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Serie Ted Bogota 1: Tartufokalypse

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27.08.2000
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Ted Bogota 1: Tartufokalypse

Giliad Springood lebte.
In den Augen von Ted Bogota war Springood einer der widerlichsten Menschen auf der ganzen Welt. Er aß gedünstete Froschschenkel und Schilddrüsensuppe. Mit Genuss. Er rodete die halbe Nordhalbkugel ab, um mit dem verdienten Geld neue juwelenbesetzte Imtimpiercings zu erwerben. Er kaufte sich aus seinen Kindesmissbrauchprozessen frei mit Blutgeld aus seinen Connections zur Kautschukmafia. Er hatte ein inzestuöses Verhältnis mit seinem eigenen Klon. Er kaufte Emissionsrechte en Gros und baute riesige Fabriken, die ausschließlich zur Produktion von Abgasen da waren, um zu beweisen, dass das Klima dadurch keinen Schaden nähme. Er trug grüne karierte Hosen zur türkisen Plüschweste. Er war verantwortlich für den sauren, süßen und bitteren Regen. Er hatte den Grand Canyon mit Zuckerwatte füllen lassen und nannte das Aktionskunst. Er staute den Hodensee in der Mitte und ließ die andere Hälfte zu einer gigantischen Rollschuhdisco umbauen.
Es half alles nichts: Giliad Terence Veranda Dotcomguy Springood musste abgetötet werden. Nicht nur zum Wohle des ganzen Planeten, sondern auch zu Ted Bogotas persönlicher Befriedigung.
Eingerahmt von einem Fadenkreuz räkelte sich Giliad auf seiner Yacht, der Päderastica, und hielt eine Zigarre, gedreht aus den letzten Eukalyptusblättern der Erde. Ted zögerte nicht lange und drückte ab. Lautlos zerplatzte Giliads Kopf, gerade als er sich die Zigarre anstecken wollte. Während Ted schnell Schalldämpfer und Fernrohr abschraubte und begann, das Gewehr auseinander zu nehmen, rannten zwei Haussklaven an Deck, sahen die Misere und lachten.
Giliad Springood lebte nicht.

Für den besten, teuersten und beliebtesten Auftragskiller der Welt war Ted Bogota sehr bescheiden. Nachdem die Nachricht von Springoods Tod groß durch die Presse ging, und erste Nachrufe den unbekannten Mörder ausdrücklich lobten, widerstand Ted der Versuchung, seine Täterschaft publik zu machen. Die Killer von Präsident Schlabeutni und dem Fernsehmoderator Ankor Humani wurden damals auch nach ihrer Tat öffentlich mit Lob überschüttet, aber kaum hatten sie sich geoutet, um den Ruhm einzuheimsen, kamen sie vor ein Tribunal, wurden verurteilt und gerädert. Zwar war Schlabeutni wegen seiner Steuerpolitik äußerst unbeliebt, was auch sein Mörder später als Tatmotiv angab, und Humani war wegen seiner Volksmusik-Nachrichtensendung regelrecht verhasst, aber eine Amnestie für die Täter gab es trotzdem nicht. Auch wenn in Ankor Humanis Sendung senile alte Menschen schunkelnd von den neuesten Entwicklungen im nahen Osten jodelten, und auch wenn Präsident Schlabeutni eine allgemeine Kürzung der Lebenszeit vorschlug, war die gewaltsame Beendung ihrer Karrieren nicht straffrei geblieben.
Deshalb hielt Ted mit seinen Verdiensten lieber hinter dem Berg und steckte seine Belohnung in eine bessere Ausrüstung. Erst vor einigen Wochen hatte er einen reichen Industriellen abgetötet, der in seiner Freizeit gerne Schafsdärme um den Hals trug, und vor drei Monaten hatte er einen Doppelagenten der Organisation „Wiederherstellung des Kambriums“ mit einer riesigen Drahtschere heimlich auseinander geschnitten. Diese beiden waren ihm ohnehin immer ein Dorn im Auge gewesen.

Selbstjustiz war Ted Bogotas Steckenpferd. Als seine Dienste immer exklusiver wurden, erlaubte er sich den Luxus, nur noch Leute abzutöten, die er selbst nicht leiden konnte. Da konnte schon mal ein schlecht sitzender Anzug oder eine Vorliebe für Sodomie mit Wasserschweinen ausreichen, um Ted auf die Palme zu bringen. Ohne expliziten Auftrag gab es aber für Ted keinen Anlass, zu handeln. Wenn jedoch Zielperson und Abneigung übereinstimmten, dann packte Ted die Klamotten und machte sich auf, das Zielobjekt zwischen zwei Nagelbetten zu zerdrücken, oder mit einem Campingkocher langsam einzuäschern.
Im Falle von Giliad Springood hatte Ted schon sehnsüchtig darauf gewartet, endlich den Auftrag zu bekommen, ihn zu beseitigen, hasste er doch nichts auf der Welt mehr als diesen degenerierten Bastard, vielleicht ausgenommen von Schuhen aus Wildleder, aber die zu töten war keine Herausforderung.
Ted Bogota folgte bei seiner Arbeit einem strengen Codex des Pragmatismus. Was sein musste, musste sein. Gelegentlich musste auch sein, was nicht unbedingt sein musste, wie etwa, die Zielperson von Flusspferden totbeißen zu lassen, wo es auch das Gewehr getan hätte. Aber Ted Bogota liebte diese kleinen Gemeinheiten am Rande, sie erst gaben seinem Leben die rechte Würze.

Diese Geschichte handelt davon, wie Ted Bogota sein altes Leben als bester, teuerster und beliebtester Auftragskiller der Welt aufgab. Der Leser wird ihn vermutlich trotz seiner nicht zu leugnenden Verdienste für die Allgemeinheit für einen durchgedrehten Sadistopathen halten, der ein paar Chales-Bronson-Filme zu viel gesehen hat, aber tief in Ted drin schlug ein Herz. Es machte: BaBumm. BaBumm. BaBumm. Ja, und irgendwo anders in seinem Körper, völlig unabhängig davon, lungerten noch Gefühle herum, und eins davon kauerte ganz hinten in der Ecke und war schon sehr, sehr lange nicht mehr aufgerufen worden. Es war das Mitleid, und es führte eine absolut kümmerliche Existenz innerhalb von Ted Bogotas Körper. Dauernd wurde es von Rachsucht und Ehrgeiz verprügelt und so gut wie nie kam es zum Einsatz.
Diese Geschichte also beschreibt jene Ereignisse, die den Stein des Anstoßes ins Rollen brachten, und dieser Stein löste dann eine Lawine aus: Schlussendlich gab Ted Bogota seinen Job wegen eines Trüffels auf.

Ted konnte es anfangs gar nicht glauben, aber in dem Brief stand es: Die „Zielperson“ war ein Trüffel.
Sofort kam ihm ein Pro-Argument in den Sinn: Er konnte Trüffel nicht ausstehen. Sie schmeckten wie Wolle, die man mit Knetmasse vermengt hatte.
Contra: Trüffel lebten nicht, und deswegen konnte man sie auch nicht abtöten.
Ted las weiter und stieß auf ein weiteres Argument, dass für die Übernahme des Auftrags sprach: Angeblich hatte der Trüffel vorher Giliad Springood gehört. Beim Lesen dieses Namens stand Ted sofort der kalte Schweiß des unbändigen Hasses auf der Stirn. „Wir haben euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass.“ So schallte es durch Teds Kopf.
Bereits geraume Zeit vor Giliads Tod war der Trüffel den mit Suchschweinen ausgestatteten Spürtrupps der Polizei entwischt und spann nun seine dunklen Intrigen von Südgaleerica aus.
Ted fragte sich, welcher Geistesgestörte diesen Auftrag geschrieben haben konnte. Er sah sich den Umschlag an. Auf dem Absender stand: ‚Anonym‘. In der Kopfzeile des Briefs stand ebenfalls ‚Anonym‘. Sogar mit Wasserzeichen. Und die letzte Seite war leer, und in der Kopfzeile stand: ‚Notizen‘.
Sollte Ted so einen Auftrag ernst nehmen?
Bisher stand es: Pro 2, Contra 1.
Die versprochene Bezahlung war mehr als gut, wenn man dem Geschriebenen glauben schenken konnte. Pro 3, Contra 1.
Und wenn man über Springoods Klon-Experimente Bescheid wusste, dann könnte man sich sogar vorstellen, dass da jetzt ein Trüffel in Südgaleerica saß und seine dunklen Intrigen spann.
Wer wusste schon, was Giliad Springood mit dem Trüffel so alles widerliches getrieben hatte?
Wenn er selbst ein Trüffel wäre, so überlegte sich Ted, würde er sich lieber freiwillig als Delikatesse an ein Spezialitätenrestaurant ausliefern und aufessen lassen, als mich mit so einem wie Springood abzugeben. Aber versteh einer die Trüffel.
Da war sogar eine Beschreibung des Trüffels: Er war braun, hatte einen Durchmesser von vierzig Zentimetern, kleine Ärmchen und schwebte einen Meter über dem Boden. Auf alle Fälle würde Ted die Zielperson mit niemandem verwechseln können, so wie es ihm damals fatalerweise mit dem rotbärtigen Harald und dem rothaarigen Bart passiert war.
Also gut, Pro 4, Contra 0.
Aber bei dieser inflationären Schwemme an Widerwärtigkeit, von der die Welt derzeit bedroht wurde, warum sollte sich Teds reinigender Hass auf einen Trüffel konzentrieren? Warum sollte er nicht lieber den teuflischen Waffenschieber Riposte-Demo abtöten, der die Burgatorischen Rebellen mit Fingernagel- und Rohrpostbomben belieferte? Was genau waren diese „dunklen Intrigen“, die der Trüffel spann? Darauf wusste Ted zwar keine Antwort, aber zu diesem Zeitpunkt war sein Interesse bereits geweckt und wollte nicht mehr wieder einschlafen.
Der intrigante Trüffel hieß Bursezuck, firmierte in Südgaleerica aber vermutlich unter einem Decknamen. Ted zweifelte ein wenig am Nutzen eines falschen Namens für einen schwebenden Vierzig-Zentimeter-Trüffel, es sei denn, er hatte sich inzwischen ein Menschenkostüm besorgt. Und das, so dachte Ted, wäre gar keine so abwegige Idee.
In Südgaleerica sollte Ted mit jemandem namens Schandgraf Moleski in Verbindung treten, der angeblich um das Versteck von Bursezuck wusste.
Ted packte seine Uzi ein, entschied sich um, packte seine Stalinorgel ein und wieder aus, überlegte kurzzeitig, ob er den Mähdrescher nehmen sollte, aber der Laderaum seines Jets war zu klein, also entschied er sich für ein Arsenal aus kleineren Feuerwaffen und diversen spitzen Gegenständen.

