Teufelskreis
"Hallo ich bin Karsten, 20 Jahre alt und ich bin Alkoholiker."
Diese Worte sind mir sehr schwergefallen, denn ich wollte mir nicht eingestehen, dass ich ein Problem habe. Das ganze nahm seinen Anfang als ich ungefähr 15 war. Ich hing wie so oft mit meinen Kumpels herum. Doch an diesem Abend trank ich mein erstes Bier. Gott war ich cool. Dachte ich.
Angewiedert verzog ich bei meinem ersten Schluck das Gesicht. Es schmeckte so bitter. Und doch, nur um der Geselligkeit Willen, trank ich weiter. Es verband uns. Wir waren einfach ein paar Freunde, die zusammen ein Bier tranken. Von diesem Tag an tranken wir immer öfter. Zuerst nur Bier, dann auch Wein und Schnaps.
Dann, ich war gerade 16 geworden, starb mein Vater.
Sie sagten es mir, als ich in der Schule war. Meine Mutter und meine grosse Schwester kammen in die Klasse und flüsterten mit dem Lehrer. Er sah mich an und sagte mir ich wäre freigestellt und solle mit meiner Mutter gehen. Verwundert und gespannt stand ich auf und ging zu Mama und Sabine. Sie blickten mich ernst an und wir gingen zum Ausgang. Nun musste ich doch schlucken. Ich fragte neugierig, was denn los sei. Ich sah, wie sich die Augen meiner Mutter mit Tränen füllten. Mit bebenden Lippen sagte sie mir, dass mein Vater heute morgen einen Autounfall gehabt hätte. Ich dachte in diesem Moment nur: "Wie kann sie sowas sagen? Das kann nicht sein. Das ist ein Scherz." Ich schluckte. Sagen konnte ich nichts. Ich war wie gelähmt. Heute morgen sagte er noch fröhlich Tschüss und fuhr zur Arbeit und eine Stunde später soll er bereits tote gewesen sein? Dieser Morgen lag so weit entfernt für mich. Ich warf mich meiner Mutter in die Arme und fing an zu schluchzen. Ich wusste nicht ob ich jemals wieder mit dem Weinen aufhören konnte. Was sollte nun aus uns werden? Wir gingen nach Hause und ich warf mich auf mein Bett. Später am Abend kam ein Freund vorbei.Meine Mutter wollte ihn wegschicken, doch ich musste raus. Er sagte mir, wie leid es ihm täte, doch er verstand nichts. Wir gingen zu unseren Freunden und tranken wie immer. Es wurde besser. Alkohol hilft zu vergessen. Die Tage gingen vorbei und die Beerdigung kam. Ich konnte nicht weinen. Ich nur auf den geschlossenen Sarg starren, der sich langsam in die Erde senkte. Innerlich schrie ich: "Nein, das ist mein Vater. Ihr könnt ihn doch nicht einfach so verscharren!" Ich unterdrückte den übermächtigen Wunsch zum Sarg zu laufen, ihn in meine Tasche zu packen und ihn einfach mit nach Hause zu nehmen, wo mein Vater immer bei uns wäre. Aber auch das ging vorbei. Zurück blieb nur Leere. Die nächsten Wochen erlebte ich wie in einem Traum. Keiner verstand mich. Meine Mutter war selbst so von ihrer Trauer überwältigt, dass sie mir nicht helfen konnte.
Meine Schwester fand Trost bei ihrem Freund. Und ich? Meine Freunde hatten angefangen, hinter meinem Rücken zu tuscheln. Sie fanden, ich hätte mich schon wieder fangen müssen, solle mich nicht so hängenlassen und auf die Piste gehen. Sie verstanden mich nicht. Wie konnten sie auch? Keiner von ihnen hatte jemanden verloren. Sie alle hatten ihre Väter. Nur ich nicht.
Ich versank in einem Meer von Selbstmitleid, zog mich von allem anderen zurück und flüchtete mich in Alkohol. Alkohol verstand mich, er linderte meine Schmerzen. Er benebelte meine Gedanken, die sich Tag für Tag nur um den Tod drehten. Er war mein Freund. Ich trank morgens, ich trank mittags und abends sowieso. Ich bemerkte nicht wie ich immer weiter in die Sucht hineinstürzte. Mich immer weiter von allem entfernte, was mir einmal wichtig gewesen war.
Doch dann lernte ich ein Mädchen kennen. Sie hiess Heike und war wunderschön.Wir verliebten uns und als ich 18 wurde zogen wir zusammen.Ich fand einen Job. Ich hätte glücklich sein können. Und doch war das einzige, dass mich glücklich machte der Alkohol.
Ich trank immer heimlich. Meine Freundin bemerkte es wohl nicht. Morgens, bevor ich zur Arbeit ging, trank ich erst einmal ein Bier. Später, wenn es stressig wurde, versetzte ich meinen Kaffee mit Schnaps. Keiner merkte etwas. Zum Feierabend trank ich ein Bier und noch eins. Immer mehr. Ich trank nun schon seit 4 Jahren regelmässig und konnte mir ein Leben ohne meinen Freund, den Alkohol nicht mehr vorstellen.
Doch eines Sonntags war mein Vorrat leer. Alles hatte geschlossen. Ich wurde wütend. Meine Freundin merkte an diesem Abend, dass etwas nicht stimmte. Sie fand es auf eine schmerzhafte Weise heraus. Ich wollte trinken, nur trinken und ließ meine Wut an ihr aus. Sie konnte nichts dafür aber die Wut war einfach stärker. Ich schlug sie. Knochenbrüche, Platzwunden und Prellungen. Sie sah schrecklich aus. Doch in meiner Wut fand ich, es geschähe ihr recht.
Sie verzieh mir. Doch es wurde immer schlimmer mit mir. Ich verlor meinen Job, wegen dem Alkohol und das machte mich auch wütend und wieder musste Heike darunter leiden.
Dann irgendwann verliess sie mich. Aber das war egal.
Jetzt war ich wieder allein. Nur mein Freund namens Alkohol hat mich nie verlassen. Ich verlor alles, was mir früher wichtig war. Meine Familie wendete sich von mir ab, meine Freundin war weg und ich fand keinen Job. Ich flüchtete mich wieder in immer mehr Alkohol. Bis zu dem Tag vor einem halben Jahr, als ich einen im Suff daliegenden Penner musterte. Er lag in der Fussgängerzone und die Leute lachten über ihn. Ich lachte auch - bis mir dämmerte, dass ich selbst keinen Deut besser war. Ich beschloss etwas zu tun und machte mich auf die Suche nach Hilfe. Ich fand sie bei den AA´s, den Anonymen Alkoholikern. Die Gespräche mit anderen Betroffenen halfen mir. Der Anfang ist gemacht. Und jetzt, da bin ich schlauer. Denn Alkohol ist nicht mein Freund, er hilft mir nicht, er mag mich nicht.
Alkohol ist mein Feind.
Er zerstört alles und es tut ihm nicht mal leid...
[ 30.07.2002, 10:32: Beitrag editiert von: ivy ]