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Ted Bogota 2: Die Weltformel
Das Opfer war in die Ecke gedrängt. Dieser triefende Molch. Elendes Waffenschiebergesochs. Der Attentäter lachte. Eben noch war er schleichend, kriechend, kletternd und sich abseilend, springend, robbend und duckend übers Gelände und durch den Gebäudekomplex gehuscht, wartend, rennend, lauernd, Wachleute hinterrücks erstechend. Und auch vorderrücks, selbst die gut ausgebildeten Sicherheitskräfte hatten keine Chance. Und nun war er ins Allerheiligste eingedrungen und bedrohte den verbrecherischen Wicht mit dem bajonettbewehrten Colt, oh er genoß es. Das Opfer krümmte sich zusammen, kauerte, wimmerte, versuchte in die massive Wand hineinzukriechen. Theo stocherte sich beiläufig mit dem Bajonett zwischen den Zähnen herum, während er den kümmerlichen Lauten lauschte. Er liebte diesen Job.
Nicht, dass Theo irgend etwas gegen den Mann gehabt hätte. Riposte-Demos illegale Waffengeschäfte interessierten ihn ungefähr so sehr wie ein Staubkorn auf dem dritten Mond des Jupiter. Wenn es nach Theo ginge, könnte der zwielichtige Schurke auch gern weiterhin Handhaubitzen an Burgatorische Kindersoldaten liefern, oder ferngesteuerte Knüppel für den Bürgerkrieg in Ataria herstellen. Aber zu Herrn Demos Pech war jemand bereit, für seine Abtötung eine gewaltige Summe zu bezahlen. Für Geld war Theo zu allem bereit, für Geld würde er Mutter Cervesa, den Pompifex, oder seine eigene Oma abtöten, oder Wuffi den Wunderhund live im Kinderfernsehen niedermähen. Für Geld würde er die Anführer beider Atarischen Kriegsparteien abtöten, und zwar gerade in dem Moment, in dem sie den Friedensvertrag unterzeichnen wollten. Hätte er damals gelebt, wäre Theo der erste in der Reihe gewesen bei der Bewerbung für Herodes‘ Säuglingsmord-Auftrag. Vorausgesetzt, die Kohle stimmte. Und diese Kohle wurde umgehend in den Ausbau des eigenen Harems investiert. Man konnte es nicht leugnen, Theo der Röchler war hauptsächlich des Geldes wegen (und der daraus resultierenden Annehmlichkeiten) in diesem Gewerbe tätig. Doch bei aller monetären Gier war es ihm auch wichtig, dass der Spaß im Berufsleben nicht zu kurz kam.
„Tanz“, forderte Theo das jammernde Bündel in der Zimmerecke auf.
„Wie... wie bitte?“
„Du hast mich verstanden. Los, tanz!“
„Niemals!“
„Doch, tanz, oder ich zerdresche dich!“
„Sie werden mich doch sowieso zerdreschen, auch wenn ich tanze.“
„Das weiß man nie so genau. Das ist ja der Witz an dem Ganzen.“
Riposte-Demo überlegte kurz und entschied sich dann für einen halbherzigen Discofox.
„Nein“, sagte Theo, nachdem er sich das Trauerspiel eine Weile angesehen hatte. „Das ist nicht lächerlich genug.“
Der Waffenschieber wägte einige Sekunden lang Würde gegen Leben ab und begann dann mit einer gotteserbärmlichen Travolta-Imitation.
„Nein! Immer noch nicht lächerlich genug. Mehr hampeln bitte!“
Riposte-Demo hampelte um sein Leben.
„Danke, das reicht“, meinte Theo und zerdrosch ihn.
So, das wäre dann erst einmal genug Sadismus und Menschenverachtung für heute, sagte sich Theo der Röchler und packte seine Ausrüstung zusammen für den Rückzug. Ihm war die Verwerflichkeit seiner Methoden völlig bewusst, aber das war ihm gleich, solange er es anderen überlassen konnte, diese Taten zu verachten. Dafür hatte er extra einige professionelle Moralisten eingestellt, an die er diese Aufgabe weiter delegieren konnte. In Theos Operationsbasis gab es spezielle schallisolierte Empörräume, in denen sie sich den lieben Langen Tag lang darüber echauffieren konnten. Auf diese Weise hatte Theo den Kopf frei für wichtigere Dinge. Außerdem ging das Zerdreschen sehr schnell und beinahe schmerzfrei, wenn man einmal davon absah, dass einem dabei sämtliche Knochen im Leib gleichzeitig gebrochen wurden. Nicht umsonst hatte Theo der Röchler sieben Jahre lang bei Meister Gaworner die Kunst des Abtötens studiert, hatte die tödlichsten Attacken und fingerfertigsten Mordgriffe erlernt, diese Fähigkeiten konnte und wollte er nicht ungenutzt lassen. Gerade diese Ausbildung war es doch, die ihm seinen Platz unter den besten, teuersten und beliebtesten Auftragskillern des Planeten sicherte. Wenn man es jedoch genauer betrachtete, war es bloß ein schamhafter zweiter Platz, hinter seinem schärfsten Konkurrenten und ehemaligen Mitschüler Ted Bogota. Dieser Ted besaß nicht einmal den Mumm, die erlernten Techniken auch tatsächlich anzuwenden, und doch schaffte er es, seit Jahren den Spitzenplatz unter den einschlägig bekannten Mietmördern zu belegen. Doch diese traditionelle Rangfolge sollte sich in naher Zukunft schlagartig ändern.
Die Zentrale befand sich im Inneren einer unauffällig ausgebauten Felsnadel am Rande der Rochade-Wüste. Eine hochmoderne Anlage, eine Spedition, die den Tod in die hintersten Winkel der Welt verschicken konnte. Umschlossen war der Komplex von einer archaisch anmutenden, felsigen und zerklüftete Hülle. Hier residierten Theos gut bezahlte und loyale Angestellte, allesamt qualifizierte Spezialisten, die unter allen Umständen dichthalten würden. Und falls nicht – die Wüste befand sich nicht umsonst gleich nebenan.
Die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter war irgendwann vonnöten gewesen, da Theo die Masse an Aufträgen nicht mehr allein abwickeln konnte. Es gab zu viel zu tun. Überall um ihn herum sah Theo potentielle Leichen, die nur darauf warteten, ihr Potential voll zu entfalten. Die meisten Aufträge erledigte er allerdings noch persönlich – bei betriebsinternen Grillfesten trug er eine Schürze mit der Aufschrift „Hier killt der Chef noch selbst“ – man hatte ja schließlich seinen Stolz. Die technische Wartung, der Papierkram und die Empörung wurde von seinen treuen Vasallen übernommen.
„Und, wie lief es?“, erkundigte sich Dr. Galergy, einer dieser Vasallen, als Theo dem Learjet entstieg.
„Auftrag zu meiner vollsten Zufriedenheit ausgeführt“, antwortete der Killer, drückte dem verdutzten Doktor den Helm in die Hand und stiefelte mit wehender Mähne durch den Hangar zum Ausgang.
