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Teddy
Teddy
Es war ein Sonntag Morgen, den wir mit unseren ausschlafenden Eltern, wie sie es uns und besonders mir Tags zuvor beibrachten, nicht mit Lärm erfüllen sollten.
Doch dem plötzlichen Blinzeln in den tiefen Augen Michaels, der von mir, seinem großen Bruder, das Auto abgenommen bekam, folgte ein heulendes Geschrei.
Ich wollte ihm das Auto zurückgeben. Er nahm es aber nicht mehr.
Um sein Geschrei zu stoppen, griff ich einen Teddybär, hielt ihm diesen vor seinen Mund und mahnte Michael aufzuhören, sich zu beruhigen.
Es klingt unglaublich, aber ich achtete, berechnend wie ein Notarzt darauf, ihm die weitere Luftzufuhr durch die Nase zu ermöglichen.
Er schrie weiter, schrie in den Teddybär hinein, sein hellblonder Kopf lief rot an und durch einen plötzlich schimmernden Schleier sah ich eine Halsschlagader hervortreten.
Ich weinte innerlich und trug das grausame Gefühl, dass er es extra tat, dass er nicht wirklich wusste, was mich erwarten würde.
Die Tür zu unserem Kinderzimmer wurde plötzlich aufgerissen. Mein Vater war wach geworden, geweckt von den Schreien Michaels und er sah was ich ihm antat.
Ein großes kahles Zimmer mit vier Betten, von denen sich jedes an eine Wand drängte.
Ein Morgen, in der Sommersonne badend, die ihre wärmenden Strahlen Einspruch erhebend in das Zimmer sandte. Und auf dem braunen Teppich kräuselten sich in Aufregung Blätter einer jungen Birke, die erschrocken in einer aufkommenden Windböe lag. Die Swist, mit der wir oft spielten, Staudämme errichteten und mit leeren Joghurtbechern Schlammbeißer fingen, plätscherte laut von den naheliegenden Plantagen herbei, durchwanderte mit ihrem Bett unsere Plattenbausiedlung, um dann den ganzen Rest unserer 20.000 Seelenstadt ganz zu durchlaufen.
Der Blick meines Vaters fröstelte mich und tat mir Gewalt an.
Wie ich ihm entkommen konnte, war mir ein hoffnungsloser Gedanke, der mich noch einmal flüchtig aus dem einzigen Fenster schauen ließ, wo kleine Spatzen, sich ihrer Vitalität ergebend, glücklich im Wind herumwirbelten.
Warum nur musste ich hier sein.
Die Bestie Vater huschte unsagbar schnell und lautlos aus den wildwuchernden Sträuchern meiner Angst zu mir heran und zog den unverschlossenen Gürtel mit einem Peitschen aus seiner Jeans.
Mit jedem Schlag mehr betete ich, dass er aufhöre. Zeitgefühle verloren ihre Existenz und die Grausamkeit, dass ich den Dimensionen meines Schmerzes durch meine Menschlichkeit keinen Ausdruck verleihen durfte, nahm mich gefangen.
Die Grenzen waren überschritten, und das Flehen, das während meines Luftschnappens und in Tränen explodierenden Augen von mir ging, vernahm er nicht.
Meine Augen erblickten schwarze Flecken, Tintenflecken, die sich auf die Klarheit meiner Seele ausbreiteten. Ich schritt inmitten eines sonnenlichterhellten Klassenzimmers, vor mir aufgeschlagen das Buch meiner Selbst und plötzlich herabtröpfelnde Schwärze.
Sein bebendes Schnaufen, das mich mit jedem Gürtelhieb erreichte, vernahm ich nicht mehr. Ich war erblindet vor Schmerz, der mich nicht mehr losließ, bis er mir die einzige Liebe schenkte die ich kannte. Er ließ mich fallen.
Mein Schreien war längst verstummt, meine Kehle von vergangenen Zügen nach Luft getrocknet.
Ein klägliches Winseln, das ich von mir gab, um mich nicht ganz zu verlieren, gab mir zu spüren, dass ich nicht tot war und noch lebte.
Keinen Schmerz, keinen Schmerz, bitte, bitte keinen Schmerz mehr.
Ich rettete mich letzter Kraft auf mein Bett und das böse Wesen innerlicher Ohnmacht griff nach mir.
"Das war versuchter Mord!", hörte ich eine zornerfüllte Stimme über mir rufen und der mit einem Sabber aus Tränen und Speichel verschmierte Teddybär landete neben mir.
Friedrich (25)Teddy