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Thunfisch getrocknet
Thunfisch getrocknet
Am Morgen nach meiner nächtlichen Flucht vor den Silberbänken, legte ich meine Schleppleine aus und fing gleich einen Fisch. Es war ein, für meine Bedürftnisse, riesiger Thunfisch, über einen Meter lang, und nur mit Glück, Geduld und blutigen Händen gelang es mir, das wild um sich schlagende Tier an Deck zu holen. Endlich am Boden meines Cockpits, das es komplett ausfüllte, verfiel der Fisch in ein Koma und war nach einigen Minuten tot.
Noch nie zuvor hatte ich einen so riesigen Fisch gefangen und es war mir klar, dass ich nur einen kleinen Teil des Tieres frisch essen konnte und der Rest würde im Meer landen und irgendein Hai würde sich daran voll fressen. Aber soweit wollte ich es nicht kommen lassen. Ich beschloss, die besten Stücke des Thunfisches zu trocknen.
Zuerst schnitt ich dem Fisch die Schwanzflosse ab und hängte sie als Trophäe in die Backstag. Dann weitere zwanzig Zentimeter, die ich mir und dem Hund in der Pfanne briet. Mehr konnten wir beide nicht essen.
Danach machte ich mich an die Arbeit, dem Thunfisch die besten Stücke, etwa faustdick, in länglichen Streifen aus dem Leib zu schneiden. Nach meiner Schätzung waren dies wohl über fünf Kilo, ein ganzer Berg von herrlichen Filets, jedes Stück ein paar hundert Gramm schwer. Den Rest muste ich wohl oder über den Haien lassen.
Das Problem war, wo sollte ich auf meinem kleinen Schiff das viele Fleisch zum trocknen unterbringen? Weder unter, noch über Deck gab es eine trockene Stelle. Der einzige Platz war auf dem Kajütdach; doch mein Boot rollte schwer in der gewaltigen Dünung des gestrigen Sturms und jedesmal, wenn der Bug in eine Welle tauchte, stürzte eine schaumige Flut über das Deck und nichts blieb an seinem Platz, das nicht festgezurrt war. Schon garnicht meine Thunfisch Stücke, die schon bei der ersten Welle Gefahr liefen, ins Meer geschwemmt zu werden. Es gab jedoch eine Lösung!
Ich schnitt ein großes Stück aus meinem Sicherungsnetz von der Steuerbordreling, bedeckte damit die Filets auf dem Kajütdeck und zurrte das Netz an die Handläufe. Es hielt die Fischstücke fest. Die sich brechenden See konnte sie nicht mehr wegholen.
Ich stand im Cockpit und beobachtete mit gemischten Gefühlen mein Werk. Von "trocknen" konnte keine Rede sein. Die einzelnen Stücke des Thuns schienen sich in der Nässe aufzulösen. Ein paar kleinere Stücke fanden den Weg aus dem Netz und schwammen regelrecht über Bord..
Im Laufe des Vormittages klarte das Wetter auf und die Sonne schien bald so heiß, dass ich befürchten musste, meine Filets würden ganz einfach verrotten. Aber das ganze Zeug ins Meer zu werfen, verschob ich auf später.
Das Schiff bewegte sich fürchterlich in der wirren Dünung und nur das Cockpit bot einen gewissen Schutz. Kein Mensch ginge bei einem solchen Seegang auf´s Kajütdach, wenn es nicht unbedingt sein muss. Also klemmte ich mich wie üblich bei einem solchen Wetter im Cockpit fest und verfiel in die tägliche Routine: Die sorgfältige Beobachtung der Windfahne meiner Selbststeuerung, das Studium des Kompasses, die optische Geschwindigkeitsmessung durch Auszählen der Sekunden, die eine Schaumfläche von der Bugwelle aus benötigt, um zum Heck zu ziehen. Doppelte Schiffslänge dividiert durch die Sekunden ist gleich Geschwindigkeit! Dann der Blick in die Segel und das kritische Beobachten der bekannten Schwachstellen, wenn der Bug über eine Woge kippte und mein Schiff vom Masttop bis zum Kiel erschüttert. Und dann wieder der Blick zum zerschnittenen, vor Nässe triefenden Fisch.