„Riposte-Demo ist erledigt?“
„Gründlich weichgeklopft.“
Theo wusste nicht genau, wer ein Interesse daran gehabt hatte, den räudigen Waffenhund abzutöten. Anonymität war in diesem Gewerbe üblich. Nur in dem speziellen Fall, wenn sich ein Klient weigerte, zu bezahlen, wandelte sich die namenlose Fassade rasch zu einem kompletten Persönlichkeitsprofil, inklusive Adressen, Telefon- und Faxnummern, Passfotos, Bildern der Familie, der Freunde, der Haustiere, der Putzfrau und sämtlicher relevanter Phobien und Neurosen. Theo brauchte dann nur noch die Giftspinnen oder die enge, stickige Metallbox einzupacken und dem Zahlungsunwilligen einen Hausbesuch abzustatten. Der Doktor war ein Genie, wenn es darum ging, solche Dinge herauszufinden.
„Die zweite Hälfte des Geldes ist bereits eingetroffen“, keuchte Galergy beim Versuch, mit dem Röchler Schritt zu halten.
„Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Junge, selten so einen schlechten Tänzer gesehen. Ich frage mich immer noch, welcher von seinen Gaunerkollegen diese jammervolle Blattlaus tot sehen wollte.“
„Laut dem Auftrag ging es um Waffenlieferungen nach Südgaleerica. Irgend jemandem hat es offenbar nicht gepasst, wem Riposte-Demo da Waffen zugeschustert hat.“
„Naja, jetzt ist es auch nicht mehr weiter wichtig. Ich sah mich leider gezwungen, den verhutzelten Pavian zu zerdreschen. Wenn mich jemand sucht, ich bin im Harem und möchte nicht gestört werden.“
„Ähm, vorher wollte ich Ihnen noch den neuesten...“
„Hat das nicht Zeit bis nachher? Ich muss mich dringend entladen.“
Der Doktor hüstelte.
„Ich dachte nur, dass dieser spezielle Auftrag Sie vielleicht sofort interessieren würde...“
„Raus damit. Aber schnell. Mein Gemächte braucht Auslauf.“
„Lesen sie selbst.“
Theo entriss seinem Lakai den Zettel und untersuchte ihn beiläufig. Der Briefkopf bestand aus nichts weiter als dem Wort „Anonym“, in kunstvoll verschnörkelten Lettern, wie ein altertümliches Familienwappen. Dass er von Exzentrikern angeheuert wurde, war nichts Neues für den Röchler. Neu war nur der Name des Mannes, der als Opfer auserkoren war. Es war kein Staatschef und auch kein reicher Industrieller, kein internationaler Gauner und auch kein nervtötender Moderator aus dem Fernsehen.
Der Name lautete Ted Bogota.
Eigentlich wollte sich Theo nach getaner Arbeit in seinem Harem ein wenig vergnügen, doch diese Nachricht hatte ihm einen gehörigen Schock versetzt. Jemand wollte, dass er seinen Konkurrenten abtötete, seinen Kollegen, seinen ebenbürtigen Schüler auf der Todesakademie des Meister Gaworner, beinahe so etwas wie ein Freund, beinahe so etwas wie ein Feind, eine Hassliebe, bloß ohne Hass oder Liebe. Sollte er den Auftrag annehmen? Für Theos Verhältnisse war das fast so etwas wie eine moralisch-ethische Krisensituation. Was ihm aber am meisten Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass Ted ihm in jeder Hinsicht gewachsen war. Er beherrschte die zuckende Teufelsqual von Grah, die inhumane Schlitzkralle und die fürchterliche Organpresse des Homunkulus, war mindestens ebenso gut ausgerüstet und seine Basis gleichermaßen gründlich gesichert.
Er könnte, so überlegte Theo, den direkten Konflikt vermeiden, wenn er, anstatt selbst zu gehen, Nachtas und Chiefzim schickte, die zweieiigen Siamesischen Killerzwillinge, die in seinen Diensten standen. Nein, die würden keine Chance haben, wenn Ted erst mal die spontane Paralysemangel anwendete, oder die beiden auch nur mit Stacheldraht umwickelte und einen Abhang hinunter rollte. Falls Theo diese Aufgabe annehmen wollte, würde er sich selbst darum kümmern müssen. Er konnte dann nur hoffen, dass Teds antrainierte Fähigkeiten inzwischen eingerostet waren, da er ja bekanntlich die Leute lieber mit Drahtwolle bearbeitete oder unterpflügte, anstatt sich des Uralten Schmerzspenders Vom Berge zu bedienen. Man fragte sich, weshalb Ted damals überhaupt die Akademie besucht hatte.
Theo erinnerte sich noch genau an seinen ersten Tag über den Gipfeln des Himalanein-Gebirges, weit oberhalb der Wolken, die Luft war dünn und klar, und die Todesschreie der Trainingsopfer schallten weit hinaus und echoten ulkig von den benachbarten Felsentürmen zurück. Eine mehrjährige Ausbildung lag bereits hinter ihm, doch erst hier, auf der Schule des unerbittlichen Alten namens Gaworner, würde er die wahre Kunst des Abtötens erlernen. Es war die spirituelle Kraft der Mordmethodik, hier lernte man, heilig und im Einklang mit der Natur abzuschlachten, die geistigen Energien von Chi und Karma zu kanalisieren, um sie in einem infernalischen Gemetzel zu entladen, Körper und Seele zu stählen, bis man einer Wiedergeburt der uralten Rachegötter von Hu-Ha glich. Und dann, so war des Meisters Ansicht, sollte man diese schrecklichen Fähigkeiten unterdrücken, um fortan den Menschen Gutes zu tun, da man nun aus eigener Erfahrung wusste, zu welchem Grauen der Mensch fähig war. Allerdings glaubte ihm das keiner der Schüler, das stete Augenzwinkern des Meisters beim rezitieren dieser Moralpredigt tat sein Übriges dazu. Ein besonders beliebter Jux unter den Novizen war es, diese Geschichte den Trainingsopfern zu erzählen, wie sie da an Pfähle gebunden über dem Abhang aufgepflanzt standen. Lediglich Ted Bogota schien die Worte des Meisters ernst zu nehmen, wenn man auch von seiner späteren Karriere nicht behaupten konnte, dass er zu einem besonderen Menschenfreund herangereift war. Aber wer wusste schon, was in Teds Kopf vorging. Offenbar dachte er tatsächlich, dass er als Auftragskiller dem Wohl der Menschheit diente. Niemand unter der restlichen Handvoll Schüler wurde aus Ted Bogota schlau. Dazu würden sie auch später keine Gelegenheit mehr bekommen, denn lediglich Ted und Theo sollten die Ausbildung überleben, als einzige ihres Jahrgangs.
„Du da, wie heißt du?“, fragte Meister Gaworner den armen Tropf in der dritten Reihe.
