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Thai Lucky Plant
„Sogar das Vogelhaus ist beleuchtet.“ Kai schaute mich lächelnd an. Das kleine Vogelhaus war mir zunächst nicht aufgefallen in dem Lichtermeer aus Kerzen, Lampions und Fackeln.
Es war unser erster Abend in Thailand. Wir saßen auf einer Terrasse, glücklich und satt und erst jetzt betrachtete ich meine Umgebung genauer. Da waren die mannshohen, dunklen Rhododendronbüsche, deren fahle Blüten erst im Licht der Lampions ihre Farbe verrieten. Manche waren rosa, andere von einem zarten Gelb wie mein Cocktail. Und nur weil in dem Vogelhaus ein Teelicht brannte, hatten wir es unter den darüber hängenden Ästen entdeckt. Es war, als wollte es sich verstecken.
„Da achtet jemand darauf, dass alle Vögel heim finden“, sagte Kai „und wir beide könnten auch etwas Ruhe gebrauchen“, wobei er meinen Arm herausfordernder streichelte. Das Vogelhaus war kunstvoll geschnitzt, eine Miniaturausgabe des Seaside-Resorts, sogar an die Terrassenbrüstung hatte man gedacht. Und doch war mir das Häuschen unheimlich und während ich in das dämmrige Loch starrte, kam mir für einen Moment der Gedanke, dass vielleicht andere Tiere darin hausten. Über uns spannten sich seidene, bonbonfarbene Schirme und in dem sternenlosen Himmel darüber lauerten vielleicht Fledermäuse, bereit zum Nachtflug.
Als wir in unserem Zimmer ankamen, standen die Fenster auf und warme, duftende Luft kam hinein. Auf den Kopfkissen lagen zu kunstvollen Tieren gefaltete Handtücher, zwei weiße Frotteeschwäne, die ich vorsichtig auf den Nachttisch legte. Eng an Kai gekuschelt, fiel ich bald in unruhigen Schlaf.
***
Stunden später saßen wir wieder auf der Terrasse. Bei Tag sah alles harmlos aus. Die Rhododendrenhecken spendeten Schatten und dazwischen konnte ich das Meer sehen. Ein kleiner Pfad führte am Felsen hinunter zum Strand. „Wo bleibt mein Kaffee?“ Im Gegensatz zu mir, hatte Kai keinen Urlaub und musste noch eine Geschäftsreise mit dem Leihwagen unternehmen. Er beobachtete eine junge Frau mit hüftlangem Zopf, die zunächst alle Tische abwischte und sich dann dem Vogelhäuschen zuwandte. „Jetzt wird tatsächlich noch das Vogelhaus geputzt.“ Kais gute Laune vom Vorabend war verflogen, ohne Frühstück fuhr er los.
Während ich auf meinen zweiten Tee wartete, schaute ich mir das Vogelhäuschen näher an. Im Wasserschälchen war kein Wasser. Wie kam man auf die Idee, Vögeln Cola in die Tränke zu schütten? Und warum war das Häuschen möbliert? Es sah wie eine Puppenstube aus, mit kleinen bemalten Tänzerinnen und einem Glaselefanten.
Kais Termin war überraschend schnell erledigt und am Nachmittag fuhren wir zu einem weiter entfernt liegenden Strand. Die Straße schien direkt in die Felsen gehauen, und zur Wasserseite ging es unbefestigt fünfzig Meter hinunter. Ab und zu kamen uns Wagen entgegen und ich wunderte mich über das viele Hupen, als würde jedes Vogelhaus einzeln begrüßt. Am Strand war es ruhig und abends schlenderten wir über die Promenade. Leute stiegen aus blumengeschmückten Rikschas, Pärchen saßen verliebt beieinander und Kai nahm zärtlich meine Hand. Bald fiel mir auf, dass es noch weitere merkwürdige Vogelhäuser gab. Die meisten standen auf Pfählen, es gab kleine und große, manche waren lackiert und aufwendig gestaltet, andere sahen aus, als kämen sie als Serienmodell direkt aus dem Baumarkt. Mich wunderte, dass man viel für die Vögel tat, dabei hatte ich noch keinen einzigen gesehen.
