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Theo und der Weihnachtsbaum

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10.09.2018
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Theo und der Weihnachtsbaum

Theofil Tarkowski saß am Fenster und träumte.
Kaum zu glauben, dass er und die anderen Kinder vor nicht einmal zwei Stunden vom Eis vertrieben wurden. Anfangs waren sie noch stur weitergelaufen, dann, als der Sturm zum Orkan wuchs, versammelten sie sich in der Mitte des Teiches, steckten Pinguinen gleich die Köpfe zusammen und wandten dem Wind die Rücken zu. Aber er hielt nicht ein, fauchte wie ein wildes Tier, schleuderte Eiskristalle in die Gesichter, sobald eines hervor lugte. Missgelaunt schubste er die Erdenwesen vor und zurück, bis die letzte Menschenseele schleunigst vor dem Unwetter flüchtete. Solche Naturgewalten sollte ein jeder aus der warmen Stube betrachten. Stundenlang klebten in Jerewo ein paar Dutzend Nasen an den Fensterscheiben. Nun schien der Wintersturm verschwunden, so als ob es ihn nie gegeben hätte. Selbst ein paar Lichtstrahlen lugten durch die Wolken. Obwohl er den Muskelkater vom Schlittschuhlaufen deutlich spürte, wäre Theo am liebsten gleich nochmal los, um ein paar Runden zu drehen. Nur, draußen war niemand zu sehen. Die Sonne stand bereits tief über den Birken.
Theofil träumte weiter zum Fenster hinaus. Wochenlang lag nun bereits Schnee, er hatte es so herbeigesehnt. Inzwischen war die weiße Pracht alltäglich, der Herbst weit fort, von Sommer und Frühling ganz zu schweigen. Die Zeit wob alles ein. Plötzlich stand das Weihnachtsfest vor der Tür. Hauchdünne Schneekristalle tanzten hernieder, es wehte kaum noch ein Lüftchen und so konnten sie ungestört aufs Land sinken.
Die Sonne, stärker geworden, warf Lichtstrahlen von der Seite. Die feinen Gebilde verwandelten sich in ein Meer aus Silbersternen, bis alles glänzte und leuchtete und Theo es nur noch durch Augenschlitze anzusehen vermochte. Das Licht, tausendfach verstärkt, erhellte das Zimmer, überstrahlte mühelos die Kerzen. Großmutter Tarkowski konnte ihre Stickerei gleich besser erkennen, irritiert schaute sie auf. Ihr Enkel befand sich in einem gelben Lichtkegel, in den er wie hypnotisiert hineinstarrte.
»Theo, kannst du mir mal kurz helfen.«, rief die Großmutter, dabei wollte sie nur wissen, ob alles in Ordnung war. Theos angestrengte und gleichzeitig neugierige Miene erleichterte sie sogleich.
»Was hast du denn, du schaust ja wie ein Eskimokind?«
»Oma, das musst du dir ansehen, es regnet Sterne, das ganze Land strahlt wie ein Weihnachtsbaum. Er hat seine Äste einfach abgelegt und ... «
War da ein Schimmer in ihren Augen? Sie hatte tief Luft geholt.
»Ach Kind, ich weiß noch nicht einmal, ob wir dieses Jahr zum Fest einen Baum schmücken können«, sprach sie leise.
»Großvater liegt zwar nicht mehr zu Bett, ist aber noch schwach auf den Beinen, selbst wenn er wollte werde ich ihn nicht in den Wald lassen. Dabei ist er selbst schuld!«, schloss sie trotzig, um sich sogleich über die Unvernunft ihres Mannes aufzuregen. Bei Frost Holzhacken, im Unterhemd! Er hätte sich den Tod holen können!
»Dann hole ich diesmal den Baum!« Theo staunte, es war tatsächlich möglich, vor dem Denken zu sprechen.
Die Alte sah erschrocken von ihrer Handarbeit auf und fand erst keine Worte, aber nur kurz.
»Bist du von Sinnen Kind, bei der Kälte! Willst du erfrieren, nie im Leben lass ich dich bei dem Wetter in den Wald!«
»Bei dem Wetter, wieso denn?«, widersprach er, obwohl er es besser wusste, »Schau mal, kein Lüftchen weht, die Sonne scheint.«
Großmutter hob die Augenbrauen. »Jetzt vielleicht. Hast du den Sturm schon wieder vergessen? Du hast doch gesehen, wie schnell das Wetter umschlägt.«
Großvater erschien in der Tür, er hatte alles mit angehört und wollte dem Jungen die fixe Idee ebenso ausreden. Stattdessen wurde er von einem Hustenanfall durchgeschüttelt und musste sich am Rahmen festhalten.
Inzwischen dunkelte es, flugs war die Sonne hinter dem Birkenhain verschwunden. Der Tag leuchtete, als wollte er nicht zu Ende gehen. Denn der Mond vertrat die Sonne gebührlich und alles strahlte weiter, bis es zusehends grau und grauer wurde.
Den halben Abend wurde diskutiert. Trotz der Sorge Theofil könnte sich verlaufen, obwohl Dunkelheit und Kälte drohten und sie an wilde Tiere nicht mal denken wollten, sprach etwas für den Plan ihres Enkels:
Ein Weihnachtsfest ohne Christbaum? Unmöglich!
Keiner vermochte es sich auch nur vorzustellen.
»Lass uns morgen entscheiden, Theo.«
»Ja, gut Oma«, gähnte es zurück.
»Mal schauen wie das Wetter wird.«
»Hm«, mehr kam nicht mehr über seine Lippen. Theo war mitten im Gespräch auf dem warmen Küchenofen eingeschlafen und sah sich bereits im Traum durch den Winterwald stapfen. Großmutter Tarkowski schlich zu ihm, reckte sich auf die Zehenspitzen und blickte lange auf ihren Enkelsohn.
»Na, dann lauf mal«, flüsterte sie und zog ihm kopfschüttelnd das Lammfell über die strampelnden Beine.

