The Dark Wall #1: Schritte im Schnee
The Dark Wall
#1 Schritte im Schnee
Der immer dichter fallende Schnee trieb Bob die Tränen ins Gesicht. Alle zwanzig Meter drehte er sich panisch um und schaute, ob er verfolgt wurde. Seine Schritte knirschten in dem frischen Schnee und hinterließen eine verräterische Spur. Bob hoffte nur, dass die Dämmerung bald über die Stadt hereinbrach.
Er rannte und versuchte, so schnell wie möglich einen Unterschlupf zu finden. Doch hier, mitten in der Pampa, war rein gar nichts. Kein Haus, keine Straße, nur zugeschneite Felder und die Fußspur, die Bob beim Laufen im Schnee hinterließ.
Zuletzt hatte er seinen Verfolger vor rund einem Kilometer gesehen: ein vernarbtes Gesicht, abrasierte Haare, ein dunkler Schnurrbart.
Sagte man das heutzutage noch? Schnurrbart?
Nichts desto trotz war der Verfolger mit Sicherheit einer von Claytons Männern. Denen Bob Geld schuldete. Eine nicht unerhebliche Summe.
Plötzlich fiel Bob vor Erschöpfung in den tiefen Schnee. Sein Gesicht fühlte sich an, als müsste es aufgrund der eisigen Kälte des Schnees explodieren.
Hoffentlich kam das Narbengesicht nicht näher.
Hilflos lag Bob im Schnee.
Schritte kamen näher. Bob wusste nicht, ob er seinem Gegner noch gewachsen war. Er war völlig durchnässt, eine Blasenentzündung würde er sich an diesem Abend wohl mindestens geholt haben.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Bob schaute ungläubig nach oben. Ein alter Mann mit einem faltigen Gesicht und verfaulten Zähnen reichte ihm die Hand.
Die Schritte waren verstummt. War es nur der alte Mann gewesen, der sich einen Weg durch den tiefen Schnee gesucht hatte?
„Was machen Sie um diese Uhrzeit noch hier draußen- mitten in der Pampa?“
Bob konnte nichts entgegnen. Seine Gedanken wirbelten hin- und her.
Wortlos ließ er sich von dem Alten aufhelfen.
„Haben Sie- eine Hütte oder so etwas in der Nähe?“
„Sicher. Drei bis vier Kilometer entfernt. Mein Traktor steht einen Kilometer östlich von hier. Ich habe Sie laufen gehört, deshalb bin ich zu Fuß hierhin gelaufen. Ich dachte, es wären wieder diese Bengels gewesen, die auf meinen Feldern ihre Partys feiern- und mit ihren Lagerfeuern meine Ernte vernichten!“
Der Bauer schien sich in der immer dunkler werdenden Umgebung gut auszukennen. Auf ihrem Weg durch den dunklen Wald schaute er Bob auffällig oft an und jeder der Blicke jagte Bob einen kalten Schauer über den Rücken.
Schon nach wenigen Augenblicken hatten sie den Traktor erreicht, der verdeckt von einigen Sträuchern nahe an einer kleinen Lichtung stand.
Bob nahm auf dem kalten Beifahrersitz Platz, während der Bauer sich damit abmühte, den Motor zum Laufen zu kriegen.
Nach wenigen Sekunden hatte er es geschafft.
„Sie haben auf meine Frage noch nicht geantwortet, warum Sie sich zu dieser Zeit auf meinen Feldern herumgetrieben haben!“, sagte der Alte plötzlich, während sich Bob alle Mühe gab aufgrund des eisigen Fahrtwindes nicht am Traktor fest zu frieren.
„Ich wurde- verfolgt!“
„Darf man fragen warum?“
„Gläubiger!“, sagte Bob.
Der Bauer hob die Brauen, was aber aufgrund der Dunkelheit nicht mehr zu sehen war.
„Sie scheinen ja ein aufregendes Leben zu führen. Ich dachte, dass sich heutzutage solche Angelegenheiten auf einem anderen Niveau klären lassen!“
„Dachte ich bis vor kurzem auch noch!“, entgegnete Bob.
Der Waldweg führte immer weiter in die Dunkelheit des Waldes hinein. Plötzlich überkam Bob erneut ein kalter Schauer, als er ein altes, dunkles Gemäuer am Waldesrand ausmachte.
„Zu welchem Grundstück gehört denn diese Mauer?“, fragte Bob, da der Bauer mit gleichbleibendem Tempo an dem Gemäuer vorbei fuhr.
„Eine Mauer? Hier in dem Wald steht keine Mauer!“, sagte der Bauer knapp.
Plötzlich hörte Bob wieder Schritte. In ihrer Nähe. Langsam drehte er sich um. Der Motorenlärm des Traktors war zu laut, als um die genaue Richtung der Schritte ausmachen zu können. Aber sie schienen in der Nähe zu sein, denn trotz des Motorenlärms hatte Bob sie gehört.
„So, wir sind da!“, sagte der Bauer.
Langsam kam der Traktor vor einer kleinen Hütte zu stehen.