Kai konnte meine Faszination nicht teilen und schlug vor, allein etwas zu trinken, damit ich in Ruhe fotografieren konnte. Zunächst war ich enttäuscht, aber dann ließ ich mich tiefer ins Getümmel treiben. Ich hatte fünfundzwanzig Häuschen fotografiert, als ich einen richtigen Vogelpalast entdeckte. Er war aus Marmor und zwei Meter hoch. Es gab Säulengänge und Türmchen, kleine Balkone und einen winzigen Springbrunnen. Ich fragte den livrierten Boy, der in der Nähe des Hoteleingangs stand, warum das Häuschen so groß war. Er schaute mich lächelnd an, doch seine Augen blickten ernst. „Madame, das lag an den vielen Unglücken, während das Hotel gebaut wurde.“ Was für Unglücke, wollte ich fragen, da tauchte Kai unvermittelt hinter mir auf und zog mich davon. Warum war er mir gefolgt? Und wie hatte er mich so rasch finden können? „Glaub nicht alles, was man dir sagt“, fauchte er mich an. „Natürlich ist das Haus so groß, weil das Hotel so riesig ist!“
***
Als wir später in unserem Hotel ankamen, war unser Tisch besetzt und ich sah Kai an, dass er am liebsten direkt aufs Zimmer gehen wollte.
„Hast du keinen Hunger?“, fragte ich ihn aufmunternd und er schüttelte mürrisch den Kopf; doch der Anblick des gegrillten Fischs auf den Tellern des älteren Ehepaars, das auf unseren Plätzen saß, stimmte ihn um. Sie waren beide Anfang sechzig und luden uns ein, ihnen Gesellschaft zu leisten. Das freute mich, die beiden wirkten nett und die Tiefe ihrer Bräune ließ darauf schließen, dass sie schon viele Wochen hier waren. Endlich konnte ich alle Fragen loswerden.
„Was hat es mit den Vogelhäusern auf sich?“ fragte ich gleich ohne Umschweife. Mir war egal, für wie naiv man mich hielt. Immerhin hatte ich wie Kai kaum Zeit gehabt, mich auf Thailand vorzubereiten. Kais Arbeitgeber war diesmal besonders spontan gewesen.
„Sie meinen wohl die Geisterhäuschen“, erwiderte der Mann lächelnd, als amüsierte ihn meine Frage. „Wenn immer ein neues Haus gebaut wird, glaubt man hier, dass dem Chao Thi, dem Erdgeist, sein Haus weggenommen wird.“
„Und dann muss man ihm wohl einen Ersatzwohnsitz anbieten, damit er Ruhe gibt“, warf Kai spöttisch ein.
„Ihr Mann hat ganz Recht “, mischte sich die Frau ins Gespräch. Sie hieß Eva und sah mit ihren dichten, halblangen Haaren umwerfend attraktiv aus. „Der Geisterglaube ist noch weit verbreitet und vor den Bauarbeiten lässt man den Dorf-Schamanen kommen, damit er den Platz für das Geisterhäuschen bestimmt .“
Ich hörte gebannt zu, Kai stand auf, bat um Entschuldigung und zog sich zurück, er hasste Aberglauben. Eine halbe Stunde später folgte ich ihm, ich schämte mich für unsere mangelnde Reisevorbereitung, die Eva gar nicht nachvollziehen konnte. Aber sie kannte auch nicht Kais Arbeitgeber. Und ich hatte vorher anderes zu tun, als alles richtig nach zu googlen. Und Evas Ratschläge halfen mir erst einmal weiter, bis ich das nächste Internetcafé fand.
Am nächsten Morgen wollte ich ein Blumenkränzchen an Kais Außenspiegel befestigen, wie es die Einheimischen taten. Auch wenn ich nicht an solche Dinge glaubte, war ich lieber vorsichtig.
Als ich das Zimmer betrat, war Kai eingeschlafen. Gern hätte ich noch gelesen, aber ich wollte Kai nicht wecken. Da fiel mir die Kamera ein und ich nahm sie mit ins Bett. Eingekuschelt in das dünne Laken, betrachtete ich auf dem winzigen Display meine Ausbeute. Im Dunkeln des Zimmers wirkten die Geisterhäuschen unheimlich, vor allem in der Vergrößerung.
