, doch es ging nicht. Ihre Knöchel schmetterten gegen etwas Hartes. Es war eng, zu eng wo auch immer sie sich befand. Sie wand sich und konnte schließlich die Arme anwinkeln. Kathrin tastete ihr Gesicht und ihre Schläfen ab. Alles fühlte sich an wie immer, keine spürbaren Verletzungen.
Sie tastete sich weiter zu ihrer Kopfhaut vor. Ihre Finger glitten durch ihre langen, samtigen Haare. Schon immer hatten sie die Leute um ihre langen schwarzen Haare beneidet, die meist ein wenig in ihr zartes Gesicht fielen. Generell machte Kathrin, egal wo sie war, eine gute Figur. Sie war 25 Jahre alt und trieb sehr viel Sport, was ihr einen schlanken und trainierten Körper verlieh. Ein wenig blass hatte sie schon immer ausgesehen, aber das störte das Gesamtbild keineswegs.
Auch hier keine Verletzung. Woher kam nur dieser betäubende Schmerz in ihrem Kopf?
Die Verwirrung wich nur langsam aus ihren Gedanken und sie versuchte die Situation zu analysieren.
Sie tastete die Umgebung ab. Sie lag auf etwas weichem, einem weichen gepolsterten Stoff.
„Es ist so eng hier drin!“
Sie wollte nur noch weg.
„Was ist passiert?“
Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie vor ihrem Haus ein Geräusch hörte, ein Rascheln in dem großen Busch der ein Teil der Hecke war. Kathrin wollte nachsehen, doch da...
Nun hörte ihre Erinnerung auf.
Sie konnte sich erst wieder an das Aufwachen erinnern, das Aufwachen in dieser dunklen Kammer.
Schmerz schoss erneut durch ihren Schädel, sodass sie sich instinktiv an die Schläfen fasste. Einige Sekunden später verstummte er wieder und lies Sie wieder alleine, alleine an diesem dunklen Ort.
Ihre Mutter oder irgendjemand musste doch nach ihr suchen!
Einen Freund hatte sie nicht, die Karriere war momentan wichtiger. Alles was sie besaß, hatte sie sich hart erarbeitet. Das Haus wurde ihr von ihren Großeltern vererbt. Sie hatten ihre einzige Enkeltochter schon immer vergöttert. Aber den Umbau nach ihren Vorstellungen hatte sie selbst bezahlt.
„Nein!“
Es musste einen Ausweg geben!
Sie kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung doch etwas sehen zu können. Aber da war nichts, kein Funke, kein Lichtstrahl. Nur die Dunkelheit!
Sie lauschte. Kein Geräusch war zu hören, es war totenstill. Sie vermochte nicht einmal das Schlagen ihres Herzens wahrzunehmen.
Die Decke über ihr war glatt aber dennoch nicht kalt. Ihr Tastsinn musste sich in dieser Dunkelheit verbessert haben, denn sie konnte alles fühlen, jede noch so kleine Unebenheit. Kathrins Hände ballten sich zu Fäusten und hämmerten gegen die Decke ihres Gefängnisses. Jeder Schlag hörte sich dumpf an. Ihre Hände begannen zu schmerzen und sie musste einsehen, dass sie mit ihren so abgewinkelten Armen keine große Kraft aufbringen konnte. Diese unschöne Wahrheit wurde ihr schnell klar. Dennoch erschütterte sie mit jedem Schlag ihr gesamtes Gefängnis. Kathrin musste etwas anderes versuchen.
Ihre langen Fingernägel gruben sich in das Material. Die soeben entstandenen Abdrücke waren deutlich zu spüren. Sie kratze weiter bis ein Fingernagel mit einem leisen, fast nicht hörbaren Knacken abbrach und splitterte. Der Schmerz schoss durch ihren gesamten Finger und lies sie kurz stoppen. Panik stieg langsam in ihr hoch, ihre Augen wurden feucht.
Sie fühlte sich so alleine und verlassen.
Wie konnte man ihr das nur antun?
