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Tichis Rettung

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02.02.2002
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Tichis Rettung

[Die Welt war blind. Die Welt war verschüttet unter Tonnen von Stein. Die Welt war lebendig und schaute nur zu sich selbst herab. Die Welt war ohne zu sein, die Welt starb ohne Schlag, die Welt schöpfte leben aus dem Tod, die Welt erstand, denn eine neue Sonne erschien und die neue Sonne sollte Finsternis treiben zu finstertrüben Flecken im zuvor unbekannt verkehrten. Unbekannt verkehrt das war Licht, war also nichts als Welle, als Regung, ewig wiederkehrende Regung, sinusartig, wiederholend und brennend. So soll seltsamerweise endlose Wiederholung dem lang verschüttet scheinbar toten seinen Platz im Schatten rauben. Rezeptoren soll es noch nicht wieder geben, denn der frühe Träger hat sie längst verloren. Trotzdem wird es wohl irgendwie durch Tonnen von Gestein dringen können, irgendwie etwas erreichen, dass noch in der Lage ist Licht wahrzunehmen.]

Gerüchte hatte es einmal gegeben, gehalten hatten sie sich wie süßlicher Duft von verwesendem Fleisch und waren geblieben lange Zeit, waren geworden zum Feind von Leben, das trüb davon träumt wieder zu werden was es einstmals war. Erinnerung eines Lebens ohne Erinnerung eines bewussten einstmals. Irgendwann hatten die Gerüchte gesiegt und die letzte Erinnerung begraben.