Der Staat Süggaleerica war vor Jahrhunderten von Galeerensklaven gegründet worden, die es satt gehabt hatten, sich für ihre grausamen Herren rudernd totzuschinden. Statt dessen haben sie sich später beim Pyramidenbau für ihren neuen Herrscher Martercus zu Tode geschunden, der einst ihren Aufstand angeführt hatte.
Die Pyramide des Martercus zog gerade unter dem Jet hinweg und Harmonka, die Pilotin, drehte auf Teds Anweisung noch einmal eine Runde über dem imposanten Grabmal. So groß und das für nur eine Person, dachte Ted. Welch eine Verschwendung. Er selbst hätte kein Problem damit gehabt, das brachliegende Mausoleum ordentlich aufzufüllen. Derart ungenutzte Kapazitäten waren nur ärgerlich.
„Nausikahaha liegt jetzt voraus“, sagte Harmonka und begann damit, die Landung einzuleiten.
Harmonka Wireball war seit Jahren die zuverlässigste von Teds Angestellten. Allerdings glaubte sie auch, dass Ted ein internationaler Vertreter für Spielzeugwaffen war, und gelegentlich Fahrzeuge aus alten Armeebeständen an Sammler verhökerte. Je weniger Leute von Ted Bogotas eigentlicher Aktivität wussten, desto weniger Leute musste er wegen Mitwisserschaft abtöten. Manchmal kamen unangenehme Fragen auf, wenn Ted mal wieder einen Einschuss im Arm hatte, oder mit blutigen Händen zum Jet zurückkehrte. Aber diese Spielzeuge von heute, ja die wurden immer realistischer. Und die Paintball-Gun ist vorhin einfach losgegangen, so ein Mist!
Im Grunde, dachte Ted, war Südgaleerica ein einziger riesiger Spucknapf von einem Land, hier sollte jemand mal kräftig aufräumen. Unter ihnen war gerade der Sitz einer Firma, die die Abholzung des weltweit einzigartigen Hagelwaldes vorantrieb. Verfluchte Ausbeuter. Das Flugzeug ging im Landeanflug langsam tiefer. Dort unten spazierte jemand, der erkennbar neongelbe Turnschuhe trug. Unfassbar! Aber ohne Auftrag war da nichts zu machen, in diesem Punkt war Ted etwas eigen.

Der internationale Flughafen von Nausikahaha bestand aus einer Wellblechhütte mit angebauter Baracke, die Landebahn war ein Gesamtschlagloch, in das jemand einige Pfeile gepinselt hatte und die Dame am Empfangsschalter war ein Transvestit, der darüber hinaus meinte, die mitgeführten Spielsachen müssten einige Wochen unter Quarantäne gestellt werden, da der Kinderspeichel gefährliche Bakterien enthalten konnte. Ob überhaupt jemals ein Kind mit der Ware in Kontakt gekommen war, spielte dabei keine Rolle. Die Vorschriften. Was sollte man da machen.
Einen Moment lang dachte Ted über Transveszid nach, aber er entschied sich aber aus Prinzip dagegen. Wenigstens war die Tunte kreativ, dachte er, als er das Bestechungsgeld abzählte und überreichte.

Der Lastwagen voller Waffen rumpelte und klapperte über die staubige Landstraße. Ted Bogota wusste, dass es unauffälligere Wege gab, seinen Auftrag zu erfüllen. Aber er war nicht umsonst der teuerste Killer der Welt, man musste seinen Kunden auch etwas bieten. Ein simpler Kopfschuss war einfach zu unspektakulär. Von Wildpferden totgetrampelt, ja, das hörte sich nach etwas an. Aus dem Orbit abgeworfen. Mit einer überdimensionalen Cocktailgabel aufgespießt. So etwas bekamen die Kunden nur bei ihm. Und ohne die Extraportion Hass auf Seiten von Ted wäre das auch gar nicht zu vollbringen.
Im Falle von Giliad Ekelpaket Kotzbrocken Zurechtgestorben Springood hatte Ted allerdings keine andere Wahl gehabt, als das Gewehr. Mit seinem extra georderten Betonmischlastwagen kam er nicht näher an den monströsen Perversling heran und musste auf herkömmliche Massakrierungsmethoden zurückgreifen. Das nagte immer noch an ihm, und diese Scharte wollte er nun an Springoods Trüffel auswetzen.
Harmonka steuerte den LKW virtuos zwischen ausgebrannten Autowracks und verwesenden Tierkadavern hindurch, während Ted versuchte, mit einem tragbaren Fernsehgerät einen Sender hereinzubekommen. Vielleicht liefen ja irgendwo neue Lobeshymnen auf den Tod von Giliad Springood.
Tatsächlich fiel dieser Name ziemlich rasch, auf einem internationalen Nachrichtensender, allerdings nicht so, wie Ted sich das vorgestellt hatte. Es war eine Pressekonferenz, auf der die neuesten Ergebnisse im Fall Springood präsentiert wurden. Das war verwunderlich, denn etliche alte Feinde Springoods bei Justiz und Verwaltung hatten den Ermittlungen wie zu erwarten Steine in den Weg gelegt. Aber Ted erkannte den Chefermittler, ein harter Knochen namens Kara Ben Jeri, ehemaliger Abenteurer im wilden Cordistan, und heute ein hohes Tier bei der Bundespolizei. Wenn dieser Mann einmal mit ernsthaften Ermittlungen begonnen hatte, gab er nicht so schnell auf.
Da stand der Bulle nun, in seiner abgewetzten braunen Cordjacke, die er damals während seiner Abenteuer von Schmugglern erbeutet hatte, und hielt eine Patronenhülse in die Luft, die aus der Tatwaffe zu stammen schien. Verdammt! Dabei war Ted sonst immer so gründlich. Wie konnte er die liegen gelassen haben? Nur zwei Menschen benutzten diese speziellen Geschosse mit Uranummantelung für Mordanschläge. Der eine war er selbst, der andere war sein schärfster Konkurrent, Theo der Röchler, der zweitbeste, zweitteuerste und zweitbeliebteste Auftragskiller der Welt. Eine gnadenlose, gewissenlose, skrupellose und tadellose Killermaschine. Im Grunde war er also genau wie Ted, es gab aber einen Unterschied, der für den Außenstehenden vielleicht nicht sofort ersichtlich war. Ted verglich sich selbst und seinen Konkurrenten gerne mit einem gutartigen und einem bösartigen Geschwür. Ted war selbstverständlich das gutartige Geschwür, während es sich in Theos Augen anders darstellte: Theo hielt sich selbst für den bösartigen Tumor, während Ted vielleicht ein Furunkel oder bestenfalls ein Hämatom war. Das war der kleine, aber wichtige Unterschied.
„Dieses Indiz wird uns auf die Spur des Mörders von Giliad Springood führen“, verkündete Kara Ben Jeri im Fernsehen, „seine Ergreifung ist nur eine Frage der Zeit.“
Aus dem Publikum erklangen vereinzelte Buhrufe. Unbeirrt fuhr der Ermittler fort.
„Eines kann ich ihnen versprechen: In unseren Bemühungen, ihn zu fassen, werden ich und mein Team eine Milliarde Prozent geben!“
Ein Assistent flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Ich weiß, aber als rhetorische Figur ist es doch nicht schlecht, oder?“ Mit diesem Worten wandte sich Ben Jeri ans Publikum und streckte grinsend den Daumen in die Höhe, während erste Wurfgeschosse auf der Bühne einschlugen.
Ted schaltete den Fernseher ab. Wie hatte ihm so ein Fehler unterlaufen können? Den Rest der Fahrt verbrachte er düster vor sich hin brütend.

