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18.06.2003
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Test

Günter Jauch war an allem Schuld.
Der Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich zum dritten Mal durch die Einbahnstraße auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr. Verdammtes Frankfurt! Ich hasste es, mit dem Auto hierher zu kommen. Hättest Du besser mal die S-Bahn genommen!
Egal. Ich hatte noch eine Viertelstunde bis der Test begann. Donnerstag, 13.3. um 14 Uhr hatte in der e-Mail gestanden, die der Testleiter mir zugesandt hatte. Bitte bringen Sie Notizpapier, einen schwarzen Kugelschreiber und - wenn benötigt - etwas zu Trinken mit. Um die Testgebühr von 50 Euro wird gebeten.
50 Euro für was?! Um hinterher zu wissen, dass Du auf Günter Jauch reingefallen bist?
Aber da war diese Ungewissheit, die ich endlich loswerden wollte und die Chance endlich einmal aus der Masse herauszuragen, endlich zu den zwei Prozent zu gehören, die etwas Besonderes waren.
Unruhig lehnte ich mich vor – passte ich in die Lücke? Nie im Leben!
Ich war so aufgeregt wegen diesem Test, dass ich sogar die e-Mail ausgedruckt und mitgenommen hatte. In meiner Tasche befanden sich Notizpapiere, ein schwarzer Kugelschreiber, etwas zu Trinken und die Testgebühr von 50 Euro. Ich wollte ja alles richtig machen. Und ich war eine halbe Stunde zu früh losgefahren, um ja rechtzeitig zum Testbeginn zu kommen. Eine Entscheidung, der ich jetzt dankbar war.

Eigentlich hatte es schon vor Günter Jauch begonnen.
In der Diagnostikvorlesung der Uni hatten wir einen Intelligenztest gemacht, um an uns auszuprobieren, was wir später an anderen Unschuldigen durchführen sollten und ich hatte das beste Ergebnis mit einem IQ-Wert von 145 erreicht. Ein Wert, der zwei Standartabweichungen vom Mittelwert entfernt war und somit bei nur zwei Prozent der Bevölkerung eintrat. Noch später bei der Prüfung hatte sich die Professorin an mich als die Frau erinnert, die so gut beim IQ-Test abgeschnitten hatte.
Aber der Test war für bis 18 Jahre alte Jugendliche genormt, nicht für 25-jährige Studentinnen, außerdem wurde er nicht von einem Psychologen ausgewertet, deshalb zählte er nicht.
Was nichts daran änderte, dass ich mir das Ergebnisblatt zu Hause so hinlegte, dass ich jederzeit nachschauen konnte, ob es wirklich stimmte und ich, die ich bisher immer Mittelmaß gewesen war, zum ersten Mal etwas Herausragendes erreicht hatte.
Dann kam Günter Jauch.
Genauer gesagt seine Show „Deutschlands großer IQ Test“.
Oder so ähnlich.
Da erreichte ich einen Wert von 135 und war wieder stolz auf mich. Vielleicht war ich ja wirklich hochintelligent! Wobei so ziemlich alles dagegen sprach.
Ich hatte mein Abi mittelmäßig geschafft, mit einer fünf im Mathe LK, wusste lange Zeit nicht, wer oder was eine Combo ist und war bei der Prüfung zur Bankkauffrau fast durchgefallen. Meistens war ich die Letzte, die ein Rätsel löste oder einen komplizierten Film verstand.
Was? Wieso ist der jetzt tot?! Ich hasse den scheiß Film!

Ein Parkplatz! Ein richtig großer, toller Parkplatz! Und er gehörte zu der Schule, in der der Intelligenztest stattfinden sollte. Na endlich. Langsam fuhr ich den Wagen die Reihen hinter und registrierte, dass nur noch die Behindertenparkplätze frei waren. Offenbar waren mir die anderen Testteilnehmer zuvorgekommen. So ein Mist! Für einen Moment zögerte ich, aber mein schlechtes Gewissen siegte und ich fuhr nicht auf den Behindertenparkplatz, sondern langsam wieder hinaus.
Zurück auf die Suche.
Wo war ich stehen geblieben?
Ach ja, Günter Jauch.
Der Wert von 135.
Und seine wie zufällig fallen gelassene Bemerkung, dass es einen Verein namens Mensa gab, zu dem hochintelligente Menschen zählten, die sich mit dezenten Aufklebern an der Heckscheibe zu erkennen gaben.
Dieses von ihm beschriebene Bild setzte sich in meinem Hinterkopf fest. Wochenlang arbeitete es dort vor sich hin und führte mich in Versuchung. Zugern hätte ich diesen Aufkleber beim nächsten Klassentreffen an der Heckscheibe meines Autos gehabt – ganz dezent selbstverständlich.
Aber waren hochintelligente Menschen nicht lauter Genies? Leute, die die Relativitätstheorie aufstellten? Die ein Mittel gegen Krebs fanden? War es nicht absurd zu glauben, ich hätte irgendein Potential, das ich fast 30 Jahre lang nicht genutzt hatte?