***
Während Kai und ich uns zum Abschied am nächsten Morgen küssten, ein eher ökonomischer Kuss, fiel sein Blick auf das Kränzchen, das ich gekauft hatte, während er duschte. Eigentlich hatte ich eins basteln wollen, aber ich wollte nicht die Rhododendronblüten aus der Hotelanlage pflücken, wo ich ständig das Gefühl hatte, belauert zu werden.
Kais Reaktion überraschte mich nicht, fiel jedoch heftiger aus als erwartet.
„Musst du jetzt auch noch mit dem Aberglauben anfangen?“
Unangemessen grob riss er das Kränzchen vom Außenspiegel; wie Konfetti rieselten orangefarbenen Blüten auf den Boden. „Das kann ich dem Kunden nicht zumuten!“
Ich fragte mich, was mit Kai los war. Sonst war er eher besonnen.
Unser kleiner Streit konnte sich nicht weiter entfachen, weil Kai etwas im Zimmer vergessen hatte. Und während er ins Hotel verschwand, alles an ihm in ungewohntem Aufruhr, was mich amüsierte, nutzte ich die Gelegenheit, den Talisman unauffälliger zu platzieren. Mein Unbehagen vom Vorabend war noch da und es verstärkte sich, als ich Blicke im Rücken spürte, doch als ich mich umdrehte, war niemand da.
Ich verbrachte den Tag allein. Die Leute waren freundlicher zu mir, seitdem Kai losgefahren war. Fast hätte man meinen können, er hätte sie mit etwas geärgert.
Am späten Nachmittag trank ich wie meist meinen Tee auf der Terrasse.
„Möchten Sie mitkommen?“, fragte mich Eva, meine neue Bekannte vom Vorabend, „wir machen einen kleinen Ausflug.“
Froh über das verlockende Angebot schloss ich mich an und saß kurz darauf im Leihauto. Horst, ihr Mann, fuhr schweigend los. Die Besichtigung eines nahegelegenen Tempels lenkte mich ab. Zunächst, denn Kai wollte gegen Mittag zurück sein.
„ So sind die Männer, leicht abzulenken, gerade im Ausland“, sagte Eva und lächelte aufmunternd. Sicherlich hatte Kai unterwegs etwas entdeckt. Eine zweite Sache, bei der mein flotter Kai gern trödelte. Und ich tat es genauso, wenn auch nicht allein. Und auf dem Rückweg, etwa fünfzehn Kilometer vor unserem Hotel, gab es etwas, das nicht nur mein Fotografenherz höher schlagen ließ. An einer schwer einsehbaren Kurve stand neben der Straße ein ganzer Wald von Geisterhäuschen. Auch Horst, sonst eher einsilbig, suchte fieberhaft nach der nächsten Parkgelegenheit.
Die Nikon schwang auf seinem Bauch, er hatte es eilig, noch vor mir da zu sein. Eva sagte, dass es an dieser Stelle viele Unfälle gegeben hätte.
„Oder vielleicht ist es der Ort eines Verbrechens“, kam es von vorn. Dunkle Palmwedel erhoben sich über der Stadt aus Geisterhäuschen, dahinter lag dickichtartiger Wald. Horst scherzte, doch ich fragte mich, ob jedes Häuschen für ein Unfallopfer stände. Wie bei uns Kreuze oder frische Blumen am Straßenrand. Auch hier gab es Blumen, manche hingen als Girlanden von Dächern oder kleinen Brüstungen.
„Vielleicht ist nie etwas passiert“, sagte Eva nachdenklich, „und die Geisterhäuschen dienen nur zur Vorbeugung.“ In der Tat schienen die Thais umsichtig zu fahren.
Aus der Nähe sahen die Häuschen noch pittoresker aus. Sie standen auf bunten, meist weißen Pfählen und jedes Häuschen umgab eine kleine, umlaufende Terrasse; wie auf einem Tablett drängten sich Vasen, Glastiere und Obst. Wer kam hier hin, fragte ich mich beim Anblick eines Tellers mit frischen Bananen. In einem anderen Häuschen, das schreiend pink angestrichen war, entdeckte ich einen winzigen Fernseher und als ich mich bückte, um ihn genauer zu betrachten, fröstelte es mich; Evas Hand auf meinem Arm war kühler als gedacht.
