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The Deal
Kapitel 1
Ich schätze, eins habe ich nach all den Jahren an der Highschool gelernt: Den Matheunterricht von Mr. Harper konnte man mit der Hölle vergleichen. Mr. Harper war ein Typ mittleren Alters, von dem ich glaube, dass seine Laune davon abhängt, wie er sich momentan mit seiner Frau versteht. Es gibt durchaus Tage, an denen er bestens gelaunt ist und uns den Unterrichtsstoff mit einem Lächeln im Gesicht zu erklären versucht. Doch diese Tage wiegen keinesfalls die schlechten Tage auf. So wie heute einer von diesen ist. Also sitzen wir alle zitternd und panisch im Unterricht, in der Hoffnung, so klein zu sein, dass Mr. Harper uns übersieht und nicht drannimmt, denn egal, was wir sagen, es ist nie das, was er hören will.
,,Wie wäre es, wenn ihr mir ein paar Beispiele für die Gleichungen nennen würdet?", sagt Mr. Harper und blickt in die Runde. Ich schwöre, ich höre in diesem stillen Raum all unsere Herzen schlagen. Dass der Idiot von Lehrer seine blöde Frage überhaupt so klingen lässt, als würde ein Kellner fragen, ob man vielleicht mehr Parmesan haben möchte. Der hat sie doch nicht mehr alle. Schwer atmend versuche ich mich in meinem Stuhl winzig klein zu machen und bete zu Gott, mich einfach unsichtbar zu machen und von dem Elend hier zu erlösen. Als Mr. Harper bemerkt, dass sich niemand meldet, kneift er wütend die Augen zusammen. Dann schaut er jeden von uns an, als würde ein Löwe seine Beute auswählen. Und dann fixiert er mich. Oh verdammt. Ich bin zum Opfer gewählt worden.
,,Andy.", verkündet er gefühllos. Augenblicklich rutscht mir mein Herz in die Hose. Was ist nochmal die Frage?
,,Ähm.", bringe ich heraus, doch bevor ich weiterreden kann, ertönt ein Ton aus den Lautsprechern, um zu signalisieren, dass gleich eine Meldung kommt. Gott sei dank. Erleichtert atme ich aus.
,,Andrea Davis bitte umgehend zum Direktor.", ertönt es aus den Lautsprechern und meine Erleichterung verfliegt sofort. Laut beginnt es in meinen Ohren zu rauschen, sodass ich nichts mehr höre. Mein Magen dreht sich gefühlt um 180 Grad. Panisch schaue ich meinen Lehrer an.
,,Nochmal Glück gehabt.", murmelt er und macht eine Handbewegung zur Tür. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und gehe aus dem Klassenraum, ohne irgendeinen meiner Mitschüler anzuschauen, obwohl ich weiß, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Mein Herz klopft wie wild, als ich den schmalen Schulflur hinunter gehe, auf dem ich keiner einzigen Person begegne. Am Büro des Direktors zögere ich. Ich will da nicht rein. Ich meine, man will viele Dinge im Leben nicht tun, aber ich will da wirklich wirklich nicht rein. Ich kann mir nichts vorstellen, was der Direktor mit mir zu bereden hätte. Ich bin brav, habe gute Noten, halte mich an Regeln. Wieso will er mit mir sprechen? Vielleicht ist das irgendein Streich und vielleicht wurde ich in irgendwas hineingezogen, obwohl ich unschuldig bin. Vielleicht kriege ich Ärger. Oh Gott! Ich kann mir keinen Ärger leisten. Ich kann mir wirklich keinen Ärger leisten. Wenn ich auch nur einen schlechten Eintrag in die Schulakte bekomme, sind meine Chancen für die University for Medicine of Chicago dahin. Seufzend lehne ich mich an die Schließfächer. Ich kann da nicht reingehen. Ich traue mich einfach nicht.
,,Bleibst du hier oder gehst du auch mal rein?" Erschrocken schaue ich hoch und erblicke Tyler Ferris, der mich abschätzig von oben bis unten mustert. Die Hände in den Hosentaschen seiner dunkelgrauen Jeans vergraben, zieht er seine Augenbrauen hoch, als sein Blick wieder auf meinem Gesicht landet.
,,Äh, was?", frage ich verwirrt. Was interessiert es Tyler Ferris, ob ich ins Büro des Direktors gehe? Es ist das erste mal, dass Tyler mich überhaupt seines Blickes würdigt. Genervt verdreht er die Augen und klopft an die Tür. Warum zur Hölle klopft er an die Tür des Direktors? Schnell wird die Tür geöffnet und der Direktor tritt heraus. Ich war so schon eingeschüchtert, aber jetzt fühle ich mich endgültig unwohl.
,,Tyler, Andrea. Kommt doch herein.", begrüßt er uns lächelnd. Warum bittet der Direktor Tyler Ferris und mich in sein Büro? Was genau passiert hier bitte? Der Direktor verschwindet wieder im Raum und als ich mich vor Verwirrung kein Stück rühre, verdreht Tyler wieder genervt die Augen, packt mich sanft am Handgelenk und zieht mich ins Büro.
Tja, im Büro des Direktors zu sein, macht das ganze auch nicht besser. Meine Beine fühlen sich komisch an, als hätte ich keine Macht mehr über sie. Das Büro ist relativ groß. Hinter dem Schreibtisch ist ein riesiges Fenster, das viel Licht reinlässt. Es gibt viele Regale und Aktenschränke, doch was mir am meisten auffällt, ist ein Mann, der vor dem Schreibtisch sitzt. Er trägt einen Anzug und lächelt mir vornehm zu. Verwirrt schaue ich den Direktor an.
,,Setzt euch doch bitte.", sagt dieser. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, meine Beine zu bewegen, doch in ein paar Sekunden sitze ich neben dem Mann im Anzug und Tyler sitzt links neben mir. Nervös kratze ich an meinem Nagellack herum. Ich weiß nicht, was hier los ist, und habe verdammt noch mal Angst, es herauszufinden.
,,Also", setzt der Direktor an ,,Andrea, ich möchte dir gerne Mr. Ferris vorstellen." Er macht eine Handbewegung und deutet so auf den Mann im Anzug neben mir. Moment mal. Mr. Ferris? Heißt das, er ist Tylers Vater? Okay, nun bin ich vollkommen verwirrt. Was zur Hölle ist hier los?
Tylers vielleicht Vater streckt mir die Hand entgegen und lächelt mich höflich an.
,,Es freut mich, dich kennenzulernen, Andrea.", sagt er.
,,Äh, bitte nennen Sie mich doch Andy.", erwidere ich genauso höflich, auch wenn ich vollkommen verwirrt bin. Er nickt kurz und dann wende ich mich dem Direktor zu.
,,Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, was hier los ist, Mr. Brenner.", sage ich und wende mich somit an den Direktor. Er lacht kurz und auch Mr. Ferris schmunzelt. Nur Tyler bleibt genervt und verzieht seine Miene kein einziges Mal. Ich runzle die Stirn und bedenke Tyler mit einem fragenden Blick. Er scheint zu wissen, was hier vor sich geht.
,,Wirst du gleich erfahren.", sagt er sarkastisch und holt sein Handy heraus. Er tippt kurz eine Nachricht und schaut dann wieder zu mir. ,,Was?", bellt er mich an. Ich will gerade zu einer zickigen Antwort ansetzen, als Mr. Ferris mich unterbricht. Nun bin ich sicher, dass er Tylers Vater ist.
,,Sei gefälligst nett, Tyler." Tyler scheint der drohende Ton nicht zu kümmern, denn er grinst nur belustigt. Langsam schaue ich wieder Mr. Brenner an.
,,Hab ich irgendetwas gemacht?", frage ich leicht nervös. Ein anderer Grund für meinen Aufenthalt fällt mir einfach nicht ein.
,,Oh nein.", lacht er. ,,Keinesfalls. Hier geht es eher um eine Vereinbarung, die Mr. Ferris mit dir treffen möchte."
,,Vereinbarung?", antworte ich verwirrt und einen Ticken zu laut. Tyler lacht neben mir, doch ich traue mich nicht, ihn anzuschauen. ,,Ich verstehe nicht, was Sie meinen."
,,Und ihr habt gesagt, sie sei schlau.", murmelt Tyler belustigt. Dieser Blödmann! Was wagt der Typ, mich hier einfach zu beleidigen?
,,Wenigstens komme ich nicht nur weiter, weil mein Daddy ein Sponsor der Schule ist.", sage ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und funkle ihn an. Er geht mir sowas von auf die Nerven mit seinem Möchtegern coolen Gehabe.
,,Wenigstens habe ich einen Daddy.", schießt er zurück und lehnt sich vor, um meine Reaktion ganz genau zu beobachten. Sofort erstarre ich und mir schießen Tränen in die Augen.
,,Tyler!", ermahnt ihn sein Vater laut, doch ich höre ihn nur gedämpft, weil das Blut viel zu laut in meinen Ohren rauscht. Meine Sicht verschwimmt und ich stehe auf.
,,Es ist mir egal, was das für eine Vereinbarung ist. Ich lehne ab.", murmele ich und verlasse schnell den Raum. Ich höre noch, wie Mr. Brenner und Mr. Ferris irgendetwas sagen, aber ich bin so durcheinander, dass ich den Sinn der Worte nicht verstehe. Schnell laufe ich ins Mädchenklo und betrachte mich dort im Spiegel. Meine Augen sind etwas gerötet, aber nur ein paar Tränen sind meinem Augenwinkel entwischt, die ich schnell wegwische. Ich spritze mir kurz kaltes Wasser ins Gesicht und verlasse das Mädchenklo. Beinahe stoße ich mit Mr. Ferris zusammen.
,,Tut mir leid.", sage ich schnell. ,,Ich hätte nicht so gemein reagieren sollen. Das, was ich gesagt habe, meinte ich nicht so."
,,Ich weiß.", sagt er und lächelt leicht. ,,Ich bin nicht hier, um dir Vorwürfe zu machen. Ich weiß, wie provozierend Tyler sein kann. Ich würde allerdings gerne noch einmal mit dir über die Vereinbarung reden." Ich nicke und bedeute ihm so weiterzureden. ,,Wie du vielleicht weißt, bin ich Hauptsponsor der University for Medicine of Chicago." Oh ja, das weiß ich. Ich kenne jeden einzelnen Sponsor und Dozent. Sogar das verdammte Baujahr. ,,Und ich weiß, dass du gerne auf diese Uni gehen würdest. Diese Information habe ich von Mr. Brenner. Du bist die Jahrgangsbeste und ich möchte dir ein Stipendium für die UMC anbieten." Sofort fällt meine Kinnlade zu Boden und ich reiße die Augen auf.
,,Was?", frage ich atemlos, aber überglücklich. Die UMC ist mein Traum. Die Chancen, diesen Traum zu verwirklichen, stehen eins zu eine Million. Allein, einen Platz zu kriegen, ist schwierig, von der Finanzierung ganz zu schweigen.
