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Teenie-Gefühle

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22.11.2003
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Teenie-Gefühle

1
Sie betrat das Klassenzimmer um 8:03Uhr. Fast pünktlich zum offiziellen Unterrichtsbeginn. Drei Minuten darüber zu sein, war für sie keine Schande, sondern eher ein kleiner Erfolg an Willenskraft. Denn die kostete es sie, um dem Mathematikunterricht in seiner ganzen Länge beizuwohnen.
Sie lächelte, als sie sich umblickte und feststellte, dass Herr Niemov nicht anwesend war. Sie hatte sich zurecht gemacht, am heutigen Morgen; war dafür sogar eine Viertelstunde früher aufgestanden. Ihr Äußeres sollte annähernd perfekt sein. Die Augenpaare ihrer Mitschüler richteten sich auf sie, als die Tür hinter ihr ins Schloss viel. Unter diesen - man mochte es kaum glauben - auch solche männlichem Geschlechts. Und wie sie diese anstarrten. Ihr Herz klopfte vor Freude und leichter Schüchternheit. Sie versuchte sich ein Lächeln zu verkneifen, da dieses selbstverständlich das Bemerken der Blicke suggeriert hätte. Sie schaute nur noch einmal kurz in die Runde, bevor sie auf ihrem Stuhl platznahm. Und ja, auch er schaute, gaffte! Bei diesem Er handelte es sich um Mike Fuhrbeck, ihrem großen Schwarm. An manchen Tagen war nur er es, der im Stande war, ihr den trockenen Naturwissenschaftlichen-Unterricht zu einem freudigen Erlebniss werden zu lassen. Er hatte eine wundervolle Figur, Bauchmuskeln, die sich deutlich, unter den engansitzenden T-Shirts die er trug, abzeichneten, gebräunte Hautfarbe, ein kantiges Gesicht, und eine wohlige Ausstrahlung. Oh Gott, wie sie ihn liebte!
Mikes Blick war gierig, sie konnte darin erkennen, dass ihn ihr Outfit anmachte.
Sie rieskierte wie geschildert nur einen kurzen Blick; es sollte bloß nicht auffallen, wieviel Wert sie darauf legte, dass sie den Jungs gefiel.
Ihr Platz war in der ersten Reihe, direkt vor dem Lehrerpult. Ein Doppeltisch. Sie teilte diesen mit einem Jungen der auf den schönen Namen Jonas hörte. Sie wusste nicht, warum ihr ausgerechnet dieser Name besonders gefiel, aber sie assoziierte Glück und Vollkommenheit mit ihm. Attribute, die der Junge, der zu dem Namen gehörte, beiweitem nicht erfüllen konnte. Im Gegenteil: Hässlich war er; Pickel im Gesicht, zierlich, aber mit einem kleinen Bauch ausgestattet, schrecklich blass. Sein Gesich war länglich und endete mit einem spitzen Kinn. Seine Haare hatten nie dererlei wie Gel oder Spray zu spüren bekommen. Es stand teilweise vom Kopf ab. Unpfleglich sah auch seine Kleidung aus: Alte Jeans und Sweatshirts sogar im Hochsommer. Er sprach kaum ein Wort, und wenn er denn sprach, stimmte er zu. Er war keiner, der kritisierte, oder über andere lästerte. Jonas wurde in der Klasse gemieden. Er tat ihr dafür ein bisschen leid. Aber eigentlich hatte er es sich selbst zuzuschreiben.
Die Tür ging auf, und wie ein Reflex schellten ihre Augen nach links, wo Mike mit einer Gruppe von drei seiner besten Freunde stand. Die Blicke der beiden trafen sich, und ihr Herz pochte noch einmal um einiges schneller, als er ein Lächeln auf seine Lippen zauberte. Natürlich erwiderte sie dieses Lächeln. Sie hegte nicht den geringsten Zweifel, dass ihre vollen, Rot geschminkten Lippen verführerisch wirkten, und sie dankte Gott für diesen wunderschönen Augenblick.
Als Herr Niemov hereintrat und der Klasse einen guten Morgen wünschte, war sie in Gedanken beim Abschlussball, der in zwei Wochen stattfinden würde. In ihren Träumen tanzte sie engumschlungen mit ihrem Schatz; sie küssten sich, sie spürte seine Brust an ihrem Busen.
Diese Bilder ihres Traumes würde sie später in ihrem Tagebuch schildern und ihnen durch Tinte und Buchstaben Ewigkeit verleihen, später, wenn die Dunkelheit Einzug halten würde, es still in ihrem Zimmer war und an diesem Tag die ersten Tränen ihre Augen verließen...

