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The Dog is not under control
In Lodz, einer Stadt im tiefsten Polen, gibt es über 8000 Brieftaubenzüchter, die in wiederum 42 eingetragenen Vereinen registriert sind.
Der allgemeine Taubenzüchter hat einen großen Taubenschlag mit mehreren hundert Tauben.
Die besten Tauben dürfen bei Wettkämpfen gegeneinander antreten. Sie werden dann in ferne Länder verschifft und dort zu tausenden freigelassen. Die Taube, die zuerst ihren heimatlichen Taubenschlag erreicht, ehrt ihren Besitzer mit einem Sieg.
Einige Vereine treffen sich wöchentlich, dann werden die besten Tauben vorgestellt, die Sieger prämiert und später wird meist wild über die Herrlichkeit der Brieftaubenwelt diskutiert. Diese Treffen finden in der Regel jede Woche vor einem anderen Taubenschlag eines Mitgliedes statt.
Dichte Nebel lagen über Lodz. Ich stand vor der Tür einer alten Lagerhalle am Stadtrand von Lodz mitten in einem grauen Gewerbegebiet. Die Hallen des Gewerbegebietes stammen noch aus Zeiten, da es in Polen schwere Industrie gab. Jetzt gab es verschiedene kleine Firmen in den Hallen, die dies und das vertrieben. Mein Kumpel K. hatte sich in eine kleine Hydraulikfirma eingekauft, er besorgte Hydraulikbauteile in Deutschland, die es in Polen nicht gab und verkaufte sie an die Großindustriellen in Lodz weiter. Bis vor ein paar Jahren war das ein lukratives Geschäft, doch die Märkte wurden dichter und die Polen schlauer.
Mein Kumpel bat mich ihn nach Polen zu begleiten, er führte harte Vertragsverhandlungen mit Großindustriellen, in denen es um seinen Kopf ging. Ich sollte ihn mental ein wenig einhüllen. Denn kaum fuhr man über die Polnische Grenze, befiel einem die düstere Melancholie des Ostens, die über allem hier lag. Er wollte einfach einen Begleiter haben und ich konnte es ja fast als Urlaub betrachten. Jeden morgen fuhren wir von unserem Hotel, das außerhalb von Lodz lag, in die Stadt hinein. Wir fuhren einen schwarzen Siebener BMW, der wie ein Schlachtschiff über die schlechten Straßen rauschte. Aus den Lautsprechern brüllte Motorhead. Wir fuhren vorbei an Hütten aus Blech gezimmert, in denen Menschen lebten, vorbei am Arbeitsamt, vor dem schon früh am morgen tausende graue Gestalten standen, vorbei an bunten Einkaufsstraßen. In Lodz ist nichts weiß oder schwarz. Es gibt nur grell oder grau, nur Armut und Reichtum, eine Welt der farblichen Widersprüche, die sich bohrend in unsere Herzen fraß.
„Da bist du ja endlich“, stöhnte ich als K. aus der Halle kam.
„Ja, ja hier bin ich, komm lass uns gehen, die ganze Scheiße bringt doch nichts“, stöhnte er zurück und schmiss sich seine dicke, schwarze Lederjacke über. An seinen zerwühlten Haaren und der Abwesendheit in seine Augen konnte ich erkennen, wie die Verhandlungen liefen.
„Was ist los mein K., das wird schon, lass uns erst mal etwas essen gehen“, sagte ich zu ihm.
Wir gingen die Straße hinauf, die zum kleinen Einkaufszentrum führte.
Die Kopfsteinpflasterstraße war leer. Am Rand der Straße standen graue Häuser, von denen der Putz bröckelte. Vor den Fenstern hangen schwere Gardinen.
K. begann zu erzählen, wie ihn die Großindustriellen zu erpressen versuchten und wie sehr er in die Enge getrieben wurde.
In der Ferne hörte ich einen Hund bellen und wild knurren, konnte aber nichts entdecken.
K. erzählte und erzählte, er regte sich maßlos über die Vertragsverhandlungen auf.
„Alles wird kaputt gemacht, die Großen an die Macht und zurück bleibt nur zerschlagenes grau, so ist es doch“, sagte K.