,,Ja, du hast richtig gehört. Ein Stipendium für die UMC. Allerdings verlange ich dafür eine Gegenleistung." Er atmet kurz durch und in dem Moment bleibt mein Herz stehen. ,,Als Gegenleistung möchte ich, dass du Tyler auf Veranstaltungen begleitest und dort seine Freundin spielst." Erneut fällt meine Kinnlade zu Boden. Diesmal ist die Überraschung allerdings keinesfalls schön. ,,Bevor du dich entscheidest, denk eine Nacht darüber nach. Hier ist meine Nummer. Ruf an, wenn du dich entschieden hast.", fügt er hinzu und gibt mir einen Zettel. Ich nicke und er lächelt mir noch kurz zu, bevor er verschwindet und mich perplex zurücklässt.
Wenige Minuten stehe ich bloß reglos dar und starre die Nummer auf dem Zettel an. Es ist das erste mal in meinem Leben, dass ich wirklich eine Chance auf die UMC habe. Plötzlich werde ich aus meiner Starre gerissen. Tyler drückt mich gegen ein Schließfach und funkelt mich wütend an, als ob er versuchen würde, mich mit seinem Blick zu töten.
,,Was zur Hölle..", krächze ich und ziehe die Augenbrauen zusammen. Tyler kommt mir mit seinem Oberkörper so nahe, dass ich nicht weiß, wo mein eigener Körper aufhört und das Schließfach beginnt.
,,Du wirst das Angebot nicht annehmen.", stößt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und klatscht mit seiner bloßen Hand auf das Schließfach neben meinem Kopf, was mich zusammenfahren lässt. Doch statt jetzt einzuknicken, werde ich wütend. Nicht nur weil er mir etwas vorschreibt, sondern auch wegen dem, was er über meinen Vater gesagt hat.
,,Oh nein, du Mistkerl! Mit mir kannst du sowas nicht machen!" Ich schleudere ihm die Worte regelrecht entgegen und schubse ihn mit einer Hand von mir weg. Er taumelt kurz, weil er diesen handgreiflichen Überfall nicht kommen sieht. Doch der verwirrte Ausdruck weicht sehr schnell von seinem Gesicht. Sofort kommt er wieder auf mich zu, sodass ich zurückweiche und wieder an den Schließfächern lehne, während er sich mit einer Hand abstützt und sein Gesicht direkt vor meines schiebt.
,,Wie hast du mich eben genannt?" Ich kann die Wut in seiner Stimme förmlich schmecken, versuche aber trotzdem, gelassen zu wirken. Auch wenn ich nicht umhin komme, als daran zu denken, dass unsere Lippen nur wenige Zentimeter von einander entfernt sind. Ich habe noch nie irgendwelche Erfahrungen mit Jungs gemacht. Geschweige denn meinen ersten Kuss gehabt. Da liegt es auf der Hand, dass ich nun verdammt nervös bin und mich unbehaglich fühle, weil er mir so nah ist. Besonders weil ich weiß, dass ich mich gerade in einer verdammt blöden Position befinde und Tyler mich unglaublich doll einschüchtert. Er schreckt vor Gewalt nicht zurück. Ich habe zwar noch nie gehört, dass er einem Mädchen etwas angetan hatte, außer ihr das Herz zu brechen, habe aber trotzdem viele Geschichten über Tyler gehört, in denen er dem einen oder anderen Jungen die Nase gebrochen hat.
Ich sammele all meine noch vorhandene Kraft und sage so ruhig, wie es eben geht:,,Einen Mistkerl." Eigentlich traut sich niemand, so mit Tyler zu reden. Aber weil er über meinen Vater geredet und mich zum weinen gebracht hat, bin ich gerade so wütend und angriffslustig, dass es mir vollkommen egal ist, welchen Ruf er hat und dass er mich leicht zusammenschlagen kann. So wie er es mit zahlreichen Jungs gemacht hat.
,,Für so eine kleine Person bist du ziemlich mutig. Und das ist kein Kompliment.", sagt er. Ich würde zwar gerne sagen, dass ich nicht klein bin, aber das sähe wahrscheinlich so aus, als würde ein Chihuahua einen Rottweiler anbellen. Er ist nämlich ein gutes Stück größer als ich und, da ich die Muskelmasse einer Erdnuss besitze, auch um einiges muskulöser. Weil mir kein geeigneter bissiger Kommentar einfällt, versuche ich vergeblich, ihn von mir weg zu drücken. Doch er lacht nur leise.
,,Ich sage es noch einmal. Du nimmst dieses Angebot nicht an. Sonst wirst du es bitter bereuen." Jetzt bedroht er mich! Er wagt es, mich zu bedrohen! Ich schiebe mein Gesicht noch einen Zentimeter näher, was mich viel Mut kostet, und schaue ihm direkt in die Augen, während ich sage:,,Ich werde es annehmen. Allein schon weil du es nicht willst." Bevor er etwas erwidern kann, klingelt es und Schüler stürmen aus den Klassenzimmern. Diese Ablenkung nutze ich, indem ich mich schnell unter seinem Arm durchschlängele und auf den Weg in den nächsten Kurs mache.
Kapitel 2
,,Ich nehme das Angebot an.", verkünde ich Mr. Ferris am Telefon.
,,Oh, wirklich? Ich hatte nicht erwartet, so früh von dir zu hören, Andy.", antwortet er überrascht.
,,Ich kann mich nun mal schnell entscheiden.", gebe ich schlicht zurück. Nach der Show, die Tyler abgezogen hat, bin ich mir sicher, dass ich das Angebot annehme. Nur weil er beliebt und angsteinflößend ist, kann er nicht erwarten, dass ihm alle wie Hunde gehorchen. Und das muss er lernen.
,,Das freut mich sehr. Wenn du möchtest, kannst du morgen nach der Schule mit Tyler zu uns nach Hause fahren. Dann besprechen wir alles."
,,Ja, das klingt gut." Eigentlich klingt es schrecklich. Aber ich habe nur ein Fahrrad und keine Ahnung, wo Tyler überhaupt wohnt.
,,Ich werde Tyler sagen, dass er auf dem Parkplatz auf dich warten soll. Wir sehen uns dann morgen, Andy." Und dann legt er auf. Tylers Gesicht morgen wird zum Anbeten aussehen. Wenn er erfährt, dass sich mal tatsächlich jemand gegen ihn gestellt hat, dann rastet der doch komplett aus. Ehrlich gesagt freue ich mich schon diesen Ausraster zu sehen. Er hats nicht anders verdient.
,,Du tust was?", schreit Bella und spuckt das Rührei aus, das ich eben gemacht habe. Na vielen Dank auch. Ich habe mir damit Mühe gegeben.
,,Hast mich schon verstanden.", erwidere ich und verdrehe dabei meine Augen. Ich nehme einen großen Schluck von meinem Orangensaft und schaue sie schmunzelnd an. Es ist 7:30 Uhr morgens und wir sitzen in meiner Küche und frühstücken, während ich sie auf den neuesten Stand bringe. Sagen wir, Bella ist ziemlich überrascht. Auch wenn das ziemlich untertrieben ist.
,,Du kannst Menschen wie Tyler doch gar nicht leiden. In deinen Worten bedeuten sie doch nur Ärger.", protestiert sie und reißt ihre blauen Augen dabei weit auf. Sie schüttelt vor Verwunderung so stark den Kopf, dass ihre blonden Haare um ihr Gesicht fliegen, bevor sie diese hinters Ohr streicht.
,,Aber ich kann die UMC leiden.", entgegne ich schulterzuckend und binde mir mein dunkles Haar zu einem unordentlichen Zopf.
,,Ist das nicht Prostitution?", neckt sie mich und zieht dabei die Augenbrauen hoch. Ich verschlucke mich an meinem Saft und brauche einen Moment, bis ich wieder atmen kann, ohne dass ich husten muss.
,,Ich habe keinen Sex mit ihm!"m schreie ich Bella förmlich entgegen.
,,Gott, das weiß ich doch.", lacht sie ,,Ich ziehe dich nur auf, Andy." Ich boxe sie in die Schulter, muss aber dennoch lachen.
,,Halt die Klappe! Wir müssen los."
Bevor wir rausgehen, schnappe ich mir noch schnell eine Jacke und schlüpfe in meine weißen Chucks. Ich bin sehr gespannt, wie der Tag verlaufen wird.
Tyler steht tatsächlich wie verabredet auf dem Parkplatz und lehnt lässig an seinem Motorrad.
Moment, Moment. Motorrad. Ich steige doch nicht auf ein Motorrad. Ich bin doch nicht lebensmüde.
,,Keine Chance.", sage ich zu Tyler, als ich bei ihm ankomme, und zeige auf sein Motorrad.
,,Oh, du willst also nicht mitfahren? Von mir aus. Ich teile meinem Vater liebend gerne mit, dass du es dir anders überlegt hast.", erwidert er, zieht dabei provozierend die Augenbrauen hoch. Ich kaue kurz auf meiner Unterlippe herum und wiege meine Möglichkeiten ab. Jedenfalls bis mir bewusst wird, dass ich keine anderen habe. Also seufze ich und gebe nach.
,,Na schön. Aber wie sollen wir denn da zusammen mit fahren? Du hast nur einen Helm.", bemerke ich verwirrt. Er verdreht die Augen und wirft mir den Helm zu. Er landet unsanft an meinem Bauch, aber ich kann ihn noch halten.
,,Was ist mit dir? Du kannst nicht ohne Helm fahren." Ich bin mir zwar bewusst, dass ich mich anhöre wie eine Mutter, aber es ist nur zu seinem Besten. Man sollte wirklich nicht ohne Helm auf dem Motorrad fahren. Das kann ganz schnell mies enden. Und zwar sehr mies.
,,Machst du dir etwa Sorgen um mich?", schmunzelt er und zeigt dabei ganz wunderbare Grübchen, die sein Gesicht sofort nicht mehr ganz so angsteinflößend erscheinen lassen.
,,Nein, aber ohne dich kriege ich mein Stipendium nicht, also solltest du möglichst überleben.", sage ich mit viel Scherz in der Stimme. Er rollt lachend die Augen und setzt sich auf das Motorrad. Ich stehe daneben wie eine Idiotin, bis ihm auffällt, dass ich noch nie auf so einem Ding gefahren bin. Also setzt er mir den Helm auf und zeigt mir, wie ich mich hinsetzen muss. Ich bin ziemlich froh, dass ich kein Kleid anhabe, denn damit würde das etwas komplizierter werden. Als er sanft meine Hände nimmt und um seinen Bauch schlingt, überkommt mich ein wohliges Kribbeln, weil wir uns so nahe sind. Schnell verwerfe ich den Gedanken wieder, als ich daran denke, mit wem ich es hier zu tun habe.
,,Halt dich gut fest, Prinzessin." Bevor ich wegen dieses Kosenamens eine bissige Bemerkung abgeben kann, fährt er los und sofort bleibt mein Herz stehen. Ich dachte ja eigentlich, er würde langsam und vorsichtig fahren, weil er weiß, dass ich Angst habe, aber Pustekuchen! Er fährt mit so einer hohen Geschwindigkeit, dass ich selbst im Auto kurz vorm Kollabieren gewesen wäre.
In dem Moment, als wir anhalten, haue ich ihm mit voller Wucht auf den Rücken und springe vom Motorrad. Ich habe jetzt wahrscheinlich ein Trauma fürs Leben.