„Präsident Magoni, Herr.“
„Präsident? Von was? Von Schwachkopfland?“
„Nein, Herr, das ist mein Vorname, Herr.“
„Dein Vorname?“
„Meine Eltern haben immer schon große Stücke auf mich gehalten, Herr.“
„Vortreten, Wurm!“
„Ja, Herr.“
„Und es heißt ‚Meister‘, merk dir das.“
„Ja, Herr... und Meister.“
Der Erfinder der uralten und tödlichen Kunst der Malmklaue wandte sich an seine übrigen Schüler.
„Wer von Euch armseligen Borkenkäfern kann mir sagen, wie man die physische Mosaikzerstörung von Garadha abwehrt? Na? Irgendwer?“
Ein schweigsamer Schüler in der zweiten Reihe meldete sich.
„Nein, Ted, nimm deine Hand bitte herunter. Lass auch einmal deine Mitschüler etwas zum Unterricht beitragen. Wie sieht es aus? Wer weiß es? Keiner?“
Über allen Gipfeln war Ruh, von dem leisen Stöhnen der Trainingsopfer in der Entfernung einmal abgesehen.
„Niemand? Ich werde wohl die Trockenreisrationen für heute streichen müssen, so wie es aussieht.“
Eine Hand in der vordersten Reihe erhob sich zaghaft.
„Na bitte. Es geht doch. Ja, Fogelius?“
„Mittels des linksseitigen Kranich-Adlergriffes?“
„Der linksseitige Kranich-Adlergriff. Na bitte. Wollen wir mal sehen, ob du Recht hast. Präsident?“
„Ja, Meister?“
„Ich gehe davon aus, dass du diese Verteidigung beherrschst?“
„Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.“
„Gut. Verteidige dich!“
Sekunden später verflüchtigten sich die Überreste des jungen Eleven im eisigen Wind der Bergspitze. Die Chance, jemals seinem Namen gerecht zu werden, war für Präsident Magoni somit ein für alle mal verflogen.
„So. Was lernen wir daraus?“, fragte der Meister in die verdatterte Runde. Sein schlohweißer Bart war rot besudelt, doch der alte Mann schien nicht einmal ansatzweise aus der Puste zu sein. „Richtig. Der linksseitige Kranich-Adlergriff nützt einen feuchten Kehricht gegen die physische Mosaikzerstörung von Garadha. Weiterhin haben wir gelernt, dass es ebenfalls nichts nützt, seine Hausaufgaben zu machen, wenn es die anderen faulen Maden versäumen, vernünftig zu lernen. Merkt euch das. Das nächste Mal ist jeder vorbereitet, verstanden? So, und nun gehen wir meditieren.“
Die tägliche Ration Trockenreis stellte eine willkommene Abwechslung von dem monotonen Einerlei der Abtötungslektionen dar. Eigentlich sollten die Schüler ihr Mahl schweigend einnehmen, doch wenn der Meister nicht zugegen war, entwickelten sich oft heimliche Gespräche zwischen den Kommilitonen.
„Verdammt. Weshalb hat der alte Gaworner mich nicht drangenommen? Das hätte ihn vielleicht retten können!“
„Ihn retten? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du wärst ein Weichling, Ted.“
„Genau, Weichling! Außerdem war Präsi ein Streber und Versager!“
„Ach, halt die Klappe, Ronku, du Würstchen.“
„Selber Wurst, Theo.“
„Immerhin mussten wir seinen Streberleichnam nicht wegräumen. Das hat der Wind für uns erledigt.“
„Manchmal glaube ich, ihr genießt das richtig, wenn der Alte wieder mal einen von uns zu Demonstrationszwecken zergeißelt hat“, sagte Ted Bogota resigniert.
„Letzten Mittwoch, als er das amoralische Berserkertrauma vorgeführt hat, anhand des Fettsacks Malich, das fand ich schon cool.“
„So, so, Theo. Cool fandest du das. Und wenn er nächste Woche dich mit dem rasenden Fletschmesser von Ra traktiert, oder anhand deines Körpers die Zerstörungskraft des transzendenten Qualrausches demonstriert, dann ist das auch cool, oder wie?“
„Erstens bin ich viel zu gut, als dass das bei mir funktionieren würde. Und zweitens sind wir ja wohl alle hier, um die Kunst des Abtötens zu erlernen. Was erwartest du denn? Dass wir hier Völkerball spielen und gemeinsam am Lagerfeuer Lieder singen?“
„Nein, aber ich finde es nun mal nicht so fabelhaft, wenn es jemanden trifft, der es überhaupt nicht verdient hat.“
„Bei den Trainingsopfern stört dich das doch auch nicht.“
„Die sind auch zu dem Zweck gezüchtet worden.“
„Wer hat dir das denn erzählt?“
„Ich habe gehört, das seien arme Bauern aus dem Tal, die versäumt haben, ihren Erst termingerecht zu entrichten“, meinte Ronku, der Klassenidiot.
„Ihren Erst?“
„Den ersten Teil ihrer Ernte.“
„Den ersten Teil?“
„Na, alles.“
„Da würde ich mich aber auch weigern.“
„Und deshalb sind sie hier. Um ihre Versäumnisse abzuarbeiten.“
„Interessant. Aber nun zurück zum Thema. Ted, wer meinst du denn, habe es verdient, wenn nicht jemand, der hier trainiert?“
„Na, Leute, die schädlich für die Welt sind.“
„Und Auftragskiller sind nützlich für die Welt?“
„Wenn sie die schädlichen Leute beseitigen, dann ja.“
„Wie stellst du dir das vor? He, du, Umweltsünder! Stirb! Ha! Ich zerknüppel deine Gliedmaßen! So, Problem gelöst. Welt gerettet. Oder wie?“
„Na ja, nicht ganz so. Aber kennt jemand zum Beispiel Giliad Springood?“
„Das ist doch der Kerl, der ganz Windonesien mitsamt Einwohnern in einen gigantischen Stausee verwandelt hat, weil er surfen wollte?“
„Genau der.“
„Fand ich cool, was er gemacht hat.“
„Ich nicht. Ich hasse, hasse, HASSE ihn... ohhh... argh...“
„Alles in Ordnung?“
„Geht schon wieder. Auf jeden Fall wäre mit Giliad Springoods Abtötung der Welt zweifellos gedient, findet ihr nicht auch?“
„Mir ist völlig egal, was Springood tut oder lässt. Ich bin eh nur wegen der Frauen dabei“, verkündete Theo.