Am nächsten Morgen öffneten die drei Tarkowskis die Tür und rissen sogleich die Hände hoch. Die Sonne blendete, keiner vermochte sie anzuschauen. Doch nicht nur die Sonne strahlte. Einem riesigen Spiegel gleich warf das Weiß ringsumher Licht nach allen Seiten. Sie ließen langsam die Arme sinken und schauten aus zusammengekniffenen Augen in die Landschaft.
»Ihr seid ja selbst Eskimos!«, rief Theo vergnügt. Die Eskimogroßeltern schauten sich an und fielen in sein Lachen ein. Die Nachbarn lauschten in ihren Stuben verwundert dem Krächzen eines aufdringlichen Kolkraben, bei dem es sich natürlich um keinen anderen als Großvater Tarkowski handelte, welcher heiser japste, bis ihm die schmerzende Brust Einhalt gebot.
Die Alten fanden sich endgültig mit dem Plan des Jungen ab, wurden ernst und nahmen ihren Enkel nochmals ins Gebet, ermahnten ihn, nicht zu weit, nicht zu lange und nicht zu tief in den Wald zu gehen. Theofil versprach es wohl zum hundertsten Male.
Wohlgemut brach Theo auf, einen kleinen Rucksack geschultert, mit etwas Wegzehrung und guten Ratschlägen. Dazu trug er seinen dicksten Mantel, steckte von Kopf bis Fuß in warmer Schurwolle, darunter lange Unterkleider, obendrein die Lammfellmütze. Dicke Fausthandschuhe schützen die Hände und Stiefel aus Elchleder hielten die Füße warm. Gegen die wilden Tiere gab es Großvaters Warnungen und den Hirschfänger. Außerdem trug er die kleine Axt zum Baumfällen. In der Nähe der Holzhütten wuchsen vor allem Birken, Espen und Ahornbäume. Jenseits des Teiches mischten sich schon die ersten Kiefern und Fichten unter die Laubbäume. Theo brauchte sich also nicht allzu weit vom Weiler zu entfernen. Frohen Mutes stiefelte er los, eingemummelt wie ein Jäger auf Bärenjagd. Bei jedem Schritt sank er bis zu den Knien ein. Es war mühsam. Bereits nach einem halben Werst schien ihm die Landschaft eine riesige Wohnküche zu sein. Ihm war, als liefe er die ganze Zeit am großen Kachelofen entlang, so warm war es.
An den ersten Nadelbäumen lief er geradewegs vorbei. Jetzt schon einen Baum schlagen? Er war ja gerade erst losgegangen, der verschneite Wald war einfach viel zu schön und er hatte noch den ganzen Tag Zeit.
Neugierig las er Spuren im Schnee und ordnete sie Tieren zu, lauschte in die Stille und drehte sich fasziniert im Kreis.
Theo war ein Jäger auf Pirsch.
Vor zwei riesigen Sitkafichten blieb er stehen. Es war eine Familie. Vater und Mutter ragten auf wie die Türme der hölzernen Dorfkirche von Zittertal. Zu ihren Füßen versammelte sich eine siebenköpfige Kinderschar. Orgelpfeifen gleich standen sie vor dem Menschenkind, wankten, drehten sich sanft und schienen ebenso verwundert. Theos maß einen nach dem anderen mit den Augen, trat schließlich an den kleinsten, der nicht mal seine Größe hatte.
Der kleine Baum zitterte, schüttelte den Kopf, Schneeklumpen lösten sich und fielen herab. In der Spitze, auf Theos Nasenhöhe, lugte eine rostrotes Eichkaat durch die Zweige und kicherte:
»Tss, tss.«
»Oh«, entschuldigte sich Theo sogleich, »ich bin es nur, Theofil Tarkowski.«
»Tss, tss«, kicherte es munter zurück. Das possierliche Tier musterte ihn aus großen Augen.
Vorsichtig nahm er den Rucksack ab und suchte nach ein paar Nüssen.
»Hier, für dich«, legte er sie auf den Boden und entfernte sich sacht im Rückwärtsgang.
Er grüßte die Fichten. Die Gruppe wiegte sich sacht, als würde sie zurückwinken. Aus dem Augenwinkel sah er den buschigen Schwanz des Eichkaats Richtung Nüsse hüpfen, mehr war nicht zu sehen, aber in das: »Tss, tss, tss« schien sich ein »Danke!« zu mischen.
Frohgelaunt stiefelte er weiter. Der Wald war nun dichter. Verwunschen standen die Bäume in völliger Stille, ständig blieb er stehen, sah und staunte, lauschte in die Ruhe, als wäre Ruhe der schönste Ton weit und breit. Zwanzig Schritt, Staunen, zwanzig Schritt, Staunen.
In großen Wolken stieß er die Atemluft in die Kälte. Theofil lüpfte die Ohrenklappen, Stille.