,,Du Idiot!", schreie ich ihn an und ziehe dabei den Helm aus, den ich ihm dann auch entgegenwerfe. ,,Konntest du nicht langsamer fahren?" Er beginnt schallend zu lachen, was mich noch viel wütender macht, weil es zeigt, dass ihn nicht interessiert, was ich sage.
,,Allein weil es dich stört, bin ich so schnell gefahren.", antwortet er und imitiert so meine Worte.
,,Du hättest dich umbringen können!", protestiere ich.
,,Du machst dir also doch Sorgen um mich.", schmunzelt er.
,,Fahr doch zur Hölle. Mit derselben Geschwindigkeit.", gebe ich bissig zurück und beginne dann, mich umzuschauen. Wir sind in einer Art riesiger Einfahrt, die aber nichts zu dem Haus ist. Es ist ein großes graues Gebäude, das aussieht, als wenn es mehr wert sein würde als mein Leben.
,,Wow." hauche ich. Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken verschwenden kann, tritt eine Frau mit einem eleganten Dutt und Stöckelschuhen auf die Veranda. Sofort lächelt sie mich an.
,,Du musst Andrea sein.", sagt sie begeistert und drückt mich kurz. ,,Noch schöner, als ich erwartet habe."
,,Äh. Danke. Aber nennen Sie mich einfach Andy. Das wäre mir lieber.", stottere ich. Ich bin total überfordert von ihrem perfekten Aussehen. Sie sieht aus, als wäre sie darauf vorbereitet jeden Moment auf eine Charity Veranstaltung zu gehen. Ich meine.. Wow!
,,Ihr beide gebt wirklich ein wundervolles Paar ab. Ihr passt perfekt zusammen. Fast wie aus einem Märchenbuch.", schwärmt sie und geht voraus in die Küche.
,,Oh, wir sind kein..", beginne ich, aber sie unterbricht mich.
,,Ich weiß, Schätzchen. Ach ja, ich bin übrigens Tylers Mutter. Du kannst mich Darlene nennen.", erwidert sie freundlich und bedeutet mir, mich an den Tisch zu setzen. ,,Dan wird gleich hier sein. Er telefoniert noch mit jemandem aus der Firma."
,,Typisch.", murmelt Tyler und nimmt sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Etwas gereizt ziehe ich meine dunklen Augenbrauen zusammen. Mich wundert es, dass Tyler genervt davon ist, dass sein Vater arbeitet. Er kann doch froh sein, dass seine Eltern so viel arbeiten, um ihm eine bestmögliche Zukunft zu bieten. Nicht jeder hat diesen Luxus.
,,Nimms ihm nicht übel, Schätzchen.", trällert Darlene, während sie sich zu mir setzt. Tyler verdreht nur die Augen, setzt sich dann ebenfalls an den dunklen Holztisch. Ich wette, dieser Tisch hat mehr gekostet als unserer kleines Haus.
,,Möchtest du etwas trinken oder essen, Andrea?", fragt Darlene, doch bevor ich etwas sagen kann, korrigiert sie sich:,,Andy. Meinte ich natürlich. Entschuldige.'' Unwillkürlich fange ich an zu grinsen. Ich hätte nie gedacht, dass Tylers Mutter eine so liebenswürdige Persönlichkeit ist. Ich dachte, sie wäre spießig und voller Vorurteile. Allerdings stellt sich heraus, dass ich diejenige mit den Vorurteilen bin. Ups.
,,Nein danke, Darlene. Machen Sie sich bitte keine Umstände.", erwidere ich höflich und lehne mich etwas ungeduldig zurück. Ich wollte das hier so schnell wie möglich hinter mich bringen. Plötzlich kommt Tylers Vater ins Zimmer und setzt sich genervt zu uns.
,,Probleme in der Firma?", fragt ihn seine Frau mit gerunzelter Stirn.
,,Ja.", antwortet er und atmet schwer aus ,,Muss da gleich wieder hin." Dann wendet er sich an mich und sagt lächelnd:,,Andy! Es tut mir leid, dass ich dich warten gelassen habe. Also, lasst uns die Dinge hier schnell hinter uns bringen." Das ist mir recht. ''Du wirst in der nächsten Zeit auf Geschäftsessen und ähnlichem so tun, als wärst du Tylers Freundin. Deine Aufgabe ist es einfach aufzupassen, dass Tyler nicht negativ auffällt und ihn im Notfall zu bremsen." Er bedenkt Tyler mit einem warnenden Blick und spricht dann weiter. ,,Selbstverständlich muss das ganze authentisch wirken, also müsst ihr in der Freizeit möglichst viel Zeit miteinander verbringen, damit ihr euch auf einander einstellen könnt. Die Veranstaltungen sind meist jede ein bis zwei Wochen. Davor wird dir Tyler natürlich Bescheid geben und dir ein Kleid und Schuhe kaufen. Im Gegenzug dazu erhältst du ein Stipendium für die UMC, sowie einen Platz im besten Wohnheim der Universität. Kosten werden selbstverständlich von mir übernommen. Verstanden?" Ich schaue ihn nur mit leicht geöffnetem Mund an und versuche, ihm zu folgen und den Sinn hinter seinen Worten zu verstehen. Das war verdammt viel Information für diese kurze Zeit, in der er geredet hat. Ich nicke schnell.
,,Gut.", sagt er und lächelt. Dann gibt er seiner Frau einen Kuss auf die Wange und steht auf. ,,Dann solltet ihr am Besten heute einkaufen gehen. Morgen ist nämlich eine Spendengala der Firma. Geht in diesen Laden in der 21. Straße. Diamond. Der wird schöne Kleider haben. Selbstverständlich bezahle ich." Dann verabschiedet er sich und schon ist er weg. Puh, ging das schnell.
,,Komm.", sagt Tyler leise und stupst mich mit dem Ellbogen an. Ich nicke und stehe auf. Sofort umarmt mich Darlene.
,,Ich wünsche euch viel Spaß.", grinst sie und umarmt dann auch Tyler. Danach packt er mich direkt am Handgelenk und zieht mich nach draußen. Ich rufe ihr noch ein schnelles ,,Tschüss!" zu, bevor ich dann endgültig außer Hörweite bin.
Als wir wieder am Motorrad sind und Tyler mir den Helm reicht, fällt mir auf, dass ich noch einmal mit dem Motorrad fahren muss.
,,Kannst du diesmal langsamer fahren? Bitte?", frage ich zuckersüß.
Er schmunzelt belustigt, schaut mir tief in die Augen und sagt:,,Nö."
Ich fixiere ihn wütend und knurre:,,Du bist unmöglich."
Er lacht allerdings nur und schwingt sich auf sein Motorrad. Ungeschickt klettere ich ebenfalls da drauf und lege meine Hände fest um seinen Bauch, während ich näher an ihn heranrücke.
,,Da sucht wohl jemand meine Nähe, hm?", lacht er.
,,Halt die Klappe." Dann fährt er los und ganz ehrlich? Es fühlt sich an, als würde er diesmal noch viel schneller fahren, wenn das überhaupt möglich ist. Also klammere ich mich noch fester an ihn und schmiege meinen Oberkörper so sehr an ihn, sodass ich deutlich seine Körperwärme durch die Lederjacke fühlen kann.
,,Langsamer, du Idiot!"m schreie ich ihm entgegen. Ich kann sein Schmunzeln geradezu hören, als er aufs Gaspedal drückt.
,,Tyler!" Endlich fährt dieser Idiot langsamer, sodass ich mich einigermaßen entspannen kann. Jedenfalls den Umständen entsprechend.
Als wir vor dem Laden ankommen, springe ich runter vom Motorrad und schmeiße ihm den Helm entgegen. Das scheint zur Tradition zu werden. Er fängt den Helm. Schade.
,,Ich sagte, du sollst langsamer fahren." belle ich ihn an, sodass er in schallendes Gelächter ausbricht.
,,Bin ich doch dann! Ich hatte ja keine andere Wahl. Sonst hättest du mich zerquetscht."
,,Nie wieder.", knurre ich, auch wenn ich weiß, dass es gelogen ist. Schließlich muss ich irgendwie nach Hause kommen.
,,Komm schon, beweg deinen Arsch.", sagt er, klatscht mir dabei auf den Hintern und geht voraus in den Laden. Sofort spüre ich, wie mein Gesicht ganz heiß wird, folge ihm aber trotzdem in den Laden. Es ist komisch, in einem Laden zu sein, an dessen Tür Sicherheitspersonal steht. Im Laden glänzt alles und sofort kommt eine junge Verkäuferin auf uns zu. Allein deswegen weiß ich, dass mir schwindelig werden würde, wenn ich die Preise sehe. Ich fühle mich wirklich fehl am Platz.
,,Hallo, willkommen im Diamond. Was kann ich für Sie tun?", fragt sie höflich.
,,Meine Freundin braucht ein elegantes Outfit für eine Spendengala. Preis ist egal.", antwortet Tyler und reicht ihr eine schwarze Kreditkarte. Ich kann die Dollar Scheinchen förmlich in den Augen der Frau sehen. Würde ihr am liebsten eine scheuern. Keine Ahnung, wieso.
In den nächsten Minuten sucht die Frau gefühlt eine Milliarde Kleider raus und stellt sie Tyler vor. Der antwortet dann, ob sie passend seien oder aber nicht. Nun habe ich 10 Kleider in der Hand, mit denen uns die Frau in einen Raum mit einer Couch und ein paar Umkleidekabinen schickt. Als ich in der Umkleidekabine verschwinde, muss ich einmal tief durchatmen. Mir wird das alles jetzt schon zu viel. Dieser Laden, diese Kleider, so eine Veranstaltung. Das ist einfach nicht meine Welt. Aber ich muss das tun. Ich habe keine andere Wahl. Das Stipendium ist wichtig, meine Zukunft ist wichtig.
Die ersten drei Kleider, die ich anprobiere, passen mir nicht, sehen ungünstig aus oder sind einfach viel zu unbequem. Das vierte kriege ich alleine nicht an, weil ich den Reißverschluss nicht schließen kann.
,,Tyler? Kannst du mal die Verkäuferin holen? Ich kriege den Reißverschluss nicht alleine zu.", rufe ich ihm zu. Statt allerdings das zu tun, worum ich ihn gebeten habe, kommt er in die Umkleidekabine. Er stellt sich hinter mich und macht den Reißverschluss quälend langsam zu, während seine warmen Hände über meine Haut gleiten und eine Gänsehaut verursachen.
,,Danke.", flüstere ich.
,,Du siehst toll aus. Wir sollten das Kleid nehmen.", raunt er mir zu.
,,Okay.", flüstere ich wieder. Dann mustert er mich kurz im Spiegel und verlässt die Umkleidekabine wieder. Erst dann atme ich wieder.
Kapitel 3
,,Wow.", sagt Tyler, als ich auf ihn zukomme. Ich grinse und schaue an mir herunter. Es ist zwar nur ein schlichtes rosa Maxikleid, doch ich muss zugeben, dass es alle Problemzonen geschickt verdeckt und genau die richtigen Stellen betont. Für den Preis kann man auch nichts anderes erwarten.
,,Danke. Das wow kann ich allerdings nur zurückgeben.", lächele ich ihn an. Er sieht toll aus in seinem schwarzen Anzug. Augenblicklich fängt er an, selbstgefällig zu grinsen. Natürlich. Was auch sonst?