“Ihr Mann ist … etwas überraschend, wenn ich das so sagen darf, mein Mann war auch oft eilig, meist voreilig, aber dann -“ Ich fragte mich, was Eva mir sagen wollte, ihr Ton klang warnend und warum wählte sie die Vergangenheitsform, da rief Kai an.
Er käme später, es hätte einen kleinen Unfall gegeben.
„Ein Unfall“, wiederholte ich entsetzt und Eva schaute mich besorgt an.
„Nein, nein, Schatz“, beruhigte mich Kai, „nicht ich.“ Auch wenn der Unfall seinen Kunden betraf, bedrückten mich seine Worte, als zögen drohende Wolken am Himmel auf und die hübschen Häuschen wirkten fahler, fast unheimlich.
***
Zum Abendbrot war Kai noch nicht zurück. Von der Terrasse aus beobachtete ich, wie sich ein paar Jungen, alle ungefähr zehn Jahre alt, etwas zuwarfen. Vielleicht war es eine Frisbeescheibe, die sie von einem der Farangs geschenkt bekommen hatten. Ein Junge sah zu mir hin, in seiner Hand sah ich etwas glitzern, vielleicht war es ein Messer, aber er steckte es schnell in seine Hosentasche, als er mich bemerkte. Aus großen, dunklen Kinderaugen schaute er mich ernst an, lauernd wie das Hotelpersonal am Morgen. Nicht feindselig, aber es war, als wüsste er etwas. Und ich erkannte auch etwas und der orangefarbene Gegenstand, den sich die Kinder im schwindenden Licht zuwarfen, war keine Frisbeescheibe, sondern ein dicht geknüpftes Blumenkränzchen.
Eins, wie ich am Morgen an Kais Auto gesteckt hatte. Vielleicht hatte er es beim schnellen Losfahren verloren. Oder die Kinder hatten es gefunden. Oder gestohlen.
Ich lief zu ihnen hin, erschreckt stoben sie davon und ließen das Kränzchen fallen und nun war es an mir, mich zu erschrecken: Inmitten der verwelkten orangefarbenen Blüten steckte eine filigrane, rote Kugelblüte, unversehrt von Spiel und Hitze, eine Thai Lucky Plant, wie der Blumenverkäufer am Morgen erklärte, nachdem er sie ungefragt in mein Kränzchen hineingeflochten hatte. Ist es für Ihren Mann? Sie werden viel Glück brauchen.
„Was war denn los?“, fragte mich Eva, die alles von ihrem Tisch aus beobachtet hatte. Ich konnte es nicht erklären und Horst betrachtete mich noch skeptischer. Unser gemeinsamer kleiner Ausflug war nicht einmal zwei Stunden her, dazwischen besorgtes Warten und ein harmloser Wortwechsel zwischen Horst und dem Kellner, und doch schaute er mich so anklagend an, als hätte ich ihm nicht nur den Abend, sondern auch den Rest seines Urlaubs verdorben.
Nimm es nicht so wichtig, schien Evas Blick zu bedeuten, Männer mögen es nicht, wenn man sich Sorgen macht.
Als Horst ins Haus verschwand, flüsterte Eva: „Was möchtest du mit der Blutblume?“
„Blutblume? Du meinst wohl die Thai Lucky Plant“, entgegnete ich. „ Eigentlich sollte sie mir Glück bringen, aber Kai ist immer noch nicht da.“
„Vielleicht solltest du froh sein", sagte Eva.
„Warum denn das?“, fragte ich entgeistert.
„Du kennst deinen Kai nicht “, sagte sie mit einem Tonfall, der Ungutes verhieß und flüsterte: „Horst könnte dir etwas erzählen. Etwas, womit du nie gerechnet hättest.“
„Das kann er gleich tun, wenn er wieder da ist“, sagte ich ruhig. Wie hatte ich glauben können, dass Eva eine nette Urlaubsbekanntschaft wäre, ihre halblangen Haare erschienen mir jetzt lehrerinhaft und Horst war nichts als ein Besserwisser, der davon ablenkte, dass er nur billig überwinterte.