Im Radio begannen die Nachrichten.
Na wunderbar, es war 14 Uhr. Gerade jetzt stellte der Testleiter wahrscheinlich fest, dass ich nicht da war. Hätte ich mich nur nicht darauf eingelassen!
Aber am Ende siegte die Neugier.
Selbst wenn ich nicht den IQ-Wert von 130 erreichte, der die Grenze zur Hochintelligenz war, so würde ich doch endlich die Wahrheit erfahren, auch wenn diese niederschmetternd war. Also meldete ich mich zum Mensatest für das Rhein-Main-Gebiet an und verbrachte vier Monate damit, es abwechselnd zu bereuen und gespannt auf den Testtag zu warten.
Und jetzt war ich hier, bereit der Wahrheit ins Auge zu sehen, mich meiner Intelligenz zu stellen, diesen blöden Test durchzuführen und…
Ein Parkplatz! War hier auch kein Parkverbotschild? Nein, Glück gehabt!
Ich stand zwar etwas blöd in einer Verengung der Straße, aber es wurde verdammt noch mal Zeit, dass ich in diese Schule kam.
Hastig stieg ich aus, schloss ab und rannte die Einbahnstraße runter zur Schule. Ein grauer, wenig beleuchteter Flur empfing mich und ich sah bereits das aufgehängte Schild „Zum Testraum nach unten“. Rasch lief ich die Stufen hinab in den Keller zum Raum sieben, so wie in der Anmeldungsbestätigung beschrieben.
Vor der Tür atmete ich einmal tief durch, dann klopfte ich und öffnete sie, ohne auf Antwort zu warten.

Wie sehen Leute aus, die denken, sie wären hochintelligent?
Leute, die sich bei so einem Test anmelden?
Sind es die Freaks aus dem Physik-Leistungskurs, die in Sport schlecht sind, aber immer den Lehrer mit Fragen quälen, die niemand versteht?
Sind es die verpickelten Jugendlichen, die Tage wie Nächte vor ihrem Computer verbringen und glauben, sie seinen Bill Gates?
Als ich den Raum betrat, erwartete ich alles und wurde vollkommen überrascht.
Der Raum war leer, bis auf einen Jungen mit Pferdeschwanz und einer Frau mittleren Alters mit Hausfrauendauerwelle, die am Tisch der Testleiter saßen.
Die Tische und Stühle waren unbesetzt und ich war ganz offensichtlich die Einzige.
„Entschuldigung“, murmelte ich, „findet hier der Test statt?“
Der Junge nickte und ich schloss die Tür hinter mir.
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber die Parkplatzsuche in dieser Stadt ist ein Test für sich“, überspielte ich nervös die Stille.
„Nehmen Sie Platz“, forderte mich die Hausfrau ungerührt auf und ich wählte den Tisch ganz in der Ecke, weit weg von dem ungleichen Paar.
Offenbar war das hier wie in der Uni und es begann erst nach der akademischen Viertelstunde und alle Testteilnehmer lebten ihre Nervosität entweder in einer Zigarettenorgie aus oder belagerten die Toilette.

Ich packte mein Notizpapier, den schwarzen Kugelschreiber und meine Apfelschorle aus, verteilte es ordentlich auf meinem Tisch und fragte mich, wann die Testgebühr von 50 Euro fällig wurde. Musste ich mich nicht ausweisen? Würde ich die Antwort gleich kriegen? Was wenn ich gar nichts beantworten konnte? Bekam ich dann mein Geld zurück?
Der Junge mit dem Pferdeschwanz und die Frau bewegten sich fast gleichzeitig und beider Stühle kratzten über den Linoleumboden, als sie aufstanden und wortlos den Raum verließen.
Na super.
Das wird ja immer seltsamer.
Aber vielleicht riefen sie jetzt die anderen Testteilnehmer zusammen oder holten die Testbögen.
Ich atmete tief durch. Ganz ruhig bleiben. Es ist nur ein Test.

Irgendwas war komisch an diesem Raum.
Zum einen war er fensterlos und obwohl er im Keller lag, hätte man doch zumindest eine kleine natürliche Lichtquelle erwarten können. Stattdessen begann das Neonlicht penetrant zu summen.
Dann hatte er eine dicke Feuerschutztür, die klaustrophobische Anwandlungen hervorrufen konnte. Tische und Stühle waren aus Stahl oder irgendeinem anderen massiven Metall und die Wände und Decke waren nicht verputzt, sondern nur mit einer dünnen, weißen Farbe gestrichen.
Als ich die Wand hinter mir berührte, stellte ich fest, dass sie kalt und metallisch war und ich mich folglich in einem Metallraum befand, vorausgesetzt unter dem Linoleum war auch Metall. Seltsam.
Das Summen der Lampe wurde immer lauter.
Nervös rieb ich die schweißnassen Hände an der Hose ab.
Ich bin doch hier in der richtigen Schule, oder?
Und es war zehn nach zwei.
Raum sieben.
Du machst Dich nur verrückt, dachte ich. Das ist ein ganz normaler Kellerraum.
Nichts desto trotz kramte ich die e-Mail hervor und las sie durch.

