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Tee mit Honig

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03.09.2024
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Tee mit Honig

Fünf Stunden war er weg. Im Regen ohne Schirm. Er hängt die nasse Jacke auf einen Bügel an die Garderobe. Feuchtigkeit sammelt sich, rinnt die Ärmel hinunter und tropft auf das Parkett. Er schlurft in die Küche und betätigt den Wasserkocher. Die Tasse ist oben im Schrank, der Teebeutel in der Anrichte gegenüber. Er findet alles und stellt es bereit, während das Wasser zu brodeln beginnt. Tasse befüllen, den Beutel eintunken, sechs Minuten ziehen lassen. Löffel danebenlegen. Der Honig fehlt. Ohne schmeckt ihm der Tee nicht.
Sie beobachtet ihn, als er in der Küche hantiert.
"Im Schrank oben beim Zucker", sagt sie.
Er nickt und öffnet die Schranktür. Früher, als es seine Wohnung war, stand der Honig in der Anrichte, neben dem Tee. Da, wo er hingehört. Er rührt etwas Honig in die Tasse.
"Warst du wieder am See?", fragt sie. "Bei dem Wetter?"
Er sagt nichts, umfasst die heiße Tasse mit beiden Händen, ohne sie anzusehen. Gleich wird sie ihm Vorwürfe machen, das macht sie immer.
"Du hättest denen Bescheid sagen müssen, die haben sich Sorgen gemacht. Du kannst nicht einfach so abhauen!"
Er pustet in den Tee und nimmt einen Schluck. Sie greift nach ihrem Handy und tippt auf das Display.
"Ich sage, dass du aufgetaucht bist und fahre dich gleich vorbei."
Er pustet wieder in die Tasse, stellt sich vor die Glastür zum Balkon und sieht in den Vorgarten. Er hört nicht, was seine Tochter am Telefon sagt. Draußen wird es langsam dunkel, der Regen hat nachgelassen. Ein Eichhörnchen sitzt auf dem Blumenkasten und starrt ihn durch die Scheibe an. Es bewegt sich nicht. Er bleibt stillstehen und sieht zurück. Seine Tochter hört auf zu telefonieren und kommt zu ihm. Sie legt ihre Hand auf seine Schulter.
"Trink in Ruhe aus, dann bring ich dich zurück. Ich wusste nicht, dass Du noch einen Schlüssel zur Wohnung hast. Leg ihn nachher bitte auf die Ablage."
Die Hand wird zurückgezogen und er sieht wieder hinaus. Das Eichhörnchen ist verschwunden. So, als wäre es nie dagewesen.
Er nimmt einen Schluck. Der Tee ist nicht mehr heiß.
"Ich bin kurz im Bad", sagt die Tochter. Ihre Schritte klackern auf dem Parkett. Er wartet, bis das Geräusch verstummt, stellt die Tasse in das Spülbecken und geht in den Flur. Den Schlüssel legt er auf die Ablage und greift nach der Jacke auf dem Bügel. Eine kleine Pfütze hat sich auf dem Boden gebildet. Das ist nicht gut für das Holz. Er überlegt kurz, es aufzuwischen, aber dafür bleibt keine Zeit. Die Tür zieht er leise hinter sich zu.

 

Hallo @Jaylow ,

deinen Text fand ich interessant. Es war schnell klar, dass es einen Plot gibt und hat den Plot gleichzeitig nicht offensichtlich gemacht. Ich wollte weiterlesen und es herausfinden. Außerdem war es so kurz, dass ich nicht lang warten musste.
Der Plot hat mir zugesagt. Ein klein wenig mehr Fülle hätte ich mir dann doch gewünscht. Aber das ist sehr subjektiv!

Zu ein paar Stellen ist mir etwas eingefallen.

Sie weiß, wo er gewesen ist.
Da war ich leicht verwirrt. Wenn sie weiß wo er war, warum hat sie bei den Leuten nicht Bescheid gesagt? Sie hat die Ruhe auf jeden Fall weg.
Das ist mir nur aufgefallen und passt für mich nicht ganz zusammen. Vielleicht gibt es eine gute Erklärung dafür?

Es bewegt sich nicht, ist regungslos.
Das hört sich in meinem Kopf gedoppelt hat. Es hakt ein wenig. "Es bewegt sich nicht" könnte ausreichen.

Wie schon erwähnt, ich fand die Geschichte ansprechend. Dass ich mir mehr Fülle wünsche, spricht auf jeden Fall für die Geschichte, denke ich :)

Bleib dran

Bis dann!