Schandgraf Moleski lebte in Mortugal, einige hundert Kilometer von ihrem Landeplatz entfernt, trotzdem war der Airport in Nausikahaha der nächstgelegene gewesen. In Südgaleerica waren Flughäfen eher dünn gesät. Vermutlich sind die meisten von ihnen von einem lauen Lüftchen davongeweht worden, dachte Ted.
Das Anwesen des Schandgrafen lag am Rande des Hagelwaldes. Glücklicherweise war die Hagelzeit schon vorüber, an dem heruntergekommenen Gebäude waren die Wetterschäden deutlich zu erkennen.
Da Südgaleerica eine von Revolutionären gegründete Nation war, hatte hier so gut wie jedermann einen Hass auf Adlige. Ein Adelstitel kam somit einer Strafe gleich, und der Schandgraf musste schon etwas ziemlich schlimmes ausgefressen haben, um mit so einem Titel geehrt zu werden. Man konnte Reste von fauligen Tomaten und gesprühte Hetzparolen an der Umfassungsmauer des Grundstücks ausmachen.
Moleski wusste noch gar nichts von seinem anstehenden Gesprächstermin mit Ted Bogota. Er würde bald davon erfahren.

Ted lud die Harpune, die in der Frachtaufstellung als Bestandteil des YPS-Abenteuersets deklariert war, und feuerte damit auf einen Baum jenseits der Mauer. Das Seil hielt und Ted begann seine Kletterpartie. Harmonka wartete außer Sichtweite beim Wagen und glaubte, Ted würde einem Kunden einen geschäftlichen Besuch abstatten. Was ja in gewisser Weise auch stimmte.
Laut Teds Auftragspapier unterhielt der Schandgraf geheime Geschäftsbeziehungen mit Bursezuck, dem verschlagenen Trüffel, die es aufzudecken galt. Dazu war jedes Mittel recht, deshalb hatte Ted vorsorglich eine stählerne Käsereibe, Stricknadeln und Reißzwecken dabei. Eigentlich wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, die neue Wäschemangel zu testen, dachte Ted, aber die bekam man nur schwer über eine Mauer
Oben auf dem Wall angekommen, blickte Ted hinunter in den kärglichen Hof, und hielt Ausschau nach Hunden. Sein anonymer Auftraggeber hatte ihn vor einem gefährlichen Wachhund namens Fresser gewarnt, der dem Grafen gehörte und hinter der Mauer sein Unwesen trieb. Ted zog schon mal das vergiftete Chappi aus der Tasche und lauerte.
Als sich nach einer Weile nichts tat, seilte er sich langsam ab und lauerte noch ein wenig.
Der gesamte Hof war grau und staubig. In weiser Voraussicht hatte Ted vorher graue Tarnkleidung angelegt und übereinstimmende Gesichtsbemalung aufgetragen, denn außer den Bäumen war die restliche Vegetation der Gegend schon vor langer Zeit vom andauernden Hagel vernichtet worden. Zusätzlich wurde noch jährlich eine Fläche von zehn Trilliarden Minigolfplätzen des Waldes abgeholzt, um mehr Platz für Einöden und Wüsteneien zu schaffen. Gewaltige Staubstürme färbten das Land in der Folgezeit monochrom.
Ted robbte geräuschlos, sofern das die mitgebrachten Verhörhilfen erlaubten, über die offene Fläche. Noch immer kein Zeichen von Fresser.
Auf der Veranda war niemand. Die Tür stand offen, Ted huschte hinein – und erstarrte. Der Dobermann stand direkt vor ihm, völlig regungslos, die Zähne gebleckt. Eine Zeit lang stierten sie sich gegenseitig an, sie lieferten sich ein verbissenes Starrduell, das keiner bereit war, zu verlieren. Ted musste als erster blinzeln. Und dann fiel ihm auf, dass das Tier überhaupt nicht blinzelte. Und auch nicht atmete. Der ausgestopfte Hund hatte das Starrduell klar gewonnen.
Als Kind wollte Ted Tierpräparator werden, weil man da so viel mit Eingeweiden zu tun hat, aber in seinem derzeitigen Job konnte er sich auch nicht beklagen.
„Ich bin kein Hochadel!“, erklang es plötzlich in der Landessprache. „Nur ein Graf! Nix Prinz, nix King. Nur Graf. Mein Junkerland ist bereits in Bauernhand, ich bin ein armer Landwirt und außerdem wächst hier eh nix! Es lebe die Revolution! Nieder mit den Unterdrückern und Feinden aller Art!“
Dann erhob sich die zitternde Stimme zu einem erbaulichen Lied: „An die Wand, an die Wand, für die Freiheit! Wohlan, denn, fröhlich aufs Schafott. An die Wand, an die Wand, mit den...“
„Ist ja schon gut“, beschwichtigte Ted den Grafen. „Ich bin nicht hier, um den Adelsstand abzuschaffen.“
Der Graf atmete auf und lugte skeptisch hinter einem Schrank hervor, ein kleiner Mann mit einer Harke in der Hand, die offenbar als Verteidigungswaffe dienen sollte.
„Wirklich nicht?“
„Nein. Ich bin auch nicht hier, um ihr Grundstück von der Feudalherrschaft zu befreien.“
Zögerlich kam der Graf heraus und musterte Ted.
„Stimmt das auch?“
„Ja. Weiterhin bin ich nicht hier, um irgendwen an die Wand zu stellen.“
Der Graf senkte seine Harke und lockerte sich langsam.
„Aber was machen Sie in meinem Haus?“
„Ich bin auf jeden Fall nicht hier, um es niederzubrennen und zu brandschatzen.“
„Freut mich, das zu hören.“
„Ebenfalls bin ich nicht hier, um den Besitzer aufzuknüpfen und von Geiern verspeisen zu lassen.“
„Ah... ja.“
„Und auf keinen Fall bin ich hier, um die Bewohner mit einer Käsereibe langsam zu zerraspeln, ihnen Reißzwecken unter die Augenlider zu stecken und mit Stricknadeln die Ohren zu piercen.“
Der Graf hob die Harke unauffällig wieder ein Stück an.
„Und nie käme es mir in den Sinn, irgendwen mit einer Pressluftpistole in den Fuß zu schießen, um an Informationen zu kommen.“
Die Harke war jetzt wieder auf Augenhöhe.
„Was für Informationen?“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass ein gewisser Bursezuck mit Leuten in der Gegend heimlich Geschäfte macht.“
„Nie gehört, den Namen.“
„Bei diesem Bursezuck handelt es sich um einen hinterhältigen Trüffel. Möglicherweise ist er hier unter einem falschen Namen bekannt.“
„Ich kennen keinen Trüffel. Sie sind verrückt.“
„Er muss vor einigen Monaten hier eingetroffen sein. Trägt vermutlich ein Menschenkostüm.“
„Sie sind ja völlig irre. Verlassen sie mein Haus!“
„Sie meinen dasjenige Haus, wohin ich unter keinen Umständen gekommen bin, um es in die Luft zu sprengen?“
„Hören Sie mal. Ich bin nur ein einfacher Gemüsehändler. Jeden Tag kommen Leute aus dem Dorf und plündern mein Gewächshaus mit der Begründung, der Adel hätte sie jetzt lange genug ausgebeutet. Da bleibt gerade noch genug übrig, um mich über Wasser zu halten. Und da kommen Sie und fragen mich nach irgendeinem Trüffel!“
„Das ist nicht irgendein Trüffel. Wie sieht es aus, haben Sie in den vergangenen Monaten einen neuen Kunden hinzugewonnen? Jemand Mysteriöses vielleicht?“
„Jetzt, wo Sie es sagen... ich bringe wöchentlich eine Ladung Gemüse nach Caracarcass, von wo aus es den Nihil runter verschifft wird. Irgendwo dort hat angeblich ein Irrer sein Lager aufgeschlagen, der großen Bedarf an Waffen und Lebensmitteln hat. Vielleicht ist es der, den Sie suchen. Er nennt sich Von Behauenhuhn.“
„Und diese Waffen, die er benötigt... da hat ihm vermutlich niemand irgendwelche Kontakte beschafft? Ein Niemand, den ich unter gar keinen Umständen mit Klebeband fesseln und in den Fluss werfen würde?“
„Das sehen Sie ganz richtig.“
„Dann ist ja alles klar. Übrigens, netter Hund.“
„Danke. Er hieß Vertilger.“
„Nicht Fresser?“
„Nein, Fresser heißt mein Megatherium. Keine Ahnung, wo das faule Biest wieder rumhängt. Nicht auszudenken, wer hier alles reinkommen könnte, wenn Fresser nicht so wachsam wäre.“