„Wegen der Frauen? Wo sind hier denn welche? Ist doch eine reine Männer-WG, erinnert mich fast an diese Homo-Kloster unten in Bibett.“
„Ich meine natürlich, wenn ich fertig bin. Dann werden sie auf mich fliegen. Dreht sich nicht alles darum?“
„Worum?“
„Ums kopulieren.“
„Deswegen bist du hier?“
„Ja.“
„Nicht wegen des Geldes?“
„Geld ist nicht eben unattraktiv für Frauen. Ihr seht, es läuft alles auf das eine hinaus.“
Das war damals ungefähr die Zeit, als Theo der Röchler auf die Weltformel stieß. Die Formel, die die Gesamtheit der Welt und des Geschehens darauf erklären sollte. Die Weltformel war ungemein simpel, so einfach, dass jeder sie kannte, aber sie kam in mannigfaltigen, mehr oder weniger durchschaubaren Verkleidungen daher, wie etwa „Geld“ oder „Macht“ oder „Ruhm“, aber Theo brachte das alles auf den Punkt. Die Formel lautete:
Ficken.
Darauf führte er in der Folgezeit alles Handeln seiner Mitmenschen, und auch sein eigenes, zurück. Das Ziel der ganzen Schufterei, Lernerei, Geldverdienerei. Zugegeben, es gab noch ein paar Grundbedürfnisse, die komfortabel befriedigt werden wollten, etwa schlafen, essen, auf die Toilette gehen, aber das war alles zweitrangig gegenüber dem Ausleben des Geschlechtstriebes. Je reicher man war, desto besser lief es, denn man hatte bei den Sexualpartnern die freie Auswahl, so meinte Theo. Mit der Zeit begann er, jedem, den er traf, ins Gesicht zu sagen, dass dieser seine jeweilige momentane Tätigkeit nur ausführe, um es endlich mal wieder ordentlich treiben zu können. Der Golfspieler spielte Golf, um Frauen mit seinem niedrigen Handicap zu beeindrucken, der Künstler malte Bilder, um Weiber ins Bett zu kriegen, Politiker zettelten Kriege an, um Amt und Prestige länger bett-technisch umsetzen zu können, die mächtige Bruderschaft der Einmaurer übte ihre geheime Macht aus, um den Standard ihrer eigenen Wämserei zu erhalten. Sogar der erbärmliche Hanswurst vom Dachboden, der den ganzen lieben langen Tag nur Papiermodelle von Kriegsschiffen in der Einsamkeit zusammenbastelte, erhoffte sich eines Tages eine willige Tussi, die von großen Mengen von Papp-Flugzeugträgern erotisch angezogen wurde. Das Endziel war immer die große Rammelei, und alle Aktionen dienen entweder dem Erreichen oder dem Erhalten derselben. So war die Welt. Und Theo wollte sich dieses Wissen zunutze machen.
Nach ausgiebiger Beobachtung der Natur kam Theo zu dem Schluss, dass dieses ganze Streben nach Sex nur natürlich war. Und was natürlich war, war gut. Zwar ließ er bei dieser Betrachtung Vulkanausbrüche, Seuchen, Flutwellen, Eiszeiten und Kometeneinschläge außen vor, die ebenfalls natürlich waren, doch das Streben nach sexueller Befriedigung war von nun an sein erklärtes Hauptziel, ohne verlogene Wortverkleidungen wie „Karriere machen“ oder „beruflich vorankommen“. Seine Fähigkeiten wollte er dazu nach bestem Wissen und Gewissen einsetzen. Und seine herausragendste Fähigkeit war nun einmal das Abtöten von Personen, pfeif auf die Moral. Schließlich kannte die Natur auch keine Moral, da wurde sich gegenseitig aufgefressen was das Zeug hält. Und zwar nur aus einem einzigen Grund.
Mittlerweile ließ Theo es sich in seinem Harem so richtig gut gehen und war just dabei, sich den Kopf zu zerbrechen, um Impotente Menschen in sein Theoriegebäude zu integrieren. Und jetzt das. Dieser Auftrag, Ted Bogota abzutöten, brachte ihn noch völlig aus dem Konzept.
„Reich mir mal bitte die Dirtington Post.“
„Nix da. Ich lese gerade. Hör dir das mal an: Hier steht, Wissenschaftler haben festgestellt, wenn es den Mond nicht gäbe, dann würden heftige Stürme die Erde verwüsten, es gäbe am laufenden Band Sturmfluten und Erdbeben, und...“
„Ohne den Mond? Dann wär es ja auch niemals Nacht.“
„Wie bitte, Ronku?“
„Sag mal, Ronku, meinst du das jetzt ernst?“
„Wenn ihr zwei mich weiterhin anschaut, als wär ich ein Idiot, dann sag ich bald gar nichts mehr.“
„Oh, bitte, Ronku. Rede mit uns. Es ist auch so schon einsam genug.“
„Also, ich weiß nicht. Ich find es eigentlich besser, wie es jetzt ist. Ein ganzer Schlafsaal zu dritt. Reichlich Platz, um Hockey zu...“
„Verdammt!“
„Was ist denn, Ted?“
„Der Alte kommt zur Überraschungsinspektion!“
„Mist!“
„Schnell, die Tittenhefte weg, Theo! Und versuch wenigstens, asketisch zu tun.“
Ronku schlitterte derweil panisch zu seinem Schlafplatz am gegenüberliegenden Ende des Saales, nahe der Eingangstür, doch Meister Gaworner hatte sich der lautlosen Schleichtechnik der Trippelmönche von Flüsterama bedient und war bereits zur Stelle, um ihn mit der Adlerpranke beim Ohrläppchen zu packen.
„Aha! Das Gewürm übt sich im Müßiggang, einen Tag vor der Abschlussprüfung. Hochinteressant.“
„Aua, Meister, wir wollten doch nur...“
„Halt den Mund, Ronku, du Paviankot. Nimm wenigstens Haltung an! Um Himmels Willen! Was ist das denn? Sonderpunkte für Verkrampftheit gibt es hier nicht! So, und jetzt wollen wir mal sehen, ob du grundlos so zitterst und schwitzt. Was haben wir denn hier? Warum ist dein Korb nicht geschlossen? Wenn ich eins hasse auf dieser Welt, abgesehen von anderen Lebewesen, dann ist es ein offener Korb mit der verseuchten Habe eines widerwärtigen Wasserschweins! Weshalb ist da kein Schloss dran?“
Aus Ronkus Kehle kam lediglich ein gequetschtes Keuchen, das klang, als hätte er mit Klebstoff gegurgelt.
„So, so, der Krankheitskeim macht von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Wollen wir mal schauen, ob wir etwas finden, was gegen ihn verwendet werden kann... Oh bei allen mittelgroßen Geistern und bei Kumphlas Lachen! Was ist das? Ronku, was ist das?“
„Herr... und allmächtiger König aller Meister... ähm... und oberster aller Oberen“, Ronku schluckte. „Würdigster Empfänger sämtlicher Unterwürfigkeitsfloskeln... Zertreter der nichtswürdigen Würmer und...“
„Schweig! Ich weiß, wer ich bin. Ich möchte von dir wissen, was das ist!“
Hilfesuchend blickte sich Ronku nach seinen Kameraden um, doch Ted und Theo waren momentan zu sehr damit beschäftigt, neben ihren blitzsauber aufgeräumten Schlafplätzen fleißig ihre Alkido-Übungen zu praktizieren und dabei ein munteres Duett zu pfeifen.