Bitte erscheinen Sie am Donnerstag, den 13.2. um 14 Uhr in der Konrad-Adenauer Schule, Frankfurt Offenbach, in Raum sieben.

Oh nein! Der IQ-Test war am 13. Februar gewesen und ich Trottel war einen Monat zu spät! Weil der Februar genau 28 Tage hatte, fiel der 13. des Folgemonats wieder auf einen Donnerstag. Der Himmel allein wusste, was das hier für ein Test war – wenn mich die beiden „Testleiter“ nicht verarscht hatten – aber den Mensatest hatte ich verpasst.
Wenn das kein Zeichen war.
Gleichzeitig enttäuscht wie erleichtert packte ich mein Notizpapier, den schwarzen Kugelschreiber und die Flasche wieder ein und stand auf.
Wenigstens die Testgebühr von 50 Euro hatte ich mir gespart.
Hör nie wieder auf Günter Jauch!
Ich schlängelte mich an den Stühlen und Tischen vorbei und trat zur Tür.
Als ich nach der Klinke griff, war sie weg.

Irritiert sah ich die Tür an.
Nein, die Klinke war doch da, direkt vor mir!
Ich versuchte sie erneut zu greifen, aber wieder ging meine Hand einfach durch sie hindurch.
Na, jetzt ist der Irrsinn wohl perfekt. Von wegen Hochintelligenz! Offenbar litt ich jetzt auch noch an Halluzinationen.
Ich legte die Hand an die Tür und sie durchfuhr das massive Metall, ohne dass ich etwas gespürt hätte.
Entsetzt schrie ich auf und stolperte zurück, auf den Tisch der Testleiter zu. Panik durchflutete mich, als vor mir die vordere Kante des Tisches auftauchte und ich registrierte, dass ich mitten im Tisch stand.
Ein Alptraum! Das ist nur ein wahnsinnig realer Alptraum!
Ich wich zur Wand zurück, aber diese verschluckte meinen Arm, als sei sie überhaupt nicht real. Ich schrie panisch und stolperte vor.
Aufwachen! Ich muss Aufwachen!
Ich schlug mir selbst ins Gesicht und von der Ecke, wo ich gesessen hatte, spürte ich den Schmerz. Wie konnte der Schmerz woanders sein als ich? Ich fuhr angsterfüllt herum und sah mich selbst noch immer am Tisch sitzen, vor mir Notizpapier, einen schwarzen Kugelschreiber und - wenn benötigt - etwas zu Trinken.
Ich brach in hysterisches Schreien aus und schlug die Hände vor das Gesicht.

Das Summen im Raum endete abrupt und die Tür öffnete sich langsam. Zitternd senkte ich die Hände und fand mich an meinem Platz wieder, körperlich in Ordnung und ganz real.
Mein Herz hämmerte bis zum Hals und mein Magen rebellierte.
Was zum Teufel war das?
Der Junge mit dem Pferdeschwanz betrat den Raum, gefolgt von der Frau mit der Hausfrauendauerwelle. Sie trat zu mir und griff meine eiskalte Hand.
„Glückwunsch“, sagte sie, „Sie haben den Test bestanden. Wir werden Sie sehr gut brauchen können."

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Teffa!
Eine wirklich seltsame Geschichte.
Am Anfang finde ich es etwas zu lang, die Gedankengänge und die Suche nach dem Parkplatz.
Zum Schluß, als der Test sozusagen beginnt wird es richtig spannend, aber irgendwie verstehe ich den Schluß nicht.
Wieso Test bestanden? Ausgeflippt ist sie ja, auch wenn sie dennoch am Tisch saß. Ging es um Platzangst oder die eigene, äußerliche Kontrolle?

Ansonsten einen guten Schreibstil und flüssig geschrieben. Vielleicht sollte ich sie nochmals durchlesen-dann kapiere ich sie vielleicht.

Aber da war diese Ungewissheit, die ich endlich loswerden wollte und die Chance endlich einmal aus der Masse herauszuragen,
(zweimal endlich ist nicht so gut. vielleicht solltest Du das zweite weglassen.)

LG Joker

 

hmm, das Ende deiner Geschichte regt zum Nachdenken an. Man fragt sich, welcher Test dies wohl gewesen sein könnte, angesichts der Tatsache, dass die Organisation die Frau wegen ihrem Panikanfalls gut gebrauchen konnte.

Andererseits ist es irgendwie schade, eine Geschichte, die eigentlich sehr spannend zu Lesen ist, so derartig offen zu beenden wie diese.

 

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