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Besten Dank noch mal @Seth Gecko.
Tequila, Tod und Meuterei
Es dauert nicht lange, bis der Staub sich legt, die Sicht wieder klar ist. Was für eine Scheiße, aber Job ist Job und Geld ist Geld und Hauptsache, das Paket findet seinen Empfänger. Schulterzuckend blicke ich in die Runde. "Also los." Ein Fingerzeig nach vorn, der Trupp gerät in Bewegung, leise dem Schein der aufgepflanzten Taktikstrahler in die erdige Dunkelheit folgend. Dieser Velasco...
Warmer Regen tröpfelte durch klebrige Tropenluft, Campari auf Eis klirrte im Glas, Madonna krähte im Radio ihr Material Girl. Ich saß unter dem löchrigen Strohdach auf der wurmstichigen Holzveranda meiner Strandhütte. Palmen, Angler, Fitnesswütige meine Nachbarn. In der Ferne Polizeisirenen, erst ein Schuss, dann drei. Dann klingelte das Telefon; das war vor zwei Wochen. Velasco, die Krähe, suchte Ersatz, schnell, wenn möglich gestern.
"Kein Problem", sagte ich, "das kriege ich hin", sagte ich. "Du kennst mich, ich kenne die Jungs", sagte ich, "es ist kurzfristig, aber kein Problem, es läuft", sagte ich.
Dieser Velasco... Als kleiner Fisch fing er an, als kolossaler Brocken wird er enden. Scheiße verdammt, wieviele Tonnen Kokain hatte er Medellín abgenommen, um sie in den Staaten zu verschachern? Und wieviele Tonnen von den vielen Tonnen hatte ich davon in stundenlangem Tiefflug in meiner klapprigen Gulfstream aus dem Dschungel von El Charquiro über die türkisen Wellen der Karibik bis auf die Keys gekachelt? Ich weiß es nicht. Kopfschüttelnd schlürfte ich meinen Drink, biss in meinen Hot Dog, verfluchte das Wetter, an das ich mich in fünfundzwanzig Jahren noch nicht gewöhnt hatte. Diese Tropenschwüle, die einem zwischen die Zehen, hinter die Ohren, in die Arschritze kriecht und die Luft in den Lungen zu Wasser werden lässt. Zum Kotzen.
Ein Geräusch von vorne. Ein Schatten. Eine Stimme. Spanisch. "Mierda. ¿Qué está pasando..." Fopp. Ein Schuss. Ein Treffer. Kopfschuss. Ich hatte keine Ahnungt gehabt, dass ein AK-47 zum Zielen taugt. Voll Anerkennung drehe ich mich um, Daumen hoch. Ein fröhliches Grinsen ziert Hilarios Gesicht, wie immer; wie auch sonst, bei dem Namen? Ich nuckel an meinem Havanna-Stumpen, gebe das Kommando. "Weiter - bevor die verflohte Kakerlake merkt, daß ihr eine Wand fehlt."
Hier unten in den Tunneln nur eine Ahnung von der Champagner-Gesellschaft, die oben im Anwesen ihr Unwesen treibt. Hahnenkämpfe, Hundekämpfe, Hurenkämpfe. Diese ersten der Achtziger Jahre strotzen nur so von Machos, MPs und Moneten. Ignacio 'Der Floh' la Pulga ist einer von ihnen. Vor Jahren nur aufstrebender Stern, inzwischen alles überstrahlende Supernova am Drogenhimmel Mexikos, hat er heute die Crème de la Crème, das Who's Who der verschnupften Society versammelt, um die neusten Stücke seiner Sammlungen zu präsentieren: Floppy, eines der letzten indischen Panzernashörner und eine Flasche Ley .925 Tequila Pasion Azteca Ultra Premium Anejo aus der Destillerie Hacienda la Capilla, Wert 3,5 Millionen US-Dollar, der teuerste Tequila der Welt - und unser guter Grund hier zu sein.
Die Hotelbar des Fontainebleau war gut gefüllt. Adrette Jungs, kurvige Mädels. Geföhnte Dauerwellen beiderseits. Hotelangestellte im Hotelzwirn. Zwei Frauen mit riesigen Hüten und winzigen Hunden. "Ach ja, wirklich? Kaum zu glauben. Die beiden den Schmalzi?" Kopfschütteln. Schlürf. Schluck. 50? 60? Vermutlich Anfang 70.
