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The Racer

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29.07.2003
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The Racer

Verhaßtes Rot!
Tom hielt an der Ampel vor der Kreuzung.
Er saß in seiner nachtblauen Viper und blickte nach links.
- Das gibt’s doch nicht! Mit dunkel röhrenden Sound stellte sich ein Straßenflieger neben ihn auf die Überholspur.
Es war tatsächlich ein Dodge Challenger, ein Highway-Burner vor dem Herrn. 550 PS, vorne tief und hinten hoch mit den typisch breiten Walzen versehen.
Das Seitenfenster des Dodge fuhr elektrisch betätigt ein Stück hinab, kleine Tropfen Nieselregens perlten am Gummi ab, zwischen dem die Scheibe nach unten versank.
Dunkel war es in dem anderen Fahrzeug, er sah nur eine bleiche, knöcherne Hand. Langsam strebte sie den am Innenspiegel befestigten, obligatorischen zwei Würfeln aus Schaumstoff und Textil entgegen.
- OK, Baby! Tom schob die selbst gebrannte Scheibe mit Rock ’n’ Roll von Motörhead zurück in den heimischen Schacht und startete per Knopfdruck. Er blickte nach vorn, die grellbunten Lichter des Amüsierviertels glänzten auf dem nassen Asphalt.
Er schaute wieder nach links zum Gegner. Sacht tippten die weißen Finger der Hand zweimal gegen die flauschigen Würfel.
Motörheads Leader schrie die Zeile „Kiss Your Ass“, da sprang die Ampel um auf Grün.
Das Rennen war gestartet.

Sein Gegner zeigte gute Reflexe, sein Dodge flog nach vorn, war enorm spurtstark. Aber Tom hielt mit und wollte zeigen, was er mit seiner Viper drauf hatte.
Brüllender Lärm und Abgase bliesen ihm ins Gesicht. Nichts anderes wollte er; daß und das Rennen ließen ihn seinen öden Alltag vergessen.
Der Dodge bog links ab und Tom folgte ihm. Im Rückspiegel verschwanden die schlaffen Titten und faltigen Ärsche, die hier im Milieu jede Nacht über die Bordsteinkanten gehalten wurden. Motörhead war bei „Eat The Rich“ angelangt.

Es war nicht seine übliche Rennstrecke. Sein Gegner besaß einen leichten Vorsprung, Tom beschleunigte auf der Geraden.
Die Vorderreifen seiner Roaring Viper gelangten bis an das Heck des Challengers. Sie fuhren aus der Stadt hinaus. Bremslichter leuchteten auf, eine Kurve vor ihnen. Egal, er würde so spät wie möglich bremsen. Für ihn galt es nicht nur, dieses Rennen zu gewinnen; je schneller, um so weiter entfernt vom ewig gleichen Trott!

Die Landstrasse wurde schmaler und es regnete jetzt stärker. Links und rechts der Fahrbahn gab es nur noch Wald. Sie rasten durch die mondlose Nacht, noch eine Kurve.
Er setzte sich vor seinem Kontrahenten, gab noch mehr Gas und schaffte es Meter um Meter soviel Raum zu gewinnen...

... in dem ihm mit einem Blick durch die Scheibe klar wurde, daß er sich an die Songs von Chuck Berry und Dion gewöhnen mußte.
Tom sah fliegende Petticoats auf Rollern. Lachende Mädchen mit wippenden Pferdeschwänzen. Rock ’n’ Roll auf Rädern, Jungs, frisiert wie James Dean lehnten an verrußten Häuserwänden.
Er schaute in den Innenspiegel und hatte es vorher gewußt. Sein Haupt krönte eine lackschwarze Elvis-Tolle.
Überhaupt war das nicht mehr sein Wagen. Tom saß in dem Dodge. Er lehnte sich zurück in dem Ledersitz und stemmte die Arme gegen das Lenkrad.
Hatte er gewonnen. War das sein Preis?
Vorne auf der Haube stand etwas in Weiß geschrieben, indem er sich wieder nach vorn beugte, konnte er lesen:
THE RACER!
Ja. Das war sein Ding! Eine langbeinige Schöne auf High Heels und bekleidet mit einem knappen, schwarzen Lederrock kam auf ihn zu und beugte sich an der Tür hinunter.
„Da bist du ja endlich. Mein Rock ’n’ Roll Nigger! Du hast in meiner Sammlung gefehlt.”

