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The Berlin Dinosaur Ghoul
Die Schornsteine des nahen Heizkraftwerks zischen schwarze Wolken empor, welche sich mit dem Nieselregen auf den trostlosen, kleinen Park in der Berliner Siemensstadt der Gegenwart zu legen scheinen. Der jugendliche Klaus schaut mit seinem hohlwangigen Gesicht auf den Boden – nicht niedergeschlagen, sondern, um etwas zu suchen. Der frische, kühle Wind eines Apriltages bläst dem Braunhaarigen durch die Pilzfrisur. Plötzlich bückt er sich erfreut zu einer kleinen Landgehäuseschnecke.
Er hebt das Gehäusetier auf und legt es in seinen für diese Zwecke extra mitgenommenen kleinen Eimer. Bislang beinhaltet er sehr wenige Schnecken – gerade mal fünf an der Zahl. Das frustriert ihn. Gestern ließen sich mehr blicken, der Junge hatte jedoch keine Zeit zum sammeln. Als der siebzehnjährige an einem langen, schwarzen Metallzaun vorbeikommt, springen aus dem dahinter liegenden Garten zwei große Schäferhunde an das Metall und kläffen den Jungen an.
Klaus bewirft sie mit Steinen. Aber der Besitzer, der hünenhafte Herr Schmidtke, stürmt aus seinem Haus hervor und ruft: „Du schon wieder? Jetzt jibt es Senge!“
Klaus rennt ängstlich durch die vom Qualm der Schlote ermattete Vorstadtlandschaft davon. Der Verfolger rennt kurz hinterher, zieht sich aber wieder zurück. Zehn Minuten später erspäht Klaus das an einen dunklen Felsen erinnernde, zwanzigstöckige Mehrfamilienhaus im märkischen Viertel, in dem er mit seiner Mutter wohnt. Er mäßigt seinen Schritt und betritt kurz darauf die kleine Wohnung. Seine Mutter liest das neue Schreiben von der Hausverwaltung und während die Frau wegen der gestiegenen Miete über den zukünftigen Verbleib philosophiert, wirft ihr Sohn Landschnecken ins Aquarium. Jene Tiere, unten angekommen, recken ihre weichen Körper nach oben – wohl um Luft zu schnappen.
Seine Mutter schreit ihn an: „Hör ma uff, diese Tiere zu quälen! Haste mal wieda nur Scheiße im Kopf!“
Der Junge erschreckt sich und sagt: „Aber, das ist ein Experiment!“
Die Alleinerziehende nimmt hektisch alle Landschnecken aus dem Aquarium: „Du hattest ma zwee Wochen vorher schon diese Schnecken ins Akwaarijum jeworfen. Da warn dann alle tot, aba fressen könnwa se nicht, weil dit sind allit Stadtschnecken – voll mit Schadstoffen! Hatte ick dir damals auch schon jesacht...“
„Gut, das werde ich nicht wieder tun!“
„Es wird Zeit, dassde dich nützlich machst … bewirb‘ dich als Zeitungsausträger, wie es dein Freund Florian getan hat!“
Der Junge entgegnet überrascht: „Okay, ick werde Zeitungen austragen. Wo soll ick mich denn bewerben?“
Doch sie stürmt in die Garderobe: „Morgenpost, Kurier … Ick hab‘ keene Zeit – ich muss zur Spätschicht!“
Er geht daraufhin ins Internetcafé und sucht einen passenden Job. Aber er findet keine Stelle.
In der Nacht träumt Klaus, wie er seinen Freund Florian quält und tötet. Er wacht schweißgebadet auf und weint anschließend, heimlich, weil er der Ansicht ist, dass ein Junge seines Alters nicht mehr weint.