 

Sie weiß, wo er gewesen ist.

Ist ein guter Text. Man weiß nicht genau, was passiert, es kann alles sein: er ist Alkoholiker, Freigänger, Demenz, spielt keine Rolle. Der Text hat ein Geheimnis und das bewahrt er sich.
Unklar ist die Perspektive, denn die wechselt. Du beginnst mit der Tochter, dann wechselt du wild hin und her. Ich würde mich für ihn entscheiden, da steckt mehr drin. Aus ihrer Sicht droht Kitschverdacht, weil sie eine verniedlichende Sicht haben könnte. Naja, er könnte auch eine wehleidige Sicht haben, aber du machst das mit der neutralen Sprache gut.

Eine kleine Pfütze hat sich auf dem Boden gebildet. Das ist nicht gut für das Holz. Er überlegt kurz, es aufzuwischen, aber dafür bleibt keine Zeit. Die Tür zieht er leise hinter sich zu.
Das ist die beste Stelle. Es ist nicht mehr seine Wohnung, er hat jegliche Verantwortung abgegeben. Es interessiert ihn nicht mehr. Das ist sein altes Leben, der Tee und der Honig Reminiszenen.

Bei einem so knappen Text muss alles sitzen. Manöverkritik.

Sie weiß, wo er gewesen ist. Fünf Stunden war er weg. Im Regen ohne Schirm. Er hängt die nasse Jacke auf einen Bügel an die Garderobe. Feuchtigkeit sammelt sich, rinnt die Ärmel hinunter und tropft auf das Parkett. Er schlurft in die Küche und betätigt den Wasserkocher. Die Tasse ist oben im Schrank, der Teebeutel in der Anrichte gegenüber. Er findet alles und stellt es bereit, während das Wasser zu brodeln beginnt. Tasse befüllen, den Beutel eintunken, sechs Minuten ziehen lassen. Löffel danebenlegen. Der Honig fehlt. Ohne schmeckt ihm der Tee nicht.
Hier musst du dich entscheiden. Wenn du es aus der Perspektive der Tochter erzählst, beobachtet sie ihn. Das müsstest du deutlicher heraustellen. Sie nimmt ihm die nasse Jacke ab und hängt sie auf einen Bügel etc ... Auch verschenktes Potential: wenn er sie nach dem Hong fragt, Wo ist denn der Honig?,und sie sagt, Der steht jetzt da, dann wird klar, etwas hat sich verändert, aber diese Veränderung wird durch die Interaktion der beiden klar, es ist auch eine Positionierung, er ist defensiv, sie ist überlegen, sie ist jetzt die, die das Sagen hat, sie bestimmt; warum, welchen Grund, das wird nicht ersichtlich, es spielt auch keine Rolle.

"Du hättest denen Bescheid sagen müssen, die haben sich Sorgen gemacht. Du kannst nicht einfach so abhauen."
Dialog hier besser knapper, oder? Wird klar, dass die sich Sorgen machen.

"Trink in Ruhe aus, dann bring ich dich zurück. Ich wusste nicht, dass Du noch einen Schlüssel zur Wohnung hast."
Hier würde ich mal behaupten, fordert sie ihn doch noch auf, mal schön den Schlüssel abzugeben, damit so etwas nicht noch einmal passiert, oder? Wenigstens ihn drauf hinweisen, oder ihm sagen, Ich habe denen gesagt, sie sollen dir den Schlüssel abnehmen, Oder: Du kannst mir den Schlüssel beim nächsten Mal geben. Da schwingt ja auch ein klein wenig Gefahr mit, denn was wäre, wenn er nicht nur Tee mit Hong will, sondern das Haus in Brand steckt? Darüber wissen wir ja nichts. Aber so ist das ein Faden, der da einfach rumhängt.

Die Hand wird zurückgezogen und er sieht wieder hinaus. Das Eichhörnchen ist verschwunden. So, als wäre es nie dagewesen.
Aus Passiv besser Aktiv. Sie zieht die Hand zurück. Das Bild mit dem Eichhörnchen ist ein wenig fade und abgegriffen, es bringt auch nicht wirklich etwas übereinander, das ist ein wenig schief in dem Kontext. Hat der Text auch nicht nötig, ich plädiere dafür, es zu streichen. Es wird klar, was passiert. Tiefe erzeugt man nicht, in dem man tiefe und große Worte benutzt oder Bilder mit dickem Pinselstrich zeichnet.
Eine kleine Pfütze hat sich auf dem Boden gebildet. Das ist nicht gut für das Holz. Er überlegt kurz, es aufzuwischen, aber dafür bleibt keine Zeit. Die Tür zieht er leise hinter sich zu.
Knapper, härter. Dann einfach rausgehen.