,,Dass du mich scharf findest, wusste ich schon immer." Ich verdrehe nur meine Augen und blicke hinter ihn. Dort steht ein schwarzer Wagen.
,,Heute mal nicht auf deinem Motorrad?", sage ich sarkastisch. Er lacht und öffnet mir die Beifahrerfür. Was ein Gentleman. Als ich mich reinsetze, geht er schnell um den Wagen herum und setzt sich ans Steuer.
,,Bereit?", fragt Tyler, als wir vor dem Eingang zu dem Saal, in dem die Spendengala stattfindet, ankommen.
,,Nein.", sage ich ehrlich. ,,Aber das tut nichts zur Sache." Und dann gehe ich rein, ohne auf Tyler zu achten. Ich weiß, ich muss das tun. Unwohlsein hin oder her. Der Saal ist voller Menschen mit teuren Kleidern und noch teurerem Champagner.
,,Na, wie fühlt es sich an?", raunt Tyler mir ins Ohr. Sofort läuft mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Gott, ich hasse die Wirkung, die seine Stimme auf mich hat.
,,Was meinst du?", raune ich zurück.
,,Zwischen all diesen perfekten Menschen zu sein, die sich selbst vormachen, das sei das Leben, was sie haben wollen? Die verstecken, wie kaputt und zerbrochen sie eigentlich sind?" Er hat recht. Das alles sieht so schön und teuer aus. Zu schön und zu teuer. Alles ist künstlich. Unecht.
,,Tun wir das nicht alle?", erwidere ich.
Dann kommen Tylers Eltern auf uns zu mit einem Typen, der in Tylers Alter scheint. Er sieht genauso perfekt aus, wie jeder andere in diesem Raum auch. Mir wird schlecht. Nachdem sie uns kurz begrüßen, stellen sie mich dem Typen vor und verschwinden wieder. Der Typ bleibt, er heißt Parker. Der Sohn von irgendeiner wichtigen Person.
,,Du bist also Tylers Freundin, Andy?", fragt er und grinst mich selbstgefällig an. Der Typ widert mich jetzt schon an. Ich nicke. ,,Warum genau lässt du dich mit einem Idioten wie Tyler ein? Willst du deinen Daddy bestrafen?"
,,Nimm das zurück.", knurrt Tyler. Ich versuche, mich zu beruhigen. Aber seit ich das Wort ,,Daddy" hörte, klingeln bei mir die Alarmglocken.
,,Oh bitte, Ty. Du willst sie doch nur knallen und dann abschieben, wie jede andere auch.", setzt Parker einen drauf. Und dann will Tyler auf ihn los gehen, aber schnell stelle ich mich zwischen die beiden und lege meine Hände auf seinen Brustkorb. Nun gut, das eskalierte schnell.
,,Tyler, beruhige dich. Er ist es nicht wert.", rede ich auf ihn ein, aber er scheint noch immer vor Wut zu glühen und mir nicht zuzuhören. ,,Tyler, hör mir zu. Er ist es nicht wert." Er schaut mich an und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht kurz Angst vor ihm habe. Er wirkt einfach so...wütend. Unkontrolliert wütend. Ich zucke kurz zurück, lasse mich aber nicht beirren.
,,Lass uns woanders hingehen.", flüstere ich. Er nickt, also packe ich ihn am Handgelenk und ziehe ihn in irgendeinen Flur, wo man die Musik nur noch gedämpft hört.
,,Ich hoffe, so wird nicht jede Veranstaltung laufen.", sage ich leise. Bevor ich den Satz auch nur zu Ende spreche, wirft Tyler ein:,,Es tut mir leid." Sofort reiße ich den Kopf herum und blicke ihn verwundert an.
,,Das muss es nicht. Er hat dich beleidigt. Du warst wütend. Das ist verständlich.", erkläre ich langsam. Er hat zwar etwas überreagiert, aber vielleicht hätte ich das ja auch.
,,Parker ist einfach so ein Idiot. Egal, was er sagt, es bringt mich zum Ausrasten.", sagt er viel zu laut und murmelt deshalb eine kurze Entschuldigung.
,,Genau deswegen bin ich ja da. Um dich zu beruhigen.", sage ich leise.
,,Ich brauche keinen Babysitter, Andy. Ich hätte das schon alleine geregelt.", antwortet er wütend. Ich weiß zwar, dass er wütend auf Parker ist und sicher auch auf seine Eltern, weil sie ihn zu so einer Veranstaltung zwingen. Doch das ist trotzdem kein plausibler Grund, seine Wut an mir auszulassen. Ich tue nur wie mir geheißen.
,,Das sehen deine Eltern anders. Wäre ich nicht da gewesen, hättest du mit Sicherheit etwas getan, was du später bereut hättest." Mit diesen Worten setze ich mich auf den Boden und strecke die Beine aus. Diese Unterhaltung ist anstrengend und nervenaufreibend.
,,Oh nein.", sagt er und setzt sich zu mir. ,,Ich hätte was getan, was ich für absolut richtig halte. Meine Eltern wären diejenigen, die bereut hätten, mich zu dieser Veranstaltung gezwungen zu haben."
,,Probleme kann man nicht mit Gewalt lösen, Tyler.", flüstere ich.
,,Selbstverständlich. Man kann sie nur mit Worten lösen und indem man den anderen ausreden lässt." sagt er sarkastisch, sodass ich unwillkürlich anfange zu lachen. ,,Was?", fragt er.
,,Ich frage mich nur, was zur Hölle ich hier eigentlich tue.", seufze ich.
,,Du sitzt mit mir auf einem unglaublich unbequemen Steinboden auf einer Spendengala und diskutierst darüber, wie man Probleme löst. Auf jeden Fall eine interessante Art, den Freitagabend zu verbringen.", erklärt er. Ich kichere leise.
Dann frage ich:,,Wie kommt es eigentlich, dass du jetzt plötzlich so nett zu mir bist? Du warst anfangs nicht unbedingt angetan von dem Vorschlag deines Vaters."
,,Ist eben so.", antwortet er schulterzuckend und schmunzelt mich an. Und dann reden wir noch darüber, was für ein Arsch Parker ist, und fahren nach Hause. Es gibt weder einen Abschiedskuss noch Händchen halten. Wir sind einfach nur zwei verschiedene Menschen mit verschiedenen Ansichten und gleichem Humor, die etwas mehr Zeit miteinander verbringen, als sie sollten. So ist das eben. Nichts besonderes. Keine böse Vorahnung. Nichts. Keinerlei Hinweise darauf, was noch folgen wird.
Kapitel 4
Den Rest des Wochenendes verbringe ich damit, für meine Biologie Prüfung am Montag zu büffeln. Auch wenn sich meine Gedanken weniger um Zellen und Erbsubstanzen sondern eher um Tyler drehen. Darüber wie witzig er sein kann und wie schnell man ihn bis zur puren Aggression provozieren kann. Er ist so undurchschaubar, dass es mich um den Verstand bringt. Dinge, die man nicht vorhersehen kann, machen mich nervös. Ich mag es, wenn alles so schön vorhersehbar ist. Wenn ich nicht überrascht werde, sondern vorbereitet bin. So ist das nun mal. Doch Tyler ist das komplette Gegenteil davon. Er lässt niemanden hinter seine harte Fassade blicken und so weiß man nie, was als nächstes folgen wird. Nervig.
,,Hey, Ma.", trällere ich, während ich mir einen Apfel aus dem Kühlschrank nehme und mich zu ihr an den winzigen Esstisch setze. Sie arbeitet an irgendeiner Liste mit Finanzen oder so was. Sie macht eben das, was eine Sekretärin so macht.
,,Na Schätzchen.", antwortet sie und setzt dabei ihre große Brille ab. Seufzend lehnt sie sich zurück und mustert mich. ,,Was hast du heute denn den ganzen Tag so getrieben?"
,,Gelernt.", antworte ich. ,,Schreibe morgen Bio."
,,Braves Mädchen.", lächelt sie. Dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Sie sieht plötzlich so traurig aus. Geknickt. Und das obwohl sie noch immer ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht trägt.
,,Wie lief es gestern eigentlich mit Tyler?", fragt sie.
Ich seufze kurz und beiße von meinem Apfel ab. ,,Gut.", sage ich mit vollem Mund. Ich versuche möglichst überzeugend zu klingen. ,,Ich meine, es war okay. Er scheint die Idee, mehr Zeit mit mir zu verbringen nicht mehr so schrecklich zu finden wie am Anfang."
Vorsichtig runzelt meine Mutter die Stirn. ,,Pass auf bei Jungs wie Tyler. Ich will nicht, dass du verletzt wirst. Ich meine, du musst das nicht machen. Du kommst sicher auch ohne die Hilfe von Tylers Vater in die Uni." Wir wissen beide, dass sie lügt. Sie sagt es, damit ich mich besser fühle. Damit ich weniger Druck habe, aber das ändert trotzdem nichts. Ohne die Hilfe von Tylers Vater stehen die Chancen miserabel, dass ich einen Platz an der UMC bekomme. Das ist kein Wunder. Das ist voraussehbar, wenn man an eine Elite-Universität will, obwohl man aus keiner angesehenen oder reichen Familie kommt.
,,Danke, Mum.", flüstere ich. Mit diesen Worten verlasse ich die winzig kleine Küche und gehe in mein Zimmer. Ich wiederhole meine Bio-Unterlagen noch einmal und gehe dann schlafen. Beziehungsweise versuche ich es. Doch mein Kopf ist mit jeder Menge 'was wäre wenn's gefüllt, was mich fast zum Ausrasten bringt.
Ich vergeige die Prüfung. Ich vergeige nie eine Prüfung, aber diese schon. Das macht mich einfach so unglaublich wütend, denn ich bin gut vorbereitet. Habe jedes Wissen im Kopf. Allerdings kann ich diese unterschiedlichen Informationsfetzen nicht zu einem ganzen Fetzen zusammensetzen, da ich mich nicht konzentrieren kann. Null. Und wer ist schuld? Tyler! Er ist in einem Kurs mit mir und schreibt die Prüfung somit auch. Alle zwei Sekunden muss ich ihn angucken und kann mich einfach nicht bremsen. Er lenkt mich ab, ohne irgendetwas zu machen. Er wirkt einfach so konzentriert, so klug. Das macht mich fertig. Ich bin eine Idiotin, ich weiß. Trotzdem starre ich ihn an und bearbeite die Aufgaben nur mit einer Konzentration von ungefähr 50%. Na gut, vielleicht auch 40%. Aber weniger keinesfalls! Das rede ich mir jedenfalls ein. Genervt gebe ich die Klausur ab, als ich keinen Sinn mehr darin sehe, sie mir durchzulesen, wenn ich sowieso nur Wörter und keine Zusammenhänge erkenne. Direkt nach mir kommt Tyler raus und blickt mich mit einem Grinsen an.
,,Was?", blaffe ich ihn an.
,,Du hast mich die ganze Zeit angestarrt.", stellt er fest und lehnt sich dann lässig an irgendein Schließfach.
,,Das stimmt doch gar nicht!", sage ich, als wäre es das erste mal, dass ich das Wort 'anstarren' höre. Er beginnt nur zu lachen und schüttelt dabei den Kopf.
,,Konntest du dich überhaupt auf die Klausur konzentrieren?"
