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Teufelsland
»Ich bin's, Hank Foley«, rief der Alte und trat zurück in den Feuerschein. Er hob die Arme, als wollte er sich auf den anderen stürzen.
»Nein, bist du nicht«, sagte der andere. Er schaute weiter ins Feuer und riss mit den Zähnen ein Stück aus dem schwarzen Fleisch, das er in den Händen hielt. »Du bist nur der, der pissen war. Außerdem bist du zu alt.«
Der Alte knöpfte im Schein des Feuers den Hosenstall zu. »Woher willst du das wissen? Alles Gerüchte. Niemand weiß was Genaues über den. Der kann auch uralt sein.«
Der andere kaute und nickte still. Er schluckte und sagte: »Ich hab den mal gesehen und du, du siehst dem noch nicht mal ähnlich.«
Der Alte ließ die Arme sinken, grinste und zeigte dabei seine Zahnlücke. »War'n Versuch wert.« Er schlug die Mantelschöße nach hinten und ließ sich erstaunlich behände in den Schneidersitz sinken. »Du hast ihn also gesehen, he?«
»Yep.« Der andere kaute weiter, drehte den mageren Schenkel in der Hand.
»Gesehen will er ihn haben. Da ist er nicht der erste, nein, nicht der erste«, murmelte der Alte. Er nahm einen Stock und stocherte im Feuer, das aufflammte. »Wie sah er denn aus?«
Der andere bewegte sich nicht. Nur der Blick wanderte nach oben, wo eine Wolke kleiner Funken vor dem Nachthimmel tanzte. Als sie verglüht war, schaute er auf seine glänzenden Finger und kaute weiter.
»Na, wie du und ich«, sagte er und warf den abgenagten Knochen ins Feuer. »Aber wenn du ihn getroffen hast, vergisst du ihn nicht mehr.«
»Das sagt ja alles«, sagte der Alte, »alles und nichts.« Mit den Armen nach hinten gereckt zog er eine Pferdedecke hinter den Rücken. »Wenn du ihn nicht vergessen hast, muss er wohl was Besonderes an sich haben. Außer seinem Ruf, mein ich jetzt.«
Der andere griff zur Seite, drehte die lederne Feldflasche auf, trank einen Schluck und rülpste. »Könntest recht haben.«
»Ich hab gehört, der hat drei Männer getötet, fünf Pferde und zweiunddreißig Hühner.«
»Könnten auch ein paar Hühner mehr gewesen sein«, sagte der andere und nahm sich den zweiten Schenkel. »Du frisst auch alles an Flattervieh, was dir übern Weg läuft, nicht wahr? Oder hörst du bei zweiunddreißig auf?«
»Nee, das nicht, aber bei ihm waren das zweiunddreißig auf einen Schlag, hört man.«
»Und neben dem Hühnerstall hat er auch die ganze Farm abgefackelt. Die Geschichte kenn ich«, sagte der andere. »Die stimmt so aber nicht, das ist nicht die ganze Wahrheit.«
»Stimmt so nicht, sagt er, der Herr. Aber, wenn das so nicht war, wie war's denn dann?« Wieder stocherte der Alte in den Flammen, ein Ast fiel auf die Glut. Durch die verglühenden Leiber von Käfern, die in der Rinde steckten, war ein langgezogenes Fiepen zu hören.
Der andere kaute eine Weile bedächtig und schluckte mit einem Schmatzen.
»Nun, Hank Foley, der hatte die Farm gewonnen, beim Poker, ganz ehrlich und gemäß der Spielregeln, weißt du?«
Mit den Ellenbogen auf den Knien drehte er den Knochen in der Hand. Sein langer Schatten im Gras sah aus wie ein Wolfskopf mit zuckendem Maul.
»Die ganze Farm?«, fragte der Alte. »Mit Mann und Maus?« Das Gesicht war rot, in ihm spiegelte sich die Hitze des Feuers.
»Alles, jedes Küken, die Kutsche mit Pferden, jedes Rindvieh, sogar seine Tochter und seine Frau hatte der Farmer gesetzt.« Der andere spuckte einen Knorpel in die Glut, die kurz aufzischte.
»Hm, so war das also. Und Hank Foley hat alles genommen, Weib, Kind, alles …«, schnaufte der Alte. Die Augen waren weit geöffnet. Ebenso die Nasenlöcher.
