"This is difficult to say"
„This is difficult to say.“
Maos grausame Herrschaft endet 1976. Die Kulturrevolution hinterlässt Chaos im ganzen Land. Sein Motto: „Menschen schlagen ist eine Freude.“ Das Volk hat Angst.
Wenige Monate nach dem Ende der Kulturrevolution bekomme ich eine Einladung der chinesischen Botschaft in Bern, eine Vortragsreihe an der Uni in Peking durchzuführen. Thema: Gaschromatographie. Ich nehme an, ohne zu wissen, was auf mich zukommt. Und es kommt.
In Tokio stößt mein Kollege aus Paris dazu. Gemeinsam fliegen wir mit einer iranischen Fluggesellschaft nach Peking, nur die hat eine Lizenz für China. Das Klima an Board ist frostig bis unfreundlich, es spiegelt das Verhältnis zum Westen wieder. Ich bestelle mir ein Glas Rotwein zum Essen und bekomme einen kalten Roten. Ich reklamiere und die Stewardess meint: „Nehmen sie einen Weißen, der ist warm.“ In Peking angekommen werden wir von einem jungen Mann erwartet. Er wird uns ständig und überall begleiten, deshalb nennen wir ihn ‚Klette‘. Mit einem Nachbau des russischen Moskwitsch
fährt er uns in ein Hotel. Wir versuchen mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er antwortet ständig: „This is difficult to say.“ Wir haben das Gefühl, seine Antworten sind gesteuert. Da wir Gäste des Außenministeriums sind, werden wir überall bevorzugt, dank Klette. Im Hotel erwartet man uns schon. Fast das gesamte Hotelpersonal empfängt uns. Später erfahren wir, dass wir seit Jahren die ersten westlichen Gäste sind. Man hat uns sogar noch etwas zum Essen aufgehoben, obwohl es schon Mitternacht ist. Es gibt Reis.
Am nächsten Morgen erscheint Klette. Nach dem Reisfrühstück, bringt er uns zur Universität. Wir werden vom Dekan begrüßt und zum Hörsaal gebracht. Dort sitzen bereits ca. 45 ältere Herren, alle im Schlosserblaumann. Projektor und Leinwand sind bereits aufgebaut und wir können sofort beginnen. Klette übersetzt. Das verlangsamt den Vortrag erheblich. Warum interessieren sich die „Schlosser“ für ein so trockenes Thema? Punkt fünf Uhr werde ich von Klette unterbrochen mit den Worten: „No overtime, please.“ Es folgen zwei weitere Tage mit dem gleichem Programm und den gleichen Teilnehmern. Am vierten Tag ist Ruhetag, deshalb zeigt uns Klette die Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Zum Beispiel die Verbotene Stadt, die Sommerresidenz der Kaiserfamilie und ein Teil der Mauer. Auch an diesem Tag: Morgens Reis, mittags Reis und abends Reis. Zurück an der Uni erleben wir eine große Überraschung: Die Blaumänner sprechen alle Englisch und dürfen mit uns direkt reden. Es sind Professoren von verschiedenen Universitäten im Land. Sie alle sind spezialisiert auf Akupunktur und wollen den Verteilungsmechanismus im Körper erforschen.
Nach den Vorträgen werden wir ins Außenministerium gerufen. Wir verhandeln über einen größeren Auftrag in Millionenhöhe. Unser Gesprächspartner möchte die gleichen Konditionen wie mein letzter Vertragsabschluss in Moskau.
Hallo. Jetzt bin ich aber erstaunt. Woher haben die Chinesen die Kenntnis über diesen Vertrag in Russland? In einer Zeit, in der die beiden Länder fast auf Kriegsfuß stehen. Politisch ist Funkstille. Ich in tief beeindruckt! Der Auftrag ist zustande gekommen. An unserem letzten Abend werden wir eingeladen von einem Mitarbeiter des Außenministeriums. Wir besuchen ein authentisches
Chinesisches Restaurant, welches sich völlig von deutschen Niederlassungen unterscheidet – in Ausstattung und Kulinarik. Das Essen wird traditionsgemäß am runden Tisch eingenommen. Der Gastgeber sitzt rechts neben dem Gast und sorgt für einen vollen Teller. Ein Ober erscheint mit einem abgedeckten Teller. Der Deckel wird theatralisch abgehoben und zum Vorschein kommt der Kopf einer Ente. Mit einem großen Messer wird dieser der Länge nach geteilt. Eine Hälfte landet auf meinem Teller, die andere auf dem des Gastgebers. Mir schwant Übles. Ablehnen ist mit Hinblick auf den Auftrag nicht ratsam. Bleibt nur die Alternative: Augen zu und durch. Jetzt würde ich sogar lieber Reis essen.
Klette bringt uns zum Flughafen. Zwei Stunden später sind wir in Tokyo. Ohne Klette. In einem Flughafenrestaurant bestelle ich mir ein Kobe Steak. Es wird das teuerste Stück Fleisch meines Lebens. 300 $ auf Spesen.
Ein Jahr später besucht mich einer der Professoren in meiner Wohnung in der Schweiz. Wir sitzen zusammen und reden über unsere Zeit in Peking. Plötzlich steht er auf, geht in die Küche, öffnet Schränke und Schubladen und Staunt: „So etwas haben wir bei uns Zuhause nicht.“ Heute lehrt und lebt er in Tübingen und hat vermutlich eine tolle Küche.