Tichi war in einer Höhle. Er war wach, noch immer. Seit Jahrhunderten war er wach und fror erbärmlich. Zusammengekauert spürte er, fern vom fühlen, seine tauben Beine gegen seine tauben Arme drücken. Sein Kopf lag irgendwo zwischen diesem Röhrengeflecht und pochte von rasenden Gedanken, die sich längst von ihrem Ursprung, Tichi, entfernt hatten.
Sie rasten so, wie Gedanken das nur in völliger Dunkelheit können, nur können, wenn das Bewusstsein keine bremsende Kontrolle auszuüben vermag, nichts regelt oder unterdrückt. Eben so war Tichi wohl tot, auch wenn es niemanden gab dies festzustellen, denn Tichi war allein in völliger Dunkelheit.
Die mit bedächtiger Sachlichkeit zu Werk gehenden Gedanken kümmerte das wenig. Sie schlenderten langsam umher, für Tichi wie von Sinnen, schlichen über Gewittertrübe Menschenfelder, stahlen sich vorbei an Hauseingängen mit geschlossenen Türen, deren Spione Augen waren. Über Höfe in denen kopflose Menschen mit Augäpfeln Fußball spielten. Von Zeit zu Zeit gab es Worte, meistens schnell gezischt prasselten sie unendlich langsam, dumpf und hart durch Tichi hindurch zu ihm selbst.
Er zuckte nicht einmal.
Immer wieder gingen die Gedanken von Ort zu Ort, zeigten dem toten Tichi Panoramen von endloser Weite die in den letzten Tropfen Flüssigkeit seines Körpers versanken, diese langsam auftrockneten. Die Gedankenwege verhärteten sich seit dem er in der Höhle war zusehends, trabten Pfade in ein Labyrinth, das zielsicher im Kreis passiert wurde. Das Labyrinth war dabei unendlich groß und bot in seinem Innern an vielen Plätzen weiterer Unendlichkeit Zuflucht, die einem früheren Tichi wohl Angst gemacht hätte. So führten ihn die Gedanken häufig genug in Eispaläste ohne Decken in denen seine tauben Glieder die letzte Erinnerung an Existenz verloren. Auch trieben die Gedanken wieder und wieder im luftleeren Raum und platzten im Vakuum der Unbegrenztheit zurück ins Labyrinth.
Manchmal ganz innehaltend blickten die Gedanken nach oben und schauten auf den stahlgrauen endlosen Himmel. Sofort drückte dann die Schwerkraft wieder hinab, ließ Gedankenblicke sich senken auf kopfsteingepflasterte Wege. Dort wimmerte das Pflaster und scholt Tichi seines Lebens wegen und ließ manchmal die silbrige Füllung zwischen dem Kopfsteinpflaster kalt glühen im Hass.
Es gab nur einen Ort an dem die Blicke verschwammen, an dem hektisch vorbeigejagt wurde. Ob dieser Ort schon immer Bestandteil Tichis labyrinthischer Pfades war kann nicht beantwortet werden. Der Ort glomm verschwommen im Zwielicht einer der kleinen Hallen. Tichis Gedanken wandten sich dann immer schnell ab, ließen das Licht nicht zu lange die blinden Augen berühren, die jedes Mal seltsam feucht wurden und unsäglich brannten.
Die Halle die dem Ort Herberge war wuchs dabei mit jedem Besuch. Irgendwann war es nicht mehr möglich ohne große Schmerzen vorbeizuhasten. Der brennende Schmerz ließ sich da zunächst noch ersticken. Bilder wurden hergezaubert, langsame Worte legten sich über die verschwommene Landschaft. Finger zeigten auf die Gedanken, Körper schirmten den brennenden Ort ab. Doch all dies änderte nichts am Wachstum. Plötzlich war es nicht mehr möglich die endlosen Panoramen, die ins Niemandsland führten zu erreichen. Die Gedanken waren bereits erschöpft als erst die Hälfte des brennenden Ortes passiert war. Auch brannte sich das Gesicht des Ortes langsam durch die Bilder aus Worten in goldenen Rahmen. Es war ein kleines Haus mit offener Tür. Die Tür war Mund und bewegte langsam die Lippen. Ein brennend heißer Wind trieb grollend in das Labyrinth. Das Grollen war schrill, ließ die Welt erzittern, beben. Die Labyrinthwände schienen bemüht das Geräusch aufzunehmen, wollten irgendwie im Einklang schwingen, versagten dabei jedoch. Vielfach zerriss die Welt für Momente um dann zähflüssig wieder zusammenzufließen, dabei kalte schwarze Lücken füllend. Der Ton kehrte wieder kaum war er ein wenig abgeklungen, die Wände wackelten und selbst der unbegrenzte Himmel über dem Labyrinth schien epileptisch zu Zucken. Die Gedanken hasteten auf den Ausgang der Halle zu, waren nicht mehr bemüht den brennenden Schmerz mit Bildern zuzudecken.
Tichi saß ohne Decke zusammengekauert in der Höhle, Tichi schrie vor Schmerz, denn Hitze breitete sich über ihm aus.
Die Gedanken wollten den altbekannten Weg entlang rennen, doch nahm der Ton nicht ab und erzeugte überall tiefe schwarze Löcher, die nur behäbig zurückflossen. Durch andere Gänge als die bisher bekannten flohen sie in einen Wald, und auch dieser Wald war endlos, rettungslos, also irgendwie vertraut und den früheren Orten verwandt. Die Bäume waren versteinert, die Wurzeln trugen Dornen. Natürlich war dies kein Ort zum verweilen. Auch war es unbekannt zu verweilen, denn der Weg der Gedanken drehte sich ja im Kreis, folgte nur den Spuren des unbegrenzten. Das Grollen war auch hier allgegenwärtig und die Gedanken nahmen die nächste Öffnung in der Labyrinthwand. Lange Flucht zur Weggabelung mit endlosen Möglichkeiten. Auch hier war der tote Ort in Aufruhr und von Krämpfen geschüttelt.
Tichi begann sich zu übergeben, erbrach sich in der blinden Dunkelheit auf eiskalten Boden.
Panischer Flug zum Meer, zum uferlosen Meer. Der schwere Geruch von Schlamm betäubte die Sinne lange bevor der Schiffsfriedhof am Rand des Meeres sichtbar war. Dann die Wüste, die zur Fata Morgana wurde. Sie erstreckte sich endlos weit und die Gedanken drohten längst im Treibsand zu versinken bevor die Flucht zum Horizont nur Erwägung sein konnte. Doch der Ton, der manchmal die Anatomie eines Wortes hatte legte sich auf den Treibsand. Der Sand fing Feuer und verzehrte sich innerlich, so dass er austrocknete.
Tichis Mund füllte sich mit Wasser und obwohl der Geschmack pelzig abgestanden war schluckte er es runter.
Die Gedanken passierten den Treibsand trotz der angsterfüllten Unendlichkeit dahinter. Kaum war der Treibsand passiert fiel der Vorhang und die Wüste war verschwunden.
Tränen begannen aus den geschlossenen Augen zu schießen und salzig auf den trockenen Lippen zu brennen.
Dort war eine friedhofsgraue Mauern bedeckt von Einsamkeit, hoch wie von tränen brennende Blicke nur reichen können.
Tichi riß die Augen auf und ließ seine Pupillen Halt suchend durch die Dunkelheit rollen.
In den Mauern rollten Uhren rückwärts durch die Zeit und tote Hähne fielen zu Boden. Die Kadaver der Hähne bildeten einen Haufen und langsam stiegen die fliegenden Gedanken den Haufen aus Kadavern hinauf. Das Grollen ließ bedrohliche Risse in der Mauer erscheinen und ließ die Gedanken den Kadaverberg hinauf hasten. Doch es war steil und der Weg wurde immer langsamer zurückgelegt. Der Ton erreichte auch den Berg und begann ihn zu umgarnen. Plötzlich wieder schneller, immer schneller, vorbei an der Spitze des Gipfels, schließlich fallend. Der Haufen aus Kadavern wurde vom Stalagmit zum Stalaktit an der Decke einer Höhle, die die Gedanken entlang gekrochen waren. Unbekannte Kraft hatte die Pfade an die Decke eines Raums gepresst, hatte Tichis Träume an die Decke einer Welt gekettet, die ihre Endlosigkeit nur vortäuschte.
Verkrampft schlägt Tichi die tauben Hände auseinander und spürt wie sie gegen den kalten Stein schlagen während Schweißperlen auf allen Poren liegen.
Die Gedanken stürzen und stürzen dabei dem Ursprung des Wortes entgegen. Der Sturz führt direkt auf das Haus zu, dass seine offene Tür entgegenstreckt. Der rasche Sturz wird durch die Worte des Hauses abgefedert, die unverhohlen in der Luft stehen.
Tichi beginnt Konturen in der Höhle zu erkennen. Ein schwacher Lichtschein deutet an, wie klein die Höhle eigentlich ist. Kaltes Wasser tropft von einer kaum einen Meter hohen Decke, die Wände pressen sich gegen Tichis Körper und lassen es nicht zu, dass er frei atmen kann.
Langsam schweben die Gedanken auf die geöffnete Tür zu, schließlich hindurch.
Tichi schlägt seine Arme mit aller Kraft auseinander und sprengt die Mauern seiner Höhle.
Der Mund ist geöffnet, die Augen sind geschlossen, weil das Licht auch durch die Lieder zu hell scheint. Die Öffnungen treffen sich, die Zunge stößt auf Widerstand, der Atem geht synchron. Die Wärme des anderen Körpers ist spürbar. Ein ruhiger Puls deutet nur manchmal an, dass es nicht eins ist sondern zwei. Der Duft ist unbekannt, aber nicht unangenehm. Die Hoffnung, dass die Augen nicht verbrennen, wenn die Lieder den Weg freigeben, ist da. Auch ist sicher, dass die Augen irgendwann geöffnet werden. Nur das wann ist nicht bekannt.