In Caracarcass charterten Ted und Harmonka ein Boot, um den Nihil hinunter zu fahren. Der Nihil war ein Fluss, dessen korrekter Lauf auf keiner Karte verzeichnet war, da seine vielen Windungen aus der Vogelperspektive betrachtet ein obszönes Wort bildeten. Bursezuck hätte sich in ganz Südgaleerica keinen besseren Ort als Versteck wählen können.
Der Besitzer des Bootes war ein hyperaktiver Mann namens Captain Knepser, der glaubte, eine Ladung bewaffneter Bobby-Cars zu transportieren. Darüber schien er sich auch nicht im Geringsten zu wundern. Der geheimnisvolle Fremde, der weiter unten am Flusslauf lebte, hatte offenbar einen gewissen Bedarf an absurden Waren.
Captain Knepser starrte durch sein Monokel auf das gelbe Wasser des Nihil und erklärte gerade, weshalb ihm eine Sonderzulage zu zahlen sei: Je weiter man den Fluss hinunter fuhr, um so gefährlicher wurde es. Man bewegte sich auf nicht kartographiertem Territorium, irre Eingeborenenstämme bewarfen passierende Boote mit Schrumpfköpfen, man kreuzte verschiedene lokale bewaffnete Konflikte und zahlreiche Schmuggler und Piraten trieben sich auf dem Fluss herum.
„Sie können sich ihre Sonderzulage abschminken. Gucken Sie sich ihr Boot doch mal genau an, es besteht nur aus Rost, der von ein wenig Schimmel zusammengehalten wird!“ Wenn Harmonka sich erst mal aufregte, hatte Ted regelmäßig Schwierigkeiten, sie wieder zu beruhigen. Sie war sehr pflichtbewusst. Nichts war schlimmer, als wenn ein Kunde seine Bobby-Cars nicht Termingerecht geliefert bekam, selbst wenn er an einem labyrinthartigen Flusslauf im nirgendwo lebte, der von Gangstern und Kopfjägern belagert wurde.
„Finden Sie doch jemand anderen, der sein Leben für eine Ladung Spielzeuge riskiert. Den Nihil runter zu schippern, das wird nicht billig.“
„Jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder“, warf Ted ein.
„Beruhigen? Sieh dir doch das mal an!“ Harmonka schnippte mit dem Finger gegen die Bordwand. Der Finger kam auf der anderen Seite wieder heraus.
„Ratten“, sagte Knepser. „Knabbern mein Boot an. Gibt hier kaum was zu Essen, wissen Sie…“
„Und das Leck da unten im Laderaum? Da sickert Wasser herein!“
„In dem Wasser hab ich die Ratten ersäuft. Jetzt ist alles sicher.“ Knepser hielt die Hand auf. „Mein Bonus, bitte.“
„Ted, jetzt sag doch mal was!“
„Meinetwegen kann er seine Sonderzulage haben. Setz ich alles auf die Spesenrechnung.“
„Also, ich find das ziemlich…“
„Denk immer an die Kunden, Harmonka. Ein neues Boot aufzutreiben, das dauert.“
Mit diesem Worten überreichte Ted dem grinsenden Kapitän seine Zulage, Harmonkas lautstarken Protest ignorierend. Geld war genug da, allein mit dem Vorschuss auf den Trüffelmord waren alle Auslagen mehr als gedeckt. Seinem mysteriösen Auftraggeber schien der Tod des Bursezuck einiges Wert zu sein. Vermutlich hasste er Trüffel genauso sehr wie Ted.

Die ersten Stunden der Fahrt waren ereignislos. Captain Knepser steuerte das Boot, einen Zigarillo im Mundwinkel und je ein Monokel in jedem Auge. Die natürliche Verkniffenheit seines Gesichtes eignete sich offenbar hervorragend als Steckplatz für Augenlinsen. Harmonka konnte sich inzwischen wieder entspannen und sonnte sich an Deck, hatte aber stets ein offenes Auge auf die Ladung. Ted saß an Backbord und studierte Dossiers über Bursezuck, die ihm der Anonyme Trüffelhasser zugesandt hatte. Verschwommene Fotos, die je nach Blickwinkel ebenso gut ein Yeti, ein Ufo oder ein Seeungeheuer sein konnten. Bizarre Lebensläufe, die wenig Sinn ergaben. Offenbar war der Trüffel tatsächlich aus einem Genlabor entkommen, aber aus welchem Grund jemand solch ein Wesen erschaffen sollte, ging aus den Papieren nicht hervor. Das interessanteste war aber ein Tonband, welches Aufnahmen von Funksprüchen enthielt, die der Trüffel angeblich aus seinem Waldversteck gesendet hatte.
Der erste lautete: „Eine Vanilleschote, zwei Esslöffel Kokosfett, siebzig Gramm Butter, dreihundert Gramm Kuvertüre, hundertfünfundzwanzig Gramm Schlagsahne, zwei Esslöffel Grappa, zweihundertfünfzig Gramm Maronenpüree Puderzucker…“
Der zweite war ebenso wenig aufschlussreich: „Die Vanilleschote aufschlitzen und mit der Butter und dem Kokosfett in der Sahne aufkochen… Ja, eine aufgeschlitzte Vanilleschote, mit dem Messer aufgeschlitzt… das ist mein Traum. Mein Albtraum…“
Man musste erst mal herausfinden, inwieweit so ein Trüffel überhaupt einen Verstand besaß, um feststellen zu können, ob er ihn verloren hatte. Wehalb sollte er Kochrezepte funken, und an wen? Mittlerweile fragte sich Ted, ob er Bursezuck wirklich umgehend abtöten sollte, oder ob es nicht doch interessant wäre, mehr über dieses einzigartige Wesen zu erfahren.
Ein plötzlicher Knall unterbrach Teds Überlegungen. Ein anderes Boot hatte sich dem kleinen Frachter genähert und lag nun längsseits. Drei maskierte, bewaffnete Gestalten standen an Deck und schrien in einem unverständlichen Dialekt, Knepser brüllte irgend etwas zurück.
Harmonka war aufgewacht (sie würde aber niemals zugeben, eingeschlafen zu sein) und gelähmt vor Schreck. Die Piraten konnten Ted noch nicht sehen, daher steckte er sich rasch die erstbesten Waffen in Reichweite ein: Eine Apfel, einen Bleistift, ein Tau und seine guten alten Stricknadeln. Leise glitt er ins Wasser.
Die Männer deuteten auf die Ladung und Knepser nickte, machte einige unterwürfige Gesten und schickte sich an, die Fracht freizulegen, während das Überfallkommando damit begann, die beiden Boote zu vertäuen. Jetzt war Harmonka hellwach und sprang auf. Die plötzliche Bewegung gefiel den Piraten überhaupt nicht, sie richteten ihre Gewehre auf die Pilotin und riefen wild durcheinander, dann grinsten sie anzüglich und musterten die Frau von oben bis unten. Es wurde höchste Zeit für Ted, einzugreifen. Er befand sich nun auf der anderen Seite des feindlichen Bootes und zog sich lautlos an Deck. Einer der Männer stand ungefähr einen Meter entfernt, die anderen beiden lehnten an der Reling von Knepsers Kahn, alle waren abgelenkt.
Was Ted dann tat, vollzog sich innerhalb weniger Sekunden und gehörte sich gar nicht für einen internationalen Spielzeughändler. Seine Bewegungen waren beinahe zu schnell für das menschliche Auge. Für die Betrachter wirkte es, als ob eine schemenhafte Gestalt plötzlich aus dem Nichts erschien, auf unbegreifliche Art das Leben vom Körper des ersten Piraten subtrahierte, sich mit weiten Sätzen fortbewegte und unidentifizierbare Wurfgeschosse durch die Luft schleuderte. Der zweite Pirat sank mit langen Nadeln in der Kehle zu Boden, unfähig, am Leben zu sein, und ehe man sich versah baumelte der letzte Pirat mit einer Schlinge um den Hals von der Bordwand und verschied.
Ted schnappte nach Luft, wischte sich den Schweiß ab und blickte in die verständnislosen Gesichter von Harmonka und Captain Knepser, dem vor Überraschung beide Monokel aus dem Gesicht gefallen waren. Lächelnd biss Ted erst mal herzhaft in den Apfel, den er für die Aktion wider Erwarten doch nicht gebraucht hatte. Er hatte einmal ein Buch über ganzheitliches Sterben geschrieben und unter seinen erfahrenen Händen wurde sogar ein Apfel zu einer potenziell tödlichen Waffe. Diesmal jedoch war das Obst bloß eine willkommene Stärkung nach kurzer, aber harter Arbeit.

