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Teilzeit Babe
Wir fuhren in der 17:00 Uhr Kolonne Richtung Stadtrand. Im Radio lief Venus von Air und untermalte die Fahrt mit Sonnenuntergangsfarben. Berni wachte neben mir langsam auf, und alles passte, die Welt drehte sich in der richtigen Geschwindigkeit.
Vor uns schaltete eine Ampel auf Gelb. Mit wehenden Fahnen überquerten wir die ihr zugehörigen Linien und Streifen. Glitten wie Schwalben vor dem Regen ganz tief über den Asphalt und bogen in eine von Ahornbäumen gesäumte Straße, Kopfsteinpflaster mit Teer geflickt und wieder aufgerissen. Die Reifen knallten ihren Bodenkontakt lautstark in den Innenraum und Bernie starrte mir direkt in die Augen. Er hatte diesen Blick drauf, der einfach kein Wegsehen zuließ. Auf seinen gespitzten Lippen sammelte sich ein Spuckebläschen, das schnell zum Tropfen wurde. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, wie immer wenn ich ihn in seiner Babyschale auf dem Beifahrersitz betrachtete.
Schnelle Bremsung, fast hätte ich die Einfahrt verpasst, mit Schulterblick und gekonntem Kurbeln bogen wir in den Privatweg ein. Nutzung auf eigene Gefahr. Eingeschränkter Winterdienst. Es war Sommer und fast 30 Grad Celsius. Berni lächelte und ich hielt an, so geschmeidig, wie es die Komponenten unseres Fahrzeugs zuließen, als würde man in einem gepolsterten Sessel Platz nehmen.
Ankunft pünktlich auf die Minute. Ich lehnte mich nach vorne, so, dass meine Stirn das Lenkrad berührte, um den richtigen Blickwinkel hinzukriegen, meine Hand tastet dabei zu der Brieftasche in der Mittelkonsole, dass Geld war da. Die Tür zur Kanzlei am Ende einer hohen Eingangstreppe war für mich nicht zu erkennen, zu nah dran, alles was ich sah waren Stufen. Die Villa in der sie sich befand, bot genau das richtige Ambiente für anzugtragende Schönlinge, gegelte Schlangen, giftige Vipern und dazwischen unschuldige Praktikantinnen. Ich musste lachen, wenn die wüssten, und schon erkannte ich den ersten Schritt eines Beins, dem ein Zweiter folgte, die Treppe hinunter. Erst Schuh, dann nackt, dann Minirock, Gürtel, Handtasche, Bluse, Fransenlederjacke, Halskette, Hals, blonde Locken, Mund, Nase, Augen, Stirn und noch mehr Locken. Ich grinste noch mal zu Berni und ließ dann sein Fenster hinunter.
„Hallooo! Hier sind wir.“
Der Mund lächelte und beugte sich zum Fenster.
„Hey, wen haben wir denn da? Das ist aber eine Überraschung. Na wie geht’s Dir Kleiner?“
Conny strahlte in unsere Gesichter und wir baten sie, hinten Platz zu nehmen. Sie machte gerade ihr Pflichtpraktikum fürs Studium und musste dazu unbedingt noch etwas nebenbei verdienen, sonst reichte es nicht. Da kam ich ins Spiel, deshalb holten wir sie ab, heute war Entspannung angesagt.
„Was wollen wir jetzt machen?“ fragte Sie und schaute dabei auf Berni, der sein bestes Lächeln auspackte.
Ich erklärte ihr, dass der Babysitter abgesagt hatte und sagte:
„Du kommst erstmal mit nach Hause, dann sehen wir weiter oder hast Du noch was vor?“
Sie lachte: „Zwei Jungs für einen Abend sind mehr als genug. Ihr könnt mich ganz für euch haben.“
Mit Schwung verließen wir den Privatweg und reihten uns wieder in den Verkehr der großen breiten Straßen ein, die nur ein gemächliches Vorankommen zuließen. Langsam drehte ich das Radio lauter, ich wollte den Song erkennen, irgendwas von Joy Division. Berni grölte laut, Songtext in Babysprache, dabei zappelte er als wäre es ein Tanz. Conny begann ihre Locken im Takt zu schwingen und ich nickte zum allgemeinen Bewegungsdrang. Die Rückbank wurde zur Bühne einer lasziven Jackenausziehübung und der Rhythmus beschleunigte sich in dem Moment als, Ampel rot, alles zum Stehen kam. Berni machte ein drei Tage Regenwettergesicht und ich musste ihn trösten, doch hinter uns hatte die Show gerade erst begonnen. Conny versank in der Musik, die Arme Mal ausgestreckt, Mal fest die Brust umschlungen. Ihr Kopf zuckte wild umher, die Locken flogen und mein Blick wanderte ihren Hals hinunter zwischen die geöffneten oberen Knöpfe ihrer Bluse. Berni begann zu heulen. Irgendwo lag der Schnuller, vielleicht sah’s er drauf, der würde ihn beruhigen, nur finden konnte ich ihn nicht. Grün.