 

Hi lostsoul,
eine Sache die mir gleich zu Beginn auffiel: -Die Welt war blind. Und direkt im übernächsten Satz heißt es: ...und schaute nur zu sich selbst herab.
-Zusammengekauert spürte er, fern vom fühlen, seine tauben Beine gegen seine tauben Arme drücken.- Definiere mir doch bitte einmal taub.
Aber lassen wir das, denn Haarspalterei liegt nicht in meiner Absicht und so komme ich zum wesentlichen. Und dies ist ganz klar die Sprache. Sehr eigenwillig und sehr stark in ihrer Ausdrucksweise. Genau dies beherbergt aber auch den stärksten negativen Aspekt. Oft hat man Schwierigkeiten deiner Geschichte zu folgen und ich erwischte mich oft bei dem Gedanken, sie vorzeitig abzubrechen. Du solltest auch noch einmal drüberlesen. Hier und da haben sich ein paar Tippfehler eingeschlichen. Zudem sollten einige Kommas durch Punkte oder Semikolons ausgetauscht werden. Im Ganzen gefällt mir deine story auch nicht so gut und nur durch die überdurchschnittliche Sprache erhältst du von mir 6 von 10 Punkten.
Grüße...
morti

 

Hallo morti,
zunächst einmal vielen Dank für die Kritik. Nachdem ich bereits befürchtet habe, dass Tichi völlig ungelesen ins Archiv wandern würde.
Zu dem Paradox von "war blind" und "schaut nur zu sich selbst herab" möchte ich auf das zentrale Thema, das zugegebenermaßen nicht ausgesprochen wird, hinweisen. Tichi ist (genau so wie die gleichnamige Figur am Ende von Lem´s futurologischem Kongreß) im Solipsismus gefangen, was eine Blindheit nach außen bedeutet. Die einzig noch sichtbare Welt der gegenüber er nicht blind ist soll die Innenwelt sein, die aber für ihn die gesamte Welt nun ist. Diese wird im weiteren Verlauf der Geschichte durch eine neue Verbindung nach außen von innen heraus aufgebrochen, einmal auf der unbewußten Ebene in ihm, einmal auf einer bewußten, fast körperlichen Ebene in der "Höhle".
Das nur zu dem Paradox. Das die Geschichte nicht gefällt mag durchaus sein, vielleicht ist es auch eine Geschichte, die nicht dazu neigt "zu gefallen". Bei Gelegenheit werde ich die Tippfelhler und die Sätze noch einmal nachschauen.

Viele Grüße
ls

 

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