„Es ist... es ist eine Büchse mit Trockenreis, Meister.“
„So, so. Der aufgedunsene Schlammspringer stiehlt also aus der Küche. Sehr interessant. Seine dreißig Reiskörner am Tag reichen ihm wohl nicht mehr. Sage er mir ehrlich, was er denkt: Meint er denn wirklich, dass ich Fettsüchtige hier an meiner Akademie dulden kann? Na?“
„Meister, Sie irren sich, Meister, ich habe den Reis nur mitgenommen, um der Versuchung der Völlerei noch intensiver widerstehen zu können, oh Göttlicher...“
Einmal mehr herrschte völlige Stille. Minutenlang war das einzige wahrnehmbare Geräusch das stetige Plopp-Plopp der Schweißtropfen, die von Ronkus Stirn zu Boden regneten.
Schließlich pressten die Lippen des zornesroten Meisters folgende drei Worte hervor:
„Ich irre mich?“
Ronku war unter Zugzwang.
„Nein, Meister, Sie irren sich natürlich nicht... ähm... so meinte ich das nicht, das haben Sie falsch verstanden, ich... ähm... ich... arghchrhch... ähh... rchhh...“
„Falsch verstanden habe ich das also“, die Stimme des Meisters ähnelte immer mehr einem sehr nahen Donnersturm. „Das ist sehr interessant. Nun, ich muss zugeben, ich bin tatsächlich einem Irrtum aufgesessen. Ich habe geglaubt, dass Ronku, dieser aufgeblähte Sack voll Körperfett, trotz seiner intellektuellen Defizite ein würdiger Absolvent meiner Akademie wäre. Aber, wie er selbst schon ganz richtig angemerkt hat, habe ich mich in diesem Punkt geirrt.“
„Ähmrch... Meister, ich... raakh...“, Ronkus Stammeln war nurmehr das akustische Äquivalent einer sterbenden Stubenfliege.
„Schweig, du Huhn!“ Gaworner wandte sich zu Ronkus zwei verbliebenden Mitschülern um. „Theo! Ted!“
„Ja, Meister?“
„Ich gehe davon aus, ihr beherrscht den grausigen Exekutionshammer des Zapato Wong?“
Theo trat sofort einen Schritt vor. „Jawohl, den beherrsche ich. Darüber hinaus melde ich mich freiwillig zur Durchführung, Meister.“
„Sehr gut, Theo. Ich wusste doch, dass wenigstens einer hier ist, der mich nicht enttäuscht.“
Ronku hatte den Kampf gegen das Entsetzen endgültig verloren, und begann, hysterisch zu keifen: „Theo, du Verräter, ich dachte, wir wären...“
„Sei still, Opfer!“, fuhr ihn der Meister an, packte ihn am Nacken und schleifte ihn hinaus. „Folgt mir auf den Exekutionsplatz.“
Auf dem Weg durch den Kreuzgang, der an die Schlafräume anschloss, bekam Ted Bogota Gelegenheit, mit Theo, der sich bereits aufwärmte, einige geflüsterte Worte zu wechseln.
„Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Lass den Alten doch seinen Dreck alleine erledigen. Du kannst doch einen Kameraden nicht...“
„Ha, wir werden ja sehen, wer seinen Kurs mit Sternchen absolviert, und wer nicht.“
„Du bist wirklich noch schlimmer, als ich gedacht hatte, Theo.“
„Oh, ich wusste gar nicht, dass ich hier die ganze Zeit über gemeinsam mit Mutter Cervesa zum Killer ausgebildet worden bin. Komm, Mütterchen, ich helfe dir über die Stufen.“
„Theo, du weißt genauso gut wie ich, dass das hier etwas anderes ist. Wenn du das wirklich durchziehst...“
„Keine Sorge, Ted. Morgen nach der Prüfung, falls du dann noch lebst, brauchst du mich meinetwegen nie wieder zu sehen. Dann kannst du deine Karriere als philanthropischer Massenmörder vorantreiben, oder was immer du später mal vorhast, ich versteh dich ohnehin nicht. Und ich schwelge dann im Luxus und vergnüge mich mit den schärfsten Frauen und für alle ist gesorgt. So, und nun wird gerichtet. Wohlan!“
„Du bist wirklich ein fieses Stück Pinguinscheiße, Theo.“
„Immerhin ist sich das fiese Stück Pinguinscheiße sicher, den richtigen Beruf gewählt zu haben, im Gegensatz zu...“
„He, ihr zwei da hinten“, schallte die Stimme des Meisters durch den Gang, „trödelt nicht so, sonst gibt es heute noch eine Massenhinrichtung.“
„Wir kommen, Meister.“
Oft dachte Theo an die letzten Tage auf der Akademie zurück, und an die letzten Worte, die er und Ted im Zorn gewechselt hatten. Warum hatte er bloß solche Skrupel, diesen neuen Auftrag anzunehmen? Früher hatte er auch nicht gezögert, selbst wenn es um Kollegen ging. Vielleicht lag es daran, dass Ted der einzige auf der Akademie gewesen war, den er trotz aller Meinungsverschiedenheiten respektiert hatte. Oft hatte er sich in der Folgezeit gefragt, was er getan hätte, wenn der Meister an jenem Tag nicht den Reis in Ronkus Korb entdeckt hätte, sondern den fetten Geierbraten in Teds Korb. Aber vermutlich, so dachte sich Theo, hätte er auch in diesem Fall den grausigen Exekutionshammer des Zapato Wong sprechen lassen. Mit oder ohne Zögern.
Immer klarer kristallisierte sich ein Entschluss heraus.
Die Überlegungen liefen ungefähr darauf hinaus: Sein hohes Ansehen in der Branche verdankte Theo seiner Effizienz und Zuverlässigkeit. Effizienz und Zuverlässigkeit bedeuteten viele Aufträge, die bedeuteten wiederum hohe Einkünfte, und das bedeutete ein großes Vermögen, und ein großes Vermögen bedeutete...
Genau.
Und deshalb konnte er es sich nicht leisten, durch das Ausschlagen einer solchen Herausforderung branchenintern als Feigling dazustehen. Wenn sich das herumspräche, bedeutete es mit Sicherheit eine Verminderung seines Ansehens, was wiederum weniger Aufträge und reduzierte Einkünfte bedingen würde, und das hieße...
Genau.
Im Grunde hatte Theo keine Wahl, wollte er nicht irgendwann so verarmt und erbärmlich enden wie der Erfinder der Impotenzpille, oder andere berühmte gescheiterte Existenzen, wie etwa Yuko Kohlrabi, seines Zeichens Entwickler von "Baby Unborn", der Fötuspuppe. So weit durfte es niemals kommen.
Theo ging hinüber zum Waffenschrank, öffnete ihn und griff zum Schwert.