Nur sein eigenes Luftholen war zu hören und lautes Knirschen, sobald er einen Schritt tat.
Zum Glück verharrte er mucksmäuschenstill. Ein Adler schwebte majestätisch heran, flog über ihn hinweg. Augenblicklich hielt Theo den Atem an und die Füße still. Lautlos zog der riesige Raubvogel über ihm Kreise, ließ sich auf einem Kiefernast nieder und wippte, das Menschenkind im Blick, auf und ab. Ein großer Schneebatzen löste sich, fiel herab und verschwand geräuschlos im endlosen Weiß.
Theofil starrte hinauf mit dicken Backen, stieß endlich die Luft aus und hielt sich sogleich die Hände vor den Mund. Nichts mehr zu sehen. Langsam klärte sich die Wolke. Erleichtert fand er den Adler an der gleichen Stelle.
Vorsicht war angebracht. Theo versuchte so leise wie möglich zu atmen und sprach vorsorglich nur in Gedanken zu dem Vogel.
Bitte, erschrick jetzt nicht, hob er einen Fuß und machte den nächsten Schritt. Krachend, unerträglich laut, gab die verharschte Schneedecke nach. Das Knacken hallte durch die Bäume. Der Junge verharrte sogleich. Langsam öffnete er die Augen. Neugierig, mit schiefgelegtem Kopf, musterte ihn der Adler. Theo hob die Hand zum Gruß und setzte seinen Weg fort.
Leider wurde es nicht einfacher.
Kaum blieb er stehen und ließ seinen Blick schweifen, vermochte er sich das gleiche Bild nicht vorzustellen, wenn auch nur ein Baum fehlen würde.
Unmöglich, schüttelte er den Kopf und machte die nächsten zwanzig Schritte. Endlich kam er an den Waldrand. Eine Ebene tat sich auf. In dieser hatte der Sturm freie Bahn gehabt. Im Wald schützte ein Baum den anderen, hier musste ein jeder allein den Naturgewalten trotzen. Theo keuchte, weit und breit war kein Baum in der richtigen Größe zu sehen. Wahrscheinlich ließen sich bereits die Samen vom Wind an sichere Stellen tragen, bevor genau dieser ihnen eines Tages gefährlich werden konnte.
In der Ferne grüßten die nächsten Zipfel. Ein neuer Wald. Theofil schnaufte kurz durch und nahm die Ebene in Angriff. Inzwischen war er so aufgeheizt, dass er am liebsten den Mantel abgelegt hätte. Die Sonne stand im Zenit. Es sollte wohl bereits gegen Mittag sein. Er beschloss zu rasten und setzte sich auf die Wurzel einer umgestürzten Kiefer, die sich ihm als Bank mit Lehne anbot. Theo nahm Brot aus dem Rucksack. Die Rinde war eiskalt. Auch Großmutters Kräutertee in der Kalebasse schien kurz vor dem Einfrieren. Nach der Stärkung ging es mit wohltuend kühlem Magen weiter. Theofil lugte durch den Spalt zwischen Mütze und Schal. Anscheinend befand er sich auf einem verschneiten Weg, es lief sich leichter, er sank nicht mehr so tief ein. Nur das glänzende Weiß überall war nicht zum Aushalten. Die ganze Zeit über marschierte er bereits mit zusammengekniffenen Augen und fürchtete, langsam Kopfschmerzen zu bekommen. Etwas lenkte ihn ab. Ein Flattern, an einem kahlen Baumstamm, erregte seine Aufmerksamkeit. War es ein Tuch? Schnurstracks ging er darauf zu. Das Stoffteil entpuppte sich als ein Stück Birkenrinde. Nur von einer Bastfaser gehalten, segelte es beschwingt hin und her. Auch an seinem freien Ende verlief die Rinde zu einer langen Schnur wie bei Opas Drachen im Herbstwind. Verwundert leckte er einen Zeigefinger an und hielt ihn in die Höhe. Tatsächlich, es wehte ein steter, eisiger Wind. Theo starrte auf seine Hand. Die Handschuhe! Er hatte keine Handschuhe an. Bei der Rast an der umgestürzten Kiefer musste er sie vergessen haben. Verflixt!, schoss es ihm durch den Kopf. Grübelnd starrte er in das weite Rund. Der letzte Herbststurm hatte wirklich großen Schaden angerichtet. Fast ein Dutzend Bäume lag verstreut im Schnee. Bei welchen mag ich gerastet haben? Seine Spuren, vom Wind zugeweht, verloren sich nach zehn Schritten, als wäre nie jemand dort langgelaufen. War überhaupt jemals eine Menschenseele an diesem Ort gewesen? Schon fragte sich Theofil, aus welcher Richtung er genau gekommen war. Seufzend hob er die Schultern und blinzelte gegen die Sonne