The storm is all around
Ich habe noch nie in meinem Leben ein Flugzeug betreten. Geschweige denn einen Flughafen. In den ganzen fünfzig Jahren, die ich bereits auf dem Buckel hatte, war die Gelegenheit nie gekommen, oder ich hatte es immer absichtlich vermieden, je nachdem, wie man das sah. Meine Eltern flogen nicht, sie blieben gerne in ihrem kleinen Städtchen in der Nähe der Deutsch-Österreichischen Grenze. Dort kannten sie ihre Leute und fühlten sich wohl, heimatlich. Bei mir war das schon als kleines Kind anders gewesen. Damals schon wollte ich weg, Ausflüge machen, Reisen, die Welt sehen, doch meine Eltern blieben stur. Später wanderte ich erst nach Italien, dann in die USA, Ohio aus. Per Schiff. Flugzeug ist für mich keine Option gewesen.
Die Türen öffneten sich. Menschen strömten heraus, fluteten den Raum. Ein kleines Mädchen drückte sich eng an seine Mutter, ihre Puppe fest im Arm. Ein Mann in feinem Anzug suchte mit schnellen hektischen Schritten einen Weg durch das Gedränge. Koffer rollten über den Boden, alle plapperten durcheinander. Für sie war das Alltag, einfach schnell von einem Kontinent zum anderen zu fliegen und das in wenigen Stunden. Eine Geschäftsreise oder Familie besuchen. Ich beobachtete die Menschenmenge, jeder einen Weg suchend, mit konzentrierten Gesichtern. Nach und nach löste das Wirrwarr, die letzten Menschen verschwanden durch die restlichen Türen, die Ruhe kehrte zurück und mit ihr die Spannung.
Zum tausensten Mal an diesem Tag schaute ich auf mein Handy. Immer noch nichts. Kein Anruf, keine Nachricht. Nichts. Wie sollte das jemand aushalten. Verärgert stand ich auf und tigerte vor dem Fenster auf und ab. Draußen schüttete es aus Eimern, ungewöhnlich für diese Jahreszeit, aber eine willkommene Abwechslung. Für alle, nur für mich nicht. An jedem anderem Tag, hätte ich mich über den Regenguss gefreut, aber nicht heute. Ausgerechnet heute.
Ich blieb stehen. Das hallende Klackern meiner Pumps nervte schon die anderen Wartenden. Ein Mann funkelte mich über den Rand seiner Zeitung hinweg an. Ich ignorierte ihn. Ein Kaffee, das brauchte ich jetzt. Oder war das zu viel Coffein. Mein Bauch kribbelte sowieso schon die ganze Zeit. Dann einen Tee. Einen Blick auf das Handy. Früchte oder Minze? Was gab es denn überhaupt. So leise wie möglich trippelte ich durch die große Halle zum Automaten. Es gab gar keinen Tee. Na dann eben doch Kaffee. Ich trank die lauwarme Brühe im Stehen. Vom langen Sitzen tat mein Hintern schon weh.
Eine Stunde verging und nichts passierte. Jetzt taten mi die Beine weh, vor allem die Füße in den engen Pumps. Fliegt bei so einem Wetter überhaupt noch ein Flieger? Das war doch lebensgefährlich. Fliege an sich war lebensgefährlich. Da konnte ja alles Mögliche passieren und dann auch noch in dem Sturm. Und jetzt würde es auch noch dunkel. Können sich die Piloten da noch orientieren? Da konnten doch leicht zwei Flieger zusammenkrachen. Nein, Piloten waren schließlich ausgebildete Flieger und flogen oft in der Nacht. Es konnte nichts schiefgehen. Schuld allein war der Regen. Nur der Regen. Sonst nichts. Nur noch ein bisschen. Kurz noch und alles war wieder richtig. Da wo es hingehörte.
Konnte ich noch aufs Klo gehen? Ich musste dringend, der Kaffee drückte. Nein, ich konnte die Halle nicht verlassen, es konnte jeden Moment soweit sein. Aber es wären ja nur zwei Minuten. Schnell aufs Klo und sofort wieder zurück auf meinem alten Platz. Ich wartete nun schon so lange, wie groß war da die Wahrscheinlichkeit, dass der Flieger genau in den zwei Minuten kam. Also schnell wieder in die Pumps pressen und aufs Klo. Beim Händewaschen betrachtete ich mich im Spiegel. Man sah mir meine letzten 24 Stunden deutlich an. Meine Wangen glühten rot vor Aufregung und Angst und Ungeduldigkeit und Verzweiflung und Ärger. Ansonsten müde Augen, fahles Gesicht vom Stress und ungewaschene Haare. Nicht wirklich das, was ich mir erhofft hatte. Aber es kam, was kam. Man musste es hinnehmen.
Wieder ein Blick auf das Handy. Es war kurz vor 22 Uhr. Ich trat aus der Toilette. Ein Lächeln. Ein Grinsen. Ein Strahlen. Ein Lachen. Dann die erste Freudenträne. Und schließlich die Umarmung.
„Du bist da.“
„Ich bin da“