»Hat er nicht, er hätte alle gehen lassen, er wollte nur das Land, das ihm zustand.« Der andere war ganz ruhig. Als es einen Moment still war, drehte er den Kopf und lauschte in die Nacht. Argwöhnisch hob er eine Braue, als hätte er etwas gehört.
»Lass mich raten … der Farmer wollte es ihm nicht geben?«
Der andere nickte. »Hat Großzügigkeit mit Schwäche verwechselt, der Ochse. Dummer Fehler.«
»Ja, dummer Fehler, wirklich ein dummer Fehler, wenn es so war, wie du sagst«, sagte der Alte. »Und wie passen die Hühner da rein?«
»Hat Hank Foley erledigt, jedes einzelne«, sagte der andere.
»Saßen die alle nebeneinander auf dem Zaun?«
»Er hat mit seiner Flinte durch die Bretterwand vom Verschlag geschossen.«
»Ohne sie zu sehen?«, sagte der Alte. »Das glaube ich nicht.«
»Kannst du glauben oder lassen. Jedenfalls …« Er nahm den Hühnerknochen in beide Hände und brach ihn durch. »Jedenfalls waren die Hühner erst der Anfang.«
Eine Sternschnuppe verglühte am Nachthimmel. Von den großen Pinien wehte ein Duft nach Baumharz herüber, das die Hitze des Tages aus ihnen herausgepresst hatte. Der Alte wippte mit den Knien.
»Aber warum die Pferde? So'n Armeegaul oder 'n gezähmter Mustang ist schon 'ne Hand voll Dollar wert.«
Der andere lachte heiser. »Gute Pferde waren das, ja wirklich, gute Tiere. Schade drum.« Er griff in den Sand neben sich und rieb damit das Fett von seinen Fingern. »Aber weißt du, das Problem ist, die Biester haben die Angewohnheit, jemand auf ihrem Rücken reiten zu lassen.«
»Nicht wahr.« Dem Alten fiel der Anflug von Spott in seiner Antwort auf, doch der andere sprach weiter, als hätte er nichts bemerkt.
»… oder um genau zu sein: wegreiten zu lassen.«
»Verstehe«, sagte der Alte und pfiff durch die Zahnlücke. »Also wollte er keinen entkommen lassen.«
»Yep. Denk mal nach, was passiert, wenn jemand auf einem Pferd davonreitet. Ich meine, wenn er jemandem entkommen ist, der neben einer Flinte auch ein richtig gutes Gewehr hat. Eine Winchester mit langem, geradem Lauf. Und der damit umzugehen weiß. Wohin reitet der?«
»Ich würde reiten wie der Teufel, egal wohin, und beten, dass er nicht trifft. Und später mit Verstärkung zurückkommen«, sagte der Alte und streckte seine Handflächen den Flammen hin. Eines der Pferde schnaufte in der Dunkelheit.
Der andere holte eine Dose Kautabak aus seiner Jacke und rieb sich eine Prise ins Zahnfleisch. Eine weitere stopfte er unter die Lippen.
»Sie kamen auch so. Später. Das Feuer, das Hank Foley legte, als er fertig war, konnte man bis in die Stadt sehen.« Mit den Fingerspitzen strich er über den Schnurrbart und kaute langsam.
Unter der Hutkrempe her musterte der Alte den anderen und kratzte sich am Ohr. Bevor er sprach, drehte er das Gesicht zu den züngelnden Lohen, als erwarte er von dort die Antwort: »Und die Frauen?«
Der andere mahlte mit dem Kiefer und sprach mit dicken Lippen. »Wusste damals niemand. Sie fanden drei Männer. Tot. Von den Frauen fehlte jede Spur.«
»Fehlte jede Spur … und der Farmer?«, fragte der Alte. Seine Stirn lag in Falten. Das flackernde Feuer warf dunkle Flecken in sein Gesicht.
»Du bist neugierig, Alter, beinahe vorwitzig, aber was soll´s …«
Der andere räusperte sich geräuschvoll und ließ seine Zunge im Mund kreisen.
»Den Farmer fanden die Leute aus der Stadt mit einem Seil an den Brunnen gebunden. Das war schon ein paar Yards lang, aber gerade zu wenig, um bis zum Haus zu kommen. Vor ihm standen zwei Eimer Wasser. Randvoll.«
Der Alte nickte bedächtig und klappte den Mantelkragen in den Nacken. »Es muss hart gewesen sein, alles zu verlieren – für ihn und die Frauen.«
Der andere spuckte braunen Tabakrotz in den Sand. Als er sprach, leuchteten seine Lippen vor braunen Zähnen.
