Teddy Story
„Wo bleibt sie denn nur?“, fragte ich mich. Ich saß auf dem Schreibtisch neben dem Fenster. Ich blickte hinaus mit der Hoffnung Laura zu sehen. Dort sah ich aber nur eine Allee, die an einer Kreuzung endete. In den Bäumen sah ich ein paar glückliche Vögel, die ihre Lieder zwitscherten. Ich hätte gerne mitgepfiffen, aber das Pfeifen fällt einem Teddy ziemlich schwer, zumal wir ja eigentlich keine richtigen Lippen haben.
Ich fragte mich langsam wirklich wo Laura war. Wer ist Laura? Ja, richtig...meine beste Freundin! Morgens weckt sie mich sanft, Tagsüber spielt sie mit mir und abends kuschelt sie sich ganz fest an mich. Sie ist im Gegensatz zu mir ziemlich groß, so wie alle Kinder. Sie hat schulterlange, gelockte blonde Haare und wunderschöne grüne Augen.
Normalerweise braucht sie montags nie so lange bis sie wieder nach Hause kommt. Sie hätte eigentlich schon vor einer knappen halben Stunde da sein müssen.
Das Leben als Teddybär ist leider nicht so flexibel. Laura kann kommen und gehen wann und wohin sie will...und ich? Ich sitze den ganzen langen Tag hier rum und langweile mich mit dem albernen Vogelsang von draußen. Mich nimmt ja nie jemand mit nach draußen. Ich frage mich, wie die Welt dort wohl aussieht...Hier bin ich schon seit mehr als drei Jahren. Woher ich das genau weiß? Na ja...da ich immer nur in diesem Zimmer bin, habe ich total mein Zeitgefühl verloren. Ich erfahre mein „Altern“ immer nur von der Laura. Irgendwann letzte Woche nahm sie mich wie gewohnt mit in ihr Bett und kuschelte sich an mich. Sie sagte etwas wie: „jetzt bist du schon seit 3 Jahren hier!“.
Plötzlich ging die Tür in ihrem Zimmer auf. Laura kam herein. Sie trug in ihren Armen ein in braunem Papier verpacktes Paket, die mindestens genauso groß war wie ich. Sie stellte sie neben mir ab und verschwand ohne weitere Bemerkungen wieder aus dem Raum. Ich war so neugierig...ich wollte unbedingt sehen, was da drin ist, meine Sicht war aber durch das braune Papier geblockt. Vermutlich hat ihre Mutter ihr beim Bummeln einen neuen Ball oder so was gekauft. Soll ja vorkommen, dass von ihren Kindern bis zur Weißglut gereizte Mütter ihren kleinen Bälgern die kleinen Wünsche erfüllen, nur damit sie mal eine Auszeit haben und die kleinen bei einem oder meist zwei großen Latte Macchiato im Café in der Seitenstraße für nur einen Moment ruhig halten können.
Nach einer knappen halben Stunde und meinem von Langeweile auf Gespanntheit schlagenden Blick, drehte sich die Türklinke nach unten und die Tür öffnete sich. Laura sah mir tief ins Gesicht und sagte:
„Guck mal was ich hier für dich habe, Brummbär!“
„Etwas für mich?“ freute ich mich in mich rein und wollte nun endlich wissen, was in dem Paket war. Doch als sie es öffnete, blieb mein Herz fast stehen...
„Das darf doch nicht wahr sein!“ war das Erste, dass mir in den Sinn kam. Sie hat sich zur Bestechung doch tatsächlich einen neuen Teddy kaufen lassen. Das war aber nicht alles! Es war eine „Sie“, hieß Maria und war wunderschön. Ihr helles Fell glänzte wie ein Meer aus Gold, und ihre beiden Augen sahen aus wie zwei Saphire, die drin schwammen. Sie trug ein weißes Sommerkleid, mit kleinen rosa Blümchen am Saum und Spaghetti-Trägern. An ihrem linken Ohr hatte sie eine rosa Schleife, extrem kitschig alles...aber an ihr sah das alles so fabelhaft aus. Gegen sie hatte ein so verkommener Teddy wie ich keine Chance.
„Hey Volkan, dass ist Maria, deine neue Freundin und meine neue Mitbewohnerin. Ich muss noch mal kurz runter. Bin gleich wieder da!“ Sie griff meine „Konkurrentin“ und verschwand aus dem Raum. Beim hinausgehen knallte sie die Tür zu...der Knall konnte gerade so mein laut, voller Wut und Verzweiflung pochendes Herz übertönen.
„Was soll der Scheiß?“, dachte ich mir, während ich mir die Packung von „Miss Teddy 2004“ mal genauer ansah. Die Verpackung war wie ich mir schon dachte auch rosa, nur mit einem riesigen Bild von ihr vorne drauf. Auf der Vorderseite stand ganz groß Maria.