"Du warst wieder am See", stellt sie fest. "Bei dem Wetter."
Woher weiß sie das? Und warum sagt sie das? Fällt mir noch ein. Du machst hier eine große Tür auf zu einer Echokammer: Ich frage mich, was bedeutet der See, waren sie da früher, waren sie da früher zusammen, warum, wieso, weshalb, warum spricht die Tochter ihn gleich darauf an, was will sie damit bezwecken, und ist das nicht das erste Mal gewesen, dass er da so reinschneit, das kann nicht sein, wegen dem Schlüssel? Also, du siehst: entweder MEHR Fleisch, oder raus. Sonst wird es unscharf, unpräzise. Der Raum, den du aufgemacht hast, bleibt vage und dunkel, der bleibt ein Vakuum.

Ja, finde ich gut. Schön minimalistisch, fast schon carver-esque.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Jaylow!

Deine Miniatur gefällt mir sehr gut, gern gelesen.

Es gibt eine Sache, die ich dir empfehlen will zu ändern. Wurde auch schon gesagt: Der Perspektivenmix. Mit dem ersten Satz gehst du in ihre Sicht (und ziehst die beiden folgenden da rein). Das ist nicht so gut, weil in den nächsten Absätzen (mit Ausnahme einer Stelle, die nicht nötig ist), seine Perspektive gezeigt wird.

Und (auch das wurde schon gesagt) der erste Satz scheint nicht zum Rest zu passen, denn warum ruft sie erst jetzt an, wenn sie schon wusste, dass er nicht mehr da ist, wo er sein sollte (zum Beispiel aus dem Seniorenheim ausgebüchst)? Ich vermute, du wolltest zum Ausdruck bringen, dass sie, nachdem sie ihn reinkommen sehen hat, weiß, wo er wohl gewesen ist (an seinem Lieblingsplatz oder so). Das ist allerdings unscharf und missverständlich.
Damit komme ich zum ersten Vorschlag. Ich würde den ersten Satz streichen und mit dem zweiten einsteigen. Und im weiteren Verlauf würde ich komplett aus seiner Sicht schreiben.

Sie weiß, wo er gewesen ist. Fünf Stunden war er weg. Im Regen ohne Schirm.
Fünf Stunden war er weg. Im Regen ohne Schirm.

Das kann auch aus seiner Perspektive sein, und es ist nicht nötig, ihr das zuzuschreiben.


Sie beobachtet ihn, als er in der Küche hantiert und weiß, wonach er sucht.
"Im Schrank oben beim Zucker", sagt sie.
Hier nimmst du ihre Perspektive raus, wenn du das oben angezeigte streichst. Dass sie ihn beobachtet, kann seine Wahrnehmung sein, und dass sie weiß, wonach er sucht, erfahre ich durch ihren Satz: 'Im Schrank oben ...', da braucht es ihre Innensicht nicht.

Und das war es auch schon mit dem Perspektiv-'Problem', denn alles andere, falls ich nix übersehen habe, ist aus seiner Perspektive -- mit den beiden Änderungen wäre deine Story aus einem Guss.

Zwei andere Sachen noch.

Ohne schmeckt ihm der Tee nicht.
Wäre noch mal deutlich, dass es seine Innenwelt ist.
Gleich wird sie ihm Vorwürfe machen, das macht sie immer.
Kann weg, weil wenn er das weiß, gab es die Situation schon mehrmals in der Vergangenheit.
Ich wusste nicht, dass Du noch einen Schlüssel zur Wohnung hast
Dann ist Obiges aber seltsam, weil es heißt, dass er den Schlüssel noch nie benutzt hat? Obwohl er schon mehrmals in seiner früheren Wohnstätte auftauchte? Ist das ein Logikfehler?

Schöne Sache!

Gruß von Flac

 

Vielen Dank für die ausführlichen Hinweise, sehr hilfreich! Ich werde die Geschichte nächste Woche überarbeiten, besten Gruß aus Berlin

 

@jimmysalaryman Ganz viel Dank für die Hinweise, ich bin überrascht über die vielen guten Tipps und nehme die mit in die nächste Woche bei der Überarbeitung.
Besten Gruß aus Berlin

 

Hi,

jetzt muss ich mich doch mal einhaken und protestieren. Ich finde nämlich nicht, dass du unbedingt einen Perspektivenfehler gemacht hast.