zum Drachen. Ihm kam eine Idee. Sogleich trat er an den Stamm und kletterte los. Es war eine alte Birke, die weiße Rinde war glatt wie Eis, aber die aufgerissene dunkle Borke bot Händen und Stiefeln sicheren Halt. Nach ein paar Abrutschern war der Junge einen Klafter hoch und angelte, sich mit einer Hand festhaltend, nach der flatternden Rinde. Wenn meine Fingernägel jetzt ein paar Linja wachsen würden, dachte er noch, streckte die Zehen in den Stiefeln, griff den Drachen und fiel ins Leere. Theofil drehte sich flugs in der Luft, landete der Länge nach im samtweichen Schnee. Die Beute hielt er mit gestrecktem Arm lachend in die Höhe. Aufgerappelt. Abgeklopft. Die Rinde barg er unterm Mantel. Wieder hervorgeholt hauchte er das Stück an und wärmte es weiter auf. Es schien weich genug. Er nahm Großvaters Hirschfänger, legte die Rinde an den Stamm und schnitt einen Schlitz hinein. Schnell hauchte er erneut darüber, machte sie noch weicher, legte sie ans Gesicht, bog sie an die Wangen und verknotete die beiden Bänder straff am Hinterkopf.
»Die perfekte Schneebrille!«, nickte er der Birke zu, setzte die Mütze wieder auf und marschierte weiter.
Die Rindenbrille lieferte gute Dienste, das Weiß ringsherum blendete gleich nicht mehr so stark in den Augen. Bereits vor seiner Pause sah Theo ein paar junge Nadelbäume, wollte aber warten. Vielleicht kamen noch schönere. Endlich erreichte er eine Stelle, wo eine Vielzahl junger Kiefern, Tannen und vereinzelte Fichten standen. Geschafft! Eilig zog er die kleine Axt aus dem Gürtel und wandte sich der nächstbesten Tanne zu. Schnell fällen und nach Hause ins Warme! Kaum ausgeholt, zitterte plötzlich die Schneedecke zu seinen Füßen. Theo ließ glatt die Axt fallen. Nach zwei flauschigen Ohren kam ein Schneehase zum Vorschein, schüttelte sich und sah ihn keck an.
»He, du hast mich ja erschreckt!«, rief Theofil, erleichtert ausatmend.
»Nein, du hast mich erschreckt!«, antwortete das Häschen.
»Tut mir leid, du bist aber auch kaum zu erkennen.«, harkte er mit bloßen Händen nach der Axt. »Ich suche nur einen Weihnachtsbaum.«
»Was ist ein Weihnachtsbaum?«, unterbrach ihn das Häschen.
»Du weißt nicht, was ein Weihnachtsbaum ist? Ach so, dass kennt ihr nicht.« Theofil versuchte es dem kleinen Tier zu erklären. Das machte große Augen, erfuhr es doch, dass die Menschen in den Wald gehen, Bäume umsägen oder mit Äxten fällen, um sie in ihren Behausungen mit Süßigkeiten und vielen bunten Sachen zu behängen. Die Menschen sind schon merkwürdige Tiere, grübelte der Hase verwirrt, sah für einen Augenblick ganze Heerscharen von ihnen durch den Wald lärmen, junge Tannen, Birken, Eichen und Fichten umhacken. Ob es bald keinen Wald mehr geben würde, weil der gesamte Baumnachwuchs in den Menschenhütten um die Wette strahlte, statt hier weiter zu wachsen und den Tieren Nahrung, Heimstatt und Zuflucht zu bieten?
Theo sah die Augen seines kleinen Freundes größer und größer werden. Wie er sich selbst zuhörte, kam ihm die Geschichte auch seltsam vor.
Die Christbäume wurden mit Kerzen erhellt, bis sie strahlten und glänzten wie die Sonne. Unter die Bäume legten sie Geschenke für die Kinder. Nach zwei, drei Wochen schmiss man die Bäume zum Fenster hinaus und verbrannte sie auf einem großen Haufen. Des Häsleins Ohren waren inzwischen doppelt so lang in die Höhe gewachsen. Theo bemerkte, dass es die Axt in seinen Händen anstarrte. Verlegen befestigte er sie am Gürtel. Er kam sich mies vor. Zum Glück wirbelte Schnee auf. Ein frecher Wind schleuderte ihnen Eiskristalle in Gesicht und Schnauze. Für einen Moment war nichts zu sehen. So wie der Wind aufkam, war er wieder verschwunden. Die Bäume wurden kurz durchgeschüttelt, standen sogleich wieder starr und verzuckert. Dem Menschenkind schauderte. Theofil wurde bewusst, wie kalt es war. Vom Hasen lugten nur die Ohren aus dem Schnee. Er versteckte sein Gesicht unterm Mantelkragen.