,,Ja!" Auch wenn leugnen keinen Zweck hat, mache ich es trotzdem. Meiner Würde zu Liebe. Dann schüttele ich genervt den Kopf und verschwinde. Ich muss jetzt unbedingt nach Hause und mir selbst eine verpassen. 'Education first' war immer mein Motto. Immer. Das lasse ich mir nicht von einem idiotischen Schwachkopf wie Tyler wegnehmen. Ich muss den Kopf wieder klar kriegen und mich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Und keine dieser Dinge beinhaltet den Namen 'Tyler'.
Kapitel 5
,,Wie lief die Prüfung?", fragt meine Mutter, während wir zu Mittag essen. Ich antworte, indem ich irgendetwas Unverständliches brumme und weiter wütend in meinem Reis herumstochere. Nach diesem schrecklichen Tag bin ich wirklich nicht in der Stimmung, um über meine vergeigte Prüfung zu reden. Nun lässt sich das Ergebnis ja auch nicht mehr ändern. Das, was mich daran allerdings am meisten provoziert, ist der Grund für mein Konzentrationstief. Wäre es ein Grund wie zu wenig Schlaf oder weil ich für mehrere Prüfungen büffeln musste, wäre das was anderes. Aber eine Prüfung zu vergeigen, weil ich abgelenkt von einem Kerl war? Das ist unakzeptabel und dämlich.
Meine Mutter seufzt laut und steht dann auf. ,,Ich muss gleich zur Arbeit. Es wird spät."
Ich nicke und beachte sie nicht weiter. Sie beachtet mich aber auch nicht weiter, was ich allerdings ziemlich gut finde. Sie weiß, dass sie mich alleine lassen muss, wenn ich wütend bin. Dass ich mich so am besten abregen kann.
Nachdem ich mein Essen doch irgendwie runterwürge, lege ich mich mit meinen Hausaufgaben auf die Couch und lasse dabei den Fernseher laufen. Ich habe verdammt viele Hausaufgaben, was mich irgendwo glücklich macht, weil ich so eine Ablenkung habe.
,,Buh!", ruft jemand hinter mir. Sofort springe ich kreischend auf und lasse alle meine Schulsachen durch die Gegend fliegen. Dann drehe ich mich um und finde einen vor lachen fast weinenden Tyler.
,,Wie zur Hölle kommst du hier rein?", schreie ich und greife mir an mein schnell pochendes Herz. Ich würde mich zwar eigentlich nicht als schreckhaft beschreiben, aber solch eine gemeine Attacke, während ich denke, ich wäre allein und sicher, lässt selbst mich hochschrecken.
,,Die Tür war nicht abgeschlossen.", sagt er schulterzuckend und lässt sich dann auf die Couch fallen. Nicht nur dass er mich fast zu Tode erschrocken hat, er besitzt die Dreistigkeit, den Fernseher umzuschalten. ,,Warum schaust du so'n Scheiß?"
Seit wann ist Grey's Anatomy bitte 'so ein Scheiß'? Als er dann auf irgendeinen Sportkanal schaltet, brennen bei mir alle Sicherungen durch. Er hat mich erschrocken und ist quasi bei mir eingebrochen. Jetzt kann er nicht einfach so tun, als würde er hier wohnen.
,,Das reicht!", knurre ich und will ihm die Fernbedienung aus der Hand reißen. So ein Idiot wie er nun mal einer ist, nimmt er die Hand mit der Fernbedienung hinter seinen Rücken. Seufzend setzte ich mich auf die Couch und fixiere ihn. ,,Her mit der Fernbedienung."
,,Niemals.", flüstert er. Also werfe ich mich geradezu auf ihn und versuche, irgendwie an diese Fernbedienung ranzukommen. Durch diesen überraschenden Übergriff verliert Tyler das Gleichgewicht und fällt mit mir zusammen von der Couch. Ich auf ihm drauf. Da ich irritiert davon bin, wie nah wir uns doch sind und ich verdammt nochmal auf ihm drauf sitze, nutzt er diese Ablenkung und wirbelt uns einmal herum, sodass er oben ist. Ich keuche laut auf.
,,Leg dich nicht mit mir an, Kleines.", raunt er.
,,Geh runter von mir.", knurre ich. Das ist ja so unglaublich seltsam, dass ich dreimal nachdenken muss, ob das hier wirklich mein Leben ist und nicht etwa in irgendeiner Fernsehsendung passiert.
,,Woah, woah, woah!", höre ich eine belustigte Mädchenstimme. Neugierig verdrehe ich meinen Kopf und sehe Bella in der Tür stehen. Wieso zur Hölle weiß niemand, wie man die Klingel benutzt?
,,Bella, es ist nicht das, wonach es aussieht!", beschwichtige ich sie sofort. Das hier sieht definitiv aus wie etwas Sexuelles und nicht so, als würden wir uns um eine Fernbedienung streiten.
,,Bella, es ist genau das, wonach es aussieht.", schmunzelt Tyler und bleibt noch immer auf mir drauf. Kann dieser Elefant nicht mal von mir runter gehen? Bella beginnt zu kichern.
,,Rette mich, Bella.", fordere ich sie auf, aber sie macht keine Anstalten, auf uns zuzugehen.
,,Bist du sicher, dass du gerettet werden willst, Süße? Scheint, als hättest du hier was zu genießen.", lacht sie.
,,Oh und wie sie es genießt. Andy mag es, wenn man sie dominiert, weißt du?", erwidert Tyler.
,,Argh!", knurre ich und schlage mir die Hände aufs Gesicht, da ich fühle, wie es anfängt zu brennen.
,,Na schön, Prinzessin.", sagt Tyler und steht auf. Dann streckt er mir die Hand entgegen. ,,Hoch mit dir."
,,Prinzessin?", murmelt Bella belustigt. Ich verdrehe nur die Augen und ergreife Tylers Hand. Als er mich hochzieht, pralle ich direkt mit einer Hand voraus gegen seine muskulöse Brust.
,,Hey, Hey. Kein Fummeln vor deiner Freundin, Andy. Bitte hab Manieren.", tadelt Tyler, als hätte ich gerade sonst was gemacht.
,,Du bist so ein Idiot!", erwidere ich, während ich meine Faust gegen seine Schulter schlage.
,,Ihr seid ja so ein süßes Pärchen!", schwärmt Bella und klatscht in die Hände. Erschieß mich doch jemand, wenn ich wirklich mit einem Idioten wie Tyler zusammen wäre.
,,Wir sind kein Pärchen, Bella.", sage ich und lasse mich dabei auf die Couch fallen. Diese Prozedur war anstrengend und höchst unnötig.
,,Prinzessin, wie kannst du sowas nur sagen? Verleugne unsere Beziehung doch nicht.", sagt Tyler gekränkt, sodass ich nur die Augen verdrehen kann. Er ist ein Mensch, der nur zu gerne provoziert und den es amüsiert, wenn sich andere Menschen über ihn aufregen. Aber diese Genugtuung gebe ich ihm ganz bestimmt nicht. Also ignoriere ich ihn einfach und schaue Bella über die Schulter an.
,,Warum bist du hier, Bella?" Dann drehe ich mich zu Tyler und forme meine Augen zu Schlitzen. ,,Moment mal. Warum bist du überhaupt hier?" Und wieso kann keiner von den beiden meine Türklingel bedienen? Sie ist nicht zur Dekoration da. Tatsächlich darf man sie auch benutzen.
,,Ich wollte meine wundervolle Freundin besuchen.", grinst Tyler verschmitzt.
,,Und die Wahrheit?", gebe ich monoton zurück. Was mich aber gleichzeitig beruhigt und beunruhigt ist, dass er so nett zu mir ist. Er prahlt mit mir als seine Freundin herum und neckt mich, obwohl er anfangs lieber in Nägeln gebadet hätte, als mit mir Zeit zu verbringen. Das alles macht keinen Sinn. Aber ich beschließe, das ganze einfach nicht anzusprechen sondern einfach froh zu sein, dass er diese Zeit nicht zu der schlimmsten meines Lebens macht.
,,Mein Dad meinte, ich soll zu dir kommen und mit dir den Nachmittag verbringen." Mit diesem Satz lässt er sich neben mich auf die Couch fallen.
,,Wie romantisch.", gibt Bella ironisch von sich. Dann fügt sie hinzu:,, Ich wollte mir eigentlich nur deine Mathe Notizen abfotografieren. Du hättest sie mir zwar auch schicken können, aber du gehst ja nie an dein Handy. Obwohl ich dich schon mindestens drei mal angerufen habe." Ups. Tja, mein Handy liegt noch immer stumm geschaltet in meiner Schultasche. Wenn ich es nicht sehe, benutze ich es nicht. Komische Logik, aber was solls.
,,Die Mathe Sachen liegen irgendwo hier auf dem Boden.", bedeute ich gelangweilt.
,,Wieso?" Sie zieht ihre Augenbrauen zusammen und beginnt dann ein paar Mappen anzuschauen und wieder auf den Boden fallen zu lassen.
,,Tyler hat mich erschrocken.", sage ich, während ich Tyler wütend fixiere. Er zuckt nur mit den Schultern und widmet sich wieder dem Fernseher.
,,Du solltest wirklich anfangen an dein Handy zu gehen, Andy.", murmelt Bella und fotografiert währenddessen ein paar Seiten aus meiner Mappe ab. ,,Danke, Andy. Und viel Spaß euch noch. Vergesst nicht zu verhüten." sind ihre letzten Worte, bevor sie das Haus verlässt und mich mit Tyler allein lässt. Ich bin alleine mit Tyler Ferris bei mir zu Hause. Ich kenne keinen Satz, der so seltsam klingt wie dieser.
,,Und jetzt?", frage ich, um die Stille zu brechen. Für ihn ist die Stille wahrscheinlich nicht so unangenehm wie für mich, weil er so auf dieses Football Spiel konzentriert ist. Aber mir scheint diese Situation einfach zu seltsam, um sie so zu lassen.
,,Was meinst du?", antwortet er, ohne mich überhaupt anzublicken. So ein Idiot.
,,Was machen wir jetzt?" Im nächsten Moment hebt er die Fernbedienung auf, die irgendwie auf dem Fußboden gelandet ist, und schaltet den Fernseher aus.
,,Wir müssen uns kennenlernen.", entscheidet er. Dann dreht er sich mit seinem ganzen Oberkörper zu mir, sodass wir uns perfekt in die Augen schauen können. Das ist das erste mal, dass ich ihn wirklich konzentriert anschauen kann. Mir fällt erst jetzt auf, wie weiß seine Haut neben seinen dunklen Haaren, Augen und Augenbrauen scheint. Das lässt ihn so düster wirken. So gefährlich. Aber jetzt grinst er und jede Düsterheit verblasst. Es ist, als würde ein Feuer in seinen Augen zu leuchten beginnen und all seine harten Züge werden weich. Richtig seltsam. Aber schön. Es fühlt sich irgendwie wundervoll an, dass sich seine Erscheinung wegen mir ändert.
,,Na schön.", sage ich leise. ,,Frag mich, was immer du möchtest."
,,Lieblingstier?"
,,Vogel." Mein Lieblingstier war schon immer der Vogel. Hat sich nie verändert.