Demonstrativ stand ich auf und setzte mich an einen anderen Tisch, möglichst weit weg. Leider auch außer Sichtweite des Kellners, bei dem ich mir einen Swimmingpool bestellen wollte, den ersten des Abends, ich wollte mich betrinken, bis Kai wieder da war. Und dann würde er mich gleich nach oben in unser Zimmer führen. Der Kellner hatte mich beobachtet, doch er tat so, als wäre ich Luft. Ab und zu kamen die kleinen Jungen, die Kais Kränzchen gestohlen hatten, und lehnten im Türrahmen. Der kleinste, der eine für sein Alter sehr rauhe Stimme hatte, zeigte mit dem Finger auf mich, dabei waren die Thais sonst immer auf Höflichkeit bedacht. Die Frau mit dem langen Zopf, die seine Mutter zu sein schien, war nicht da, sie hätte ihn zur Räson gebracht, mit zarten, aber bestimmten Gesten. Ich wunderte mich, wo sie war, und stellte mir ihren wunderschönen Zopf vor, in den eine Glassteinkette geflochten war, in dem gleichen satten Orange wie das Blumenkränzchen. Vielleicht hatte ich die Jungs mit meiner kleinen Verfolgungsjagd zu sehr erschreckt. Wie richtig ich mit dieser Theorie lag, bemerkte ich, als der Kellner mit unhöflich schnellen Schritten auf mich zukam.
Im Gegensatz zu Kais verhandlungssicherem Englisch verstand ich nur Bruchstücke.
The boys were only 10 years old. Wie ich schon selbst vermutete. How did you dare. Und der kleinste Junge grinste böse.
Als wäre ich nicht schon genug blamiert, alle sahen zu mir hin, kam Horst an meinen Tisch. Und wiederholte und übersetzte alles. Nicht nur für mich. Wie hätte ich den armen Jungen so ärgern können. Aus naiver, europäischer Egozentrik.
Was mein Kai getan haben sollte, übertraf die an mich gerichteten Vorwürfe um ein Vielfaches und jeder Gast schien mit dem Kopf zu schütteln. Dabei hörte ich nur Englisch um mich herum. Kai habe sich doch tatsächlich am Obstteller des Geisterhäuschens bedient und eine Banane gestohlen. Eine kalte, in Teig eingewickelte Banane und es gipfelte in der Beschuldigung, er hätte ein Handtuchtier in eindeutiger Weise umgefaltet.
„Aber in dem Kränzchen steckte doch eine thai lucky plant“, versuchte ich Horst mit Logik zu überzeugen.
„Die sind hier sehr lucky, wenn sie ahnungslosen Mädchen noch etwas extra verkaufen.“
Die glühendrote Blume leuchtete wie eine Wunderkerze in meiner Hand.
Sie werden viel Glück brauchen.
Das klang nicht wie ein besonders geschickter Verkaufsslogan.
Ein Geisterhäuschendiebstahl. Wie lächerlich. Als würde es die Geister interessieren. Oder die Hotelangestellten. Hatte ich doch einen von ihnen beobachtet, wie er sich eine Flasche Scotch „auslieh“. Aber vielleicht waren die Geister mit Touristen weniger nachsichtig. Vielleicht setzte sich die allgegenwärtige Ungleichbehandlung, auch der Tempeleintritt war für Farangs um ein Vielfaches teurer, wie ich bei dem Ausflug mit Eva und Horst feststellen musste, überall fort. Auch auf der Geisterebene.
***
Und in diese Überlegungen hinein, erhob sich der Tumult. Eine vielversprechende Geschichte von einem mysteriösen Unfall, der meinen „Vorfall“ zügig unter sich begrub. Wie ich zunächst glaubte. Und ich erschrak, als man mich wieder ansah. Als hätte ich auch mit dieser Sache etwas zu tun. Diesmal waren die Blicke mitfühlender, was mir keinesfalls weniger unangenehm war. Und doch war ich genauso angespannt, genauso nervös wie die anderen.
Diese Sache war einfach. Ein Deutscher und eine Thai.
Und sie waren – wie schon viele vor ihnen – gegen das Zweimetergeisterhaus gefahren.
Es gab nur eins in der Nähe.
Das war dort, wo Kai mich am zweiten Abend fortgezogen hatte, vor dem mit roten Teppichen gesäumten Hotel, wo es livrierte Boys gab.
Ich sah den Marmor, all die kühle Pracht wieder vor mir.