»Aber weißt du was ...«, sprang er auf, »… das ist eine längere Geschichte, die erzähle ich dir wenn es wieder wärmer wird. Bleib du zugedeckt, ruh dich aus und keine Angst, ich geh einfach zum nächsten Baum.«
»Ja gut,« flüsterte das kleine Wesen durch die Schneedecke, wackelte mit den Ohren, nieste zustimmend und gleich noch einmal.
Theofil stapfte weiter. Es war noch unwirtlicher geworden. Ihm kroch die Kälte in die Kleider. Sein dicker Mantel schien mit einem Schlag durchlässig. Sie fuhr einfach hindurch, durchwirkte ihn, das Wams, griff durch das Unterhemd und leckte an seiner Gänsehaut. Theo fror wie ein junger Welpe. Verwirrt sah er in die Höhe. Irgendwo in dem Grau musste sich die Sonne versteckt haben, hauchte er über seine tauben Hände.
Vor einer kleinen Kiefer konnte er sich nicht überwinden, wollte ihr noch ein, zwei Jahre zum Wachsen geben. Eine grazil gewachsene Tanne bildete mit sechs weiteren einen Ring, den durfte man unmöglich zerstören. In Siebenerbaumkreisen lebten Waldgeister, das wusste jeder aus den alten Märchen. Eine Fichtenreihe konnte er ebenso nicht anrühren. Das wäre ja so, als wenn ich ein Küken aus der Gänsereihe stiebitzen würde, murmelte er, rückte seine Maske zurecht und ging weiter. So lief Theofil von einem Baum zum anderen. Immer weiter entfernte er sich vom Dorf und gelangte tiefer in den Wald. Die Temperatur ließ sich auf ihrem Weg ebenso wenig beirren. Sie fiel weiter, Grad um Grad. Theo indess vermisste die Handschuhe umso mehr. Inzwischen sehnte er sich nach Hause. Vor allen nach dem Kachelofen in der Wohnküche. Seine Finger konnte er bald nicht mehr spüren, barg die Hände im Mantel. Doch im tiefen Schnee war es beschwerlich zu gehen. Ständig musste er sie wieder hervorholen, um sich notfalls abzustützen. Nach einer Weile drehte sich Theo erschrocken im Kreis. Schlagartig wurde ihm bewusst: Er hatte sich hoffnungslos verlaufen. Jede Richtung sah gleich vertraut oder unbekannt aus. Sollte er da oder dort entlang? Kam er von den Birken hinten im Nebel oder von der Anhöhe gegenüber? Die Angst, nicht zurückzufinden, ließ ihn gleich noch mehr zittern.
Theo stand an einer prächtigen ostsibirischen Tanne. Einen Moment sah er zweifelnd an sich hinab, ob er einen Eiszapfen oder den Axtgriff in der Hand hielt. Er holte bibbernd Schwung, da nieste es zweimal zu seinen Füßen. Vor Schreck ließ er erneut das Beil fallen.
»Häschen!«, rief Theofil erfreut, erschrak noch mehr, weil er fürchtete, es verletzt zu haben.
»Häschen?«, suchte er fieberhaft mit den blanken Händen im knietiefen Schnee, fand das Beil, klemmte es sich schnell zwischen die Beine, um sich auf die Finger zu hauchen.
»Häschen?«
Da tauchte sein kleiner Freund unverletzt aus dem Schnee, schüttelte die Schnurrhaare frei und zog sogleich ein besorgtes Gesicht.
»Du bist ja rot gefroren, schnell, wärme dich an mir!«
Dies ließ sich der Junge nicht zweimal sagen und legte flugs seine klammen Hände auf das Tier. Das Fell war flauschig. Wohlig barg er seine Finger an dem kleinen Körper. Die Wärme floss geradezu von dem Tier zu dem Menschenkind über.
»Oh, tut das gut.« Doch sobald er sich von ihm löste kam die Kälte sofort unbarmherzig zurück.
»Einen Augenblick noch bitte, uhh, ist mir kalt!«
»Wärm‘ dich nur! Zu dumm, dass ihr Menschen kein Fell habt.«, antwortete der Hase.
»Ja!« lachte Theo, »jetzt hätte ich auch gern ein Fell. Du, ich habe mich wohl verlaufen, aber da ich dich jetzt wieder sehe, heißt ja, ich bin nur das letzte Stück im Kreis gegangen. Dann sollte es zurück nicht so weit sein.«
Obwohl der Körper des Tieres nicht groß war, strahlte er erstaunlich viel Wärme aus.
Ein kleiner Kachelofen!, schmunzelte Theofil und ertastete ordentlich Winterspeck auf den Rippen. Dann spürte er das winzige Herz unter seinen Händen pochen. War da nicht eben ein Zittern? Theofil erschauerte: Wenn sein kleiner Freund ihm Wärme abgab, nahm er dann nicht im Gegensatz gleichzeitig Kälte von ihm auf?