Den Unterschlupf von Ted Bogota zu finden war nicht schwer. Doktor Galergy hatte ihn schon Jahre zuvor ausgemacht, ein Höhlenkomplex in den Hügeln unweit von Schorsia, unterhalb eines prächtigen Herrschaftsanwesens aus dem zweiundneunzigsten Jahrhundert. Doch zur Sicherheit enthielt der Auftrag noch einmal detaillierte Pläne des Anwesens und der Zugänge des unterirdischen Traktes, sowie einen genauen Zeitplan für den Angriff. Das prunkvolle Gebäude hatte sich Ted vermutlich von seinen Einkünften aus der Killerei zugelegt und zur Festung umgebaut. Die Gartenanlagen waren vermint und die Fenster des Anwesens mit Dekupierdolchen und automatischen Guillotinen ausgestattet, alles unauffällig ins Mauerwerk und die übrigen Strukturen eingearbeitet und auf die Erkennung bestimmter biometrischer Merkmale programmiert, so dass das ahnungslose Hauspersonal nicht beim Fensterputzen von plötzlich aus der Wand schnellenden Hackfräsen enthauptet wurde, oder beim Rasenmähen unerwartet explodierte.
Das Eindringen ins Souterrain erwies sich als noch schwieriger. Unter anderem beinhaltete das Sicherheitssystem sorgfältig versteckte Selbstmordanlagen (die in der Lage waren, Eindringlinge selbsttätig zu morden), Brandspeier (die bei Unbefugten spontane Fremdentzündung hervorrufen konnten) und Falltüren über Becken voller Malvatinischer Killerkrabben. Und das betraf lediglich den äußeren Bereich. Aus dem inneren Bereich war nie ein Spion mitsamt Leben zurückgekehrt, um davon zu berichten. All das erinnerte Theo fatal an die Verteidigungsanlagen seiner eigenen Festung, und das machte ihm ein wenig Sorgen.
Doch das ganze System hatte einen Schwachpunkt, und das war der Flugzeughangar an der Südseite des Hügels, in dessen Inneren der Anschlag stattfinden sollte. Offenbar war der Anonyme Auftraggeber bestens informiert, wann Ted Bogota und sein Gefolge von ihrer Reise nach Südgaleerica zurückkehren würden.
Theo sah auf die Uhr. Noch wenige Minuten.
Vor seiner Abreise hatte er noch ein ausgiebiges Bacchanal in seinem Harem gefeiert, um sich zu verabschieden, und die Geschäfte vorübergehend in Nachtas‘ und Chiefzims siamesische Hände übergeben. Schließlich war es durchaus keine Gewissheit, dass Theo lebend und im Vollbesitz all seiner Gliedmaßen zurückkehren würde. Ted Bogota war kein Gegner, den man unterschätzen sollte.
Gleich war es soweit.
Theo stülpte sich den Tarnhelm über seine blonde Mähne und drückte sich ins Buschwerk, als der Jet mit lautem Getöse über seinen Kopf hinweg rauschte. Sekundenlang waren die Sicherheitsanlagen rund um das Rollfeld deaktiviert, um das landende Fluggerät durchzulassen. Exakt in diesem Moment rollte sich der Röchler einen kleinen Abhang hinab und kauerte sich in den Schatten der Hangarmauern. Geduckt rannte er einige Meter, das Schwert in seiner Scheide dicht an den Körper gepresst. Kurz bevor sich das Tor hinter dem einfahrenden Jet zu schließen begann, sprang der Killer ins Innere der Halle und versteckte sich sofort hinter einigen Kisten, die mit dem Logo einer Spielzeugfirma markiert waren.
Das Flugzeug kam zum Stillstand, die Rampe des Frachtraums öffnete sich und zwei Gestalten kamen heraus. Eine davon war leicht als Theos alter Erzfreund Ted Bogota zu erkennen, die andere war eine Frau in Pilotenkluft, die eine Holzkiste auf einer Gepäckkarre vor sich her schob. Das Ungewöhnliche daran war, dass sich die Kiste gelegentlich bewegte. Plötzlich machte sie einen kleinen Satz zur Seite und wäre beinahe von der Karre gefallen, hätte Ted sie nicht festgehalten. Vermutlich enthielt sie ein exotisches Tier, überlegte Theo, höchstwahrscheinlich fleischfressend und für Teds einfallsreiche Qualmethoden gedacht. Im gewissen Sinne war Ted noch grausamer als er selbst, und das Schlimmste war, dass er sich trotzdem noch für eine Art Robin Hood hielt. Sicherlich waren ihm seine von wütenden Orang Utans zerdrückten oder mit Urangeschossen durchsiebten Opfer äußerst dankbar für diese exklusive Spezialbehandlung.
Theo kroch einige Meter näher heran. Lautlos zog er das Schwert aus der Scheide.
„Und wohin jetzt mit diesem... Ding?“, fragte die Frau gerade.
„Das muss ich mir noch überlegen“, antwortete Ted. „Vielleicht in den Hundezwinger? Die Hunde müssen natürlich vorher raus, sonst lässt er sich noch von ihnen aufessen. Bei ihm weiß man nie.“
„Wo wir gerade dabei sind, du hast mir versprochen, mir einige drängende Fragen zu beantworten, wenn wir zu hause sind.“
„Kann das nicht noch etwas warten? Zumindest, bis wir...“
„Nein. Ich wüsste es gerne jetzt gleich.“
„Na gut, überredet. Aber zuerst möchte ich sagen, dass... Achtung!“
Ted stieß die Pilotin zur Seite, als eine dunkle Gestalt mit gezücktem Schwert auf ihn zu gesprungen kam. Sofort duckte er sich und wehrte den Schwerthieb mit einem doppelten Lotus-Kick ab, sprang wieder auf die Beine und fuhr herum.