,,Wieso?", fragt er lachend. ,,Ich hätte Katzen oder Pandas erwartet. Aber Vögel?"
,,Ich weiß nicht. Für mich symbolisieren sie Freiheit und Anmut. Das hat mich schon immer fasziniert."
,,Okay, du bist dran."
,,Größte Angst?" Meine Stimme ist so leise und vorsichtig, dass ich selbst überrascht bin. Ich weiß zwar, dass so eine Frage gemein ist, aber sie interessiert mich. Würde ich gefragt werden, wer eine Person ohne Ängste sei, ich hätte Tylers Namen gesagt. Er ist immer so selbstbewusst, als wüsste er, dass er jedes Hindernis ohne Probleme meistern könnte. Das ist zwar bewundernswert, aber ich kaufe es ihm einfach nicht ab. Jeder hat Ängste. Ich habe Ängste. Auch wenn ich es nicht zugeben will.
,,Wow. Sie will mich direkt durchschauen." Ich nicke nur, warte, bis er weiterredet. Er atmet tief durch und antwortet dann:,,Nähe." Ich antworte nicht. Ich schaue ihn nur an und bin überrascht, wie ehrlich er ist. So eine Frage ist eine gute Möglichkeit, Witze zu reißen und mich zum Idioten zu machen, aber das macht er nicht. Er überwindet sich, antwortet ehrlich. Und es bricht mir das Herz. ,,Habe kein Mitleid mit mir, Andy. Mir geht's gut.", sagt er genervt.
,,Nein, ich..", rechtfertige ich mich. ,,Es ist nur so, dass das dein Verhalten erklärt. Wieso du.." Ich kriege nicht die Chance, meinen Satz zu beenden. Er unterbricht mich.
,,Hör auf.", brüllt er fast. Ich nicke leicht. ,,Mach das nicht, Andy. Versuch nicht, mich zu reparieren. Du verschwendest deine Zeit."
Ich bin eine Idiotin. Er öffnet sich mir und sagt, dass er Angst vor Nähe hat und ich Idiotin bedränge ihn. Versuche Motive hinter seinem Verhalten zu finden und analysiere ihn wie irgendeine Formel. Gott, ich bin so schlecht in sowas!
,,Tut mir leid. Machen wir weiter." Wir reden über nichts wirklich tiefgehendes mehr. Ich erfahre, dass sein Lieblingsessen Pizza ist, dass er ein Fan von den Ramones ist und dass er als kleiner Junge immer Zauberer werden wollte. Er erfährt, dass ich eine miserable Köchin bin, ich für Käse in jeglicher Art sterben würde und schon immer Ärztin werden wollte. Wir lernen uns kenne, ohne über Gefühle zu reden oder warum wir so sind, wie wir sind. Ich erzähle nichts über das erdrückende Gefühl, perfekt zu sein und alles in Ordnung zu bringen. Er erzählt nichts über die Mauer, die er um sein Herz gebaut hat und warum er so schnell wütend wird. Wir erzählen ohne zu erzählen und das ist okay.
Kapitel 6
Die Cafeteria unserer Schule serviert furchtbares Essen. Angewidert von dem Nudelsalat schiebe ich ihn weg und widme mich meinem Apfel und der Banane, die ich von zu Hause mitgebracht hatte.
,,Du und Ty also?" Bella nimmt noch einen Bissen von ihrem Sandwich. Ich wusste zwar nicht wann, aber ich wusste, dass sie dieses Thema ansprechen würde. Na, das wird jetzt ganz sicher angenehm.
,,Nein. Nicht ich und Ty. Wir sind nicht zusammen, Bella.", antworte ich etwas gereizt. Tyler und ich spielen Pärchen. Wir sind aber keins.
,,Weißt du, wie er dich anschaut?" Ich ziehe verwundert die Augenbrauen hoch. Er schaut mich auf eine Art an? Okay. ,,Als würde er dich mögen." Hah. Klar.
,,Halt die Klappe. Er mag mich nicht. Wir kommen einfach nur ganz gut miteinander klar. Aber mehr ist da nicht." Tyler hat sein Leben, ich habe meins. Da wird nicht sonderlich viel gemischt. Gerade was Gefühle angeht. Und so muss das auch sein. Ich habe eine Vereinbarung mit seinem Vater und dieser komme ich nach. Das wars.
,,Wie du meinst.", sagt Bella, aber ich merke deutlich, dass sie mir nicht glaubt. Sie spricht dieses Thema trotzdem nicht mehr an, also entspanne ich mich langsam. Ich bin nicht gut, was das Einschätzen anderer Menschen betrifft. Das war noch nie eine meiner Stärken. Ich bin in der Theorie gut, verstecke mich gerne hinter Büchern und Formeln. Weil sie voraussehbar sind. Durchschaubar. Tyler dagegen ist ein wandelndes Rätsel. Ihn einzuschätzen, ist, als würde man das Wetter für einen Ort schätzen, an dem man noch nie war. Die Chance, dass man richtig liegt, ist gering.
Das nächste mal, dass ich als Tylers Begleitung benötigt werde, ist anders. Bei der Spendengala musste ich nur anwesend sein, wurde aber nicht sonderlich beachtet. Jetzt aber sitzen wir in irgendeinem Restaurant. Es ist das erste mal, dass ich an einem Geschäftsessen teilnehme. Es macht mich nervös, aber Tyler hält durchgehend meine Hand und gibt mir ab und zu einen Kuss auf die Wange, um den Schein der Beziehung aufrecht zu erhalten. Was mir allerdings nicht gefällt ist, dass ich mich freue, wenn ich einen Kuss von ihm bekomme. Dass mein Bauch kribbelt, wenn er das tut. Dass es einen Effekt auf mich hat. Dass es mich nicht kalt lässt.
,,Ihr gebt wirklich ein hübsches Paar ab.", schwärmt eine Frau, dessen Namen ich längst vergessen habe. Ich glaube, der Name ist Britney. Oder Britanny. Oder ist es nur Brit? Keinen blassen Schimmer.
,,Danke.", antworte ich mit einem höflichen Lächeln, dass ich in der letzten Stunde perfektioniert habe. Wir essen irgendein Risotto, das irgendwie wie ein Stückchen Himmel schmeckt. Wir reden über die Schule, über meine Zukunft und über den Campus der UMC, da die Dame dort studiert hatte. Währenddessen unterhalten sich die Männer über Sport und irgendwas Geschäftliches. Aber eigentlich kommt es mir vor, dass ein Geschäftsessen nur eine Ausrede ist, um nett essen zu gehen. Das Pärchen ist den Eltern von Tyler sehr ähnlich. Der Mann scheint etwas gestresst und konzentriert. Die Frau dagegen ist offen und liebenswert. Interessante Mischung. Aber anscheinend funktioniert es.
Am Ende des Abends sitze ich mit Tyler auf den Stufen zu meinem Haus. Ich schaue ihn konzentriert an, studiere sein gesamtes Gesicht, während er mir versucht zu erklären, wie Football funktioniert. Ich verstehe kein Wort, aber er hat schöne Augen. Sie glitzern richtig, wenn er mit Leidenschaft über etwas spricht. Das ist unglaublich.
,,Du bist gar nicht so ein Arschloch, wie ich dachte.", haue ich raus, ohne darüber nachzudenken, was ich eigentlich sage.
,,Ach ja?", lacht er.
,,Du tust immer so, als wärst du arrogant und selbstverliebt. Das ist aber gelogen." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Für einen Moment muss ich sogar nachdenken, ob ich die Worte wirklich ausgesprochen und nicht nur gedacht habe.
Er atmet angestrengt aus. ,,Du tust es wieder."
,,Ja, ich..Tut mir leid." Ich kneife die Augen zusammen. Frage mich, wieso ich solche Momente immer zerstören muss. Da ist ein Abend gut gelaufen und ich gehe wieder zu weit und bedränge ihn. Ich bin eine Idiotin, weil ich trotzdem nicht aufhöre zu reden. ,,Warum hast du mich es eigentlich nicht bitter bereuen lassen?" Ich spielte auf seine Worte an dem Tag an, an dem sich alles geändert hatte, weil ich das Angebot von seinem Vater bekam.
,,Was?", lacht er. Er hat es nicht verstanden. Nun gut, meine Ausdrucksweise war nicht ganz geschickt.
Ich zucke mit den Schultern. ,,Du sagtest, wenn ich das Angebot deines Vaters annehme, werde ich es bitter bereuen."
,,Tja.", antwortet er lachend. ,,Das war nun mal, bevor ich gemerkt habe, dass du nicht halb so schlimm und spießig bist, wie ich dachte."
,,Und was bin ich stattdessen?" Ich weiß nicht, wieso ich das frage. Eigentlich bin ich nicht so direkt, aber ich will wissen, was Tyler von mir denkt. Er sagt es ja nie. Er lässt mich einfach nicht durchblicken. Bei ihm habe ich irgendwie das Gefühl, immer im Dunkeln zu tappen. Ich brauche Klarheit.
Er blickt mir tief in die Augen, als würde er versuchen meine Seele zu sehen, bevor er antwortet. Ich kriege eine Gänsehaut. ,,Du bist.." Er macht eine Pause, bevor er weiterspricht. Ich platze fast vor Neugier, obwohl ich weiß, dass er das absichtlich macht. ,,Du bist klug."
Ich muss lachen. Das ist die Art, wie ich von jedem beschrieben werde. Als klug. Es ist, als würde meine Persönlichkeit gar kein Stück weiter als Klugheit gehen.
,,Nein, ich meins ernst. Du bist richtig klug. Wäre ich bei so ner 'Wer wird Millionär?' Show, Prinzessin, du wärst mein Joker. Und du bist nicht nur klug, sondern auch so hilfsbereit. Du bist die Art von Mensch, die einen kranken Waschbär von der Straße aufsammeln würde. Und fürsorglich. Egal, wie es dir geht, andere Menschen gehen vor. Du bist zielstrebig und einfach eine voll und ganz liebe Persönlichkeit. Du verdienst es nicht, dass dir jemand weh tut." Ich starre ihn einfach nur an. Noch nie wurde ich mit diesen ganzen Eigenschaften beschrieben.
,,Das ist, glaube ich, das netteste, was mir jemals gesagt wurde.", flüstere ich.
Für eine Millisekunde schaut er auf meine Lippen. ,,Eine Schande.", flüstert er.
Ich weiß nicht, was dann passiert, aber all die Nähe zerplatzt. Er schaut weg und räuspert sich. Dann steht er auf, murmelt, dass er los muss, weil es schon spät ist. Und dann ist er weg. Dann ist er einfach weg.
Kapitel 7
,,Ich hasse Physik.", murmelt Bella und lehnt sich genervt an ein Schließfach, während ich lachend ein paar Bücher in meinen Spind räume.
Ich zucke mit den Schultern. ,,Wer tut das nicht?" Langsam schließe ich meine Spind Tür und lehne mich ebenfalls dagegen. Der Tag ist anstrengend. Nicht weil irgendwie besonders viel verlangt wird oder er in irgendeiner Weise anders ist als die restlichen Tage. Es ist nur so, dass ich heute irgendwie keinerlei Energie und Nerven habe, um diesen Tag durchzustehen. Er fühlt sich endlos an.