Vielleicht hatte es keine Unfälle während der Bauzeit gegeben. Sondern später. Immerhin stand das Ding vorn an der Straße. Im dichtesten Gewühl.
Was war mit dem Paar passiert? Die Frage wurde eifrig, aber nicht abschließend diskutiert. Schrammen auf dem Marmor.
Waren sie tot? Im Krankenhaus? Auf jeden Fall war man sich einig, dass sie ein Liebespaar waren.
Ein deutscher Manager und eine Hotelangestellte.
Warum schauten alle mich an?
Selbst Horst und Eva. Dabei wussten sie doch genau, wo wir um siebzehn Uhr gewesen waren. In der Geisterstadt. Im Geisterhäuschenwald. Und Kai hatte selbst von einem Unfall gesprochen.
Es war nicht er, wollte ich schreien. Es war sein Kunde.
Oft hatten die Kunden etwas mit Thais. Kai hatte oft davon erzählt, manchmal mit so unschönen, eindringlichen Details, als wäre er selbst dabei gewesen.
Auch wenn man etwas dagegen hatte, dass sich Paare in der Öffentlichkeit küssten oder Händchen hielten (auch Kai entzog mir oft die Hand), so war man durchaus einverstanden, wenn damit höhere Ziele verfolgt wurden, Collegegebühren bezahlt oder ein neues Auto gekauft werden konnte.
Der Kellner kam jetzt zu mir. Ein Swimmingpool. Auf Kosten des Hauses. Als sähe er ein, dass ich Trost brauchte. Ich trank hastig. Und das böse Kind brachte mir ein weiteres Glas. Und später ein drittes und ein viertes. Als wollte es sich entschuldigen. Später gab der Kellner zu, die Kinder hätten tatsächlich mein Kränzchen genommen. Es hätte jedoch schon vorher auf dem Boden gelegen.
***
Nach oben in mein Zimmer schaffte ich es kaum, Nachtluft kam mir entgegen, die Fenster waren wieder offen. Was hätte man alles stehlen können! Oder vielleicht war jemand eingestiegen?
Ich streckte mich auf dem Bett aus. Zu betrunken, um nervös zu sein. Ich nahm eins der Handtuchtiere, was sollte man schon daraus falten können? Besonders, wenn man so schöne und so ungeschickte Hände wie Kai hatte, die nur Blackberrys und gewisse Zonen sicher bedienen konnten, wie ich behaglich feststellte, und hoffte, dass Kai bald zurück kam. Vor allem hoffte ich, dass er gewisse Zonen nicht ausweitete. Die letzten Gerüchte hatten mich doch beunruhigt.
Konnte seine sportlichbraune Hand mit der teuren Carrera am Handgelenk, nicht nur flugs eine Banane aus einem Vogelhäuschen entwenden und unbemerkt in den hungrigen Mund stopfen, sondern ebenso heimlich über den glänzendschwarzen Zopf einer Thai streichen, einer Kellnerin von der Frühstücksterrasse, und nicht nur über ihre verführerischen, meterlangen Haare?
Das erklärte, warum der Junge so böse auf mich war. Ich war die Freundin seines Feindes. Der ihm seine Mutter wegnahm. Eine Theorie, an die ich nicht einmal selbst glaubte. Andererseits hatte Kai tatsächlich besonders lang geduscht und im Grunde sich nicht für das Vogelhäuschen interessiert. Sondern nur für die anmutige Rückenansicht der Frau, die Cola in ein Schälchen goss.
Es war nicht sein erster Besuch hier. Hier, in diesem Hotel. Horst hatte sich genüsslich an meinem erstaunten Blick geweidet. Der Kellner habe ihm das gesteckt. Ich sah alles mit anderen Augen, unseren ersten Abend, unser erstes Frühstück. Und Eva hatte nicht aus Freundlichkeit gefragt, ob ich Lust auf einen Ausflug hätte. Nur aus wissendem Mitleid. Alles war so desillusionierend, dass ich ablehnte, daran zu glauben. Und Kai würde nie etwas mit einer Kellnerin anfangen. Obwohl manche Studentinnen waren. Aber warum hätte er mich mitnehmen sollen? Das war meine Kernfrage. Allein in Thailand wäre es doch viel einfacher, kleinen Abenteuern nach zu gehen. Nicht nur die Geschichte mit der Banane klang erfunden.