Er musste weiter. Theo drehte, die Finger tief im kuschelwarmen Fell vergraben, den Kopf nach allen Seiten.
»Weißt du noch, aus welcher Richtung ich gekommen bin?«
»Ich denke, von da«, nickte der Hase einer Baumgruppe zu und riet: »Du musst nur auf die Zeichen achten.«
»Zeichen? Was für Zeichen?«
»Das weißt du, wenn du sie siehst.«
Das kleine Tier verstummte. Theofil war verblüfft. Zeichen, was konnte sein kleiner Freund gemeint haben? Während er noch überlegte, stach ein Lichtstrahl durch die graue Wolkenwand. Eine schneebedeckte Zirbelkiefer bei der vom Hasen angedeuteten Baumgruppe stand in hellem Licht.
»Ein Zeichen!«, sprang Theo auf, »Ich danke dir.«
Der kleine Schneehase nickte ihm zu. »Dann eile, damit du vor dem Dunkelwerden bei deinen Menschen bist.«, nieste er noch zweimal und wurde eins mit dem Weiß. Nur die Ohren lugten noch aus dem Schnee. Theofil blinzelte mehrfach unter der Schneebrille. Wenn er es nicht wüsste, er hätte den Hasen unmöglich erkennen können.
Schnell kämpfte er sich Richtung Baum. Ein magischer Anblick. Mitten im Wintergrau glänzte er golden in der Sonne. Der schönste Weihnachtsbaum der Welt, da war sich Theofil in diesem Moment völlig sicher. Froh hielt er die Hände in die Höhe. Sie trugen noch Restwärme vom Hasen. Die Strahlen heizten sie weiter auf. Da war es, als schlüge jemand einen Fensterladen zu. Die Welt, duster und grau wie zuvor. Eisiger Wind fuhr ihm erneut über die Haut.
Stand er etwa zur falschen Jahreszeit nackt auf dem Holzsteg am Weiher?
Theo schüttelte den Kopf. Nein, er trug Wintersachen. Nur wärmten sie nicht mehr.
Ein neues Wolkenloch ließ ihn zu sich kommen. Eine Tanne dreißig Schritt weiter leuchtete auf. Flugs rannte er los, um die Hände ins Sonnenlicht zu strecken. Kaum aufgewärmt, erlosch es. Der Strahl trat an anderer Stelle hervor und erhellte den nächsten Baum. Schnell stürmte er hin. So flitzte Theo von Baum zu Baum. Von den Strahlen und mehr noch von der Rennerei wurde ihm endlich wieder wärmer. Er geriet geradezu ins Schwitzen.
Irgendwann fand er sich auf dem verschneiten Weg wieder. Die Wurzel eines umgestürzten Baumes leuchtete auf. Dort, unter einem Schneebuckel, lagen die Handschuhe, steifgefroren wie zwei Brettchen. Da sie ihm so nichts nützten, verstaute er sie im Rucksack.
Dann, als endlich der Weiher auftauchte und der Rauch der ersten Hütten über den Bäumen zu sehen war, gab es ein letztes Zeichen. Ein feiner Lichtstrahl wanderte vor seinen Füßen her. Dieser wies ihm den Weg, überwand eine sanfte Böschung und verharrte auf einer mannshohen Fichte. Nur wurde diese dadurch nicht heller. Aber Theo verstand, ging geradewegs zu ihr und nickte. Der Baum war kohlrabenschwarz, stand schief. Ein Blitz musste beim letzten Gewitter hineingefahren sein. Theofil zögerte keinen Moment und brauchte nicht mal die Axt schwingen, denn wie er nur ein wenig an einem Ast zog, brach der Stamm am Fuß gänzlich durch.
Seine Großeltern machten sich den Tag über natürlich große Sorgen. Es war spät geworden, es dämmerte bereits. Beim ersten Klopfen flog die Tür nur so auf.
Theo schleppte, laut losplappernd eine völlig schwarze Tanne an ihnen vorbei in die Wohnzimmerstube. Die Augen der Alten kamen ihm, im Gegensatz zum Schneehasen, fünfmal größer vor. So hatte sein kleiner Freund bei der Geschichte vom Menschenbrauch mit den Weihnachtsbäumen nicht gestaunt.
Kaum stehengeblieben fielen die steinhartgefrorenen Handschuhe aus dem Rucksack und polterten auf die Dielen wie zwei Holzscheite.
»Hier Oma«, hob er sie auf und reichte sie mit krabbenroten Händen seiner Großmutter.
»Uhh, was habe ich für kalte Hände! Was schaut ihr denn so?«
Die Großmutter hatte den Mund offen gelassen, brachte immer noch keinen Laut heraus. Sie stierte nur abwechselnd auf Handschuhe, tote Tanne, Theos Hände, Handschuhe, Tanne, Hände.
»Ach, das ist eine längere Geschichte!«, winkte Theofil ab.
Die großen Augen wurden an diesem Abend nicht mehr kleiner.
Theofil erzählte sein Abenteuer.

