The "gift" - Das Geschenk
The „gift“ - Das Geschenk
Im vergangenen Jahr hatten Julia und Jana beschlossen, ihren dreißigsten Geburtstag allein und ganz gemütlich zu feiern. Nur sie beide – Zwillinge unter sich. Dieser Tag sollte nur ihnen beiden gehören. Julia hatte sich das gewünscht und Jana war, wenn auch erst widerwillig, darauf eingegangen. Nur ein einziges Mal wollte Julia nicht das Gefühl haben, hinter ihren Schwester zu stehen, der Schatten zu sein.
Auch wenn sich die beiden Frauen zum Verwechseln ähnlich sahen, konnten sie doch unterschiedlicher nicht sein. Jana war immer gut drauf, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, hatte einen Haufen Freunde und war auch bei allen beliebt. Julia hingegen war eher ruhig, zurückgezogen. Wie gerne wäre sie wie ihre Schwester gewesen. Doch es fiel ihr nicht leicht, Freunde zu finden. Eigentlich hatte ihr die Gesellschaft ihrer Schwester immer genügt. Sie liebte sie unsagbar, sie war ein Teil von ihr und sie hätte ohne zu zögern ihr eigenes Leben für das ihrer Schwester gegeben.
In einer Stunde würde Jana vor der Tür stehen. Der Auflauf, den Julia vorbereitet hatte, stand bereits im Ofen und Julia stieg mit einem zufriedenen Lächeln aus der Badewanne. Ja, heute würde ihr Tag sein.
Nachdem sie sich angezogen hatte, nahm sie die kleine Holzschatulle, die eigentlich ihrer Schwester gehörte, aus der geheimen Schublade ihres wuchtigen Schlafzimmerschrankes. Sie öffnete den Deckel und der Geruch getrockneter Kräuter kroch ihr in die Nase. Das Geburtstagsgeschenk für ihre Schwester. Schon im Frühjahr war ihr die Idee dazu gekommen. Da sie sich mit Kräutern nicht so gut auskannte, hatte sie sich Informationen im Internet geholt. So hatte sie erfahren, wo sie diese besondere Pflanze finden konnte, wann man sie am besten sammelte und wie sie zu trocknen und aufzubewahren war.
Ihre Schwester würde sich sicher darüber freuen, würde die Mühe, die sie sich gemacht hatte, zu schätzen wissen. Wieder grinste Julia vor sich hin. Oh, ja, das Erlebnis, das diese Pflanze ihrer Schwester bereiten würde, wäre einmalig.
Seit langem schon experimentierte Jana mit Pflanzen herum. Das hieß, sie probierte alles aus, was ihr auf pflanzliche oder wie sie immer sagte, ganz natürliche Weise, einen Rausch brachte. Mit 16 Jahren hatten die beiden Schwestern gemeinsam ihren ersten Joint geraucht und Julia hatte für sich beschlossen, daß diese Art Erfahrungen nicht ihre Abteilung waren. Jana hingegen war derart begeistert gewesen, daß sie immer mehr, immer Neues probieren wollte. Pilze, Stechapfel, Belladonna – das ganze Programm. Auf den Einwand von Julia, daß das Pflanzengifte seien, mit denen Jana sich da berauschte, hatte sie nur gelacht und gesagt, es käme nur auf die Menge an.
Ja, auf die Dosis kommt es an. Jana lachte. Es gab Pflanzen, bei denen schon 15 g bei einem Erwachsenen mit 75 kg Körpergewicht zum Tode führten. Davon gab es zwar nicht viele Pflanzen, aber bei den anderen mußte man einfach nur die Dosierung dementsprechend anpassen.
Jana wog ebenso wie Julia 52 kg.
Es klingelte. Julia öffnete die Tür und die beiden Schwestern fielen sich um den Hals. Sie hatten sich das letzte Mal vor vier Monaten gesehen.
„Warum hast du dich denn so lange nicht gemeldet? Ich hab dich vermißt.“, sagte Jana als sie sich an den gedeckten Tisch setzte.
„Ach, ich hatte viel zu tun. Die Arbeit an der Uni und so.“, log Julia.
So eine scheinheilige Kuh! Warum hatte sie sich denn nicht gemeldet? Wo sie mich doch angeblich so vermißt. Daß ich nicht lache.
Lächelnd schenke sie ihrer Schwester ein Glas Wein ein.
„Laß uns anstoßen. Auf uns. Auf unseren Geburtstag und daß wir uns endlich wiedersehen.“
Zum letzten Mal., fügte Julia in Gedanken hinzu.
