Mitglied
- Beitritt
- 06.01.2019
- Beiträge
- 68
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
- Anmerkungen zum Text
Für mehr Infos:
https://burningman.org/
The man burns
„Warst du schon mal beim Burning Man?“, fragte er mich.
„Nein, noch nie gehört. Was soll das sein?“
Sechs Monate später zerrte ich mitten in der Wüste von Nevada das erste Zelt meines Lebens aus einem geliehenen SUV. Seitdem wir das Festivalgelände betreten hatten atmete ich – so platt es sich auch anhören mag – Freiheit. Festival durfte man aber nicht sagen. Temporäre Stadt, Home, BRC, The Playa. Aber als Virgin, wie die Erstlinge genannt wurden, konnte ich mir einige Fehler noch erlauben.
Unser Auto war nicht mehr zu erkennen, da wir alle Ritzen, Lüftungen und Fensterdichtungen mit Paketklebeband von außen abgedichtet hatten. Wegen dem „dust“ und der damit verbundenen Reinigungsgebühr bei der Autovermietung. Ich grinste, während ich mir vorstellte, bei Amazon anzurufen und unser Auto als überdimensionales Paket Retoure wieder abholen zu lassen. „Einmal nach Black Rock City bitte, Camp Crazy Unicorn, Straße Sieben, Elektro.“
„Warte! Du machst alles durcheinander. Ich helfe dir.“ Er schob mich beiseite und zog vorsichtig an meinem Zelt, ohne dass die anderen Überlebensutensilien auch nur einen Millimeter verrutschen. Gehorsam schritt ich beiseite und betrachtete durch eine Sandwolke sein von Staub bedecktes Gesicht. Sein rechtes Auge war stark gerötet. Nach einem schweren Unfall konnte zumindest der Augapfel gerettet werden. Die Pupille war jedoch kleiner und dunkler, was seinem Blick immer etwas leicht Irritierendes und schwer Einschätzbares verlieh. Vielleicht war es diese Asymmetrie, die ihn innerlich dazu zwang, alles penibel in Ordnung zu halten. Was für ein abstruser Gedankengang. Das musste der Wüsten Spirit sein.
Die Wüste ist der Ort der Gottesbegegnung (Exodus 3). Kein Wunder, dass ich von philosophischen Eingebungen heimgesucht wurde. Ich musste augenblicklich an Frau Lehmann denken, die erst letzte Woche von ihm gekündigt worden war. Sie hatte die Socken zum wiederholten Male farblich nicht richtig sortiert und dann hatte er tatsächlich auch noch ein Haar in der Dusche gefunden. Arme Frau Lehmann.
Der erste größere Sandsturm schoss mir auf direktem Weg, wie ein Gruß des Teufels, in die Lungenflügel und ich bekam einen Hustenanfall.
„Nimm deine Maske, hier.“ Er ignorierte meinen Beinahe - Tod und reichte mir eine sehr futuristisch aussehende Staubmaske, die wir auf dem Weg von Reno nach Black Rock City in einem Indianerreservat erstanden hatten. Bewaffnetet mit einer Skibrille, der Maske und meinem Zelt, tasteten wir uns fast blind und sehr langsam zu unserm Camp voran. Vor den Gläsern meiner Brille tanzten Millionen Staubpartikel einen wilden und ungezähmten Tanz. „Den Tanz der Freiheit“, dachte ich und versuchte ungeschickt, die Maske über meinen Atemorganen zu befestigen. Völlig verstaubt erreichten wir das Himalaya – so wurde das provisorisch mit Sonnenblenden überdachte Zeltlager genannt – und ich schaute Lukas zu, wie er geschickt die Heringe in den harten Boden hämmerte und innerhalb von Minuten mein Heim für die nächsten acht Tage errichtete.