Theo hatte sein Schwert verloren, ging aber sofort wieder in Gefechtsstellung und parierte Teds Knochenbrösel-Attacke mit dem legendären Harmgriff des Ranga-Wu. Routiniert wehrte sich Ted Bogota, indem er das Handgelenk des Angreifers mit dem gnadenlosen Fingerstich der tausend Nadeln bearbeitete. Theo schrie vor Schmerz lauf auf und wich einige Schritte zurück. Ein leichter Taktikwechsel schien angebracht, und so wählte Theo eine raffinierte Kombination aus der haploiden Scharmützelfaust und der uralten Morgovischen Trampeltechnik. Er rechnete mit der in solchen Fällen üblichen Abwehr durch die Tatze des Oligarchen, und war nicht auf Teds plötzlichen Gewebefetzen-Punch gefasst, der ihn im Solarplexus traf und meterweit rückwärts durch den Raum schleuderte. Theo prallte gegen einige Kisten, Blut spritzte aus einer Wunde am Arm, doch auch sein Kontrahent war verletzt. Der nutzte derweil den Heimvorteil und schnappte sich einen dicken Eisenprügel aus einem Fach in der Wand und stürmte auf den am Boden liegenden Gegner zu. Theo griff sich einige kleinere Kisten und warf sie Ted entgegen. Der musste ausweichen, wodurch Theo Gelegenheit bekam, dem Angreifer mit einem gezielten Tigerwirbel die Beine wegzuziehen. Ted erwischte den Röchler im Fall mit dem Eisenstab am Helm. Beide Kämpfer gingen zu Boden und eine Atempause von mehreren Picosekunden entstand, bevor die Fäuste erneut flogen. Theo drosch mit aller Macht auf sein designiertes Ziel ein, machte sich dabei die meditative Energie der heiligen Kung-Kong-Mönche zunutze, Ted wiederum konterte die Hiebe mittels der archaischen Kampfkunst der erleuchteten Kriegerkaste des untergegangenen Kontinents Uz. Doch auch diese mächtigen Schläge resultierten lediglich in gleichmäßig auf die Gegner verteilten Bagetellverletzungen. Die Opponenten rangen noch eine ganze Weile erbittert miteinander, wobei die tödlichsten jemals von Menschen erdachten Attacken zum Einsatz kamen. Der Hangar glich immer mehr dem Explosionskrater einer Zwölf-Megatonnen-Bombe, ein Tornado aus Chaos und Vernichtung durchzog die Halle, gleich einem Gewitter im Inneren einer Wolke, doch als sich der Staub schließlich legte, waren beide Parteien noch am Leben, wenn auch blutüberströmt und leicht gestresst. Die Pilotin hatte die gesamte Zeit über mit heruntergeklappter Kinnlade im Auge des Sturms gestanden und ungläubig gestarrt. Jetzt fiel sie auf den Hosenboden und blieb kopfschüttelnd sitzen.
„Auszeit?“ keuchte Ted Bogota und rieb sich das Handgelenk.
„Okay“, antwortete der Röchler, während er einen blutigen Striemen begutachtete, der quer über seine Brust verlief.
„Nett dich mal wieder zu sehen, Theo.“
„Ganz meinerseits. Sag mal, hab ich den finsteren Mahlstrom des Opterix schon ausprobiert?“
„Nein, ich glaube, den hattest du noch nicht. Wär aber zwecklos gewesen, den hätte ich ohnehin mit der neuromantischen Gewaltmatrix gekontert.“
„Sorry, ich hab darauf spekuliert, du seist aus dem Training.“
„Da hast du dich wohl geirrt, Theo. Was verschafft mir denn die Ehre eines Mordanschlages? Bist du jetzt endgültig durchgedreht?“
„Nun ja... spektakuläre Erfolge sind gut fürs Geschäft, das müsstest du ja wissen. Ein anonymer Auftraggeber mit ausgezeichneter Zahlungsmoral hat mich geschickt, um dich bei deiner Rückkehr abzutöten. Da dachte ich mir, versuch ich’s doch mal.“
„Kann ich dir keinen Strick draus drehen. Irgend eine Ahnung, wer dieser Auftraggeber sein könnte?“
„Nein. Ich habe aber einen Mitarbeiter drauf angesetzt, um das herauszufinden. Rein interessehalber. Bis jetzt hat er festgestellt, dass ich den Waffenwurm Riposte-Demo, den ich vor ein paar Tagen zerdroschen hab, im Auftrag desselben Anonymus umgelegt habe.“
„Riposte-Demo? Gut gemacht. War auch Zeit, dass den mal jemand kräftig zerdrischt.“
„Danke. Ich habe es für das Wohl der Menschheit getan.“
„Guter Witz, Theo. Ich weiß doch genau, für welche hehren Ziele kämpfst, alter Bock.“
„Du kämpfst doch für die selben Ziele, gibst es bloß nicht zu, alter Wohltäter.“
Ein fast schon freundschaftliches Lächeln zeigte sich sekundenlang auf den blutverkrusteten Gesichtern der beiden Streiter.
„Da fällt mir was ein, Theo. Hatten die Dokumente, die dir zugesandt worden sind, zufällig einen verschnörkelten Briefkopf, der ‚Anonym‘ lautete?“
„Ja.“
„Mit Wasserzeichen?“
„Ja.“
„Und die letzte Seite war leer und darüber stand ‚Notizen‘?“
„Genau. Was weißt du darüber?“
„Der exakt selbe Auftraggeber hatte mich just nach Südgaleerica geschickt.“
„Was du nicht sagst. Ist ja seltsam.“
„Nein, ist es nicht. Ich weiß nämlich, wer dahintersteckt. Und wenn man das weiß, ist es gar nicht mehr so seltsam.“
„Wer ist es?“
„Die verdammte allergrößte Schweinesau der Welt. Der widerlichste...“
„Doch nicht etwa Giliad Springood?“
„Argh, sag seinen Namen nicht, ich HASSE, HASSE...“
„Schon gut, schon gut. Aber der ist doch erst letztens auf seiner Yacht erschossen worden. Ich muss zugeben, als ich davon hörte, hab ich dabei gleich an dich gedacht. Aber dann wiederum sieht dir Erschießen gar nicht ähnlich. Durch eine Heißmangel gedreht vielleicht, aber nicht...“
„Um ehrlich zu sein, der Betonmischer stand schon bereit, aber die Umstände zwangen mich dazu, zum Gewehr zu greifen.“
„Du warst es also doch.“
„Natürlich.“
„Aber wie kann er dann...“
„Weil der stinkende Pestüberträger noch lebt.“
„Woher weißt du das?“
„Sagen wir mal so, ich bin in Südgaleerica auf jemanden gestoßen, der das am besten wissen muss.“ Ted nickte mit dem Kopf in Richtung der Kiste, die er zuvor aus dem Flugzeug geladen hatte und die sich gerade von selbst Millimeter um Millimeter in Richtung Ausgang schob.