Den Großteil der restlichen Reise verbrachten sie schweigend. Sowohl Knepser als auch Harmonka warfen Ted dankbare, aber auch skeptische Blicke zu, als könne er jeden Moment durchdrehen und sie mit einem Löffel oder einem Radiergummi oder einem anderen todbringenden Mordwerkzeug angreifen. Ted selbst saß im hinteren Teil des Bootes und blätterte weiter in den Akten über sein Zielobjekt, in der Hoffnung, doch noch nützliche Informationen zu entdecken. Laut den Papieren war der Trüffel überaus intelligent, wie ein kleines fliegendes Gehirn, er war aber auch ständig depressiv. Vielleicht hatte diese andauernde Traurigkeit schließlich zu seiner Flucht geführt.
Viele der Blätter stammten von Tochterfirmen der Springood Enterprises, oder sogar direkt vom Mutterkonzern. Allein der Name löste erneut heftige Hassanfälle aus. Ted lief rot an und geiferte ein wenig, aber nur so viel, dass es seine Mitreisenden nicht sehen konnten. Er hatte sie schon genug verängstigt. Wer hatte diese Akten gestohlen? Wer wollte den Trüffel tot sehen? Auf jeden Fall musste er bei der Abtötung des finsteren Speisepilzes vorsichtig sein. Er wollte nicht, dass Harmonka weiteren Verdacht schöpfte. Vorerst hatte er sich mit Volkshochschulkursen in Selbstverteidigung herausreden können, aber das würde seine Pilotin ihm wohl kaum abnehmen, wenn sie noch mehr von seinen Fähigkeiten zu Gesicht bekam. Leute mit Käseschneidern zu vierteilen oder in Batteriesäure zu ertränken lernte man wohl kaum im Abendkurs.
Die tödlichsten Techniken, die er damals bei Meister Gaworner erlernt hatte, musste er noch nie in der Praxis einsetzen, und er hatte es auch nicht vor. Selbst für den König aller Bastarde nicht, obwohl Ted es immer noch bedauerte, Springood nur aus der Distanz erwischt zu haben. Aber wenn man erst einmal damit angefangen hatte, das Zerprügelorama, den Manischen Metzeltanz oder die gefürchtete Attacke namens Wenn Der Knüppel Spricht regelmäßig einzusetzen, dann endete man womöglich wie Teds ehemaliger Mitschüler Theo der Röchler. Einst, als sie noch zusammen auf Meister Gaworners Abtötungs-Akademie studierten, hoch über dem Himalanein-Gebirge, war Theo schon immer darauf versessen gewesen, die ausgefeiltesten und grausamsten Taktiken perfekt zu beherrschen und erpicht darauf, sie auch einzusetzen. Und heute, ja heute hatte Theo überhaupt keine ethischen Maßstäbe mehr. Wenn Ted Bogota einen geistlosen Popmusiker abtötete, der die Welt mit Synthie-Doo-Hop-Polka akustisch sodomierte, brauchte er dazu jedenfalls nicht den wirbelnden Gekröse-Derwisch anzuwenden. Das Opfer mit ungekochten Spaghetti zu erstechen reichte ihm völlig aus.
Bevor Ted weiter in den Unterlagen stöbern konnte, traf ihn ein fliegender Schrumpfkopf an der Schulter. Dem folgte ein Schauer aus Papierkügelchen. Die Eingeborenen! Ted duckte sich in die Kajütentür, als weitere Geschosse aufs Deck prasselten. Am Ufer war nichts zu sehen, außer einigen Blasrohren, die hier und da hinter Bäumen hervorlugten und mit zusammengeknüllten Papierbällchen spuckten. Ganz offenbar waren ihnen die vergifteten Pfeile ausgegangen und nun behalfen sie sich mit Tricks aus der Schulzeit. Harmonka stürmte ebenfalls unter Deck. Gemeinsam warteten sie, bis der Zellstoffregen vorüber war und lauschten, wie gelegentlich Schädel aufs Dach krachten. Knepser stand von einer Glasscheibe geschützt am Steuer, während Harmonka und Ted in der Kajüte ihre Narben verglichen.
„Diese hier“, erklärte Ted, „habe ich mir geholt als ich… mit einem Chemiekasten experimentiert habe. Muss die Teile schließlich testen, bevor ich sie ausliefere. Mann, hat das wehgetan. Aber ich hatte es immerhin geschafft, eine Briefb… einen Knallfrosch herzustellen.“
„Das ist doch gar nichts, diese hier hab ich mir bei einem Kerosinbrand geholt. Üble Sache. Schmerzt heute noch gelegentlich.“
„Wie niedlich, ein kleines Närbchen. Guck mal die hier an: Da hat mich… ein Saugnapfpfeil… erwischt… bei dem der Saugnapf sich im Flug… ähm… abgelöst hatte.“
Nach einer Weile endete der Angriff ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, und die Besatzung entschloss sich, klar Schiff zu machen. Die Papierkügelchen aufzusammeln und wegzufegen war kein Problem, aber Harmonka und der Captain weigerten sich, die Schrumpfköpfe anzufassen. Diese Aufgabe übernahm Ted. Ihm machte das nichts aus.
„Guckt mal hier!“, rief er. „Der hier sieht aus, wie eine Rosine. Das ist ja witzig. Und hier gibt’s auch ne Dattel und da, eine Trockenpflaume.“
Die anderen versuchten, nicht unbedingt hinzuschauen, als Ted mit einigen Köpfen jonglierte. Er ermahnte sich, nicht zu weit zu gehen. Wenn er zu übermütig wurde, ließ er noch seine Tarnung auffliegen.
„Okay, okay, ich räum das getrocknete Obst schon weg, und dann…“
„Aghrahhhrg“, antwortete Captain Knepser.
„Wie bitte?“
„Ahhhhrghraghaghrrr.“
„He, so eklig sind die Jungs ja nun auch nicht. Die können ja nichts dafür, dass sie so aussehen. Ein Bisschen mehr Toleranz, bitte!“
„Argharghchhhhhhhhhhhhrr!“
„Also, ich sehe ja ein, dass ihr die Schrumpfköpfe nicht aufsammeln wollt, aber das machen Sie selber weg.“
„Arhgchhrrrrrrrrchhhhhrchhhhhhhrchhhhhr.“
Knepser wand sich in Agonie auf dem Boden, mit Schaum vor dem Mund. Die verstreuten Schädel waren zwar moderat ekelhaft, aber nur aus Ekel konnte man solch einen Anfall schwerlich bekommen. Heftige Krämpfe schüttelten den Körper des Kapitäns, Ted eilte zu ihm, um zu helfen.
„Was hat er?“ fragte Harmonka, die ebenfalls herbeigestürzt kam.
„Ich weiß nicht. Wo ist mein Medizinbuch?“
„Ich suche es!“
Doch mit dem Captain ging es zu Ende. Röchelnd und um sich schlagend, geifernd und zuckend, keifend und Blut spuckend entschlief er. Ted hielt den Leichnam Kepsers hilflos in den Armen. Menschen am Leben zu erhalten, damit hatte er keinerlei Erfahrung.
„Hier ist es“, rief Harmonka, die mit dem Buch herbei eilte, das sie inzwischen gefunden hatte.
„Leider zu spät. Er ist bereits… abgestorben.“
„Wie konnte das passieren?“
„Vielleicht war er Epileptiker? Könnt ich mir bei ihm gut vorstellen.“
„Aber wird man so alt, wenn man aus heiterem Himmel derartige Anfälle bekommen kann?“
„Da bin ich überfragt… he, Moment mal!“, rief Ted aus.
„Was ist?“
„Du trägst Handschuhe!“
„Ja, ich trage immer welche zum Putzen.“
„Knepser trug keine.“
„Worauf willst du hinaus?“
„Die Papierkügelchen! Keine schlechte Taktik, muss ich sagen.“
„Vergiftet?“
„Offenbar. Fass die Dinger auf keinen Fall an. Die Jungs sind gut. Lenken einen ab, indem sie mit widerlichen Köpfen schmeißen, dabei sind die wahrhaft gefährlichen Geschosse diese kleinen Papierknäuel.“
„Und wenn es nicht inzwischen eine Erfindung namens Schusswaffe gegeben hätte, wäre das auch eine echt raffinierte Technik. Aber so…“
„Das waren ja keine Piraten. Das war ein Stamm von Eingeborenen. So richtig klischeemäßige Kopfjäger. Obwohl ich mir durchaus vorstellen kann, in wessen Auftrag sie uns abtöten wollten.“
„In wessen?“
„Das möchte ich lieber noch für mich behalten.“
„Du überraschst mich immer mehr, Ted“, sagte Harmonka.
„Ich mich auch“, antwortete Ted, und betrachtete die Leiche des Kapitäns, die noch immer in seinen Armen lag.