Das Fahrzeug neben uns beschleunigte wie wir und blieb ganz nah auf der Nachbarspur. Ich schaute rüber, in zwei glotzäugige Idiotengesichter mit Trendfrisuren. Ihre Münder standen offen, bis auch Conny sie bemerkte und aufhörte zu tanzen. Sie sah ertappt aus und schaute in die entgegengesetzte Richtung. Konzentriertes Wegsehen. Ärgerlich wollte ich aufs Gas drücken, doch an der nächsten Kreuzung musste ich sowieso abbiegen und wir waren die Störenfriede los. Mit ihnen den Song, der vorbei war und unseren kurzen Ausbruch der Gefühle. Nur Berni war noch nicht ganz beruhigt, erst als ich seinen Schnuller fand, ging es wieder, er hatte tatsächlich drauf gesessen.
Im Rückspiegel war Conny, ganz leise und magnetisch. Ich spürte, wie sich alle feinen Härchen auf meinem Körper nach ihr ausrichteten. Als ich wieder auf die Straße schaute, wunderte ich mich, wie weit wir schon gekommen waren.
„Wie war dein Tag heute?“
„Ist doch völlig egal.“ Sagte Sie abwesend.
„Wie soll das nachher eigentlich laufen? Mit dem Kleinen meine ich.“ Sie lehnte sich bei ihrer Frage nach vorne und schaute auf Berni, der gerade wieder vom Schlaf übermannt wurde.
„Lass das nur meine Sorge sein. Wir sind ein eingespieltes Team.“ War meine Antwort und nahm dabei kurz den Geruch ihrer Haare wahr, als hätte ein unsichtbares Seidentuch meine Nase gestreift. Ein Geruch nach Shampoo und vertrockneten Blumen.
„Wir fahren nochmal schnell zur Tanke ran.“
„Kein Problem.“
Sie stieg aus und ging ein paar Schritte vom Auto weg. Sofort zündete sie sich eine an. Mit der Zigarette im Mund sah sie aus wie einem Film entsprungen.
„Muss das sein?“
„Ja. Tut mir leid. Hast Du Kaugummi?“
„Hole ich gleich drinnen.“
Der Tank war voll. Sie stand bei Berni und schaute ihm beim Schlafen zu. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen die Sonne ab. Als ich die Kasse verließ, ging ich ihr entgegen wie ein Verdurstender einer Fata Morgana. Selbst direkt vor ihr konnte ich nun kaum die Details ihrer Gesichtszüge erkennen, unweigerlich legte ich meine Hände auf ihre Hüften und sah weiter nach Details suchend in ihre Augen. Tief, immer tiefer bis zum Aufschlag; und meine Lippen berührten ihre. Meine Zungenspitze fand ihre und die Zeit wurde unwirklich, wie in dem Moment, bei dem aus Fliegen abstürzen wird, oder flüssiges Wasser zu Gas, nur länger.
„Was war das?“
„Wahnsinn!“
Wir lachten und stiegen wieder ein. Es waren nur noch Minuten bis nach Hause und die Erde drehte sich uns entgegen, den Wind im Rücken erreichten wir unser Ziel. Bremsend fuhr ich die Einfahrt zum Haus hinauf und sah schon die Frau vor der Haustür stehen, die mir einen stirnrunzelnden Blick zuwarf. Mir wurde kurz übel, ich dachte sie hätte heute keine Zeit.
„Hallo, Regine. Schön, dass dus doch noch geschafft hast. Nimmst du Berni mit?“
Nichtssagend ging sie zum Auto und öffnete die Tür. Ihre Kittelschürze plusterte sich auf. Ein Hauch. Warmer Wind strich über uns. Sie beugte sich nach Berni und sah zu Conny, die dabei war auszusteigen und ein schüchternes Hallo herausquetschte. Regine flößte Respekt ein.
„Wir kennen uns noch nicht, ich bin die Regine.“ Sagte sie und löste die Schnallen der Babyschale. Conny wurde rot und wirkte auf einmal so zerbrechlich, dass ich dem Drang widerstehen musste sie in den Arm zu nehmen, während gleichzeitig mein Herz bis zum Hals schlug.
„Hallo, sie können Conny zu mir sagen.“
Regine schnaubte: „Ich kann noch was ganz anderes sagen.“, und würdigte Conny keines Blickes mehr, obwohl da genug Funken in aus ihrem Blick sprühten, beängstigend anzuschauen. Ohne ein weiteres Wort hatte sie Berni, der nicht mal aufwachte auf den Arm genommen und brachte ihn zu dem Kinderwagen, der unter dem Vordach des Hauses stand. Wir blieben am Auto stehen und sahen zu, wie sie sich auf den Weg machte, bis sie das Grundstück verlassen hatte und hinter den hohen Büschen am Straßenrand verschwand.
„Was war denn das?“ Conny schüttelte sich mit verschränkten Armen. „Das alte unfreundliche Schrapnell ist der Babysitter? Dein Ernst jetzt?“
Ich blickte noch Richtung Straße, die Übelkeit von der Ankunft hatte sich im Magen breit gemacht.
„Das ist meine Schwiegermutter.“
Conny kam näher und schmiegte sich an mich, die verheißungsvolle Berührung ihres Körpers zog an mir.
„Ich muss zum Glück nicht alles verstehen.“ Hauchte sie in mein Ohr und fragte:
„Wollen wir reingehen?“