Darunter stand kleiner geschrieben:
„Dieses Bärchen übertrifft alles das du bisher hattest! Ganz neu aus Italien eingetroffen. Dort gehört sie zu dem meistverkauftesten Spielzeug überhaupt! Wenn du sie hast, kannst du sie nicht mehr loslassen!“ Ich dachte nur „oh nein! Sie will mich jetzt gegen ein besseres Bärchen ersetzen...obwohl...das würde sie niemals machen! Dafür mag sie mich doch viel zu sehr. Oder?“
Nach über drei Stunden kam sie immer noch nicht wieder. Je länger ich gewartet hatte, desto schlimmer wurde es. Was die beiden wohl gerade machen? Wahrscheinlich haben die so viel Spaß, dass die mich glatt vergessen haben. Ich sah aus dem Fenster und musste erschreckt feststellen, dass es schon dunkel geworden war. Das Einzige das man sah, war der leuchtende Mond, welcher der Nacht einen doch ziemlich schönen Schliff verlieh. Tränen bildeten sich in meinen Augen...war der Mond der Einzige, auf den man sich verlassen konnte? Er war jede Nacht da, auch wenn er vielleicht keine Lust dazu hatte. Eins hatten er und ich gemeinsam. Wir waren beide einsam. Sehr sogar.
Plötzlich ging die Tür auf und Laura kam hinein...aber nicht alleine. Selbstverständlich hatte sie ihre schöne Maria bei sich. Am liebsten wäre ich zu Maria gegangen und hätte sie volle Kanne angeschrieen. Was sollte das? Wieso mischt sie sich in unser Leben ein? Sie ist wie ein Vogel, der sich in ein schon gemachtes Nest einnistet und nicht mehr weg will...zugegeben, ein ziemlich schöner Vogel...aber trotzdem, das gehört sich nicht...
Während ich mir solche Kopfzerbrechenden Gedanken machte, war Laura auch schon mit umziehen fertig. Sie hatte ein Nachthemd an, welches wohl eher weniger zufällig genauso aussah, wie das Kleid von diesem Zuckerpüppchen. Das ging zu weit.
Ich war mir eigentlich sicher, dass sie mich beim Schlafen wie sonst immer mit unter die Bettdecke nehmen würde. Das hab ich zumindest versucht mir einzureden.
Natürlich nahm sie die Maria ins Bett, und nicht mich.
Ich kannte sie schon seit drei Jahren. Seit drei Jahren nimmt sie jede Nacht mich ins Bett...und dann das! Wieso musste mir das passieren? Es gibt so viele Teddys auf der ganzen Welt. Das ist irgendwie unfair. Ich hab es immer so gemocht...dass sie mir während sie mir Geschichten erzählt hat die Ohren gekrault hatte und mich fest an sich gedrückt hat. Ich lag auf ihrem Schreibtisch. Laura drehte sich zu mir um und sagte ganz müde
„gute Nacht, Volkan!“, drehte sich weg und schlief sofort ein. Ich sagte mir die ganze Zeit in Gedanken „doofe Maria, doofe Maria, doofe Maria...“, bis ich endlich einschlief.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das Bett schon leer. Vermutlich ist sie schon in der Schule. Von Maria fehlte auch jede Spur. Ich musste unbedingt herausfinden, warum ich für Laura nicht mehr attraktiv genug war. Ich sprang vom Tisch und landete nach einer nicht gerade akrobatischen Aktion auf meinen zum Glück gut gepolsterten...Hintern. Mit langsamen und schweren Schritten lief ich zum Spiegel rüber. Als ich endlich vor dem Spiegel stand, ließ ich meine Blicke schweifen und betrachtete mich mal gründlich. Dann verglich ich mich mit dem Volkan von vor 3 Jahren, der damals genau wie die Maria gestern Laura von ihrer Mutter geschenkt bekommen hat. Ich bemerkte nur einen wesendlichen Unterschied. Früher hatte ich ein so schönes braunes Fell, das mit der Zeit leider immer grauer wurde. Nebenbei bekam ich auch ein paar kleine schwarze Flecken. Ich hatte mich schon öfters gefragt, woher diese Flecken eigentlich stammen. Rausgefunden hab ich das nie, erinnern kann ich mich auch nicht.
Doch plötzlich traf mich ein Geistesblitz! Vor ein paar Wochen hat sich Laura mit ihrer besten Freundin Jessica über ihren Opa unterhalten. Sie sagte, dass er mit der Zeit immer mehr graue Haare bekommt. Er sei schon alt, und sie wollte es nicht werden, da sie keine grauen Haare haben will. Plötzlich verstand ich, wo das Problem lag. Ich wurde der Laura zu alt! Sie mag das wohl nicht, und hat sich wahrscheinlich aus diesem Grund die Maria kaufen lassen! Als mir bewusst wurde, warum dass alles so war, wurde ich sehr traurig. Die Tränen die ich gestern noch hatte zurückhalten können, flossen aus meinen glasigen Augen und fielen wie Steine auf den Boden.