Es dreht sich letztlich alles um den ersten Satz:

"Sie weiß, wo er gewesen ist."

Damit lockst du natürlich alle auf die Fährte, dass das Folgende aus ihrer Perspektive zu betrachten ist. Wenn ich den Satz aber als seine Annahme der Dinge interpretiere, stimmt die Perspektive wieder.

Mein Ansatz wäre, einfach eine Verdeutlichung voranzuschieben:

"Ihr Blick sagt alles. Sie weiß, wo er gewesen ist."

Ansonsten in meinen Augen eine sehr schöne Szene / Skizze / Miniatur. Vielleicht würde ich mir noch einen klitzekleinen Satz wünschen, dem ich entnehmen kann, ob er sich in dieser Küche wohlfühlt. (Wenn er denn zu Emotionen in der Lage ist). Für mich wäre es ein Unterschied, ob er aus reiner Gewohnheit in die alte Wohnung zurück ist oder ob ihn da was hinzieht, weil es besser ist als die Einrichtung, aus der er ausgebüxt ist. (Dann würde das Ganze noch an Brisanz gewinnen)

VG
Nico.

 

@Nico Levin Die Perspektive sehe ich tatsächlich auch nicht als Problem an, der erste Satz ist nicht optimal, der wurde zu häufig kritisiert. Vielen Dank!

 

Das Eichhörnchen ist verschwunden. So, als wäre es nie dagewesen.

Ein Symbol der Bedeutungslosigkeit, die alle Erscheinungsformen des Lebendigen betrifft, wobei die selbsternannte Krone der Schöpfung nur wenige Ausnahmen zulässt von Mund zu Mund bis hin zur Verschriftlichung, wenn Namen weitergegeben werden mit ihrer Geschichte - da wäre eigentlich die Ellipse nicht nur in ein, zwei und mehr Sätzen

"Im Schrank oben beim Zucker", sagt sie.
und
Im Regen ohne Schirm.
angesagt - aber ein subjektloser, elliptischer Text wäre vielleicht eine Zumutung für den geneigten Leser ….

… womit wir bei kleineren Korrekturen sind

Sie beobachtet ihn, als er in der Küche hantiertKOMMA und weiß, wonach er sucht.
das m. E. hierher
Früher, als es seine Wohnung war, stand der Honig in der Anrichte, neben dem Tee.
umgesiedelt werden kann ...

Gleich wird sie ihm Vorwürfe machen, das macht sie immer.
Es wiederholt sich schließlich alles ... als Drama/Tragödie oder Komödie

"Du hättest denen Bescheid sagen müssen, die haben sich Sorgen gemacht. ….
und „die“ sind immer „die anderen“,
übrigens von Haus aus ein Zahlwort (= zwei, was sich noch im anderthalb [1 ½] bewahrt hat)

Hier

Du kannst nicht einfach so abhauen."
empfehl ich - ob als Vorwurf oder Ermahnung, Jacke wie Hose – ein Ausrufezeichen!

Dat sins &

hat mit sehr gefallen und möge ein solcher Elch an uns beiden vorbeigehen

@Jaylow,

und damit herzlich willkommen hierorts!

 

Hallo @Jaylow,

deine Geschichte vermittelt viel Atmosphäre, über den Inhalt kann man nur spekulieren. Ist durchaus interessant gemacht, dieses Andeutungsmosaik.


Sie weiß, wo er gewesen ist. Fünf Stunden war er weg.

Du hättest denen Bescheid sagen müssen, die haben sich Sorgen gemacht. Du kannst nicht einfach so abhauen."
Das interpretiere ich so: Sie bekam einen Anruf, dass er weg ist (deshalb weiß sie die Zeitspanne), aus Erfahrung ist ihr bekannt, wo er hingeht. Man kann schlecht einschätzen, ob sie aus Charaktergründen so gelassen reagiert oder weil sie die Situation schon zu oft erlebt hat. Für meinen Geschmack könnte es wenigstens einen deutlichen inhaltlichen Fixpunkt geben, damit das Ganze nicht in Beliebigkeit versinkt.

Aber gut ... insgesamt gern gelesen.

Grüße,

Woltochinon

weil

 

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