Ich bestellte Campari auf Eis. Dann rüber zu den Jungs, Antonio Angelito fehlte. 'Wo ist Toni?" fragte ich. "Hat ihn jemand gesehen?" Stummes Köpfeschütteln, Mundwinkel nach unten. Ich blickte mich um; was für ein verschissen hässliches Hotel, und das auch noch im Vorspann dieser neuen Bullenserie. Aus den Lautsprechern Tina Turner, draußen immer noch der warme Regen, seit Tagen, wie kristallklares Blut. Ein schwarzer GT40 röhrte vor. Toni trudelte ein, zu spät, bekam direkt Bokki Mokmoks Faust in die Fresse, volle Pulle in seine Bohnenfresservisage – am hellichten Tag im angesagtesten Hotel von Miami Beach. "Null fünfhundert ist null fünfhundert. Nicht Null fünfhundertsieben. " Toni rieb sich sein Kinn, rotzte einen Klumpen Blutschleim auf den weißen Marmor, auf dem wir standen, nickte. Ich schlürfte Campari und hörte zu.
Nach Mexiko, auf die Hacienda Bendiciones de Dios, dem riesigen Anwesens La Pulgas. Jeder hatte davon gehört. Drei mal so groß wie Manhattan. Künstlich angelegte Seen, Dschungel, mitten in der Wüste Mexikos. Alligatoren, Leoparden, Elefanten. Wellenbad, Kirche und Startbahn für Privatjets. Agavenplantage, Tequila-Destille, Nachtclub und Panzerübungsstrecke. Burggräben, Sonnendecks, Satellitenananlage. Golfplatz, Footballplatz, Baseballplatz. Und eine 20-Yard-Bühne für den Fall der Fälle - Madonna, Tina Turner oder die Rolling Stones. Sogar eine Achterbahn, ein eigenes Schlachthaus und ein riesiges Meerwasserbecken samt Yellow Fin Tuna sollte der Floh auf seinem Anwesen betreiben..
Wir schleichen weiter durch die als Fluchtunnel angelegte unterirdische Welt. Staub, Erde, Wurzeln. Aus der Ferne ein Wummern, Ghostbusters, ich summe mit.
"Verdammt! Wie weit noch?" zischte Mokmok. "Hier auf der Karte sieht alles viel kleiner aus." Er ohrfeigt rückhand das Blatt Papier in seiner Linken. "Ich hab' verflucht nochmal die Schnauze voll. Diese Scheißkrähe kann mal meinen haarigen Arsch riechen und mir die stinkenden Eier lecken! Ich verzieh mich. Bestellt meine Grüße." Er dreht sich um, will tatsächlich gehen.
"Mokmok", sage ich. "Mokmok, keine Meuterei", sage ich. "Du weißt, es ist Tradition, Meuterer aufzuknüpfen. Schon immer. Das ändert sich nie. Hörst du? Keine Meuterei, sonst..."
Fopp. Ein Schuss. Ein Treffer. Kopfschuss. "Verfluchte Scheiße!" Ich drehe mich um, Toni kichert in sich hinein, ein Schulterzucken von Hilario: "Er wollte meutern. Er war ein Meuterer. Auf Meuterei steht der Tod. Das ist Tradition." Wenn er nur nicht immer so verdammt fröhlich wäre bei Allem, was er tut. "Okay. Was soll's. Abmarsch." Ich nehme die Karte an mich, ein kaum zu entzifferndes Wirrwar, und gehe voran, langsam, Schritt für Schritt dem Lichtkegel folgend auf der Suche nach einer Flasche Tequila.