Nach der Seebestattung des Captains (Ted warf ihn in den Fluss) steuerte Harmonka das Boot, immer weiter den Nihil hinunter, tiefer in den Wald, vorbei an einer Vielzahl von Ruinen, die das Flussufer säumten. Einst existierte in diesem Gebiet die antike Hochkultur der Tintas, ein Volk das die Astronomie kannte und die Kunst der Autopsie bei lebendigem Leibe, das gewaltige Pyramiden baute und eine eigene Kanalisation, damit das Blut vom Tempel abfließen konnte. Sie entwickelten ausgefeilte Erntemaschinen und mechanisierte Schlitzmesser für Fließband-Menschenopfer, kolossale Treppen über die höchsten Berge und ergonomisch geformte Griffe für die Opferdolche. Die Pyramide des Martercus war von den Bauwerken dieser alten Kultur inspiriert worden.
Das verfallenes Mauerwerk war hier und da von Zeichen neueren Datums geschmückt, die Ted nicht entziffern konnte, aber die Zeichnungen sprachen eine deutliche Sprache: Totenschädel, abgehauene Gliedmaßen, Blut. Und braune Kugeln. Verdächtig. Papiergirlanden und Kerzen schmückten kleine Altäre am Ufer. Möglicherweise sollte das mystisch aussehen, wirkte aber eher wie Kindergeburtstag. Erst, als die ersten tatsächlichen Köpfe auf den Altäre auftauchten, begann Harmonka sich Sorgen zu machen.
„Ted, meinst du wirklich, dass wir weiterfahren sollten?“
„Natürlich. Sieh mal, unser Kunde mag eben keine Eindringlinge, deshalb will er Leute, die unbefugt eindringen, ein wenig erschrecken.“
„Ich würde dann aber lieber durch den Lieferanteneingang kommen, als durch das Hauptportal. Nachher hält er uns auch für Eindringlinge und richtet unsere Köpfe auf einem kleinen Altar her.“
„Ach, das sind doch alles Attrappen.“
Gerade als Ted diesen Satz sprach, zog folgende Szene am Ufer vorbei: Ein Mann kniete vor einem Altar, seine Hände waren gefesselt, der Kopf lag auf dem Stein. Hinter ihm standen mehrere dunkelhäutige Männer, einer davon hob gerade die Machete.
„Und was ist das? Ein Passionsspiel?“
In diesem Moment erblickten sie die Pyramide.