Ich bin so in Gedanken vertieft, dass ich nicht bemerke, wie Bella vor meinem Gesicht herum schnipst. ,,Was ist?", frage ich etwas genervter als beabsichtigt und schaue sie deswegen in der nächsten Sekunde entschuldigend an. Ich bin heute ein reines Nervenbündel. Ich rede mir zwar den ganzen Tag ein, dass es nichts mit der Situation am Samstagabend zu tun hat, aber ich kaufe es mir selbst nicht ab.
,,Gott, Andy! Du hörst gar nicht zu.", seufzt Bella. ,,Ich habe gefragt, ob du mal mit Ty wegen Jake reden könntest. Du weißt schon. Unauffällig fragen, ob Jake mich süß findet oder ob sie zusammen mit uns zu Mittag essen wollen."
Mein Hirn ist mit mindestens tausend Fragezeichen gefüllt, als ich sie verdutzt anschaue. ,,Seit wann stehst du auf Jake?" Jake ist einer von Tylers Freunden. Einer von den coolen Typen. Bella hat zwar schon ein paar mal gesagt, dass sie Jake süß findet, aber ich dachte nie, dass sie auf ihn steht. Ich dachte, dass wäre so eine er-ist-süß-aber-ein-arschloch-also-brauche-ich-ihn-nicht-Sache.
,,Ein kleines bisschen vielleicht." Sofort färben sich Bellas Wangen rot und ich muss grinsen, weil sie auf Jake steht. Ich werde auf jeden Fall Trauzeugin, wenn das was werden wird! Bevor ich etwas erwidern kann, stöhnt Bella laut auf und sagt:,,Sag bitte nichts. Geh einfach rüber und frag, okay? Sei bitte nicht auffällig. Ich gehe währenddessen auf Klo." Sie ist schneller weg, als ich bis drei zählen kann, also zucke ich die Schultern und marschiere auf die Gruppe von Tylers Freunden zu.
,,Hey!", sage ich, als wäre es das normalste der Welt. Auch wenn ich nie zuvor mit Tyler gesprochen habe, während Jake und Mike neben ihm standen.
Jake und Mike tauschen einen kurz Blick aus und grinsen mich dann an. ,,Hallo, Fake Freundin von Tyler.", sagen sie beide wie aus einem Mund. Klingt wie einstudiert.
,,Hey, Andy. Was gibt's?", fragt Tyler und lächelt mich warm an. Sofort habe ich Schmetterlinge im Bauch und vergesse, was ich eigentlich hier wollte.
Ich trete von einem Fuß auf den anderen. ,,Ähm." Dann fällt es mir wieder ein. Gott sei dank. Plötzlich kam ich mir vor wie der größte Idiot. ,,Hättest du Lust mit Bella und mir zu Mittag zu essen? Natürlich mit Mike und Jake. Also, habt Ihr Lust?" Ich versuche möglichst ruhig und gechillt zu klingen.
,,Klar.", sagt Tyler, ohne das Einverständnis von Jake und Mike einzufordern. Direkt bin ich beruhigt, weil das heißt, dass alles in Ordnung zwischen uns ist. Ich hatte schon Angst, dass er irgendwie sauer auf mich war, weil er am Samstag so schnell abgehauen ist.
Ich lächele. ,,Cool. Bis nachher." Dann schlendere ich durch den Gang und biege in die Mädchentoilette, um Bella zu berichten. Den ganzen Weg über spüre ich deren Blicke in meinem Nacken brennen.
,,Meinst du, er hat sich gefreut? Haben seine Augen irgendwie geleuchtet, als du meinen Namen erwähnt hast?" Bella ist völlig aus dem Häuschen. Ich seufze, während ich in meinem Obstsalat herumstochere.
,,Keine Ahnung. Vielleicht." Ich frage mich, wie mir entgehen konnte, dass Bella so auf Jake steht. Es hätte doch..
,,Worum geht's?", fragt Tyler interessiert und setzt sich an unseren Tisch neben mich. Jake und Mike setzen sich gegenüber von uns zu Bella. Sie wird augenblicklich rot.
,,Mädchenkram.", antworte ich schulterzuckend und Bella wirft mir einen merkwürdigen Blick zu, ,,Ach ja, das ist Bella."
Mike nickt und fixiert mich dann. ,,Tyler hat viel von dir erzählt."
,,Ach, hat er das?", frage ich amüsiert, während ich Tyler anstarre. Mir wird jetzt erst klar, dass er so nah neben mir sitzt, dass sich unsere Oberschenkel bei der kleinsten Berührung streifen.
,,Natürlich musste ich das Mädchen erwähnen, was mich nächste Woche auf eine Hochzeit begleiten wird.", gibt Tyler zurück.
Verwundert ziehe ich eine dunkle Augenbraue hoch. ,,Davon weiß ich ja noch gar nichts."
,,Das eben war meine Art, es dir mitzuteilen." Ich grinse und widme mich wieder meinem Obstsalat. Ich war noch nie auf einer Hochzeit, aber ich stelle es mir...romantisch vor. Vielleicht fange ich ja den Brautstrauß?
Ich piekse weiterhin in meinem Mittagessen herum, während Jake irgendwas mit Bella bequatscht und Mike und Tyler vielsagende Blicke hin und her werfen. Ich frage mich, wie es sein wird, mit Tyler auf eine Hochzeit zu gehen. Das ist etwas anderes als ein Geschäftsessen. Es ist irgendwie viel persönlicher und intimer. Wir werden zusammen tanzen und lachen und vielleicht...
Plötzlich legt Tyler seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich schaue ihn verwundert an.
Er bückt sich zu mir, bis sein Atem meine Wange streift:,,Jake und Bella scheinen sich zu mögen."
,,Ja, nicht?", lache ich. Ich weiß zwar nicht, wie Jake empfindet, aber Bella ist vollkommen verliebt in ihn. Das sehe ich an ihrer Haltung, ihren rosigen Wangen und daran, dass sie etwas zu sehr über seine Witze lacht. Sie fühlt sich wohl und das ist schön. Jake mag Bella. Bella mag Jake. Zwischen ihnen scheint es wesentlich weniger kompliziert zu sein als zwischen Tyler und mir. Wir spielen zwar noch immer bloß Pärchen, aber es fühlt sich gut an. Es fühlt sich richtig an. Auch wenn mir tausend Gründe einfallen, wieso ich mein Herz nicht an ihn verschenken sollte.
Kapitel 8
,,Ergreif die Initiative!", schreit Bella, als ich ihr von meinen Gefühlen erzähle. Noch etwas lauter und mein Trommelfell wäre geplatzt.
Ich zucke mit den Schultern. ,,So einfach ist das nicht."
Tyler mag mich nicht auf diese Art. Wir sind einfach nur Freunde geworden. Wahrscheinlich sind diese Schmetterlinge in meinem Bauch einfach nur welche, die sich verirrt haben, weil ich auf einmal mit einem Jungen Zeit verbringe. Nicht mehr, nicht weniger.
,,Oh doch.", seufzt sie. ,,Morgen ist diese Hochzeit, richtig? Warte auf den perfekten Moment und küss ihn! Machs einfach." Machs einfach. Witzig.
,,Du musst. Sonst wirst du es immer bereuen, Andy." Sie hat recht. Das weiß ich. Trotzdem macht das die ganze Sache nicht einfacher. Seit Tagen schwirren fiese 'Was wäre wenn?' Fragen in meinem Hirn herum. Er könnte mich von sich stoßen. Oder noch schlimmer: er könnte mich auslachen. Für dämlich erklären. Es jeder Menschenseele erzählen. Ich würde im Erdboden versinken.
Aber trotz all dieser Risiken und all meiner Angst atme ich tief aus und murmele:,,Du hast recht. Ich muss es tun."
,,Hallo Bett!", rufe ich glücklich und lasse mich auf das riesige Hotel Kingsize Bett fallen. Nach der drei stündigen Autofahrt fühlen sich meine Muskeln und mein Rücken fast schon schmerzhaft an. Ja, es sind drei Stunden gewesen und ich meckere. Ja, ich bin empfindlich bei sowas. Gut, dass die Zeremonie und die Feier hier im Hotel stattfinden werden.
,,Warte.", füge ich hinzu, als mir auf einmal etwas klar wird. ,,Hier ist nur ein Bett." Schnell setze ich mich auf und streiche mir die Haare aus der Stirn.
,,Ja.", antwortet Tyler und setzt sich neben mich. ,,Ich kann auf dem Boden schlafen, wenn du willst. Das ist kein Problem."
Ich lache. ,,Ein richtiger Gentleman. Aber das musst du nicht. Ist schon okay."
Er zuckt mit den Schultern und zieht ein Kleid und einen Anzug aus einer Art Schutztasche.
Ich springe auf und schlage mir die Hände vors Gesicht. ,,Wow!", murmele ich. Es war das erste mal, dass ich mein Kleid für den heutigen Abend sehe. Er sagte, es wäre eine Überraschung. Nun ja, überrascht bin ich. All die Kleider, die ich bis jetzt getragen hatte, waren schlicht und unauffällig, aber dieses Kleid ist einfach nur der Traum jeder Prinzessin. Es ist bodenlang und in einem hellen rosa. Der Oberkörper mit Herz Ausschnitt ist aus Spitze und dann fällt es in leichtem Stoff.
,,Danke, Tyler.", lächele ich.
Er hält es mir hin und ich nehme es. ,,Alles für meine Prinzessin." Ich ziehe mich schnell ins Bad zurück, um es anzuziehen. Gut, dass ich hohe Schuhe anhabe für die Hochzeit, denn da ich mit meinen knappen 1,60 m nicht die größte bin, würde das Kleid sonst über den Boden streifen.
Als ich den Raum verlasse, finde ich Tyler mit einem breiten Grinsen vor. ,,Du siehst wunderschön aus, Andy." Er kommt zu mir und streicht mir die Haare hinters Ohr.
,,Danke.", flüstere ich. Auch wenn er mich schon die ganze Zeit über Prinzessin genannt hatte, ist dies das erste mal, dass ich mich so fühle. Und ich glaube, das ist auch das erste mal, dass ich jemandem glaube, wenn er sagt, ich sei wunderschön.
Die Zeremonie ist so schön, dass ich fast weinen muss. Tylers Tante sieht in ihrem weißen riesigen Kleid aus wie der glücklichste Mensch auf Erden und der Blick, mit dem sie von ihrem jetzigen Gatten gemustert wird, ist genau das, was ich jeder Frau auf diesem Planeten wünsche. Er schaut sie an, als wäre sie das Glück seines Lebens und vielleicht ist das auch so. Vielleicht ist Liebe genau das, was einen so erstrahlen lässt.
Nach der Zeremonie gehen wir in den benachbarten Raum, indem die Feier danach stattfindet. Der Raum ist in schönen Champagnerfarben dekoriert und die Stimmung ist so fröhlich, dass es gar nicht möglich ist, sich hier zu langweilen. Wir verteilen uns an die runden Tische und beginnen mit dem Essen, während eine Band irgendein schönes Lied spielt, das ich nicht kenne.
,,Lass uns tanzen.", sage ich zu Tyler.
Er legt eine Hand auf meinen Oberschenkel, der sich irgendwo unter dem vielen Stoff meines Kleides verbirgt. ,,Andy, das wird nicht passieren."