Seit seine Mutter ihn beim Schneckenquälen erwischt hat und ihn dann noch dieser Traum überfällt, würde Klaus gerne einen Job machen, der von den ganzen „Tierquälerunsinn“, den er im Kopf hat, ablenkt. Zusätzlich hofft der Junge, dass er es eines Tages, dank der Ausbildung zum zukunftsgerichteten Beruf als IT-Systemelektroniker, es besser haben wird, wie seine Mutter. Am nächsten Morgen, auf dem Weg zur Berufsschule, läuft er einen anderen Weg, nicht an den Hunden vorbei. Er ist ganz erleichtert, weil er sich so gut kontrollieren kann – aber in ihm brodelt es weiterhin. Der Pilzkopf erreicht letztlich den Bau, welcher schlicht wie ein auf die Seite gekippter Ziegelstein mit Löchern aussieht, in dessen Hintergrund die Maschinen der Siemenswerke ächzen. Als er den Klassenraum betritt, trifft er eine neue Dozentin an. Die schlanke, südländische Person mit dem langen, gewellten dunkelbraunen Haar im dunkelroten Hosenanzug nennt sich Esmeralda Rosalia und scheint gerade mal 20 zu sein – damit stellt sie zu den alten, grauen Pädagogen, die Klaus sonst so vorgesetzt bekommt, einen ziemlich interessanten Kontrast. Sie kann den Zöglingen aus Arbeiter- und ALG2-Familien außerdem mit einfachen und einprägsamen Worten das nicht einfach verständliche Fach Marketing nahe bringen, wenn auch mit leicht spanischen Akzent. Esmeralda vermittelt den wirtschaftlichen Aspekt, der auch zur Ausbildung in der IT gehört. Klaus interessiert das, doch hinter ihm schauen sich die Mitschüler auf einem Smartphone Stierkampf-Videos an und sinnieren, wie man dabei wohl am einfachsten einen Stier töten kann.
Klaus hält seinen verhassten Tierquäl-Sadismus vor der Schulgemeinschaft geheim, aus Angst, von anderen wieder damit angesteckt zu werden. Aber nun wird der psychisch labile Junge daran erinnert, fühlt sich angesprochen und reagiert übertrieben aggressiv auf diese Mitschüler, schreit: „Könnta ma leise sein, da hinten? Ick kann nischt verstehen, was die da sagt!“
Einer dieser Mitschüler, ein Kopf größer als Klaus, kontert: „Alter! Ick lass ma nicht den Mund verbieten von so‘m Opfer wie dir, Alter!“
Esmeralda spricht den Großen an: „Amigo! Wie heißt du noch mal … Gerhard? Wiederhole bitte die vier P‘s im Marketing!“
„Äääh, Promotion … PR, Werbung...“
„Promotion, PR und Werbung sind alles drei das Selbe! Also, Promotion haben wir schon mal… was kommt dann?“
„Ick weiß es nicht!“
„Wer weiß es?“
Thanatchai natürlich: „Price, Promotion, Place und Product“ – Dieser Thai weiß alles!
Während Klaus sich wieder auf den Unterricht konzentrieren will, kichert Gerhardt‘s Clique weiter.
Daraufhin will Klaus schon wieder ausrasten, aber Esmeralda kommt ihm zuvor und befehlt Gerhard: „Amigo, du wirst mir nach dem Unterricht einen Aufsatz schreiben über alles, was ich euch bislang unterrichtet habe!“
Anschließend fragt sie im warmen Tonfall Klaus: „Amigo, hast du alles verstanden? Kann ich dir was helfen?“
„Es fiel mir erst schwer zu folgen, wegen Gerhard und so. Aber jetzt bin ick hoch motiviert – danke der Nachfrage!“
Leider ist der Unterricht schon fast zu Ende und es gibt keine Zeit mehr, um sich zu behaupten.