Wir wechselten die Straßenseite, an den Fußgängerweg grenzte eine lange Mauer.
Plötzlich hörte ich einen Mann schimpfen, er brüllte irgendetwas auf polnisch.
Ich verstand kein Wort, aber es klang bedrohlich. Mir wurde unwohl, die Nebel lagen tiefer als sonst. K. bekam von dies allem nichts mit, er schimpfte noch immer wild vor sich hin und beschuldigte die halbe Welt als Übeltäter, seine Umwelt vergaß er dabei.
Die Schreie des Mannes zerschnitten erneut die feuchte Luft. Ich schaute mich aufmerksam in alle Richtungen um, ich konnte nicht ausmachen, woher die Stimme kam. Am Rand der Straße stand ein ausgebranntes Wrack und meine innerliche Spannung wurde unerträglich.
„K.“, sagte ich: „hier stimmt was nicht“. „Da hast du recht“, sagte er und schimpfte: „ hier stimmt was nicht, aber gewaltig, alles müssen sie kaputt machen“ .
Der will mich gar nicht verstehen, dachte ich und musterte noch immer die Umgebung. Plötzlich sah ich die Quelle der Schreie.
Etwa hundert Meter vor uns sprang ein Mann wild hin und her. Er hatte einen großen Hund an der Leine, der ihn, so weit ich es erkennen konnte, angriff.
„K.“, schrie ich: „schau da vorn der Mann hat seinen Hund nicht mehr unter Kontrolle, der bricht ihm durch“.
„Das passiert“, sagte K. und schaute nun auch nach vorn.
Der Mann prügelte mit einen Stock auf den Hund ein und der Hund versuchte mit ärgster Gewalt nach dem Mann zu schnappen. Wild fluchte der Mann und gleichauf brüllte er schmerzverzerrt, als der Hund an seinem Oberschenkel hang und sich verbiss. Der Mann schmiss die Leine davon und prügelte mit voller Gewalt auf den Schädel des Hundes ein. Mit der Faust schlug er in den Leib des Hundes, der plötzlich seinen zermalmenden Biss löste, mit blitzschnellen Blicken seine Umwelt registrierte und dann auf uns zugerannt kam.
Mit kräftigen, großen Sprüngen näherte sich der Hund, die Leine schleifte über den dunklen Sand. Ich hatte keine Zeit mehr, um Angst zu haben. Ich sprang an die Mauer und hangelte mich an ihr hoch. K. stand verdutzt da und wusste anscheinend nicht. was er tun sollte. „K“, schrie ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Der Hund war noch gute zehn Meter entfernt. Aus seinen Augen sprühte aufgepeitschter Hass.
K. griff nach meiner Hand und klettert im letzten Augenblick auf die Mauer. Der Hund sprang hoch und verfehlte nur knapp K.`s Fuß.
Wir drehten uns in aller Hast um und sprangen auf den Hof, auf die andere Seite der Mauer.
Wir zitterten am ganzen Körper und bestimmt fünfzig Männer starrten uns an.
Alte Männer mit stoppeligen, grauen Bärten, in blauen Arbeitsanzügen und qualmenden Zigarren im Mund. Sie standen wie schockgefroren da, als wenn gerade noch reges Treiben die Gruppe beherrschte. Einige hielten kleine Tauben in ihren großen, groben Händen.
Die Männer schauten uns fragend an. Da ich kein Polnisch konnte, schrie ich: „ The dog ist not under control“. Die Männer schauten uns noch immer fragend an. Da standen wir nun in unseren schwarzen, schweren Lederjacken und feinem Stoff an den Gliedern. „The Dog is not under control“, schrie ich weiter unbeholfen. Die Männer fingen an zu nicken.
Dann brüllte einer laut: „takie dwa nie sa moje“ und alle brachen in ein schallendes Gelächter aus. Sie lachten noch eine Weile, dann drehten sie sich um und beachteten uns nicht mehr.
Es wurden Tauben vorgezeigt, Pokale verliehen und jede Menge erzählt.
K. übersetzte mir später den Satz, den der alte Pole laut verkündete.
„Also mir gehören die beiden fetten Tauben nicht!“