»Sie haben es überstanden. Und mit der Zeit wurden sie – dankbar, sagt man.« Dabei griente der andere. Der Alte stierte still ins Feuer. Einen Moment lang war nur das Knistern der Flammen zu hören. Weiter entfernt heulte ein Kojote. Unter einem der Büsche im Dunkeln raschelte eine Maus.
»Woher weißt du das, das mit der Dankbarkeit?«, fragte der Alte. Er legte einige trockene Zweige nach.
Mit einer fließenden Bewegung zog der andere ein langes Jagdmesser aus seinem Umhang. Er nahm einen Stock und schnitt einen Span ab. Das Messer schnitt durch das Holz, als wäre es grüner Speck. Behutsam spaltete er den Span und steckte ihn zwischen die Zähne. Zum ersten Mal sah er den Alten an und zuckte mit dem Mundwinkel.
»Weißt du, manche sind alt, manche sind fremd und doch merkwürdig vertraut. Mal ist man der Farmer und mal Hank Foley. Je nachdem, mit wem man am Feuer sitzt.« Das Messer hielt er senkrecht, der Widerschein der Flammen tanzte auf der Spitze.
»Ja, möchte schlau klingen, stimmt aber nicht ganz«, sagte der Alte, kratzte sich den Wanst, ließ dabei seine Hand unter dem Mantel wandern. »'Leute wie du und ich', das gibt es nicht. Wir sind alle jemand und wir bleiben, wer wir sind, das kommt von tief unten, das steckt in uns drin, wie die Gier.« Jetzt griente der Alte und erwiderte den Blick des anderen. Die Augen blieben offen.
»Der Farmer bist du nicht, die Farm war noch nicht ganz runtergebrannt, da hat der sich kopfüber in den Brunnen gestürzt. Abgesehen davon … du, du siehst dem nicht mal ähnlich.«
Er lachte auf und zog seine Hand aus dem Mantel. Blitzschnell berührte die Messerspitze des anderen sein Kinn. Der Alte hob die Hände. Zwischen den Fingern hielt er ein gefaltetes Stück Papier. Er raschelte damit, bis der andere das Messer sinken ließ und sich wieder setzte.
»Ruhig Blut, Junge, mit dem Papier kann ich dir nichts tun.« Langsam ließ der Alte die Hände sinken und entfaltete behutsam den Zettel.
»Woher zum Teufel weißt du das über den Farmer?«, fragte der andere. Auf dem Knie wippte die Messerhand, die Messerspitze zeigte zum Alten wie eine zitternde Kompassnadel.
»Man hört so Einiges, wenn man unterwegs ist … auch viel Unsinn, one grand reward, nicht wahr?«, sagte der Alte. »Aber eins das ist sicher: Ein Spieler bleibt ein Spieler.« Er streckte die Füße aus, drehte den Papierbogen um und hielt dem anderen das Schriftstück vor die Nase. »Und verfluchtes Land bleibt verflucht. Teufelsland, wertlos und verloren.«
Noch bevor der andere gelesen hatte, sprang der Alte auf, trat gegen die Glut und zog einen Revolver. Als der andere mit dem Messer ausholte, schoss ihm der Alte in den Bauch. Der Schuss hallte von den Hügeln wider, die Pferde wieherten auf und gingen durch. Schnell war das Getrappel der Hufe in der Dunkelheit verklungen. In aller Ruhe hob der Alte das Messer auf, das dem anderen aus der Hand gefallen war, kniete sich neben ihn und schob ihm die sanft geschweifte Spitze in ein Nasenloch. Ein Tropfen Blut lief über die Klinge. Mit der freien Hand griff der Alte in die Jacke des anderen, nahm ein nussgroßes Stück aus der Kautabakdose, steckte es mit der freien Hand in die Wange und kaute. Anerkennend nickte er. »Richtig gutes Zeug. Wäre ja schade drum, nicht wahr?« Ohne den anderen aus den Augen zu lassen, schob er die Dose in seine Manteltasche. Er schnaufte durch die Nase und drehte die Klinge eine Winzigkeit. In das Stöhnen mischte sich ein erstickter Schrei. Dem Alten rann brauner Saft aus dem Mundwinkel, als er sprach:
»Weißt du, hier draußen ist es gesünder, weniger zu wissen. Hier ist Teufelsland. Alles. Die meisten werden nur nicht alt genug, das zu verstehen.«