Am nächsten Morgen schmückten die Tarkowskis ohne jegliche Widerworte mit ihrem Enkel einen abgestorbenen Baum. Der war verkohlt, roch angebrannt. Wer ihn anfasste hatte sogleich schwarze Finger. Er besaß kaum noch Nadeln und war dennoch anmutig und der schönste Weihnachtsbaum weit und breit.

*​

 

Hallo Wortkrieger, ich bin ja nun schon ewige paar Wochen dabei und staune noch immer, was hier für Sachen zu entdecken sind und wie viel man lernen kann. Als altes Küken komme nun mit etwas, mit dem für mich und hoffentlich ein paar andere alles angefangen hat: Mit einem Märchen.
Wem dies zu schmalzig scheint, schnell hinfortgetippst damit! Es hat sich halt ergeben und ist ein Ausschnitt aus einem Projekt. Ich dachte selbst, den Weihnachtsbutton nie bedienen zu müssen aber he:
(Augen zu!)

F.W. Euch allen.

(Augen wieder auf)

Mala.

 

Hallo @malabin,

dein Märchen ist wohl im Weihnachtswahn untergegangen. Ich schau mal danach.

Soll das wirklich ein Märchen für Kinder sein? Der Tag deutet darauf hin, aber ich muss zugeben, dass mein Hirn sich auch etwas verkrampft, weil es manchmal einfach zu umständlich ist. Mag an einer Überdosis Fett und Zucker liegen ...

Theofil Tarkowski saß am Fenster und träumte.
Das ist so ein Name, den ich nicht lese. Mache ich in Fantasybüchern auch oft so, wenn die mir zu kompliziert erscheinen und irgendwann stelle ich fest, dass ich keine Ahnung habe, wie die Person heißt. Warum nicht einfach Theo?