Die Zeltlager in der Schule und die Camping Vorliebe meines Vaters, waren meine gesamte Kindheit und Jugend ein Grauen für mich gewesen. Doch hier stand ich in vierzig Grad Hitze, bedeckt vom allgegenwärtigen Staub der Wüste, nach zwanzig Stunden Reise und fühlte mich wie wie Nelson Mandela nach seiner Freilassung. “Du machst das super!”, rief ich Lukas zu und konnte mir einige Sprüche über sein handwerliches Talent nicht verkneifen. Als ruhender Pol in der verrückten Wüste, arbeitete er fleißig weiter und ignorierte meine Flapsigkeiten.
Der erste Mitbewohner unseres Camps, der sich mir vorstellte, war James. Ein richtiger Burner, wie er im Buche steht. Seit zwanzig Jahren dabei und damit absoluter Vollprofi. „Whats your playa name?“ Mein was? Ah, Playa Name. Also sowas wie ein Spitzname. Ich überlegte kurz. „Joy.“ Was Besseres fiel mir in den fünf Sekunden nicht ein. „Great, I am Pleasure. You have to join my workshop now. It’s called: intimacy with strangers.” Intimität mit Fremden? Ihh! Auf gar keinen Fall! Ich sah hilfesuchend rüber zu Lukas, der damit beschäftigt war seine Kostüme für die Woche nach Farben sortiert in die im Walmart erstandenen Kisten zu sortieren. Aber war ich nicht schließlich hier, um Grenzen zu überschreiten, Dinge zu tun, die ich sonst nie tun würde und meinen spirituellen Horizont zu erweitern? James aka Pleasure zog mich ohne großen Widerstand meinerseits an seiner Hand hinter sich her und brachte mich zwanzig Meter weiter zum Tantra Camp. Vor dem ersten Dome (eine zeltartige Riesenhalbkugel) warteten schon ungefähr dreißig Leute, die Pleasure freudig mit Umarmungen und Küssen in Begrüßung nahmen. Man kannte sich.
Wir setzen uns alle in einen Kreis und Pleasure trat – wie Jesus vor seine Jünger – und erklärte uns den Ablauf des Workshops. Seine Stimme erinnerte mich an die meines Yogalehrers, die so einschläfernd und gelassen war, dass ich in der Endentspannung immer einschlief. Fünf Minuten später stand ich, so wie Gott mich erschaffen hatte, einem Ein Meter Fünfzig großen Kolumbianer gegenüber, der sich Packman nannte. Wir sollten uns gegenseitig Komplimente machen und dem anderen sagen, was wir besonders schön an ihm finden. „You have beautiful eyes“, flüsterte Packman und starrte dabei auf meine staubbedeckten Brüste. Ich wurde kurz wütend. Das hier hatte nur mit Spannen und nichts mit Förderung des Selbstbewusstseins oder Ähnlichem zu tun. Ich war kurz davor ihm zu sagen, dass ich seine Penishaare mochte, aber Pleasure stand nun direkt neben mir und blickte uns erwartungsvoll an. Ich wollte eine gute Schülerin sein. „I like your hair.“ Etwas Besseres fiel mir nicht ein und Pleasure schlurfte wohlwollend Nickend zu dem nächsten Paar.
Das war nicht die Freiheit, die ich gesucht hatte. Vielmehr fühlte es sich erniedrigend und beklemmend an, sich von Fremden nackt beurteilen zu lassen und unehrliche Komplimente zu verteilen. Dieser Mist hier sollte: “how to lie to strangers” heißen. Das wäre der richige Titel. Nicht jeder Mensch musste etwas Schönes an einem anderen Mensch finden. Man konnte sich auch einfach mal äußerlich richtig scheiße finden. Das war Freiheit. Pleasure forderte uns auf unsere Dankbarkeit für die eigene Schönheit herauszustöhnen, zu brüllen, Tiergeräusche zu machen. Dankbar nahmen die anderen Teilnehmer (ich ausgeschlossen) diese Aufforderung an. Und wie aus dem Nichts war ich gefangen in einem Käfig, voll wilder nackter Tiere, die sich stöhnend und schreiend im Kreis drehten, ihre Krallen ausfuhren und sogar auf allen Vieren über den provisorischen Acrylboden krochen.