"Dieser Tequila ist nicht einfach nur ein Tequila." Velasco blickte in die Runde. Seine Augen verengt zu Schlitzen. Seine Entschlossenheit auch in hohem Alter eine alles einnehmende Aura, der sich keiner der Anwesenden entziehen konnte. "Dieser Tequila wurde aus dem Herzen einer hundertjährigen Agave victoriae-reginae destiliert, der Königin aller Agaven. Sie wächst so langsam – meine Urgroßmutter hätte sie pflanzen und ich hätte sie ernten können. Dabei wurde sie gar nicht geerntet, es wurde gewartet. Gewartet bis der verfluchte Blitz in sie einschlug, sie in zwei Hälften spaltete und ihr hundertzwanzig Pfund schweres Herz durch seine Hitze in eine milchige, honigartige Flüssigkeit verwandelt hat. Genau wie vor fünfhundert Jahren bei der Geburt des allerersten Mezcal. Diese Flüssigkeit ist die Grundlage für den Pasion Azteca Ultra..." Ich hasste Tequila, sein Ursprung war mir egal. Wenn ich ihn trank, dann aus Höflichkeit – und als Banause mit Salz oder Zimt, Zitrone oder Orange. Über unseren Köpfen flatterten Kakadus, der Springbrunnen der Hotelbar plätscherte. Meine Füße wippten im Takt zu Kenny Loggins Footlose.
Unser Lieferant: La Pulga, Drogenkönig, Kartellkopf; Sammler exotischer Tiere und seltener Tequilas. Unser Plan: Velascos Maulwurf bringt die Karte. Vier Mann rein und wieder raus. Ungesehen, unbemerkt, am Tag der großen Party. Okay. Alles klar. Der Countdown lief. 12 Tage bis Null. 12 Tage um Ausrüstung, Flugzeug, Sonstiges zu organisieren. Sollte klappen. Wenn nur endlich der verschissene Regen aufhören würde und meine Lungen statt Wasser wieder Luft atmeten.
„..und deshalb ist er der teuerste Tequila der Welt.“ Velascos Sehschlitze musterten mich. „Mir egal“, sagte er, „scheiß auf vier Pfund Platin. Scheiß auf vierhundert Diamanten. Ich will das Zeug trinken. Also los, ihr Affen, an die Arbeit.“
Endlose Meter. Endlose Abzweigungen. Endlose Kopfschüsse. Dann endlich die auf der Karte markierte Stelle. 'Noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert," schießt es durch meinen Kopf. Heute schon. "Hier muss es sein", sage ich. "Hilario, Tür eintreten." "Ist das nicht zu laut?" Hilario schaut mich fröhlich fragend an. "Willst du meutern?" Ruhig, eindringlich. Spekulationsfreie Zone. "Oder willst du die verdammte Tür eintreten?"
Die Tür ist kaum zu sehen, soll nicht gesehen werden, aber der dürre Hilario mit seinen Spaghettibeinchen trifft mit dem ersten Tritt. Wir treten ein ins Heiligtum. Gedimmtes Licht, das Funkeln einer Hundertschaft Tequilaflaschen und die sanften Klänge von Mozarts Arie Ruhe sanft, mein holdes Leben nehmen uns in Empfang. Der stickige Staub der Tunnel ist wie weggeblasen. Endlich wieder durchatmen, die Luft wohl temperiert, 40% Luftfeuchte. Ein Klima für den Ruhestand. Ein Klima für den Ley .925 Tequila Pasion Azteca Ultra Premium Anejo aus der Destillerie Hacienda la Capilla, Wert 3,5 Millionen US-Dollar – zumindest für seine Flasche, denn jetzt sehe ich, was Velasco gemeint hatte: Eine Flasche aus purem Platin übersät mit unzähligen Diamanten liegt glitzernd irrisierend auf einem purpurnen Samtkissen.
Fopp. Fopp. Zwei Schüsse. Zwei Treffer. Kopfschüsse. Hilario und Toni sind tot.
Dann sehe ich auch ihn – Velasco, kopfschüttelnd, atmet er voller Genuss tief ein, als rieche er nach einem Sommerregen einen Rosengarten. Seine schallgedämpfte Beretta M1934 ist auf meinen Kopf gerichtet. Dieser Velasco...
Nie den einfachen, sicheren Weg gehend, immer Extravaganz suchend und findend.
Ich unternehme keine Anstalten, mich rauszuwinden. Er weiß es, weiß von meinen jahrelangen Geschäften mit seiner Ware hinter seinem Rücken in meine Taschen. Ich schließe meine Augen, höre Mozarts Ruhe sanft, mein holdes Leben und warte. Der warme Regen, diese Tropenschwüle, die einem zwischen die Zehen, hinter die Ohren, in die Arschritze kriecht und die Luft in den Lungen zu Wasser werden lässt...
Endlich hatte das ein Ende.