Ich würde im Bett liegen, er würde mich überraschen. Ich träumte von Vögeln, die mit riesigen Schwingen ins Zimmer flogen, in die nächtliche Dunkelheit zwischen Schränken und Tisch und mitnahmen, was sie vorfanden. Schmuck, Geld, Kreditkarten.
Ich fiel in einen unruhigen Schlaf und es war nicht Kai, der mich am nächsten Morgen wachküsste, sondern ein wüstes Hämmern gegen die Tür, das mich weckte. Noch ganz benommen, wunderte ich mich, wer mir gegenüber stand.
Der Mann war freundlich, keiner der üblichen Hotelangestellten, er konnte sogar etwas Deutsch. Das überraschte mich am meisten. Er stellte sich mit Yai vor. Vielleicht war es der Hotelmanager.
Er gehörte zur Touristenpolizei. Für einen Polizisten sah er zu jung aus.
Und von einer Touristenpolizei hatte ich noch nie gehört.
Aber es stimmte. Und erst als ich seinen Ausweis sah, überfiel mich die Angst. Mein Herz flatterte wie bei einem gejagten, kleinen Vogel, schnell, heftig und ich musste sehr blass ausgesehen haben.
Kai. Hatte man ihn gefunden? War er tot? War er verletzt? Lag er im Krankenhaus? Wann konnte ich ihn besuchen? Und ich merkte, wie sauer ich auf ihn wurde.
Horst hatte die Hotelleitung verständigt und diese die Polizei. Man wollte, dass jeder Gast sich wohlfühlt und es kam viel schneller jemand, als zuhause.
Ein Unfall?
Es gibt viele Unfälle.
Sein Kalender?
Nein, den hatte er natürlich mitgenommen. Ich dachte an Kais umständlichen Organizer. Obwohl er mir sonst kaum etwas von seinem Job erzählte, hatte er diesmal einen Namen erwähnt. Der Mann hieß Jones. Kai hatte sich über ihn geärgert, er mache alles komplizierter als notwendig. Ansonsten war Jones für mich gesichts- und alterslos geblieben. Ich wusste weder was er machte, noch wo er wohnte. Doch ich war froh, dem Polizisten, wenigstens etwas nennen zu können. Wenigstens ein Name.
Aber Yai kannte ihn schon. Für einen kleinen Touristenpolizist war er ungeheuer clever. Wie hatte er das nur herausfinden können? Mehr noch: Er hatte diesen Jones sogar schon aufgesucht! Ich konnte es kaum glauben.
" Ihr Mann hat sich tatsächlich mit ihm getroffen", sagte der junge Polizist und schaute mich besorgt an. "Es gab auch den Unfall." Er zögerte und ich fragte mich, mit welch Unannehmlichkeiten er mich noch überraschen wollte.
"Nur war der Unfall schon Tage vorher gewesen."
Ich erschrak, damit hatte ich nicht gerechnet.
Aber immerhin konnte mir Yai versichern, dass es sich bei dem Mann, der mit seiner Thaifreundin in den Vogelpalast gerast war, nicht um Kai gehandelt hätte. Natürlich nicht.
Dass Einzige, was ich hätte aushändigen können, wäre Kais Digitalkamera gewesen, mit der meist ich fotografiert hatte. Alles andere - Laptop, Handy, Brieftasche war fort. Mit Kai fort. Im Zimmer hingen nur noch ein paar Anzüge, die von irgendeinem Hotelgast hätten stammen können.
Ich verschwieg Yai die Kamera. Vielleicht hätte man die Geisterhäuschen nicht fotografieren dürfen.
Man ließ mich allein.
Ich ahnte, dass Eva bei mir vorbeischauen würde.
Aber vorher würde ich nach Deutschland telefonieren. Mit Kais Arbeitgeber.
Es war, wie ich vermutet hatte.