In der folgenden Nacht hatte sich die See ein wenig beruhigt und eine stetige Briese kündigte ein besseres Wetter an. Die Filets waren noch alle da. Sie glänzten nass und salzig in der Sonne. Am nächsten Tag allerdings nahm der Wind wieder zu und kam mit fünf bis sieben Windstärken aus Nordnordost. Ziemlich genau aus meiner Zielrichtung Bermuda.
Aus den erhofften acht Tagen für diesen Reiseabschnitt, benötigte ich zwölf Tage, denn ich musste aufkreuzen und kam nur langsam voran.
Die Thunfilets auf dem Kajütdach wurden ständig besprüht und trotz der tropischen Sonne, waren sie nass. Langsam bildete sich eine salzige Schicht auf dem Fleisch und wurde dicker und dicker.
Auf den Bermudas blieb ich gerade so lange, bis sich das Wetter gebessert hatte. Am 25. Mai, gleich nach Sonnenaufgang, holte ich meinen Anker ein.
Ich segelte mit leichtem Südwind ein paar hundert Meilen nach Nordosten, um den nördlichen Rand des Azorenhochs zu erreichen, in der Hoffnung, dort auf westliche Winde zu treffen. Mit Glück und dem richtigen Wetter, könnte ich die Distanz zu den Azoren vielleicht in zwei Wochen bewältigen.
Über meine Thunfischfilets strich nur noch gelegentlich ein feiner, irisierender Spray und bildete winzige goldene Tropfen auf dem Fleisch, die schnell von der starken Sonne aufgesogen wurden. Wie ich bald bemerkte, die Filets wurden härter und härter.
Jeden Tag am Morgen, kletterte ich auf das Kajütdeck, wendete die Fischstücke und überprüfte das Sicherungsnetz. Alles lief nach Wunsch. Das Wetter war toll und nach 13 Tagen auf See, hatte ich nur noch 350 Seemeilen bis zu den Azoren. Plötzlich aber wurde ich durch ein fantastisches Abenteuer aus meiner Beschaulichkeit geholt.
Thunfische! Das Meer war voller Thunfische! Ich dachte, ich träumte. Jeder Quadratmeter Meer, nein jeder Quadratzentimeter war bedeckt mit Trillionen von kleinen und großen Thunfischen. Wirklich! Die waren nicht etwa tot, sondern sie zogen alle in die selbe Richtung wie ich. Das Wasser kochte, es brodelte, es spritzte. Sie schwammen nebeneinander, übereinander und untereinander.
Es war mir sofort klar, was da vor sich ging. Die Thunfische, groß und klein, waren auf der Wanderschaft vom westlichen zum östlichen Atlantik. Es war ein großartiges Gefühl, auf meiner Reise, den leichtesten Weg wie sie, gewählt zu haben.
Und ich war mitten drin. Ich dachte, ich bräuchte nur lässig meine Angelleine über Bord halten und würde ganz einfach ein ordentliches Mittagessen aus dem Meer holen. Also probierte ich es auch gleich, aber kein Fisch biss an. Ich versuchte es auf der anderen Seite, aber auch das war erfolglos. Ich traf zwar jedesmal mit dem Haken einen Thunfisch am Kopf oder am Körper, zupfte leicht an der Schnur, wie man das so eben macht; aber was immer ich auch versuchte, es war erfolglos. Kein Fisch schien auch nur im Geringsten daran zu denken, nach dem Haken zu schnappen. Man hätte meinen können, dass von Millionen und Abermillionen von Thunfischen doch wenigstens einer hätte beißen wollen... nichts.