Ungefähr zweihundert Männer starrten sie wortlos an. Sie trugen Lendenschurze, Speere und Kriegsbemalung. Jede Menge Beine und Arme hingen von den Bäume hinab, und hinter ihnen erhob sich eine kleine Pyramide, die fast vollständig von Ranken und Gestrüpp überwuchert war. Von fern mochte man sie für einen grasbewachsenen Hügel halten.
Aber es war nicht die Pyramide, die Ted Sorgen machte. Was hatte er sich denn auch vorgestellt, dass der ränkeschmiedende Trüffel in einer Villa hauste, in die er sich einfach einschleichen und ihn abtöten könnte, wenn gerade keiner guckt? Ted machte sich Vorwürfe, dass er Harmonka da mit hinein gezogen hatte.
Die Gestalten am Ufer rührten sich nicht, als die Besatzung das Boot an einem Anleger vertäute.
„Ted“, sagte Harmonka.
„Ja?“
„Wer von denen braucht Bobby-Cars?“
„Ich erklär es dir später. Bleib auf dem Boot.“
„Du willst da alleine raus? Aber...“
„Vertrau mir.“
„Vertrauen, genau. Denn die ganze Geschichte ist ja auch so ungemein plausibel.“
„Vertrau mir trotzdem.“
„Das tue ich nicht, aber ich lasse dich gern alleine rausgehen.“
„Danke.“
Ted steckte eine Pistole in einen Beutel, das einzige Stück seiner Ausrüstung, das er unauffällig mitführen konnte, verbarg den Beutel unter seiner Jacke und verließ das Boot. Die Menschen am Ufer bildeten schweigend eine Gasse, die bis zum Fuß der Pyramide reichte. Ted versuchte, keinem von ihnen in die Augen zu blicken.
Hoch oben war ein Eingang zu sehen, und Ted begann, langsam die Stufen emporzusteigen. Frontalangriff. Nicht die beste Methode. Wie gut waren Trüffel im Nahkampf? Dazu gab es keine verlässlichen Daten. Eine andere Wahl als hinaufzugehen hatte er auch nicht, es sei denn, er wollte versuchen, gegen zweihundert Männer mit Speeren und Macheten anzutreten. Dagegen war selbst der virulente Todesgriff von Wu machtlos.
Hier hatte sich also der Trüffel sein Reich geschaffen, von wo aus er seine dunklen Machenschaften koordinierte. Wie er das bewerkstelligte blieb unklar, die Infrastruktur an diesem Ort erschien alles andere als modern, sah man einmal von den ausgeklügelten Schädelrutschen ab, die noch von den Tintas zu stammen schienen, und die vom Rande der Pyramide in die Tiefe führten.
Noch etwas erregte Teds Aufmerksamkeit auf dem Weg nach oben: Steinerne Statuen, gemeißelte Abbilder einer Kugel mit Armen, in Fels gehauene Trüffel. Allerdings schienen diese Darstellungen schon sehr alt zu sein. Wenn sie erst vor Kurzem errichtet worden wären, müssten sie neuer aussehen, aber diese waren von Ranken und Schlingpflanzen umwuchert und rissig. Vielleicht, so ging es Ted durch den Kopf, verkörperte Bursezuck hier eine alte Gottheit und wurde deshalb von diesen Leuten verehrt. Die richtige Statur hatte er ja, wenn man die Reliefs so betrachtete.
Der Eingang lag vor ihm, es war drinnen so düster, dass man nichts erkennen konnte. Bevor Ted irgend einen Zug machen konnte, hörte er eine Stimme aus dem Inneren. Sie klang sehr schwach auf der Brust, was daran liegen könnte, dass der Erzeuger der Worte gar keine Brust besaß.
„Willkommen auf Rankenfarm.“
„Rankenfarm?“ rief Ted in die Dunkelheit.
„Kommen Sie doch rein.“
Ted zögerte einen Augenblick, doch dann trat er ein. Er war es gewohnt, sich an die Opfer heranzuschleichen und sie hinterrücks mit einem Granatwerfer zu sprengen, oder sie in giftigen Seeigeln zu wälzen. Durch die Vordertür einzutreten missfiel Ted, noch dazu, wenn das Opfer ihn dazu aufforderte. In der Pyramide war es völlig Finster.
„Rankenfarm, das ist mein Kosename für diesen Ort. Nett, nicht?“
„Ja, ich hoffe, die Rankenernte ist gut in diesem Jahr, Von Behauenhuhn. Ich hätte gerne ein Rankensandwich.“
Keine Reaktion aus der Finsternis.
„Ihre Gefolgsleute haben einen leichten Kopffetisch, fürchte ich.“
„Ted Bogota“, sagte die Stimme. „Ich hatte befürchtet, dass er Sie anheuern würde.“
„Wenn Sie wissen, wer mich angeheuert hat, dann wissen Sie mehr als ich.“
Langsam schälte sich eine Gestalt aus der Schwärze heraus. Teds Augen gewöhnten sich an das Dunkel und erkannten die Umrisse eines winzigen, bärtigen Mannes.
„Oh, ich denke, ich weiß, wer Ihr Auftraggeber ist. Ich war schließlich auch einmal Ihr Auftraggeber.“
Der Mann bewegte sich einen Meter vorwärts, er wirkte, als würde er schweben. Es war die schlechteste Verkleidung in der Geschichte der Menschheit. Vielleicht nicht in der Geschichte der Trüffelheit, dafür war sie sogar ziemlich gut. Bursezuck trug einen Mantel, der bis zum Boden reichte. Leider war der Boden nur einen Meter vom Kopf entfernt, und so schleifte der größte Teil des Mantels einer Schleppe gleich auf der Erde. Zusätzlich trug er eine Sonnenbrille, eine falsche Nase und einen langen Bart. Er sah aus wie ein Weihnachtsmann, der inkognito unterwegs war und den jemand zur Hälfte in den Boden gerammt hatte.
„Sieh mal einer an. Es ist ein Mensch!“ rief Ted.
„Okay, okay, ich nehme die Verkleidung schon ab“, die winzigen Ärmchen des Trüffels bewegten sich und entfernten nach und nach die Teile des Kostüms.
„Und wann genau waren sie mein Auftraggeber?“, erkundigte sich Ted.
„Das war vor gar nicht langer Zeit.“ Bursezuck war jetzt völlig freigelegt. Seine Oberfläche war braun und stachelig, er besaß keine erkennbaren Augen. „Das Opfer starb auf einer Yacht. Ich glaube, an einem mysteriösen Kopfleiden, ausgelöst durch ein Urangeschoss.“
„Giliad Argh-ich-hasse-hasse-HASSE-ihn Springood? Das geschah auf ihren Wunsch?“
„Jawohl. Und jetzt schickt er Sie, um mich abzutöten.“
„Wer schickt mich?“
„Na Giliad Argh-Sie-hassen-hassen-HASSEN-ihn Springood, wer sonst?“
„Aber der ist doch seinem Kopfleiden erlegen. Es sei denn, er hatte irgendwo noch einen Kopf, den ich übersehen hätte.“
„Nein, sein Klon hatte nur einen Kopf, und der konnte leider nicht zusammen mit dem Körper beerdigt werden.“
„Sein Klon? Aber der müsste doch um einiges jünger sein, als...“
„Unterschätzen Sie nicht die Fähigkeiten von Springoods Forschern. Sehen Sie nur mich an.“
„Nein, das Ungetüm darf nicht leben. Die Bestie ist tot! Der...“
„Das sieht ihm ähnlich, dass er den Killer schickt, der ihn abtöten sollte, um mich abzutöten. So ein Arschloch.“
„Nein, nein, nein. Tut mir Leid, ich muss mich erst mal von dem Schock erholen, dass der Oberbastard noch lebt. Nein, ahhh, er muss tot sein.“
„Glauben Sie mir, es wäre mir auch lieber, dass sie ihn persönlich erwischt hätten. Aber so einfach ist das offenbar nicht.“
„Warum... warum haben Sie mich angeheuert, um ihn abzutöten?“
„Weil ich existiere. Ich ertrag’s nicht! Wie kann man sowas wie mich erschaffen!“
„Nun, so schlecht sehen Sie doch gar nicht aus. Sogar recht... lecker.“
„Das ist es ja, ich bin doch nicht mal ein richtiger Trüffel, das war bloß der Spitzname, den Sie mir im Labor gaben.“
„Und die Funksprüche?“
„Die Trüffelrezepte... das sind Albträume von mir. Dass sie mich kochen und essen! Soweit ist es schon. Ich glaub ja selbst fast, dass ich ein Speisepilz bin.“
„Was sind Sie denn sonst?“
„Eine Art großes Gehirn, glaube ich. So war ich konzipiert. Wie Sie wissen, ist Giliad Springood die größte Drecksau des Planeten.“
„Oh ja. Das ist wahr. Ich hasse, hasse...“
„Schon gut, das wissen wir ja. Nun, Giliad kann keinem fleischlichen Genuss widerstehen, so abartig der auch ist. Allen Gelüsten und Launen, die ihn überkommen, gibt er nach. Die Ergebnisse kennen wir zur Genüge.“
„Leider. Die Sache mit der Rollschuhdisco im Hodensee, das werde ich ihm niemals verzeihen. Alles wurde zerstört, und...“
„Das war doch noch eine seiner harmloseren Aktionen. Auf jeden Fall ist ihm voll bewusst, was er da tut, und wie schädlich es ist, aber er kann nicht anders. Er ist der Meinung, er werde von Chemikalien in seinem Körper kontrolliert, von Hormonen, von Botenstoffen im Gehirn, von Lüsten und Trieben, dem ganzen Paket, und er sei so schwach, dass er dem nichts entgegen zu setzen habe.“
„Und deshalb erschuf er ein Wesen ohne Körper?“
„Exakt. Ursprünglich wollte er eine Kreatur erschaffen, die ganz und gar Geist war, aber völlig ohne Materie funktionierte es natürlich nicht. Siebzehn Forscher ließ er Pfählen, weil sie es nicht zuwege brachten, ein Wesen aus reinem Geist zu erschaffen. Also wurde ich konzipiert. Ich bin der Prototyp eines Geschöpfs, das fast ausschließlich aus Gehirn besteht, ohne solch schädliche Anhängsel wie Fortpflanzungsorgane und ähnlichen Ballast, der nur Übles bewirkt. Wie genau ich funktioniere, kann ich nicht sagen, aber mehr als Luft und Wasser benötige ich nicht zum überleben.“
„Der Hund wollte seine Macht doch tatsächlich zum Wohle der Menschheit einsetzen.“
„Zum Wohle der Menschheit? Ha! Sieht so wie ich das Wohl der Menschheit aus? Ich kenne kein Mitlied mit anderen. Ich würde jeden, der meine Rache an Springood verhindern will, von meinen Gefolgsleuten zerhacken lassen. Ich würde notfalls jeden meiner Gefolgsleute zerhacken lassen, und auch alle anderen Menschen auf der Welt. Ich werde noch wahnsinnig hier drin! Ich komm hier nicht raus, aus diesem Schutzpanzer. Ich nehme die Welt in meinem Kopf wahr, ich kann nicht die Augen schließen wie Sie, niemals! Niemals! Ich schlafe nie! Ich denke immer nur. Und ich bin so traurig. Ich habe keine Hormone, doch ich bin trotzdem traurig. Und ich hab Angst. Warum? Ich hab Angst. Das gibt’s doch gar nicht. Ich drehe durch!“ Der Trüffel vibrierte mit hoher Frequenz. Er begann, schwebend Kreise zu ziehen.
„Na ja. Vielleicht sind Sie noch verbesserungsfähig, aber vielleicht kommt mit Bursezuck Version 2.0...“
„Bloß nicht! Es soll niemand mehr das ertragen müssen, was ich ertrage! Erschießen Sie mich! Na los. Und dann töten Sie Springood ab. So grausam wie möglich!“
„Warum wollen Sie, dass ich Sie erschieße?“
„Jetzt, wo ich Sie auf Springood angesetzt habe, kann ich getrost absterben. Meine Leute tun es nicht für mich, die halten mich für einen Sonnengott, und irgendwo runterstürzen kann ich mich nicht, weil ich schwebe, und meine Arme sind zu kurz, um mir eine Pistole an den Kopf zu halten. Also los, töten Sie mich schon ab!“
Ted Bogota zog den Beutel mit seiner Waffe unter der Jacke hervor, um seinen Auftrag zu erfüllen, aber dann zögerte er. Wollte er einen Auftrag erfüllen, der vom Teufel persönlich, von widerlichen Dämon Springood, alias Hassobjekt Nummer Eins stammte? Ted hatte bislang jede seiner Missionen erfolgreich durchgezogen. Man musste schließlich an seine Reputation denken. Aber in jedem Fall hatte er seine Opfer abgrundtief gehasst, zumindest seit er beschlossen hatte, nur noch Aufträge anzunehmen, wenn die Abscheu stimmte. Er hatte gedacht, er würde den Trüffel hassen. Hatte sich ausgemalt, wie widerlich Bursezuck sein würde, was er gemeinsam mit seinem Alliierten Springood alles an Unaussprechlichem angestellt hatte und wie ekelhaft Trüffelomelette schmeckt. Aber nun, da er vor ihm schwebte, wurde ihm klar: Er hasste ihn nicht. Bursezuck war eine arme Sau, Schreckensreich im Dschungel mit abgeschlagenen Köpfen hin oder her. Vermutlich würde Ted auch durchdrehen, wenn er selbst nur ein schwebender Ball mit Armen wäre. Nein, er hasste Bursezuck nicht. Er hatte sogar Mitleid mit ihm.
„He“, rief der Trüffel verzweifelt. „Weshalb steckst du deine Waffe weg? Los, töte mich ab. Kill mich! Ich bin so widerlich! Ich... ich stinke! Ermorde mich! Ich... du bist doof! Ja, bescheuert! Na, reicht das? Du Arsch! Wichser. Ja, Springood ist ein guter Mann. Er ist echt nett. Reicht das immer noch nicht? Töte mich ab, ich bin erbärmlich. Ohh, so jämmerlich kümmerlich mickrig erbarmungswürdig, ich muss sterben. Ah... was tust du da mit dem Beutel? Willst du mich darin in den Fluss werfen? Was für eine miese Idee, da komme ich ja wieder nach oben. Es sei denn, du beschwerst mich mit Gewichten, hmmmmmpf, mmmmmpg...“
Bursezucks verzweifeltes Gebrabbel wurde von dem Beutel abgedämpft, obwohl der Trüffel keinen erkennbaren Mund besaß. Einen Sack mit einem schwebenden und sich bewegenden Objekt darin zu tragen erwies sich allerdings als schwierig, noch dazu, wenn eine Armee von Gläubigen draußen vor der Pyramide wartete, die schon bald ihren Sonnengott vermissen würden. In der Ecke, hinter einem Haufen von Gewehren und anderen Schusswaffen, entdeckte er einen Schreibtisch mit einem Funkgerät und Büchern. Ted beschwerte den Sack mit einigen Bänden über Quantenphysik und Thermodynamik und versuchte unauffällig zu wirken, als er die Stufen der Pyramide hinunterstieg.
Langsam tanzte er durch die Reihen der draußen postierten Eingeborenen. Er tanzte, zuckte und sprang, hampelte und hüpfte, damit niemand merkte, dass sich der Sack auch aus eigenem Antrieb bewegte. Dazu rief Ted laut irgendwelchen Unsinn, damit es für die Umstehenden so aussah, als wäre er in religiöse Ekstase verfallen. Das klappte auch ganz gut, einige der Anwesenden begannen ebenfalls zu tanzen. Ted hoffte, dass es kein Kriegstanz war.
„Wirf das Boot an!“, rief er Harmonka zu, während er sich seinen Weg durch die Menge bahnte.
Harmonka startete die Maschinen, und alles wäre gutgegangen, hätte der Trüffel nicht in dem einen, einzigen Moment, als Ted still stehenblieb, kurz bevor er das Boot bestieg, plötzlich einen Satz nach oben gemacht. Der Sack schien in der Luft zu hängen und Ted musste ihn mit Gewalt an Bord zerren, als die ersten Speere neben ihm einschlugen. Ein Tumult brach los, Papierkügelchen flogen und einige besonders wagemutige Mitglieder der Gemeinde des Sonnengottes kletterten an Bord des ablegenden Bootes. Zu ihrem Pech hatte Ted aber gerade eine Pistole zur Hand. Inmitten des ganzen Trubels zog ein schwebender Beutel seine Kreise, aus dem gelegentlich ein Buch fiel.

