The day after
Kennen Sie das auch?
Ist Ihnen das auch schon passiert?
Sie stehen morgens um 15 Uhr 10 auf, schlurfen schlaftrunken ins Badezimmer, tauchen ein Ihnen unbekanntes Gesicht in Wasser, welches aufgrund seiner Temperatur nicht flüssig sein dürfte, erleichtern sich und schleppen sich zurück in Ihr Bett. Und dort, auf der Schwelle zu Ihrem Schlafzimmer, erahnen Sie einen reglosen Körper unter der Bettdecke. Sie blinzeln ein-zweimal, reiben sich Ihre Augen, kneifen sich, zählen mit geschlossenen Augen – in einer mathematisch nicht ganz korrekten Weise - bis zehn, öffnen die Augen wieder soweit Sie es Ihnen mittlerweile gestatten und: der Körper liegt immer noch da.
Wie Wellen - von einem in einen See geworfenen Stein - branden Gedanken von innen gegen Ihre Stirn, welche sich, wie erwähnter See, in Falten legt.
Ihr erster, halbwegs klarer Gedanke, der mehr tot als lebendig das Ufer des mittlerweile nebligen Sees erreichen kann, gibt ein sowohl bedeutungsvolles als auch erleichtertes "Äääääääh" von sich und stirbt.
Die nächsten Gedanken, vom Erfolg des Einen angespornt, kommen mehr oder weniger erschöpft und etwa in folgender Reihenfolge an:
Wer ist das?
Will ich das überhaupt wissen?
Heiß!
Wo war ich gestern?
Was habe ich getan?
Schwarz!
Wie bin ich nach Hause gekommen?
Bin ich überhaupt zu Hause?
Kaffee!!!
Das Bedürfnis sich noch einmal in ein weißer als weiß gewaschenes Bettzeug zu wühlen, haben Sie gegen den Gedanken an einen schwärzer als schwarzen Kaffee eingetauscht. Und das nicht nur aufgrund eines fremderen als fremden Körper in Ihrem Bett.
Auf dem Weg in die Küche kommen Sie der Beantwortung einer Frage einen kleinen, für die Menschheit unbedeutenden Schritt, weiter: Bin ich überhaupt zu Hause? "Wenn Du es nicht bist, woher weißt du denn so genau wo die Küche ist?", funkt das havarierte Kleinhirn.
Ein paar unsichere Schritte und Gedanken weiter beantwortet Ihnen die Kühle des Kombüsenfußbodens eine bis dato noch unbeantwortete Frage der Wissenschaft, nämlich die, ob schwimmend verlegtes Parkett Seegang verursachen kann.
Auf eben diesem Parkett sitzend, bis auf die Beine nichts angezogen, schweift Ihr Blick über Ihre Sitzfläche.
"Oh, ein Kissen", denken Sie, als Sie einige Stoffansammlungen am Boden entdecken.
"Oh, ein Kissen mit Gummizug", denken Sie, als Sie sich eines dieser Stoffansammlungen herangeholt haben.
"Oh, ein Kissen mit Gummizug und aus Feinrip", denken Sie, als Sie Ihren Kopf darauf legen wollen.
"Oh, ein Kissen mit Gummizug, aus Feinrip kann so gut fliegen?", fragen Sie sich, als Sie die Flugbahn des UBFO's (Ungefähr Bekanntes Flugobjekt) beobachten. Mit einem, für Ihre Ohren eindeutig zu lautem Rascheln, landet es in einem, für Ihre Augen eindeutig zu glänzend poliertem, Spülbecken.
"Also gut, noch einmal von Anfang an: ich weiss wo die Küche ist … ich bin in meiner Wohnung!! … sehr gut."
"Ich finde Feinripunterwäsche in einer Küche … vielleicht doch nicht meine Wohnung?! … ganz schlecht."
Von einer Sekunde auf die andere bedrängt Sie nicht mehr der Drang wach zu werden. Ihnen erscheint der Gedanke plötzlich sehr viel wichtiger den reglosen Körper in Ihrem – wenn es denn dass Ihre ist? – Bett wach zu bekommen.
Also aufgestanden, ein Handtuch (dunkel in Erinnerung an Ihren Badezimmerbesuch in Erinnerung geblieben) um den Körper geschlungen und sich ins Schlafgemach zurückgequält.
Auf dem Weg dort hin über eine Flasche Sekt (leer), zwei Kerzen (heruntergebrannt) und eine Dose Sprühsahne (kalorienarm) gestolpert, kommen Sie endlich am Ziel Ihre ebenso kurzen wie sowohl körperlich als auch seelisch qualvollen Reise an.
Sie stehen vor dem Bett, beugen sich herab ohne in selbiges zu fallen – was Ihnen nach drei Versuchen auch einigermaßen gelingt – ergreifen die Bettdecke und ziehen mit einem kräftigen Ruck an ihr.
Nachdem Sie sich aus Ihrer Käfer-auf-dem-Rücken-Stellung befreit haben, das Kreischen des Opfers Ihrer Kälte-Schock-Therapie in Ihren Ohren nachgelassen hat, Sie sich wieder vorsichtig dem Bett genähert haben, sehen Sie wer darin liegt:
Einen Ihnen unbekannter Mann.
Und Ihnen wird gerade bewusst, dass Sie nur einen BH anhaben.