Daher fragt Klaus die Dozentin unter vier Augen: „Frau Rosalke, Sie sind super! Aber sind Sie sich sicher, dass Gerhard es sein lässt, wieder so einen Tierquälerkram zu erwähnen. Sind Sie morgen noch da?“
Esmeralda eilt plötzlich Richtung Lehrerzimmer und ruft: „Amigo – ich habe jetzt keine Zeit!“
Klaus ist enttäuscht. Auch von Esmeralda. Niemand hat für ihn Zeit – mal wieder typisch! Einen Job hat er auch noch nicht. Seine makaberen Phantasien steigern sich auch noch. Mit hängendem Kopf schlurft er, seinen Ranzen geschultert, aus dem Gebäude – ohne diesmal Schnecken zu sammeln. Er hält eher nach spitzen Gegenständen Ausschau, um den nächsten, der ihn ärgert, abzustechen! Seine Situation macht ihn verrückt. Während Klaus wieder an Schmidtkes seinen Zaun langlaufen muss, wirkt der schwarze Qualm des nahen Heizkraftwerks wie Zorneswolken über den Kopf des Jugendlichen. Er wirft wieder Steine in die Richtung der Kläffer.
Herr Schmidtke erscheint hinter einem Busch, lässt die Heckenschere fallen, krempelt seine Ärmel hoch und ruft: „Du unvascheemter Bengel! Jetzt zieh ick dir aba richtisch die Oan lang!“
Aber Klaus ist gar nicht zu beeindrucken und bewirft die Hunde weiterhin, die noch aggressiver werden, mit Steinen. Bis Herr Schmidtke einen stabilen Stock ergreift und auf die Straße geht. Esmeralda, die gerade zur Bushaltestelle kommt, hört die lauten Hunde, erkennt das Geschehen, springt vor und reißt Schmidtke den erhobenen Stock aus der Hand.
Der kräftige Mann bleibt stehen und guckt die Spanierin überrascht an, sagt: „Was haben Sie damit zu tun?“
„Amigo, ich bin seine Dozentin – ich bin ganz besorgt über meinen Schüler, aber kann mit ihm umgehen!“
„Aber wenna wieder kommt und meine Hunde quält, alte, werd‘ ick unvaholen die Polizei rufen, Frollein – dat wa uns da vastehen!“
Er stampft, ohne eine Antwort abzuwarten, ins Haus zurück. Klaus ist beeindruckt von Esmeralda und hält noch einen Stein in der Hand.
Sie nimmt Klaus an die Hand und sagt: „Komm, lass uns von diesem Grundstück weg gehen. Mein Bus kommt in zehn Minuten, wie können zur nächsten Haltestelle laufen.“
Sie laufen eine Weile die Straße runter. Dann lässt der Pilzköpfige den Stein fallen, legt auch eine Glasscherbe hin, mit der er jemanden abstechen wollte.
Währenddessen kichert sie und fragt: „Amigo, hast du Spaß daran, diese Hunde mit Steinen zu bewerfen? Freust du dich, wenn du sie leiden siehst?“
In Klaus brodelt es – er bekommt makabere Phantasien. Aber bemüht sich, zusammen zu reißen: „Meinen Sie dat ironisch.“
Sie kichert: „Antworte auf meine Frage, Amigo! Macht es dir Spaß?"
Der Pilzköpfige fragt skeptisch: „Wollen Sie dat wirklich wissen?“
Sie lacht lauthals: „Aus deiner Antwort höre ich schon raus, dass dir das Spaß macht! Ha ha ha!“
„Es tut mir Leid, werte Frau. Es macht ma nichts als Ärger!“
Sie blickt lasziv auf seine mehrfach geflickte Hose: „Ich mach dir keinen Ärger! Im Gegenteil – du könntest für mich Fleisch beschaffen und zerschneiden. Willst du dir dabei auch ein gutes Taschengeld verdienen?“
Klaus ist irritiert, weil diese neue Dozentin das völlig kritiklos hinnimmt, was er von anderen gar nicht gewohnt ist. Sie will sogar einen Selbstnutzen daraus ziehen!