Bob wunderte sich, wie man so abgelegen von jeglicher Zivilisation leben konnte.
„Herein in die warme Stube!“, bot der Alte an und Bob folgte ihm.
Eine extrem korpulente und maskulin wirkende Frau hieß ihren Mann mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange willkommen.
„Das ist Bob!“, sagte der Bauer.
Bob gab der alten Frau seine durchfrorende Hand.
„Ich glaube, Sie sollten sich mit einer Tasse heißen Tees mal am Kamin aufwärmen!“, bot die Bäuerin an.
Bob schleifte seinen Körper zu einem kleinen Sessel am Kamin.
Der Bauer brachte ihm eine warme Decke.
„Sie müssen wissen, dass wir trotz der abgelegenen Lage unseres Hauses sehr gut informiert sind!“, sagte die Bäuerin.
Bob hörte gar nicht zu. Sein einziger Gedanke galt dem Feuer, dass im Kamin loderte und Brennholz für Brennholz vernichtete.
„Wir wissen, wer Sie sind!“, fügte der Bauer hinzu und warf Bob einen Zeitungsartikel in den Schoß.
Bob wurde bleich und las den kurzen Artikel.
Bob Maddock, Hauptverdächtiger der Polizei
Dem 25-jährigen Bob Maddock, der wegen des tringenden Verdachtes des Banküberfalls verhaftet wurde, ist am heutigen Vormittag die Flucht gelungen. Sheriff Erwin Spence teilte unserer Zeitung mit, dass die Polizei bereit sei bis zu 1000 Dollar für die Ergreifung des Flüchtigen oder Hinweisen, die zu seiner Festnahme führen, zu zahlen.
Doch die Polizei bittet um äußerste Vorsicht, da der Flüchtige verdächtigt wird, zwei seiner drei Komplizen auf der Flucht erschossen zu haben.
Unter dem Artikel war ein aktuelles Foto von Bob.
Als er sich umdrehte, sah er, dass der Bauer eine Pistole unmittelbar neben seiner Schläfe hielt und die Bäuerin ein scharfes Messer in der Hand hielt.
„Jetzt verstehe ich auch, warum Sie Ihrer Frau meinen Namen nennen konnten. Denn wir hatten uns ja gar nicht vorgestellt!“, sagte Bob.
„Kleines Mißgeschick meinerseits!“, entgegnete der Bauer.
„Ich nehme an, dass Sie die Polizei gerufen haben?“
„Bullshit!“, schrie die Bäuerin plötzlich laut auf, „Wir wollen die Knete aus dem Überfall. Wo hast du sie, du verdammter Gangster?“
Bob hatte angst, dass die Bäuerin die Kontrolle über die Situation und ihre Nerven verlor.
„Ich kann Sie hinführen. Ich habe das Geld in der Nähe der Felder Ihres Mannes vergraben!“
Die Augen des Bauers leuchteten.
„Führ uns hin!“, sagte er schroff und zog vorsichtig seinen Mantel wieder an, ohne dabei die Richtung der Pistole zu ändern.
Auch die Bäuerin zog vorsichtig ihre Jacke an.
„Komm du kleiner Bastard, los gehts...“
Plötzlich ein Klopfen an der Tür.
„Verdammt, wer kann das sein?“, fragte die Bäuerin erschrocken.
Sekunden später flog die Tür aus den Angeln. Eine eisige Kälte hielt Einzug in die Hütte.
Das Narbengesicht trat, bewaffnet mit einer Pistole, in die Hütte.
„Lassen Sie die Waffen fallen. Polizei!“
Die beiden Bauern leisteten keinen Widerstand.
„Ingolf Terpetin, Mr. Maddock, erinnern Sie sich?”
Vor Bobs geistigem Auge spielte sich eine Szene ab, die aus einem Film hätte stammen können.
„Sicher!“, sagte er dann, „Sie waren der Polizist, der mir bei dem Verhör den Kaffee brachte!“
„...und beim Verlassen des Büros die Tür offen gelassen und ihnen Ihre Flucht ermöglicht hatte. Sie wissen gar nicht, wie froh ich war, als ich Sie am Bahnhof wiedererkannt habe. Sheriff Spence wollte mich schon raus schmeissen wegen meiner Unachtsamkeit!“
Bob ließ sich kommentarlos die Handschellen anlegen.
„Und was passiert mit den beiden Bauern?“, fragte er dann.
Terpetin legte auch dem Bauernpärchen Handschellen an.
„Die werden hier erstmal zurück gelassen. Ich habe per Funk schon den Standort der Hütte durchgegeben. Sie fahren in der Zwischenzeit schon mal mit mir aufs Revier!“
Terpetin hatte etwa 300 Meter entfernt von der Hütte geparkt, damit man den Motorenlärm des Autos in der Hütte nicht hören konnte.
„Tragisches Ende einer dramatischen Flucht!“, sagte Terpetin.
„Gibt es hier in der Nähe eigentlich ein dunkles Gemäuer?“, fragte Bob.
„Nicht, dass ich wüsste. Warum?“
„Nur so...!“