Wer konnte ihr das nur antun?
War es jemand der Rache üben wollte? Jemand der in Ihrer Abteilung im Marketing Büro arbeitete und sie um ihren steilen Aufstieg beneidete? Aber sie kam doch mit allen gut aus, oder nicht? Sie musste sich eingestehen, dass sie wohl vor Mike befördert wurde und dieser es anfangs nicht so gelassen hingenommen hatte. Eigentlich wäre er jetzt an der Reihe gewesen aber die Geschäftsleitung hat Kathrin vorgezogen. Sie konnte auch mit Recht behaupten gute Arbeit zu leisten. Aber war Mike zu so etwas fähig?
Dicke Tränen liefen über ihr schmales Gesicht, ihr Schluchzen durchbrach die Stille.
Das rationale Denken schwand langsam aber sicher der Angst und Verzweiflung.
Wie lange hatte sie wohl noch Luft, schoss es Kathrin durch den Kopf. Sie konnte förmlich spüren, wie es immer stickiger wurde. Mit jedem verzweifelten Atemzug, mit dem sie die muffige Luft einsog machte sich ein modriger Geschmack in ihrem Mund breit.
Ihr Schluchzen war das einzige Geräusch und doch tat es gut, überhaupt etwas zu hören. Diese unsagbare Stille trieb sie langsam in den Wahnsinn.
Doch die Verzweiflung trieb sie voran.
Ein weiterer Nagel brach und noch einer. Sie nahm den Finger in den Mund und konnte Blut schmecken, ihr eigenes Blut. Blut, es fühlte sich gut an, wie es ihre Kehle hinunter rann. Sie konnte es förmlich riechen. Ihr Verstand vernebelte sich und weitere Tränen bahnten sich ihren Weg aus den feuchten Augen über ihre Wangen.
Sie musste weitermachen!
Wieder ein gebrochener Nagel. Splitter fuhren in ihr Fleisch. Kathrin spürte bei jedem Kratzer wie sich mehr und mehr von ihrem Blut mit Splittern zu einer zähen, schleimigen Masse verband.
Schmerz und Wut durchfuhr ihren Körper. Sie stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, den wohl Keiner außer ihr gehört hatte.
Mit aller ihr noch gebliebener Kraft hämmerte sie wieder an die Decke ihres Gefängnisses. Sie fühlte sich so hilflos und verlassen. Ein Weinkrampf und die Gewissheit nichts tun zu können ließ sie inne halten. Ihr Verstand schaltete ab, sie war nun weit weg, fernab von diesem dunklen Ort.
Das Schluchzen wurde leiser und die Stille kam wieder.
Aus weiter Ferne hörte sie etwas, ein Pfeifen. Kathrins Verstand setzte wieder ein.
Sollte sie es wagen Lärm zu machen? Oder war es nur ihr Peiniger der zurückkehrte um weiß Gott was mit ihr anzustellen? Kathrin wollte, ja, musste es riskieren, wollte sie nicht für immer hier eingesperrt sein! Sie nahm sich zusammen und hämmerte mit all ihr noch verbliebenen Kraft gegen die Decke. Ihre Fäuste klatschten gegen die weiche Masse.
Das Pfeifen verstummte, sie hielt inne. Nun Schritte, ganz dumpf. Sie schienen von unendlich weit weg zu kommen. Sie hämmerte wieder, die Schritte wurden schneller.
„Ist da wer?“ hörte sie jemanden sagen.
Sie nahm sich zusammen und schrie aus Leibeskräften.
Die Schritte kamen näher. Jemand hatte sie gehört und machte sich nun auf mühsam ihr Gefängnis zu öffnen.
Die ersten Lichtstrahlen brannten sich ihren Weg durch das Dunkel und trafen auf Kathrins Körper. Sie wurde ohnmächtig vor Erschöpfung und Schmerz.
Als der Sarg endlich geöffnet war, der im Aufbarungsraum des kleinen Friedhofs stand, war nur noch ein Häufchen Staub zu sehen.