„Wer ist denn da drin? Leute in Kisten zu stecken, das klingt schon eher nach Ted Bogota.“
„Da ist kein Mensch drin. Eine lange Geschichte. Auf jeden Fall habe ich im Auftrag des Inhalts der Kiste da Giliad Springoods Klon erschossen, dann hat der echte Giliad Springood mich engagiert, um den Inhalt der Kiste da abzutöten.“
„Und schließlich hat er mich angeheuert, um dich abzutöten.“
„Genau. Vermutlich sitzt schon jemand in den Startlöchern, um dich nach erledigtem Auftrag zu beseitigen. Könnte ich mir durchaus vorstellen. Je länger und komplizierter die Verknüpfungen sind, desto schwieriger wird es, das ganze zurückzuverfolgen. Es könnte allerdings sein, dass uns schon bald die Polizei auf die Pelle rückt.“
„Warum?“
„Man fand am Tatort die Patronenhülse eines meiner Urangeschosse. Soweit ich weiß, benutzt du die auch von Zeit zu Zeit.“
„Mannomann, wie kann man so etwas liegenlassen!“
„Das ist es ja, ich kann mich nicht erinnern, jemals einen solchen Fehler begangen zu haben. Aber ich werde der Sache nachgehen.“
„Ist schon gut. Vor der Polizei habe ich keine Angst. Die zermeuchel ich doch mit Links.“
„Kara Ben Jeri ist aber ein ganz anderes Kaliber als der übliche Streifenpolizist.“
„Junge Junge, Kara Ben Jeri. Die fahren aber schwere Geschütze auf.“
„Eben. Aber jetzt hör mir mal zu. Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir können gleich wieder aufspringen und uns gegenseitig so lange mit dem geifernden Sensenorkan oder dem prämortalen Schlangenzahn des Irrsinns bearbeiten, bis wir beide in einem Gemeinschaftsgrab enden, weil man unsere Einzelteile nicht mehr auseinanderklamüsert bekommt. Oder zweitens: Du brichst deinen Auftrag ab und hilfst mir dabei, den Mistkerl abzutöten, der hinter diesem ganzen Chaos steckt. Mit dem Inhalt der Kiste da besitze ich alles was ich dazu brauche, ihn aufzuspüren.“
„Jetzt mal halblang. Du verlangst ernsthaft von mir, dass ich einen so lukrativen Auftrag in den Wind schieße und somit eine bleibende Schande riskiere, nur damit ich dir helfen kann, dein persönliches Lieblings-Hassobjekt ins Jenseits zu befördern?“
„Ob du mir hilfst sei dir freigestellt. Aber ich sehe nicht, wie du es bewerkstelligen willst, deinen Auftrag doch noch auszuführen. Es sei denn, du gehst selber dabei drauf.“
„Du hast recht. In der direkten Konfrontation hat es keinen Sinn. Und hinterrücks einen feigen Anschlag zu verüben ist unvereinbar mit dem Ethos der Graduierten der Abtötungsakademie. Jedenfalls, wenn es um einen ehemaligen Mitschüler geht.“
„Ach, so ist das also. Aber einen Mitschüler den grausigen Exekutionshammer des Zapato Wong spüren zu lassen, nur weil er ein bisschen Reis geklaut hat, das ist okay, oder wie?“
„Das wirst du mir auch ewig vorhalten, Ted. Okay, ich war vielleicht ein wenig übereifrig damals. Kann vorkommen. Reden wir nicht mehr davon. Versetz dich lieber mal in meine Lage: ich habe noch nie einen Auftrag versiebt. Was sollen meine Kunden denken? Könntest du dich nicht einfach totstellen?“
„Sieh es mal so: Ich habe meine letzte Mission ebenfalls nicht ausgeführt.“
„Stimmt. Der Inhalt der Kiste lebt noch und schiebt sich gerade klammheimlich davon.“
„Der kommt nicht weit. Willst du wissen, warum ich meine Mission nicht ausgeführt habe?“
„Weil der Auftraggeber Giliad Springood heißt?“
„Zugegeben, das war einer der Gründe. Der andere war: Ich hatte Mitleid.“
„Mitleid? Igitt! Aber das ist doch heutzutage heilbar.“
„Seit Abschluss der Akademie habe ich kein Mitleid mehr verspürt. Kannst du dir vorstellen, was für ein Schock das ist? Das hat mich erst mal völlig aus der Bahn geworfen.“
„Du warst schon immer ein Weichei, Ted. Und was hast du da so barmherzig in eine Kiste gesperrt, das solche abscheulichen Gefühle bei dir auslöst?“
„In der Kiste ist er nur zu seinem eigenen Schutz. Vielleicht zeig ich ihn dir später mal. Im Moment weiß ich selbst nicht so recht, wohin mit ihm.“
„Und was genau wolltest du mir nun mit diesem herzerweichenden Geständnis sagen?“
„Dass ich... dass ich... mir überlegt habe, meinen Job aufzugeben.“
„Wie bitte?“
„Ja. Ich überlasse dir den Platz an der Spitze. Freiwillig. Alles, worum ich dich bitte ist: Hilf mir noch bei diesem letzten Job. Dann hast du Ruhe vor mir.“
„Teddy, du wirst doch auf deine alten Tage nicht zu einem Softie, oder? Zu einem Opferversteher? Einem Daumenschraubenvergesser?“
„Mach dich ruhig lustig, Theo. Also, bist du dabei, oder nicht?“
„Hab ich denn eine andere Wahl? Diese Gelegenheit kann ich mir doch nicht entgehen lassen. Ja, ich bin dabei. Hand drauf.“
„Hand drauf.“
Die beiden Profikiller reichten sich feierlich die Hände, jedoch nicht ohne eine gewisse Portion Skepsis darüber, ob der andere sich nicht in letzter Sekunde doch noch für den martialischen Handkantensturm des Opta Wimse entscheiden würde. Doch alles ging glatt, der Handschlag war perfekt.
„Schön“, sagte Ted mit Blick auf seine Pilotin, die immer noch verstört am Boden kauerte. „Jetzt hab ich noch mehr zu erklären. Danke, Theo.“
Nach einer ausgiebigen Willkommensfeier im Harem saß Theo der Röchler wieder in seinem Büro und überflog die Akten, die ihm Doktor Galergy zugereicht hatte. Mit ziemlicher Sicherheit war der Absender des letzten Mordauftrages tatsächlich Giliad Springood gewesen, zumindest konnte die Sendung bis zu einer Tochterfirma der Springood Enterprises zurückverfolgt werden. Ted sagte also die Wahrheit.
Inwiefern sein ehrenwerter Kollege das Angebot ernst meinte, musste sich erst noch herausstellen. Fest stand allerdings: Sofern Theo sich dafür entschied, Ted Bogota nicht abzutöten, musste Giliad Springood an seiner Statt sterben, da er der einzige Mitwisser war. Niemand sollte von der Schmach seines Versagens erfahren.
Theo ging hinüber zum Prototypen der Röchelmaschine, seinem ganzen Stolz. Sie war das endgültige Abtötungsgerät. Eine stäherne Kabine, in deren Inneren hochkomplizierte Apparaturen dafür sorgten, dass sämtliche Schmerzrezeptoren im Körper gleichzeitig angesprochen wurden. Jahrelang hatte er an dieser Erfindung gefeilt, nun war sie beinahe fertig. Für seinen Job war diese Apparatur nicht zwingend notwendig, und in schwachen Momenten musste sogar der berüchtigte Röchler zugeben, dass er nicht nur wegen des Sex dabei war. Nein, die Grausamkeit spielte wohl auch eine gewisse Rolle.
Fast zärtlich strich Theo über die glänzende Außenhülle der Maschine und öffnete die Einstiegsklappe einen Spalt weit. Einer von beiden würde darin enden, dachte er sich, entweder Giliad Springood oder Ted Bogota, einer sollte die Röchelmaschine von innen sehen. Oder warum nicht gleich beide? Womöglich noch gemeinsam, wo sie sich doch gegenseitig so sehr mochten? Das war eine Überlegung wert. Zuerst musste Giliad Springood gefunden werden, alles Weitere würde sich ergeben.
Lachend schloss Theo die Kabine wieder und machte sich auf den Weg in den Harem, um einmal mehr der alles beherrschenden Weltformel Tribut zu zollen.