„Doofe Maria!“ sagte ich mir wieder innerlich. „Da ich ja überflüssig bin, kann ich hier ja verschwinden! Da draußen gibt’s bestimmt noch jemand, der mich knuddeln will. Bestimmt!“
Ich entschied mich sofort zu gehen, da ich sowieso nicht so auf lange und schmerzhafte Abschiede stehe. Das Fenster stand weit offen. Also kletterte ich erst auf Lauras Bett und von dort auf ihren Schreibtisch, von dem es nur noch ein klacks war, um auf ihre Fensterbank zu kommen.
„Hey, bleib stehen!“, hörte ich eine zuckersüße Stimme sagen. Ich war überrascht, da ich dachte, dass ich hier alleine bin. Ich drehte mich um und sah Maria.
„Was willst du von mir?“ knurrte ich ihr schon fast ins Gesicht.
„Hey, bleib doch mal locker! Ich hab dich gestern Abend gesehen. Du sahst sehr eifersüchtig aus.
„Schön für dich, auf nimmer wiedersehen!“, sagte ich mit dem selben Knurren.
„Bleib stehen, du Dummerchen. Wohin willst du gehen?“ „Doofe Maria!“
dachte ich mir innerlich und sagte: „weit Weg von hier, und vor allem von DIR! Laura braucht mich nicht mehr, weil sich ja dich jetzt hat!“
Plötzlich begann sie zu lachen.
„So einen Dummen Bären hab ich noch nie gesehen!“ sagte sie .
„Doofe Maria!“ Sagte ich leise. Plötzlich begann sie zu Argumentieren.
„1. Laura braucht dich. Sie hat gestern die ganze Zeit nur über dich geredet, ach wie toll und wie gut ihr euch verstehen würdet.
2. Man, sie ist doch erst 8 Jahre alt. In diesem Alter ist es normal, dass sie die meiste Zeit mit ihrem neuen Spielzeug verbringt.
3. Warum bist du denn zu alt?“
„Schau mich doch mal an! Siehst du das denn nicht? Ich bekomme graue Haare, hab Flecken...ich fange an hässlich zu werden!“
„Wow. Ein Teddy der altert! Du bist was für X Factor, weißt u das?“ sagte Maria, mit einem breiten Grinsen
„Doofe Maria!“ knurrte ich.
„Du bist doch nur ein wenig dreckig. Wenn wir dich irgendwie sauber kriegen, ist das alles kein Thema mehr. Ich kann dir dabei helfen, wenn du willst. Aber nur wenn du hier bleibst und mir die Chance gibst das wir Freunde werden können.“
„Wow, sie will mir helfen...coole Maria!“ - und die Bedingung klang ganz fair...also starteten wir einen Versuch.
Ihr Plan war so:
Laura solle an diesem Abend nach dem Essen baden gehen. Die Mutter lässt das Wasser immer schon vorher rein. Bis sie fertig ist, vergehen mindestens zwanzig Minuten, wenn nicht mehr. In dieser Zeit mussten wir das also hinkriegen. Kein Problem, dachten wir.
Als Laura am Esstisch saß, schlichen wir uns die Treppen runter und gingen ins Bad. Ich stellte mich vor sie und versuchte hineinzuspringen. „Zwecklos“ dachte ich mir, da ich viel zu klein für so einen Sprung war.
„Soll ich dir helfen?“, sagte Maria, sichtlich amüsiert.
„Gerne. Nur wie?“
„Ganz einfach! Ich beuge mich vor die Wanne, und du kletterst über mich rein!“
Das war eine geniale Idee...hätte von mir kommen können.
Als ich den Beckenrand erreicht hatte, sprang ich hinein. Das Wasser reichte mir bis über die Knöchel.
„Boah, ist das Wasser heiß!“ dachte ich mir, kurz nachdem ich gelandet war. „Jetzt werde ich endlich wieder sauber!“, freute ich mich, ohne zu merken, wie schnell der Wasserspiegel stieg. Er ging mir schon fast über die Schultern.
„Ich kann nicht schwimmen!“, rief ich. „Wie komme ich hier wieder raus?“
„Ich wusste doch, dass ich irgendwas vergessen habe. Ist eh nicht so schlimm. Teddys haben keine Lungen, sprich, wir können nicht ertrinken. Ich finde schon noch einen Weg für dich raus, werd jetzt aber erst mal richtig sauber!“
Nach einer Viertelstunde mit dem Kopf unter Wasser kam sie endlich wieder. Sie warf Lauras Jojo in die Wanne. Während sie mich wieder rauszog hielt ich mich an der Spindel fest. Obwohl ich nun so schwer wie ein Elefant war, lief ich zum Spiegel und betrachtete mich von Oben bis Unten. Mein Körper hatte keinen einzigen Flecken mehr, im Gegenteil, sah fast wie neu aus. Mit einem freudigem lächeln blickte ich zu Maria: „Coole Maria!“