Er fragt: „Sie meinen dit wirklich ernst??…“
Die junge Frau sieht ihn mit einem sympathisch verrückten Lächeln an: „Als dein pädagogisches Vorbild empfehle ich dir sogar, dass du deine Wut mal raus lässt! Du wirst ein Ventil finden. Diese Hunde, sowie Klassenkameraden, die dich gerade so aufregen – du wirst drüber stehen – das sage ich dir jetzt schon!“
„Und ick verdiene dabei sojar Jeld?“
„Klaro – ist immerhin harte Arbeit!“
„Esmeralda, Sie sind so Dufte! Da kann man nicht meckern!“
Die Frau lächelt Herz erwärmend, aber hebt mahnend ihren Zeigefinger: „Eine Bedingung möchte ich an dich stellen: Mach keine Untaten, wenn ich nicht dabei bin – weil jetzt sind wir Komplizen – wir müssen zusammen halten!“
„Okay! … Een paar Fragen hab ick noch: Dit wird ne Menge Fleisch werden – wat machen wa damit?“
„Ach, ich werde schon genug Berge an rohen, toten Körperteilen verdrücken, um im Unterricht so entspannt zu sein wie ich es heute war!“
Er schaut auf ihre schlanke Taille: "Echt??“
Sie hebt verzweifelt ihre Arme: „Ich kann meinen Appetit nicht kontrollieren. Daher muss ich gesättigt sein und jeden Morgen mich voll stopfen, bevor ich andere essbare Wesen sehe...“
„Warum gehen Sie nicht eenfach in die Metzgerei?“
"Ich habe ganz spezielle Vorlieben ..die gibt's nicht in der Metzgerei zu kaufen."
Klaus ist ganz neugierig: "Geht es um Menschenfleisch??"
Zwischen ihren Lippen blitzen einzelne, scharfe Raubtierzähne auf: „Manchmal esse ich auch ein wenig Mensch, oooooh, sabor bien humano! Wenn es sich anbietet. Aber hauptsächlich jage ich, oder lasse ich jagen, in der freien Wildbahn!“
Klaus ist erschrocken über ihre Zähne und wird kreidebleich: „Sind Sie in Wahrheit `n Werwolf, oda wat?“
Sie nimmt ihr voluminöses, langes lockiges Haar nach vorne, um damit die seitliche Sicht auf ihre Zähne einzuschränken und kichert: „Nein. Hab keine Angst!“
„Eigentlich habe ick keine Angst, sondern bin nur neugierig.“
„Gut. Ich bin ein als Mensch getarntes Reptil!“
Er erliegt der Versuchung, seinen Sadismus zu frönen: „Das klingt echt abgefahren, so besonders! Sie sind also ein Reptil, das Menschenfleisch frisst...geil! Ich könnt gleich für Sie los hacken.“
Sie erreichen eine Bushaltestelle. Esmeralda schaut auf die Uhr, bleibt stehen und sagt drohend: „Sag aber niemanden, dass ich ein Reptil bin – sonst werde ich dich finden, egal wo du dich auch verkriechen wirst und ich werde dich ausweiden und es lieben, im Gedärm eines Verräters zu baden… Ooooh, buen gusto, buen gusto! Außerdem glaubt dir keiner, dass ich liebe, zarte Lehrerin solche Horrorgeschichten erzählen kann – oh, da hinten kommt mein Bus.“
Völlig verängstigt sagt der Junge: „Niemanden werde ik was sagen! Versprochen!“
Der Bus kommt an die Bordsteinkante gefahren und entledigt sich einiger Fahrgäste, Esmeralda steigt ein.
Die Spanierin ruft, während die Tür sich schließt: „Gut, Amigo! Dann gehen wir morgen nach der Schule zu mir. Tschüss!“
Dann ist die Tür zu und der Bus fährt weg …. .
Klaus sagt das Geheimnis nicht weiter und wird später als bester seiner Klasse von allen geschätzt und respektiert! Außerdem hat er einen Job und genügt den Umständen seiner Mutter. Esmeralda ist es ehrlich gesagt leid, immer so viel Fleisch fressen zu müssen, weil sie ein Gewissen gegenüber den Tieren hat und weiß, wie respektlos Menschen mit ihnen umgehen. Sie versucht daher im Gegenzug, den benachteiligten unserer Gesellschaft zu helfen.
ENDE