Ich saß nachdenklich auf meiner Cockpitbank, blickte über Bord und dachte nach. Es fiel mir auf, dass die kleinen und großen Thunfische, die kaum Platz im Meer hatten, um die Wette schwammen. Nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen mich und mein Boot. Wenn der Wind etwas zunahm und mein Boot schneller segelte, schwamm auch der ganze Schwarm schneller und versuchte auf meiner Höhe zu bleiben. Segelte ich jedoch langsamer, verringerten auch die Fische ihre Geschwindigkeit. Sie überholten sich gegenseitig; aber gerade nur bis zum vorderen Fisch. Die kleinen überholten auch schon mal flink eine ganze Gruppe, die vor ihnen schwamm.
Sie hatten riesige Augen und es schien, als blickten sie, ohne den Kopf zu wenden zum Überholenden und hinter ihm her und setzten dann ihrerseits zum Überholen an. Ich irre sicher nicht, wenn ich sage, sie hatten einen riesen Spaß und ich begann mich dafür zu schämen, dass ich auch nur im Geringsten daran gedacht hatte, einen davon in der Pfanne zu braten. Reumütig kletterte ich zum Heck des Schiffes und entfernte die getrocknete Trophäe von der Achterstag.
Es ist beinahe unglaublich: auch am nächsten Tag ging die gemeinsame Reise weiter und erst am übernächsten Tag gegen Abend waren plötzlich alle verschwunden.
Dann, am sechzehnten Tag meiner Etappe, tauchten die Azoren auf und ich legte am selben Abend im Yachthafen von Faial an. Meine Thunfischfilets waren steinharte, unförmige, von Salz verkrustete Brocken.
Bevor ich am nächsten Morgen mein Deck mit Süßwasser reinigte, packte ich die Filets in eine große Papiertüte, um diesen bei nächster Gelegenheit in einen Abfalleimer zu werfen. Vorher aber wollte ich das Fleisch wenigstens kosten.
Ich schnitt mir ein kleines Stück zurecht. Das Innere des Filets war rot und hart wie ein Rubin. Es schmeckte im wahrsten Sinne des Wortes abscheulich! Tranig und absolut ungenießbar! Ich warf das Stück verächtlich zurück in die Papiertüte. Ich verstaute die Tüte in der Backskiste, nur um Platz zum waschen des Decks zu haben.
Der Rest meiner Reise zum Mittelmeer war wenig aufregend. Bis auf eine starkwindige Nacht mit Südwind und einer Regenflut, in der ich den Süßwassertank auffüllen konnte, war alles auf eine Beendigung meiner einjährigen Atlantikreise ausgerichtet. Den Weg von den Azoren in die Lagune von Faro, Portugal, legte ich in neun Tagen zurück, dann noch die paar Seemeilen nach Gibraltar und ein Zwischenstop im Fischerhafen von Carboneras, an der spanischen Costa Blanca, bevor ich meine letzte Etappe nach Mallorca machen wollte.
Es war ein Samstag Abend, als ich in Carboneras einlief. Die großen Fischerboote hatten alle Plätze an den Kais besetzt und es blieb mir nichts anderes übrig, als mich längsseits mit mehreren Fischern zu legen. Der Hafen war wie ausgestorben.
Der Grund, warum ich ausgerechnet hier Station machte, war mein beinahe leerer Dieseltank und ich hoffte eine Tankstelle zu finden. Ich ging also mit meinem 20 Liter Kanister ins nahe Dorf, doch die einzige Tankstelle war geschlossen und vor Montag gab es keine Aussichten auf Treibstoff. So kaufte ich mir wenigstens ein paar Kartoffeln und ein Schweinsschnitzel in einem Geschäft, dazu eine Flasche Rioja, die ich so lange vermisst hatte und machte mich wieder auf den Weg zurück zum Hafen.
An der Mole, an der ich mit den großen Fischerbooten im "Päckchen" lag, kletterte ich über einige Decks der grossen Schiffe und schließlich hinunter auf mein Boot. Nach einer Weile, ich war gerade dabei, meine Weinflasche zu öffnen, hörte ich ein Rufen, das offensichtlich mir galt. Also streckte ich den Kopf aus meinem Niedergang und erwartete die uniformierten Männer vom Zoll; aber es war ein älterer Fischer, der von mir nichts anderes wollte, als mir zu sagen, dass ich hier ruhig bis Sonntagabend liegen könnte, dann aber würden die Schiffe in der Nacht auslaufen und ich sollte mich dann besser an die andere Seite des Hafens verholen, denn dort würde man vor Montag Früh nicht auslaufen.
Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er der Koch meines Nachbarschiffes war und dass er das ganze Wochenende auf sein und die anderen Schiffe aufpassen würde, dass er aber viel lieber zuhause bei seiner Familie wäre, aber dass es wichtig sei, dass er ein Auge auf die Schiffe werfe, denn es sei schon vorgekommen, dass sich Unbefugte an den Dieseltanks zu schaffen gemacht hätten und einmal hätte man eine ganze Tonne Dieselöl geklaut.
Ich sagte ihm, dass ich zu spät zur Tankstelle gekommen sei, dass ich also bis Montag warten müsste, um meine Reise fortzusetzen. Er bot mir einen Kanister Diesel an, den ich mit Freude annahm. Aber als ich den Treibstoff bezahlen wollte, lehnte er ab.
So kamen wir weiter ins Gespräch und ich lud ihn zu einem Glas Wein ein, das er mit Vergnügen in einem Zug leerte. Bald war unsere Flasche leer. Er hob den Zeigefinger und blickte mich ernst an. Dann kletterte er an Deck seines Schiffes und kehrte nach zwei Minuten mit einer neuen Flasche Rioja zurück.
Ich erzählte ihm von meiner Reise und das Gespräch war natürlich von der Fischerei und von dem wenigen Geld, dass man damit verdienen könnte und dass natürlich die Politik daran schuld sei und dass es sowieso keine Fische mehr im Mittelmeer geben würde. Ich erzählte ihm auch die Story von denwandernden Thunfischen und er wurde plötzlich wieder ganz ernst und nickte bedächtig über diese mysteriöse Sache.
Dann dachte ich plötzlich an meine Papiertüte in meiner Backskiste, die ich dort längst vergessen hatte, und den darin aufbewahrten Thunfischfilets, die ich ja eigentlich wegwerfen wollte.
Ich zog sie aus der Backskiste und reichte meinem Gegenüber einen salzigen und trocken Brocken zur Ansicht, begleitet von erklärenden Worten. Er legte seinen Kopf schief, beäugte sachkundig das unförmige Stück, roch daran, zog aus der Hosentasche ein Klappmesser, säuberte das Filet vom Salz und schnitt sich ein hauchdünnes Blättchen davon ab und schob es in den Mund.
Er kaute bedächtig, legte den Kopf auf die andere Seite, nicktr dann und sagte, so einen hervorragenden Trockenthun hätte er in sein ganzes Leben lang noch nicht gegessen. Ich wollte ihm, wenn es ihm denn so sehr schmeckte, die ganze Tüte überlassen, aber er lehnte dies eindeutig ab, er könne das einfach nicht annehmen, aber ein weiteres kleines Stück würde er wohl mit nach Hause nehmen wollen, denn so etwas könne man heutzutage nicht mehr kaufen. Mir schien es einfach ein angebrachtes Gegengeschenk für den Kanister Dieselöl zu sein, also drängte ich weiter und wir entschieden uns, dass ich wenigstens ein kleines Stück behalten sollte.
Ein bisschen verschämt packte er den ganzen Haufen getrockneten Thun in eine alte Zeitung und nachdem wir die zweite Flasche ausgetrunken hatten, machte er sich auf den Weg und ich habe ihn nie mehr wieder gesehen.
Ich saß noch eine Weile im Cockpit und lauschte in die Nacht. Ein leichter Landwind wehte die Stimmen von Zikaden zu mir herüber, irgendein kleiner Fisch plätscherte im Hafen, aus dem Dorf klang wage das Hupen eines Autos.
Ich öffnete die alte Papiertüte mit dem letzten Stückchen des getrockneten Thunfisches, nahm mein Messer, reinigte das Salz von dem kleinen Brocken und schnitt mir ein hauchdünnes Blättchen davon ab. Es zerfloss auf meiner Zunge wie eine Hostie und schmeckte ganz einfach wunderbar.