Es gab keine Geschäftsreise. Aber die Geschichte, an die alle glaubten, war mir zu einfach. Es gab mehrere Versionen, die jedoch in einem Punkt übereinstimmten: Kai und die Schöne mit dem Zopf waren ein Liebespaar und nach Horsts Theorie nicht einmal ein heimliches. Während ich das Zimmer verzweifelt nach Anhaltspunkten durchsuchte, dachte ich darüber nach, ob Kai sich tatsächlich vor mir verstecken könnte. Irgendwo, in einem fremden Hotel. Aber wozu? In einer anderen Variante war er tot, ein besonders tragischer Unfall nach einem romantischen Date. Ich fragte mich, was Yai in den nächsten Tagen noch herausfinden würde, wenn er noch etwas herausfinden konnte. Solange man keine Leiche fand, galt Kai weiterhin als vermisst. Und nach der Vorgeschichte nicht einmal als vermisst.
Unser Zimmer war nur bis zum Ende der Woche bezahlt.
Zum Glück fand ich die Flugtickets.
***
Es war, als wäre alles in mir tot und vielleicht schaute ich mir deshalb zuhause am liebsten die Fotos vom Friedhof an. Vom Vogelfriedhof. So nannte ich die Geisterhäuschenstadt mittlerweile. Es hatte dort tatsächlich Vögel gegeben. Kleine, lautlose Vögelchen, die in den Tränken nichts finden konnten, was für einen Vogel gesund und lecker war.
Vieles wirkte verändert, als hätten die Fotos ein Eigenleben entwickelt. Das rosafarbene Häuschen war schmutziger und auf dem winzigen Fernseher war ein Bild zu sehen, das vorher nicht da gewesen war; ein Vampir biss in den zarten Hals eines Mädchens; die Ma-Deers und Ngors träumten vom selben Teenieglück wie Europäerinnen. Und doch war der Biss unheimlich.
Die hübschen Blumen welkten und es hingen in den Zweigen tatsächlich Dinge, die ich vorher für Auswüchse von Horsts schmutzigster Phantasie gehalten hätte. Ich fragte mich, wie die Pärchen es taten, die Häuschen standen so dicht neben einander, dass selbst für die zierlichsten Thais kein Platz war, allenfalls im Stehen. Und zumindest drückten auch hier die Geister ein Auge zu. Immerhin wurde man hier etwas weniger beobachtet, als in den Hotels oder auf der Straße.
Schleifen wehten im Wind. Manche Mädchen vergaßen hier mehr als nur ein paar bunte Haarspangen. Am meisten wunderte ich mich, dass es zwischen den Opfergaben – meist Bananen, Blumen, Tiere aus Holz und Glas – auch Schmuck gab, Ringe, Armbänder, Perlenketten. Als brächten diebische Elstern glitzernde Schätze heim, um ihre Häuschen zu schmücken.
Und Bettler hätten sie schon längst mitgenommen, auch das Essen, wenn es nicht so weit gewesen wäre. Ich erinnerte mich, dass Kai gesagt hatte, dass die Hotelangestellten manchmal zu Fuß kamen oder mit dem Fahrrad, trotz der bunten Busse, die überall zu sehen waren.
Was, wenn die Schöne mit dem Zopf vorbei gekommen wäre, Kai hätte sie mitgenommen. I give you a lift, eine unschuldige Mitfahrgelegenheit zum gemeinsamen Hotel.
Und es überraschte mich nicht, als ich inmitten all der Pracht, der orangefarbenen Blumengirlanden, der Kerzen und es war mir sogar, als könnte ich wieder den fremden Duft der Räucherstäbchen riechen, zwei ineinander verschlungene, vertraute Gegenstände sah, vertrauter als mir lieb war. Schlangengleich wand sich eine Glassteinkette um das luxuriöse Armband einer Uhr. Orangefarbene Steinchen, die in fernem Spätnachmittagslicht noch verführerischer glänzten als im Morgenlicht. Zartes Leder, das sich vorher an goldene Härchen geschmiegt hatte. Und ich war nicht sicher, ob die Perlenschlange, die Carrera würgte oder zum Liebesspiel aufforderte. Vielleicht war alles anders und die Schöne hatte geglaubt, sich gegen Kai verteidigen zu müssen. Gegen meinen Kai. Er war nie grob, geschweige denn gewalttätig gewesen.
Glassteinkette und Uhr. Auf jeden Fall fragte ich mich, wer - Vögel oder Geister - seine Hände, beziehungsweise Schwingen im Spiel gehabt und diesen grausamen Streich ausgedacht hatte. Denn um etwas anderes konnte es sich nicht handeln.