Er gab Gas. Neben ihm heulte ebenfalls ein Motor auf. Die Frau in Schwarz mit der langen, langen blonden Mähne baute sich mit einer schwarz-weiß karierten Flagge zwischen den beiden Fahrzeugen auf.
Die Lady mit den nackten Beinen hob die Flagge, die Menge längs der Strecke johlte.
Er wollte laute Musik.
Doch Nein! Die Magie, der Mechanismus, daß, was ihn vorhin hierher brachte. War es möglich, das nur ein Knopfdruck ihn womöglich auch wieder zurück katapultierte? In seine Zeit!
Wer war er schon dort in seiner Zeit. Einer unter vielen.
In seiner Zeit war er ein durchnumerierter Malocher. Was gab es dort schon für ihn. Schuften, nach Haus kommen, alte Schinken im TV. Vorm PC sitzen, Ablechzen im Downloadbereich und dann ab zu der Alten ins Bett. Ohne Hoffnung auf Besserung.
In dieser Welt aber war er... The Racer!
Tom suchte das Radio und brach den Startknopf ab.
Nach dem letzten Rennen ist vor dem nächsten Rennen. Sie waren vorhin vorwärts gefahren. Aber in der Zeit rasten sie zurück. Tom wußte jetzt, es war immer ein Fehler gewesen: die Flucht nach vorn vor dem Alltagstrott. Die Erfüllung seiner Träume lag in der Vergangenheit.
Seine Hand griff nach den zwei Würfeln am Innenspiegel, zärtlich tippte er mit dem Zeigefinger daran. Die Flagge fiel.

Im Westen, 14-15.04

 

Hey bluesnote,

Ist das etwa eine Zeitreisen-Story? :shy:
Bis zu einer gewissen Stelle fand ich die Erzählung zwar nicht schlecht, aber ich fragte mich schon, was daran seltsam war. Dann der Zeitsprung. Nicht logisch zu hinterfragen, sondern als Schlüssel zur Aussage des Textes. Eine Gemeinsamkeit der heutigen (oder einer anderen) und der damaligen Zeit (mit der Elvis-Tolle): Schneller sein als der andere, besser, geiler, von den Mädels beachtet werden. Die Technik hat sich geändert, die Menschen (in mancherlei Hinsicht) nicht. Eine solche kausal eigentlich unsinnige, aber unerwartete und neue Blicke eröffnende Zeitreise ist mehr wert als jeder zum Scheitern verurteilte Versuch, ein ach-so-seltsames Zeitparadoxon zum einzigen Inhalt einer Geschichte zu erheben.
Sprachlich ganz prima, wird der dramatischen, mental eindimensionalen Pseudo-Rennfahrer-Mentalität durchaus gerecht. Zweimal hast Du daß geschrieben wo das hingehört.
Trotz der positiven Anmerkungen muss ich sagen, dass mich die Geschichte nicht mitgerissen hat. Das liegt aber vermutlich daran, dass ich mich nicht mit (solchen) Autofahrern identifizieren kann, und die Geschichte nicht auf Distanz dazu geht. Ich hatte die ganze Zeit im Kopf, dass es gleich einen tödlichen Unfall gibt, bei dem Unschuldige Opfer der hirnlosen Raserei werden. Aber das war offenbar nicht Thema der Geschichte.

Fazit: sprachlich gut, inhaltlich gut.

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe

Zunächst, vielen Dank für die Mühe, die du dir immer mit meinen Texten (und natürlich auch mit den Texten der anderen AuroInnen) machst. Bisher konnte ich dir leider noch nichts davon zurückgeben.

Wie entkomme ich dem Alltagstrott, wenn es mit der Sofortrente bei der Glücksspirale nicht klappen will.
Das war das einfache Thema der Story. Natürlich gab es den auch schon in den Zeiten der Fünfziger.
Aber Tom ist so einfältig, zu glauben, er könne sein Leben damit ausfüllen, indem er immer nur Rennen fährt.
Deswegen geht die Geschichte auch nicht in Distanz dazu und geriet mir eindimensional. Leider!
Eventuell einziger Lichblick: Die schwarze Lilie der Twilight Zone, wenn ich die Geschichte erweitert hätte.
Man sieht also, mehr Phantasie muss her!
Das mit dem Dass muss ich noch mal studieren.

Viele Grüsse.

Udo

 

Hallo Bluesnote!

Ein Rennfahrer rast in die Vergangenheit.

Hat Drive und war dementsprechend mitreißend zu lesen. Das lag bestimmt auch an der sehr guten sprachlichen Umsetzung.

Allerdings - in der Vergangenheit angekommen, wundert sich Tom kein klitzekleines bisschen. Oder hat er das schon öfter gemacht?

Viele Grüße von Sturek

 

Hallo Sturek

Ich muss das so als richtig hinstellen.
Aber ein Rennfahrer hat ja auch keine Zeit sich zu wundern.
Freut mich, das dir die Story gefallen hat.

Viele Grüsse.

Udo

 

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