Einerseits, so dachte Ted während seiner Schicht am Ruder, kann mir der Trüffel bei meiner Suche nach Springood, dem menschgewordenen Eiterpickel, helfen. Andererseits war so ein Wesen viel zu interessant, um es einfach abzutöten, selbst wenn es den Tod wollte. Und es war einfach zu gotteserbärmlich, um es zu hassen. So und ähnlich verliefen Teds Versuche, seinen Akt der Barmherzigkeit zu rechtfertigen. Das Mitleid hatte ihn eiskalt erwischt. Es war befreit worden, hatte Gier und Ehrgeiz eins in die Fresse gegeben und war jetzt zu stark, um noch kontrolliert werden zu können. War so ein weichherziger Softie noch in der Lage, seinen Beruf auszuüben?
Die Flucht war haarscharf gewesen, und beinahe hatte Harmonka eine der vergifteten Papierkugeln in den Mund bekommen. Jetzt schipperten sie gemütlich zurück den Nihil hinauf, nur gelegentlich unterbrochen von Angriffen blutrünstiger Piraten.
Harmonka schlief unter Deck, sie hatte ja auch einiges zu verkraften. Zuerst hatte Ted versucht, ihr vorzugaukeln, in dem kreisenden Beutel hätte ein ferngesteuertes Flugzeug gesteckt, das man nicht mehr abschalten konnte, aber Harmonka meinte, irgendwann sei es dann auch mal gut, und er solle ihr gefälligst die Wahrheit sagen. Als er ihr dann schließlich Bursezuck vorstellte, merkte sie an, was denn jemand ohne Beine mit einem Bobby-Car anfangen wollte. Es war langsam so weit, Ted musste ihr einiges erklären. Doch erst mal schlief sie. Ted hatte Bursezuck in der Kombüse eingesperrt, nicht ohne vorher alle Messer zu entfernen, und hatte Harmonka angewiesen, den Trüffel auf keinen Fall eins zu geben, selbst wenn er es verlangte.
Jetzt war Ted allein an Deck und ein Gedanke, den er seit ihrer Flucht erfolgreich zu unterdrücken vermocht hatte, kam aus den Tiefen seines Hirns wieder zum Vorschein um ihn die gesamte restliche Rückreise über zu wurmen:
Giliad Springood lebte.

 

Anmerkung: Teil 1 einer geplanten Serie. Kommt ins Serienforum, wenn der zweite Teil fertig ist.

 

hi Ben

ich liebe gut geschriebenen Schwachsinn :shy: , was soll ich sonst noch sagen?

Fehler oder dergleichen sind mit nicht aufgefallen, deshalb bleibt mir wohl nix anderes übrig, als dir meine Hochachtung auszusprechen. Herrlichster Schwachsinn plus Inhalt! Das ist selten ;)

bin schon auf den nächsten Teil gespannt

Kerberos

 

Moin Kerberos!

Hab Dank für die positive Kritik. Ich fürchtete schon, bei der Hitze würde niemand eine 15-Seiten Story lesen.

Herrlichster Schwachsinn plus Inhalt!
Jep, ein Bisschen Unfug tut gut, aber du hast gut erkannt, hier (und in den nächsten Teilen) gibt's auch einiges an Inhalt, der nicht bloß Schwachsinn ist. Das Ganze hat klein angefangen, wuchs sich aber in der Planung zur epischen Saga aus.
bin schon auf den nächsten Teil gespannt
Das wird ne Weile dauern, aber es sind mehrere Teile geplant, von denen sich mindestens je einer mit Theo dem Röchler und Kara Ben Jeri beschäftigen wird, sowie weitere mit den Beziehungen von Ted, Bursezuck und Harmonka, und natürlich dem wahren Schicksal von Springood. Stay tuned.

Gruß

Ben

 

Jaha.

Lang, aber sehr lustig. Eine Art Indiana Jones im Land des Wahnsinns. Man ist gespannt auf die Fortsetzung und man wittert da durchaus Potenzial für eine spannende Saga.

Ich staye tuned.

[HIBERNATE]

 

Jagutäh, Vielen Dank. Lange braucht man auch nicht mehr tuned stayen, denn der zweite Teil, "Die Weltformel" ist beinahe fertig.

Gruß

Ben

 

Hallo Ben!

Auch ich warte begierig auf den nächsten Teil dieser total abgedrehten Serie. Normalerweise lese ich so lange Texte sehr selten, blieb jedoch gestern durch die aberwitzigen Verknüpfungen und Wortspielereien dran kleben und habe dies nicht bereut. Kompliment!


Ciao
Antonia

 

Danke Antonia!

Nächster Teil erscheint... in wenigen Minuten.

Derweil: Erster Teil verschoben nach "Sonstige - Serien".

Gruß

Ben

 

Hallo Ben,
toll, diese abgedrehten Wortspiele, schön flüssig und leicht ironisch geschrieben. Ich fand's nur eine Spur zu langatmig, vielleicht, bin ich aber auch einfach nur müde. Und ich habe ein paar Sätze gefunden, in denen je ein Wort fehlt (als Beweis, dass ich es gelesen habe!;)), bzw. klein geschrieben ist:

Aber was machen in meinem Haus?
Aber es war nicht die Pyramide, die Ted sorgen machte.
In der Ecke, hinter einem Haufen von Gewehren und anderen Schusswaffen, entdeckte einen Schreibtisch mit einem Funkgerät und Büchern.
Gruß
tamara

 

Moin tamara!

Danke fürs Lesen des ersten Teils dieser doch recht langen Saga (und sie wird noch länger).

Die Fehler korrigiere ich sogleich! Danke fürs raussuchen.

Gruß

Ben

 

Ted zweifelte ein wenig am Nutzen eines falschen Namens für einen schwebenden Vierzig-Zentimeter-Trüffel
hehe
Aus dem Orbit abgeworfen. Mit einer überdimensionalen Cocktailgabel aufgespießt.
hehe
"Und auf keinen Fall bin ich hier, um die Bewohner mit einer Käsereibe langsam zu zerraspeln, ihnen Reißzwecken unter die Augenlider zu stecken und mit Stricknadeln die Ohren zu piercen."
Der Graf hob die Harke unauffällig wieder ein Stück an.
:D
Seinem mysteriösen Auftraggeber schien der Tod des Bursezuck einiges Wert zu sein. Vermutlich hasste er Trüffel genauso sehr wie Ted.
ich glaub, ich habs. Er ist es selber, ge? Na, mal weiterlesen ...
Himalanein-Gebirge
ok, der war ekelich ...
"Na Giliad Argh-Sie-hassen-hassen-HASSEN-ihn Springood
:lol:

Hi Ben Jockisch,

Schwachsinn auf höchstem Niveau ... so wat mag ich!

Dass das gute Stück hier 19 Seiten lang ist, merkt man fast gar nicht, wenn man nicht gerade auf die Seitenzahl schaut. Der Schreibstil ist so flüssig, dass es einem wesentlich kürzer vorkommt und es nichts anderes zu sagen bleibt als ... meeeeeehr :drool:

Werde mich nun bis morgen (oder so) den anderen Teilen zuwenden ... und WEHE, die sind net so gut wie der hier ...

Yeahboyyy!

P.S: Fehlerliste kommt per PN.

 

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