2
... sie tropften auf die Zeile, die den letzten Satz einer - für bis dato letzten - ihrer unzähligen Fickschilderungen in diesem dicken Buch mit dreckigem Umschlag: Er leckt mich, bis ich zu geil werde, um den Saft zurückzuhalten, der sich in Massen durch den Ritz meiner Fotze zwängt...
An dieser Stelle bricht der Satz ab. Es ist fast so, als wäre die schwarze Tinte ihres Füllers verbraucht. Doch das stimmt nicht. In Krämpfen windet sich Maria auf ihrer Matraze, heult still und fast nicht mehr den Mut weiterzuschreiben, ihrer schmutzigen Fantasie noch mehr Ausdruck zu verleihen. Zu grausam wäre es, zu schmerzlich. Mein Gott, schließlich will sie heute Nacht mehr als drei, vier Stunden schlafen.
Sie legt sich auf den Rücken. Die Hände sind über ihrem Bauch gefaltet, die Augen starr zur Decke gerichtet. Jedoch nimmt sie den Schein der Nachttischlampe, der darauf fällt, nicht war; ihre Lider sind geschlossen. Sie versucht Ruhe zu finden - Frieden. Es hört sich wie der Satz auf einem Grabstein an, aber es entspricht der bitteren Wahrheit. Frieden will sie finden, und deshalb ist sie in ihren Gedanken an einem weit entfernten Ort. Dort liegt sie auf einer Wiese, schaut in den Himmel, an dem dichte Wolken vor der Sonne stehen. Ihre Arme sind weit ausgebreitet, mit ihren Fingern bekommt sie Grashalme zu fassen, an denen diese immer wieder hoch und hinunter gleiten. Krieger sieht sie auf sich zu reiten; stolze Krieger. Beseelt mit Ehre und Mut, Stolz und Kraft. Krieger, die Kämpfen, bis der letzte Tropfenm ihres Blutes in dem Erdboden versickert ist...
Sie reißt die Augen auf! Ein lautes Schluchzen entringt ihrer Kehle, die sich wie zugeschnürt anfühlt. Die Tränen kommen wieder und sie weiß, dass sie nicht die Macht hat, sie so schnell wieder abzustellen.
Stolze Krieger - Auch Maria wollte stolz sein. Kraft und Willensstärke sollten ihrem Gesicht zu entnehmen sein. Den Drang der Freiheit wollte sie in ihrer Brust verspüren.
Damals, als sie noch zwölf Jahre gezählt hatte, waren ihre Träume von der Zukunft schön gewesen. Heute sind sie von Angst und Resignation bestimmt. Damals wusste sie, wie sie in der Zukunft sein würde: Stark, wild, eine kleine Fickgöttin, die nicht vor Schlägereien zurückschreckte, die soff bis Nachts um zwei auch wenn am nächsten Tag die Schule ihre Tore für sie öffnete. Und schön würde sie sein.
Zum Teufel mit den Träumen von damals. Ein Häufchen Asche war daraus geworden. Zu klein, um darauf zu pissen. Ein Häufchen voll Elend, Dreck, gottverdammter Scham. Doch schmerzen tun sie noch immer. Die Schmerzen würden niemals aufhören, diese Befürchtung trägt sie seit langer Zeit mit sich herum, vielleicht sind sie schon zur Gewissheit geworden.
Langweilig war sie, so viel zum Thema wild, frei, rebellisch.
Und ihr Aussehen? Nicht schlampenhaft, nicht schön. Eher wie das einer Otto-normal-Frau. Keine großen Brüste, kein verfickter flacher Bauch und knackiger Arsch, obwohl sie seit einem Jahr täglich ihre verdammten Übungen macht.
Ein Heulkrampf folgt, der so bitter ist, dass sie sich den Tod wünscht.

3
Es war 21:00Uhr. Genau 21:00Uhr, als Frederika Schröder an die Zimmertür ihrer Tochter klopfte. Sie hörte ein Herein, und wusste doch, dass sie nicht wirklich willkommen war. Heute war Maria nicht zum Abendessen erschienen und sie wollte nur fragen, ob ihre Tochter noch die zwei Brötchen essen wollte, die für sie reserviert waren. Ansonsten würde sie ihre kleine Schwester bekommen. Nur diese kleine Frage...
...diese Frage war es nicht wert, dass sie dafür in dieses Zimmer trat, dennoch tat sie es mit ungutem Gefühl im Magen.
Sie fühlte sich verpflichtet dazu. Aber die Aura, die von diesem Zimmer ausging war schlecht. Es war die Aura eines gedemütigten Mädchens, dass beseelt war mit allem Schlechten dieser Welt.
Sie machte die Türe auf und sah Maria an ihrem Schreibtisch sitzen. Vor ihr aufgeschlagen lag ihr Mathematikheft.
"Ich wollte dich nur fragen, ob du die Brötchen noch essen willst."
"Nee, danke, ich hab keinen Hunger", sagte Maria. Frederika konnte deutlich fühlen, wie schwer es ihrer Tochter fiel, einen freundlichen Tonfall aufzusetzen. Ein Tonfall, der besagte: Mutter, ich bin ja so dankbar dafür, dass ich ein so schönes Leben führen kann. Mir geht es ja so gut!
Und es passierte genau das, wovor sie sich eigentlich gefürchtet hatte. Ein tiefer Schmerz durchfuhr sie, und die Traurigkeit über die absterbende Gefühlswelt ihrer Tochter nahm von ihr Besitz. Vorbei die gute Laune, die sie den Tag über verspürt hatte, vorbei...
Sie schenkte ihrer Tochter noch ein kurzes Lächeln, sagte ihr, dass sie nich zu lange aufbleiben solle, und verließ dann das Zimmer - den Ort der traurigen Gefühle.