Ich stand erstarrt und wie angewurzelt in der perfekten Yoga Berg Position und brachte nicht mehr als ein leises Vogelzwitschern oder Krächzen hervor. Hier war ich definitiv falsch. Ich war kein großes, wildes Tier, das Urlaute von sich geben konnte. Höchstens eine kleine Amsel, oder ein kleiner Spatz, vielleicht auch ein Chihuahua Welpe - der fiepste. Ich musste hier raus. Hektisch bückte ich mich, schnappte mir meine Klamotten und rannte nackt aus dem Dome direkt in die Arme von Lukas, der mich schon gesucht hat.
„Du bist nackt.“, analysierte er auf seine trockene Mathematiker Art.
Ach nee. Wirklich? Ich dachte ich hätte meinen Pyjama und Pantoffeln an. Ihm hätte ich zahlreiche Komplimente machen können. Sein athletischer - “ in der Jugend Olympia Kanu Fahrer” - Körper, das unterschiedlich eisige Blau seiner zwei Augen, das Tattoo am Arm aus Hawaii, das mich immer an einsame Strände, Naturwanderungen und gegrillten Fisch erinnerte. Lukas eine emotionale Reaktion zu entlocken war so schwer, wie einem Goldfisch das Sprechen beizubringen. Doch genau das, machte jede Reaktion so wertvoll. Jedes Lächeln, jede Berührung, jedes Kompliment wiegte so viel mehr, als in allen anderen Liebesbeziehungen zuvor. Daher konnte ich nicht einschätzen ob meine Nacktheit ihn entsetze, amüsierte oder sogar erregte.
Ich presste mich an seinen warmen Körper und war trotz dieses “fake” spirituellen Erlebnisses dankbar, dass er mich in diese surreale Welt entführt hatte. Meine schmutzigen Fingernägel malten Herzen auf seinen Rücken, während meine Nase den Wüstengeruch von seiner Haut einsog. Anstatt mich Richtung Zelt zu entführen nahm er mein Top und zog es mir langsam über den Kopf, während ich auf einem Bein stehend widerstrebend in meinen Rock schlüpfte. Er hatte mich oft ausgezogen. Aber nie angezogen. Hier war alles etwas anders.
„Ich will dir etwas zeigen.“
Wir schnappten uns unsere Fahrräder und fuhren die provisorischen Straßen entlang, bis wir das Camp Fuego (oder Fuck You Ego) erreichten. Dort kletterten wir eine endlose Leiter herauf, bis wir auf der Plattform eines Kirchen- Party Art Cars seines Freundes, einen Blick über die ganze Stadt hatten. Hier wäre ich gerne nackt gewesen. Die letzten warmen Sonnenstrahlen wären ein angenehmer Kontrast zu der ermüdenden Hitze des Tages gewesen. Meine Haut hätte atmen können. Das Burning Man Fieber, die Aufregung — ich fing an es zu genießen. Joy. Die Sonne verschwand langsam hinter den Bergen, die das Gelände eingrenzten, und tauchte die Landschaft in ein pink- orangenfarbenes Van Gogh Gemälde. Um uns herum wurde Whiskey getrunken, Küsse getauscht und Lukas setze sich hinter mich und nahm mich in die Arme. Ich wollte ihn Küssen und drehte mich zu ihm um. Er lächelte, während eine einsame Träne aus seinem gesunden Auge auf unsere verknoteten Hände tropfte. Ich legte meine Lippen sanft und langsam auf seine und wir verschmolzen im Gleichklang mit der verglühenden Sonne und den kahlen Bergen. Ich umschlang ihn mit Wärme, mit Liebe und all dem Anderen, vor dem er sich fürchtete und ich spann einen unsichtbaren Faden von meinem Herzen zu seinem. Nachdem mein Werk vollendet war, löste ich mich aus seinen Armen und richtete meinen Blick in die verschwundene Sonne, die die Berge nun in glühendes Rot getaucht hatte. Ich nahm einen Schluck aus seinem Flachmann und als alle anfingen wie Wölfe zu heulen, formte auch ich aus meinen Händen eine menschliche Wolfsschnauze und heulte mit.