- Beitritt
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Theorie des kommunikativen Handelns
Theorie des kommunikativen Handelns
Jürgen Habermas zum 90.
In den verschiedenen Etagen
Redeten die Leut verschiedne Sprachen:
Die ganz oben
Sprachen gehoben,
Die in der Mitt’
Sprachen Durchschnitt
und die gerad noch satt
Redeten einfach platt.
Die aber in den Gossen lagen
Schwiegen & träumten von bessern Tagen.
(aus: Kadingirra oder Bab-ilim ist überall)
„... ich habe die Perspektive eines teilnehmenden Zeitungslesers und frage mich, ob sich der Schaumteppich der Merkelschen Politik der Einschläferung ohne eine gewisse Anpassungsbereitschaft der Presse über das Land hätte ausbreiten können. Der gedankliche Horizont schrumpft, wenn nicht mehr in Alternativen gedacht wird. Im Augenblick beobachte ich eine ähnliche Verabreichung von Tranquilizern.“ Jürgen Habermas: Die Spieler treten ab (1)
Wer hierorts übers Kapital des Karl Marx(2) und den eindimensionalen Menschen(3) geschrieben hat, darf sich nicht des Hauptwerkes eines der größten lebenden Soziologen, wenn nicht gar des größten Philosophen derzeit verweigern, ein paar bescheidene Worte zu verlieren – und sei‘s nur eine Notiz. Umso mehr, als ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben mit eben der Theorie kommunikativen Handelns zu tun hat.
Das war Mitte der 1970er Jahre meine Diplomarbeit in Wirtschaftswissenschaften - Titels „Versuch einer Theorie kommunikativen Handels - dargestellt an einem Marktmodell“ - wie geht so etwas, satte sechs Jahre, bevor Habermas‘ „Theorie kommunikativen Handelns“ erst veröffentlicht wurde?
Ich schlachtete quasi die Auseinandersetzung der beiden soziologischen Giganten Habermas und Niklas Luhmann aus (wie etwa die „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung?“, Ffm. 1971)
Dem aufmerksamen Leser werden Feinheiten zu meinem eher bescheidenen Titel gegenüber dem anderen, weltberühmten auffallen (am offensichtlichsten im „Handel/n“), die den sich nicht den Sozialwissenschaften zugehörig fühlenden Wirtschaftswissenschaften(4) geschuldet sind.
Das Wort „Handel“ ist eine schlichte Rückbildung des Verbs „handeln“ - und also schließt sich der Kreis, begreift man denn, dass nichts öffentlicher sein sollte als der Markt als Forum oder – der germani(sti)schen Zunge und Geschichte zugewendet – die „Allmende“, das Allgemein(d)e, das, was allen gehört wie All, Boden, Leben, Luft, Wasser -
passe man mir auf Nestle und Konsorten auf!, Quellen aufzukaufen, Wasser in Flaschen zu verfüllen und halbliterweise zu verkaufen - kurz: Öffentlichkeit!, der nicht nur Staats- und Betriebsgeheimnisse widersprechen. Denn – mal ganz im Vertrauen – wer ist schon gegenüber seinem Gegenüber ganz offen – nicht mal ich.
Eine allgemein menschliche Schwäche?
Zurück zum Verb „handeln“, das eigentlich das natürliche Werkzeug des Menschen, die Hand, im »mit den Händen fassen, berühren; [be]arbeiten; verrichten, vollbringen, tun ...» und im ahd. „hantalon" alle anderen verwandten Verben bedient wie «befassen, berühren, bearbeiten».
Im 16. Jh. gewinnt das Verb für Händler Bedeutung als „Handel treiben“, kurz: Geschäfte treiben(5), was sich natürlich besser anhört als „tauschen“, dem schon immer „täuschen“ innewohnt(6), insofern ist Habermas‘ Theorie kommunikativen Handelns eine moderne Utopie, geht sie doch vom idealen Fall der „gleichen“ Kommunikationspartner aus, was vielleicht an der Hochschule der Fall sein kann, nicht aber für die gesellschaftlich da unten. Und selbst in der Mittelschicht – der tragenden Säule des Rheinischen Kapitalismus („Sozialstaat“) eines Ludwig Erhard (Wirtschaftsminister und zweiter Kanzler der BeErDe) und der theoretischen Konzepte der wirtschaftsliberalen Theorien der Freiburger Schule – ist der solidarische Verfall und des nackten Egoismus‘ zu erkennen.
Ich will jetzt nicht die Beziehungen der Begriffe „soziales Handeln“ Max Webers (der die protestantische Ethik als treibende Kraft des „Kapitalismus“ erkannte) und „kommunikativen“ Handelns anreißen – aber den Unterschied spüren vor allem Hartz-IV-Empfänger (das „steuerliche“ Existenzminimum beträgt derzeit 750 €/Person/Monat – und sollte ein „Arbeitender“ mit dem Mindestlohn nicht zurechtkommen, erhält er Wohngeld, für alle ein Rest des Sozialstaates des „Rheinischen Kapitalismus“). Der „freie“ Bürger („freie Fahrt für freie Bürger“, FDP-Slogan), deren Wirtschaftsprogramm identisch ist mit dem der AfD – Prof. Lucke, einer der Gründer, ist Wirtschaftsprofessor, und Fritz Hayek, einer der Gründer der vorherrschenden Wirtschaftsideologie der School of Chicago des Neoliberalismus, beriet schon Nationalsozialisten.)
Denn dass „Handel“ (ob frei- oder nicht, Jacke wie Hose) – wie noch von einem klugen Juristen wie Rudolf Wiethölter im Funkkolleg behauptet(7) – Friede verbreite, zumindest beflügele, ist blauäugig.
Das erste schriftliche Zeugnis europäischer Erzählkunst erzählt vordergründig von einem Krieg um die „geraubte“ schöne Helena. Tatsächlich kontrollierte Troia den Zugang zum Schwarzen Meer und seit dem Mythos der Argonauten und des Goldenen Vlieses wissen wir, dass sie ferne Länder suchten, um Handel zu treiben.
Und wer wollte bestreiten, dass ‚America first‘ sonderlich Friede erzeuge?
(1) Kerneuropa als Rettung: Ein Gespräch mit Jürgen Habermas über den Brexit und die EU-Krise. Interview: Thomas Assheuer 9. Juli 2016 DIE ZEIT Nr. 29/2016, 7. Juli 2016
(2) MEW Bd. 23 ff. wi€der (ge)lesen
(3) https://www.wortkrieger.de/index.php?threads/arbeit-konsum-und-freiheit-–-schiller-marcuse-lanier-„der-eindimensionale-mensch%E2%80%9C.54897/
(4) Die herrschende Ökonomie wähnt sich auf dem Weg zur Naturwissenschaft wie etwa in dem religiösen oder Voodoo-Zauber unterliegendem Bonmot, eine unsichtbare Hand lenke den Markt
(5) Duden. Bd. 7. Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, 4. Auflage, 2007, Mannheim, Zürich, S. 315, linke Spalte
(6) Vgl. hierzu (2) u. a. Rezenionen hierorts von mir
(7) Rechtswissenschaft. Funk-Kolleg Recht. Fischer, Frankfurt a. M./Hamburg 1968