4
I just wanna get the Fuck away from me, so lautet eine Zeile in einem Metallica-Song, und vielleicht ist keine andere Liedzeile der Welt besser geeignet, um Marias Innenleben Ausdruck zu verleihen. Und mit dem selben Trotz, der Hetfields Stimme beim Singen dieser einen Zeile zu eigen ist, macht sie sich auch in dieser Nacht wieder an die Arbeit. Fitness-Übungen, die ihr zu einem wundervollen Körper verhalfen sollen, der all ihre Probleme verschwinden lasen wird. Natürlich weiß auch sie, dass das nicht der Wahrheit entspricht, doch zumindest besteht die leise Hoffnung. Außerdem wird sie so bekommen, was sie sich von allen Dingen wohl am sehnlichsten Wünscht: Den ersten Scheiß-Fick ihres Lebens.

5
Die Gruppe saß zusammen auf der Couch. Es gab einen Geburtstag zu feiern. Keine große Feier, die hatte zu Danas 18. stattgefunden und war zu so etwas, wie einer Dorflegende geworden. An diesem Abend bestand die Gästeliste aus nur acht Personen. Es lief leise Musik, und man saß zusammen um einen Tisch und trank ein paar Bier, unterhielt sich über die Themen, die Leute unter 25 interressierten - kurzum, dasselbe, wie es die Gruppe oft tat.

6
Einer der Gäste ist Maria. Auch sie sitzt auf der Couch, neben einem Jungen nahmens Tobias. Er sieht gut aus - sehr gut sogar, und das depprimiert sie weiter. Das fünfte Bier steht vor ihr. Mit tiefen Schlücken leert sie es. Danach holt sie ihren Tabak aus der Jackentasche und dreht sich eine Zigarette. Genüsslich raucht sie die, ein Ritual, dass sie schon seit fünf Jahren begleitet. Schädlich, aber gut.
Fünf Mädchen und drei Jungs sind anwesend. Sieben unter ihnen haben eines gemeinsam: Auf irgendeine Weise sind sie erfolgreich und alle haben einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft.
Mädchen und Jungs machen Scherze miteinander, bezirzen sich unauffällig, und am Anfang hatte Maria über ihre Scherze gelacht, abundzu ein Kommentar beigesteuert. Doch mit dem Alkohol kommen ihre Sehnsüchte und die Gewissheit, für alle anderen ein Verlierer zu sein. Sie trinkt weiter (schade, dass es an diesem Abend keinen ASchnaps gibt) und ihr Gesicht wird düsterer und düsterer, bis es ein Abbild ihres fürchterlichen Innenlebens darstellt.
Sie hält den Anblick der hübschen Jungs und die Vorstellung ihrer Berührungen nicht mehr aus, und geht aufs Klo. Das Klo ist der Ort der Stille, der Erholung. Das ist es immer schon für sie gewesen. Kühl ist es hier, angenehm kühl. Sie tritt vor den Spiegel über dem Waschbecken und betrachtet ihr Gesicht. Hübsch ist es - sie ist verliebt in ihr Gesicht, will kein anderes -, aber es besitzt nicht die Hübsche, die es braucht, um dass andere Geschlecht auf sich aufmerksam zu machen. Tränen steigen in ihre Augen, sie presst die Wngen zusammen, was ihr einen Ausdruck der Härte verschafft.
So viel hast du durchgestanden, sagt sie sich in Gedanken. Hast Schlimmes überstanden, unzählige Erniedrigungen ertragen, hast nicht aufgegeben, deine Ziele weiter zu verfolgen. Hast dir Rache geschworen, und das Kämpfen bis zu Letzt, und dass wirst du auch durchstehen. Bei Gott, wenn ich eines weiß, dann das. Wenn du verlierst, wenn du dieses mutigen, heldenhaften Krieg verlierst, so wirst du glücklich und mit Stolz untergehen.
Sie lächelt. Es ist ein wahnsinniges Lächeln, Ausdruck von Heldenmut, Resignation und der Gewissheit zu verlieren; jedoch im Kampfe, und das ist gut.

 

Also.. ich fand die Geschichte...
Kennst du das Gefühl, wenn du einen Stein über die Oberfläche eines Sees hüpfen lässt?
So ähnlich geht es mir mit deiner Geschichte. Am Anfang wäre ich beinahe in der tiefen Schilderung der albernen kleinen Realität des Mädchens versunken - bis ich dann wieder hochgerissen wurde und danach nur noch auf dem Wasser herumflitscht. Ich kann mich dort nicht mehr in das Mädchen hineinfühlen - vor allem, weil ich nicht erfahre, was ihr passiert ist. Ich verstehe sie ab dieser Stelle nicht mehr...

Verwirrte Grüße
Vita

 

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