Dann holte sie die Holzschatulle und überreichte sie Jana.
„Hier, dein Geburtstagsgeschenk.“
„Schwesterchen, willst du mir meine eigene Schatulle schenken? Außerdem hatten wir doch abgemacht, uns nichts zu schenken, sondern nur den Abend gemeinsam zu verbringen.“
„Mach sie auf.“
Jana öffnete die Holzschatulle, sah die Kräuter und warf Julia einen fragenden Blick zu.
Julia lachte.
„Hab ich selbst gesammelt. Ganz klassisch bei Vollmond. Schon im Sommer. Ich dachte, ich mach dir zum Geschenk, daß wir die heute gemeinsam probieren. Ein Erlebnis, daß uns noch enger zusammenschweißen wird.“
„Ich dachte, du mißbilligst meine kleinen Experimente.“
„Ja schon, irgendwie, aber vielleicht sollte ich diesbezüglich etwas lockerer werden. Schließlich ist bisher noch nie was passiert. Du scheinst also zu wissen, was du tust. Mag sein, daß ich all die Jahre etwas verpaßt habe. Außerdem dachte ich, du freust dich, wenn wir diese Erfahrung gemeinsam machen.“
Du brauchst gar nicht so scheinheilig zu lächeln. Meinst du ich weiß nicht, daß ich dich nerve, für dich nur ein lästiger Anhang bin? Ich weiß, daß du all deine Freunden gesagt hast, wie sehr ich dich nerve. Ich weiß es! Keine Angst, das ist bald vorbei.
„Soll ich uns einen Tee daraus machen?“
„Ja, ich geh mal kurz zur Toilette.“, antwortete Jana.
Julia setzte Teewasser auf und gab je einen halbe Teelöffel von den Kräutern in die Gläser. Dann holte sie ein kleines Fläschchen aus dem Küchenschrank und gab den Inhalt in eines der beiden Gläser. Dann goß sie Wasser auf. In das Teeglas mit dem roten Henkel gab sie zwei Stück Würfelzucker.
Es hatte sie viele Mühen gekostet, aus den gesammelten Kräutern eine Essenz zu machen. Denn selbst wenn sie an der Uni als Chemikerin arbeitete, konnte man bestimmte Dinge nicht so einfach verbergen. Aber da sie oft nachts noch im Labor stand, hatte niemand Verdacht geschöpft. Die Flasche warf sie in den Mülleimer.
„Jana, ich bring nur ganz schnell den Müll weg. Die Abfälle stinken ja erbärmlich.“
Sie wollte auf Nummer sicher gehen. Niemand durfte das Essenzfläschchen finden – hinterher.
Als sie wieder in die Wohnung kam, brachte Jana gerade die Gläser ins Wohnzimmer.
„Das mit dem roten Henkel ist für dich. Ich hab schon Zucker hinein getan. Du weißt doch, ich trink immer ohne.“
Eine Weile saßen sie noch da und unterhielten sich über alles mögliche.
Komisch, daß sie gar nicht fragt, was ich ihr da für Kräuter gesammelt habe., ging es Julia durch den Kopf.
„Wollen wir?“, fragte Jana. „Ich bin schon ganz auf die Wirkung gespannt.“
Ja, das kannst du auch sein. Julia lächelte.
Sie stießen an und tranken. Erst einen Schluck, dann mehrere, schließlich das ganze Glas, denn der Tee war nicht mehr heiß.
Kurz darauf begann es. Beide wurden unruhig, die Hände fingen an zu zittern, dann der ganze Körper. Julia bemerkte erste Lähmungserscheinungen, sie sabberte.
„Julia, verdammt, was hast du uns da gebraut?“, schrie Jana, deren Symptome bei weitem schwächer waren.
Mit großer Mühe stammelte Julia: „Gefleckter Schierling“ und verzog den Mund zu einem Grinsen.
„Scheiße, der ist giftig! Verdammt giftig! Du als Chemikerin solltest das wissen.“
Jana stockte als sie Julia weiter grinsen sah.
„Verdammt, was hast du getan? Du bist ja verrückt! Ich ruf den Notarzt.“ Sie schleppte sich zum Telefon.
Julia flüsterte: „Keine Angst, DU wirst es überleben. Nur mich bist du jetzt endlich los, ich werde dich nicht mehr nerven. Aber man wird dir die Schuld geben. Dir allein, denn du bist hier die Drogentante, das weiß jeder.“
Dann blieb ihr die Luft weg. Es war ein beschissener Tod, aber sie hatte ihre Rache gehabt und sie starb glücklich darüber.