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Texas Joe - Jeck mich doch!
Es ist Dienstag, und Texas Joe ist heute nicht ansprechbar. Und das nicht nur, weil er einen Kater hat. Er guckt nämlich Videos: Rosenmontagszug! Mainz, Köln, Düsseldorf - alle Hochburgen in S-VHS und HiFi-Stereo!
Er hat ein wenig Nachholbedarf, nachdem sein gestriger kultureller Entdeckungsfeldzug in Sachen organisierten Zwangsfrohsinns so kurz und schmerzlos von zwei freundlichen Düsseldorfer Altstadtpolizisten beendet wurde: Sie hatten ihn unsanft vom Festwagen des Prinzenpaares gepflückt, welchen er zwecks Erhöhung seiner Kamellequote kurzerhand erstiegen hatte. Als sie ihn schließlich, sturzbetrunken wie er war, bei mir ablieferten, verboten sie mir ausdrücklich, ihn vor Donnerstag wieder aus dem Haus zu lassen: "Der Mann", so ihr Kommentar, "ist ja wahnsinnig!"
Wem sagen die das. Ich habe ein paar wirklich anstrengende Wochen hinter mir.
Denn Texas Joe ist regelrecht süchtig nach Karneval. Seit er im November irgendwann zufällig gehört hat, daß in diesen Breiten tatsächlich eine ganze fünfte Jahreszeit dem Pappnasenwahn gewidmet ist, war er nicht mehr zu bremsen. Er hat sich den "Großen Rheinischen Fasteloovens-Führer" einverleibt, in nur einer Nacht! Er hat gelernt, mit Bordmitteln lustige Kostüme zu schneidern, kann mit verbundenen Augen Pils von Kölsch und Killepitsch von Fensterreiniger unterscheiden und hat sämtliche im Führer verbuchten 78 Pflichtschunkelhymnen auswendig gelernt.
Das war wirklich eine Belastungsprobe: Texas Joe, der zwischen Aufstehen und heiserem zu Bett sinken 12 Stunden lang "Die Karawaaaaane zieht weiter..." intoniert, das kann die stabilste WG-Beziehung ins Wanken bringen. Nicht mal sorgfältig plazierte Schauergeschichten über schunkelbedingte Großhirnschäden und Flutwellen von postkarnevalistischen Vaterschaftsklagen konnten seine Begeisterung dämpfen.
Aber mittlerweile geht es wieder, so rein mental. Denn Aschermittwoch ist ja nur noch 24 Stunden entfernt. Satte 2400 Stunden näher, als an jenem Tag, an dem Texas Joe anfing Büttenreden zu üben. Alle großen Klassiker der schwiegermutterwitzgeprägten Wochenendhumoristen, u.a. auch das komplette Colonia-Duett-Programm von 1972-89, unter verschiedensten Promillebedingungen getestet. Und Texas Joe ist fit! Er kann selbst unter Alkoholvergiftung und mit Magensonde im Hals noch perfekt kölsch "Du Ei!" sagen und dabei Mandoline spielen...
Aber man muß nachsichtig mit ihm sein. Er ist nicht wirklich wahnsinnig. Nur kulturell benachteiligt. In seiner Heimat gibt es nämlich keinen Karneval! Texas ist in dieser Hinsicht noch vergnügungstechnisches Entwicklungsland. Dort sind die Leute rückständigerweise gezwungen, sich total unorganisiert zu den absurdesten Jahreszeiten völlig unmotiviert und festkommiteelos zu amüsieren - die zivilisatorischen Segnungen von Pappnase und Prinzenpaar sind noch nicht bis ins barbarische Houston vorgedrungen. Hmmm...klingt ein wenig nach dem Paradies auf Erden...
Dieser Scheißkarneval ist echt gefährlich! Wenn selbst ICH schon anfange, IRGENDWAS an der amerikanischen Kultur gut zu finden, wird es wohl wirklich langsam Zeit für Aschermittwoch. Vermissen werde ich jedenfalls nix, am allerwenigstens die bescheuerte Verwandtschaft unserer Nachbarn. Die kamen zu Weiberfastnacht von der Nordseeküste runter, wo man ja bekanntlich vom Feiern auch wirklich gar nix versteht. Die angeheirateten Düsseldorfer Vergnügungsexperten haben die Frischlinge dann erstmal mit etlichen Flaschen "Schöne Müllerin" dicht gemacht, und seit dem hört man aus der Nachbarwohnung rund um die Uhr ein erheiterndes Konzert aus harmonisch egalisierten Party-Liedern, unterbrochen von den typischen Anfeuerungsgesängen niederrheinischen Pegelsaufens und gelegentlichen Reihergeräuschen.
Weshalb Texas Joe auch den Fernseher so laut gedreht hat, daß die Scheiben klirren. Videorecorder stapeln sich unterm Fensterbrett, damit er sich sämtliche Rosenmontagsumzüge, die er verpasst hat, jetzt in aller Ruhe anschauen kann. Der kindliche Enthusiasmus, den er dabei an den Tag legt, ist beinahe herzergreifend: Selbst der fünfzigste zwangshumorig vorbeidefilierende Pappmachéwitz zum Thema Parteispendenaffäre entlockt ihm noch katergedämpfte Schreie des Entzückens. Da kann ich nur noch den Kopf schütteln, was er natürlich nicht bemerkt, weil er ja Videos guckt: Rosenmontagszug! Aber ich glaube, das erwähnte ich schon...
Nach dem siebten Blaskapellen-Durchmarsch von "Mer losse dr Dom in Kölle..." greife ich nach der Whiskey-Flasche, die Texas Joe aus karnevalsideologischen Gründen zugunsten von Altbier und "Kleinem Feigling" seit Tagen keines Blickes mehr gewürdigt hat. Ich schnappe mir noch den Zahnputzbecher mit dem Hustensaftlogo drauf und verziehe mich schließlich in den Keller, wo ich augenblicklich bereue, daß ich dort keine Atombombe habe, an der ich nun geruhsam weiterbasteln könnte.
Naja, vielleicht nächstes Jahr...