Kaum zu glauben, dass er und die anderen Kinder vor nicht einmal zwei Stunden vom Eis vertrieben wurden.
Ich gehe jetzt mal davon aus, dass es ein Märchen für Kinder sein soll. Aber auch für Erwachsene klingt mir das zu kompliziert. Warum nicht:
Vor zwei Stunden stand er noch mit den anderen Kindern auf dem Eis.

Anfangs waren sie noch stur weitergelaufen, dann, als der Sturm zum Orkan wuchs, versammelten sie sich in der Mitte des Teiches, steckten Pinguinen gleich die Köpfe zusammen und wandten dem Wind die Rücken zu.
Auch zu lang, zu verschwurbelt. Ich würde erst den Orkan erwähnen, dann die Sturheit.

Missgelaunt schubste er die Erdenwesen vor und zurück, bis die letzte Menschenseele schleunigst vor dem Unwetter flüchtete.
Zu generisch, zu weit weg vom Theo. Wie ging es ihm dabei? Was hat er lebt?

Obwohl er den Muskelkater vom Schlittschuhlaufen deutlich spürte, wäre Theo am liebsten gleich nochmal los, um ein paar Runden zu drehen.
Wer? Ach der Theo. Da du länger nicht von ihm gesprochen hast, würde ich erst Theo schreiben und dann erst er.
Und er hat schon nach zwei Stunden Muskelkater?

Theofil träumte weiter zum Fenster hinaus.
Wieso jetzt wieder Theofil?

Hauchdünne Schneekristalle tanzten hernieder, es wehte kaum noch ein Lüftchen und so konnten sie ungestört aufs Land sinken.
Ich weiß nicht, irgendwie sind mir deine Bilder zu unklar, ich krieg das nicht zusammen. Es schneit einfach, oder?

Die feinen Gebilde verwandelten sich in ein Meer aus Silbersternen, bis alles glänzte und leuchtete und Theo es nur noch durch Augenschlitze anzusehen vermochte. Das Licht, tausendfach verstärkt, erhellte das Zimmer, überstrahlte mühelos die Kerzen.
Die Stelle musste ich mehrmals lesen. Es fällt mir schwer dem Geschehen zu folgen und ich bin irgendwie so weit entfernt davon. Mich würde interessieren wie Theo das alles wahrnimmt. Freut er sich? Ist er erschrocken?

Ihr Enkel befand sich in einem gelben Lichtkegel, in den er wie hypnotisiert hineinstarrte.
»Theo, kannst du mir mal kurz helfen.«, rief die Großmutter, dabei wollte sie nur wissen, ob alles in Ordnung war.
Das versteh ich nicht ganz. Was genau passiert da? Wird Theo von Außerirdischen weggebeamt? Und warum reagiert die Oma so gelassen?

du schaust ja wie ein Eskimokind?
Wie schaut denn ein Eskimokind?

Oma, das musst du dir ansehen, es regnet Sterne, das ganze Land strahlt wie ein Weihnachtsbaum. Er hat seine Äste einfach abgelegt und ... «
War da ein Schimmer in ihren Augen? Sie hatte tief Luft geholt.
»Ach Kind, ich weiß noch nicht einmal, ob wir dieses Jahr zum Fest einen Baum schmücken können«, sprach sie leise.
Hä? Ich bin wieder bzw. immer noch verwirrt. Das erste Bild passt noch – das Land strahlt wie ein Weihnachtsbaum. ABaer dann legt es seine Äste ab? Der Baum, bzw das Land?
Und wie kommt die Oma denn dann auf den Baum bei denen? Wollte Theo darauf anspielen?

Inzwischen dunkelte es, flugs war die Sonne hinter dem Birkenhain verschwunden. Der Tag leuchtete, als wollte er nicht zu Ende gehen.
Es dunkelt aber der Tag leuchtet?

Weiter habe ich nicht gelesen. Die Geschichte packt mich nicht wirklich und ich empfinde viele Formulierungen als anstrengend. Ich habe das Gefühl du hast dich noch nicht wirklich entschieden für wen du diese Geschichte schreibst. Für die Kinder oder dessen Großeltern? Der Inhalt ist eher einfach, die Sprache aber oft komplex. Einfache Dinge wie Schnee werden aufbauscht, den Mehrwert für die Geschichte erkenne ich leider nicht.

Ich könnte mir vorstellen, dass das ein schönes Märchen für Kinder werden könnte, die den Schnee lieben. Aber dann müsste ich näher dran sein an Theo, an seinen Empfindungen und Gedanken. Vielleicht hast du ja Lust da noch mal dran zu schrauben.

Liebe Grüße,
NGK

 

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