,,Bitte.", sage ich und schaue ihn mit einem Hundeblick an. ,,Bitte bitte?"
,,Nop.", antwortet er.
,,Komm schon. Sei kein Spaßverderber. Sonst musst du heute wirklich auf dem Boden schlafen."
Er seufzt und steht auf. Dann hält er mir eine Hand hin und sagt:,,Na schön, Prinzessin."
Ich grinse und ergreife seine Hand. Die Tanzfläche ist voll mit Pärchen von alt bis jung. Tyler legt seine Hände um meine Taille und wir wiegen uns in dem schönen Klang der verschiedenen Instrumente. Jetzt ist der perfekte Moment, denke ich. Das muss er sein.
,,Tyler.", krächze ich, weil ich nicht mehr raus bekomme und schaue zu ihm hoch. Selbst wenn ich High Heels trage, ist er größer als ich.
,,Ja, Andy?", antwortet er. Er schiebt sein Gesicht einen Millimeter näher und auch wenn es nur so wenig ist, bemerke ich es.
,,Ich glaube, ich muss dir was sagen." Ich weiß wirklich nicht, wo ich ansetzen soll, also spucke ich es einfach aus. So ist es am besten. ,,Ich mag dich."
Er grinst und murmelt:,,Trifft sich gut. Ich mag dich auch. Du bist ne gute Freundin."
,,Nein.", antworte ich und schiebe ihn etwas von mir weg. ,,Ich meine, ich mag dich. Ich empfinde was für dich. Mehr als Freundschaft." Sofort wird sein Gesicht etwas bleicher, doch er kommt nicht zum Antworten, da sich ein Mädchen mit blonden gelockten Haaren zu uns stellt.
Sie lächelt und sagt:,,Ty, willst du uns nicht vorstellen?"
Tyler lässt direkt die Hände von meiner Taille gleiten und knurrt das Mädchen fast schon an. Oh man, blödes Timing, Blondie. ,,Verschwinde, Mona."
,,Wieso?", lacht sie und fixiert mich dann. ,,Ich bin Mona."
,,Andy.", lächele ich, auch wenn ich ihr am liebsten eine reinhauen will. Sie hat dieses Feuer in ihren Augen, das zeigt, wie hinterlistig sie ist, und das bereitet mir größte Sorge.
,,Ich bin die Freundin von Parker.", fügt sie hinzu. Nun ja, das bestätigt meine Sorge. Sie scheint total auf Konfrontation aus zu sein und will nichts als Ärger. Genauso wie ihr bescheuerter Freund.
,,Verschwinde, Mona. Jetzt." Tyler schaut sie so böse an, dass man meinen könnte, dass er sie versucht, allein mit seinem Blick zu töten.
Sie wirft ihre Haare zurück. ,,Ich unterhalte mich doch gerade. Also wie gesagt, ich bin Parkers Freundin. Also seine richtige Freundin. Nicht bloß eine Wette." Und dann kichert sie, aber sie ist die einzige.
,,Mona, hau ab.'', sagt Tyler.
Ich spüre direkt, wie ich rot werde und weiche einen Schritt zurück. ,,Was hast du eben gesagt?", flüstere ich.
,,Oh!", gibt sie gespielt schockiert zurück und schlägt eine Hand vor den Mund. ,,Du weißt gar nichts davon, dass dein Tyler mit seinen Freunden gewettet hat, dass er dich ins Bett bekommt? Ups."
,,Mona, halt die Klappe." Tylers Stimme wird mit mal zu mal immer frustrierter und wütender.
,,Du verneinst es nicht.", flüstere ich. Mir wird schlecht. Mir wird so unglaublich schlecht.
Tyler seufzt frustriert und legt eine Hand auf meinen Arm, doch ich ziehe ihn weg.
,,Fass mich nicht an.", kreische ich und augenblicklich verstummt der ganze Saal. Ich spüre, dass alle Augen auf uns gerichtet sind. Tränen laufen mir übers Gesicht, als ich mich umdrehe.
,,Andy, warte!", ruft Tyler. Ich wirbele herum und starre ihn an, auch wenn ich ihn nur noch verschwommen sehe.
,,Wie konnte ich nur so dämlich sein und habe geglaubt, dass ich dir tatsächlich etwas bedeuten könnte?" Meine Stimme krächzt und es tut so weh zu sprechen. Ich fühle mich so leer und zerbrechlich. Und so unglaublich allein.
Er schaut mich traurig an. ,,Andy.." Doch ich höre ihm gar nicht zu, sondern stürme einfach aus diesem verdammten Saal. Das ganze war ein Fehler. All das war ein Fehler. Ich hätte diese Vereinbarung nie machen sollen, ich hätte nie mit Tyler auf diese Hochzeit gehen sollen.
Schnell stolpere ich durch den Eingangsbereich nach draußen, ziehe meine Schuhe aus und laufe. Tränen rollen mir übers Gesicht und ich keuche, aber das ich mir vollkommen egal. Ich will nur weg von hier. Von Tyler, von Mona, von Parker und vor allem von dem stechenden Schmerz in meiner Brust. Ich laufe bis zu einem Diner, das so spät am Abend noch geöffnet hat. Ich gehe hinein und lasse mich auf die Bank eines freien Tisches nieder. Ich blicke an mir herunter und erkenne, dass mein helles schönes Kleid nun gar nicht mehr hell und schön ist. Da ich ohne Schuhe gelaufen bin, ist es unten von dem dreckigen Boden grau und schwarz. Meine Haare hatten sich aus der Hochsteck Frisur gelöst und lagen jetzt unordentlich um mein Gesicht, klebten an meiner schweißnassen Haut.
,,Alles okay, Schätzchen? Du siehst aus, als hättest du einen schlimmen Abend gehabt?", sagt eine ältere Kellnerin mit einer gepunkteten Schürze. Sie schaut mich mitleidig an und ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich weiß auch gar nicht, wieso ich hier bin. Ich habe von nichts auch nur irgendeine Ahnung.
,,Nein.", flüstere ich und wische mir mit einer Hand übers Gesicht. ,,Ist es okay, wenn ich ein bisschen hier bleibe?"
,,Klar, willst du was essen oder trinken?" Ich schüttele den Kopf, denn mir wird klar, dass ich gar kein Geld habe oder mein Handy. Gott, ich kann mich ja nicht mal ausweisen, denn meine Tasche mit all diesen Dingen liegt noch immer in diesem verdammten Saal, indem Tyler mein Herz in Stücke gerissen hat. Die Kellnerin, die laut ihrem Namensschild Molly heißt, nickt und verschwindet dann.
Kapitel 9
Ich kauere mich auf der Bank zusammen und frage mich, was ich jetzt tun soll. Ich muss zum Hotel zurück, denn da sind Handy und Portmonee. Ohne würde ich nicht besonders weit kommen.
Nach einer oder fünf Stunden stehe ich auf und schlüpfe wieder in meine hohen Schuhe. Ich habe jedes erdenkliche Zeitgefühl verloren, aber es ist noch immer dunkel, also ist es wohl noch Nacht. Seufzend gehe ich zu der Theke und schaue Molly halb lächelnd an. ,,Danke, Molly." Meine Stimme ist nichts als ein Krächzen, aber ich wollte trotzdem nicht unhöflich sein und einfach verschwinden.
Sie legt ihre Hände auf die Theke und antwortet:,,Egal, wie schlimm es jetzt aussieht, am Ende wird alles gut sein." Und ich weiß nicht genau, wieso sich wieder Tränen in meinen Augen sammeln. Vielleicht weil ich ihr nicht glaube, vielleicht aber auch weil ich mich so allein fühle und das eben gebraucht habe. Ich nicke dankend und drehe mich um.
Ich will mit Bella reden.
Oder mit meiner Mum.
Ich will aber nicht allein sein. Alles, nur das nicht. Ich gehe den ganzen Weg zum Hotel zurück und achte nicht darauf, wie merkwürdig mich die wenigen Leute anschauen, die an mir vorbei gehen. Ich will Tyler um keinen Preis sehen, aber ich schätze, ich habe keine andere Wahl.
Im Hotel angekommen schlendere ich an der Rezeption direkt auf den Fahrstuhl zu.
Bevor sich die Türen allerdings schließen, stürmt Tyler herein. Direkt weiche ich einen Schritt zurück und drücke meinen Rücken gegen die Wand des Fahrstuhls.
Er mustert mich kurz und drückt dann den Notfall Knopf, der den Fahrstuhl zum Anhalten bringt.
,,Ich will hier raus.", murmele ich und will auf diesen Knopf drücken, doch er bemerkt es und hält mich zurück, indem er mich an die Wand drückt.
,,Lass es mich erklären.", erwidert er und ich merke, wie fertig er aussieht. Sein Haar ist ein einziges Durcheinander. Er trägt keine Krawatte mehr und sein Hemd ist nicht mehr in der Hose drin. Ich sehe schlimm aus, aber er ebenso.
,,Lass mich in Ruhe.", flüstere ich und will ihn wegschieben, aber er ist zu stark dafür. Ich fange an zu weinen.
,,Es ist nicht so, wie du denkst, Andy. Ich wollte dir nie weh tun." Er wird lauter, fast schon wütend.
Ich schließe die Augen und schüttele den Kopf. Ich will nichts von seinen billigen Entschuldigungen hören. Ich will einfach nur weg. Panik schnürt mir die Kehle zu.
,,Ich liebe dich, Andy." sagt er leise und betont jedes einzelne Wort.
Ich reiße die Augen auf und versuche, meine Atmung zu beruhigen. ,,Du lügst.", knurre ich.
Er schüttelt den Kopf. ,,Das mit der Wette.."
Ich schluchze. ,,Ich will davon nichts hören. Lass mich einfach in Ruhe. Bitte."
,,Es ist wahr, okay?", sagt er. Ich schaue ihm in die Augen, das lässt ihn ganz leicht zusammenzucken. ,,Diese Wette habe ich abgeschlossen, bevor ich mich in dich verliebt habe. Bevor ich gemerkt habe, wie wundervoll du bist. Du musst mir glauben, ich habe sie abgebrochen, als wir uns näher gekommen sind. Andy, nichts davon war gespielt. Ich liebe dich. Und das ist das erste mal, dass ich das je bei einem Mädchen gefühlt habe. Ich habe dir nie etwas vorgemacht. Nach unserem ersten Abend wusste ich, dass du mir etwas bedeutest." Ich starre ihn an, kriege kein einziges Wort raus. Verwirrt mustere ich sein Gesicht und versuche, irgendwelche Anzeichen einer Lüge in seinem Gesicht zu finden. Aber ich finde keine. Er sagt die Wahrheit. Gott, er liebt mich. Tyler Ferris liebt mich. Und ich liebe ihn.
Ich schlucke und sage leise:,,Du lügst nicht."
Er grinst, während seine Augen zu glänzen anfangen. ,,Das würde ich nicht wagen, Prinzessin."
Und dann tue ich genau das, was Bella mir geraten hat: Ich ergreife die Initiative.
Ich lege meine Hände um sein Gesicht und küsse ihn. Für eine Sekunde ist er überrumpelt, doch dann legt er die Arme um meine Taille und drückt mich gegen die Fahrstuhlwand.
Ich glaube, das ist der Moment, indem ich realisiere, dass er mein Prinz ist.