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Teddybär
Er hatte diese Angewohnheit, sich selbst in den Arm zu zwicken, wenn er mit etwas, das man tat, unzufrieden war. „Musst du schon los?“, fragte er.
Wir waren seit sieben Jahren zusammen, deshalb funktionierte es wohl nicht mehr so, wie er eigentlich wollte. Ich sah auf den Wecker. Es war 3 Uhr morgens.
„Du schubst mich hier ja fast aus dem Bett schon wieder.“
Er drehte sich weg, rutschte ein wenig zur Seite und nahm den fast lebensgroßen Bären in den Arm, welcher links von ihm lag und machte, dass unser Schlafzimmer nun schon seit Wochen nach Jahrmarkt stank.
Ich rückte etwas auf und schloss wieder die Augen.
„Schlaf gut“, sagte er.
„Du auch.“
„Kann ich dir etwas erzählen?“, fragte er.
Ich seufzte. „Nicht seufzen“, sagte er, „das macht mich traurig.“ Seine Arme steckte er unter die Decke.
„Schieß los.“
„Ich kann nicht schlafen.“
„Ich habe dich eben noch im Traum reden gehört“, entgegnete ich.
„Aber jetzt kann ich nicht mehr schlafen.“
„Was kann ich da tun?“, fragte ich, „brauchst du mehr von der Decke?“
„Du kannst mir zuhören.“ Er setzte sich hin und schwieg.
Ich befürchtete, dass ich nicht mehr drum herum kam, das Licht anzuschalten, ihm einen Tee zu holen, mich zu ihm zu setzen und ihm dem Rest der Nacht immer und immer wieder zu erklären, dass die Sonne wieder aufgehen würde.
„Willst du einen Kamillentee?“
„Ja, bitte.“
Als ich aus der Küche wiederkam, hatte er sein Gesicht schon hinter seinen Händen versteckt.
„Wieso weinst du denn?“, fragte ich. Ich fragte nicht: „Wieso weinst du denn schon wieder?“ oder „Was ist dein Scheißproblem?“ oder „Dir geht es doch viel zu gut, merkst du eigentlich überhaupt noch was?“ oder „Ich hasse dich.“
„Ach“, sagte er und wimmerte.
„Nun sag schon.“
„Ach“, sagte er, „wenn ich dich nicht hätte, hätte ich mich schon längst umbringen müssen.“
„Mhm“, sagte ich und spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. „Was ist jetzt los?“
„Da gab es so eine Person in meiner Vergangenheit.“
„Du meinst, da gab es ein Mädchen.“
„Hm? Ja. Ich mochte dieses Mädchen sehr gerne, aber sie mich nicht.“ Er nippte an seinem Tee, der scheinbar noch zu heiß war, denn er zuckte zusammen und brach wieder in Tränen aus.
Ich sagte nicht: „Was bist du eigentlich für eine elendige Pussy?“ oder „Dann bring dich halt endlich um, damit ich dich nicht mehr ertragen muss.“ Ich sagte gar nichts.
Als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, fuhr er fort: „Ich mag sie immer noch.“
„Toll“, sagte ich.
„Kannst du jetzt mal nicht eifersüchtig sein, es geht mir sehr schlecht“, sagte er.
„Hieß sie Tanja?“, fragte ich.
„Habe ich dir schon einmal von ihr erzählt?“, fragte er.
„Nein, du hast ihren Namen im Schlaf gesagt.“
„Oh. Ja, sie hieß Tanja und ich kann sie nicht vergessen.“
„Wieso nicht?“, wollte ich wissen.
„Du erinnerst mich an sie.“
„Sag mal, was erwartest du jetzt eigentlich von mir?“
„Nein, das ist nicht schlimm, das hat nichts mit dir zu tun. Alles erinnert mich an sie.“
„Du sagst das so, als würde es irgendetwas besser machen.“
Er raufte sich die Haare. „Vergiss es“, sagte er.
Den Tee stellte er auf seinen Nachttisch. „Ich trinke den morgen, wenn er kalt ist“, sagte er. „Vielen Dank für den Tee.“
Ich machte das Licht aus und legte mich wieder hin.
Seine Hand griff nach meinem Busen. „Willst du noch?“, fragte er, „Ich stelle mir auch nicht vor, du wärest Tanja.“
„Nein.“
„Immer wenn ich nicht schlafen kann, erinnere ich mich an das letzte Gespräch, das ich mit ihr geführt habe. Sie hatte ihr rotes Haare zu einem strengen Zopf gebunden und war laufen. Ich kannte ihre Strecke und manchmal, nur so oft, dass es nicht auffällig war, begegnete ich ihr dann quasi zufällig an irgendeiner Ecke. Das klingt gruselig, aber du kennst mich, ich bin ja kein schlechter Mensch. Sie hat damals Ruhe gesagt. Und sie hat das so gesagt, als würde sie mich beruhigen wollen. Ihre Stimme ist tiefer geworden und sie hat das U etwas in die Länge gezogen. Ich stelle mir dann immer vor, sie wäre hier und würde mir meine Ängste nehmen. Allerdings hilft das nur bedingt, weil ich dann noch mehr an sie denken muss und daran, wie ich mich selbst verarsche, weil sie ja eigentlich gesagt hat: Lass mich in Ruhe. Du hast Glück, dass dich so etwas nicht vom Schlafen abhält.“ Er überlegte einen Moment. „Ich merke schon, keine Sorge. Ich bin jetzt still.“
„Ich muss pissen“, sagte ich.
„Diesen Ton kenne ich. Gleich explodierst du wieder.“
Wenn er mir so erzählte, wer ich sei, kam er mir immer wie ein Fremder vor. Ich ging ins Bad.
„Ich denke, wir sollten schlussmachen“, sagte ich, als ich wiederkam.
„Du kannst mich nicht verlassen“, sagte er und blieb dabei erstaunlich ruhig. Wahrscheinlich war er müde. „Außerdem soll man so kurz nach dem Aufstehen keine wichtigen Entscheidungen treffen.“
„Zum Glück hältst du mich schon seit einer gefühlten Ewigkeit wach nun.“
„Außer Tanja hat mir noch nie jemand einen Korb gegeben“, sagte er.
„Wenn es dir um deine Würde geht“, setzte ich an und musterte ihn.
„Dann was?“ fragte er.
„Vergiss es. Rück mal ein Stück, dann schlafen wir und sehen morgen weiter.“
Er nahm wieder den Teddybären in den Arm.
„Ich habe dich sowieso nie geliebt“, flüsterte er.
„Ich gehe jetzt“, sagte ich.
„Als ob. Ich meinte außerdem den Teddybären.“
„Ach, fick dich doch.“
Es war ein schon bequemes Bett.