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Tausendmal "ich liebe dich"

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22.06.2002
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Tausendmal "ich liebe dich"

Ich möchte sterben. Wieso sterbe ich nicht verdammt?! Es sterben doch so viele Leute, jeden Tag. Ich könnte einen Unfall haben. Oder was falsches essen. Oder zu guter Letzt könnte ich Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Wo sind die verrückten Massenmörder wenn man sie braucht?

Ich quäle mich auch mit dem Gedanken an ein Selbstmord. Aber das ist eine unbefriedigende Lösung. Was werden die Leute denken? Elisa wird mir womöglich noch Vorwürfe machen. Von wegen „was hab ich bloß falsch gemacht?“ Nein, wenn schon sterben, dann ohne dass alle Welt mich im Nachhinein für verrückt erklärt.

Ich möchte feierlich in einem weißen Sarg zu Grabe getragen werden. Alle weinen. Rührende unvergessliche Szenen des Abschiedes. Schnief!

Stattdessen stehe ich da, vor dem überfüllten Briefkasten. Ich habe schon seit Wochen nicht hineingeschaut, da sind jetzt bestimmt tausend Rechnungen drin. Alle wollen Geld von mir. Mehr Geld. Soviel dass sie daran ersticken.

Als ich den Briefkasten aufmache, fällt ein Briefumschlagregen zu meinen Füßen. Weißer ekelhafter Regen, wie weißer Eiter. Mein Leben ist eine Wunde, ein krankes Gliedmaß den man einfach abhaken sollte.

Ich lasse die Umschläge am Boden liegen und laufe aus dem Haus. Es muss geschehen. Heute. Heute, oder nie.

Als erstes bleibe ich neben einer Baustelle stehen, hoffnungsvoll wartend, dass ein dummer ungeschickter Bauarbeiter mir einen Steinblock auf den Kopf fallen lässt. Ich bin so darauf konzentriert, dass ich das Hupen hinter mir fast überhöre. In letzter Sekunde springe ich noch weg, und das Auto rast an mir haarscharf vorbei. Scheiß Reflexe! Der Fahrer ist auch noch so dreist mir den Stinkefinger zu zeigen, dummes Arschloch!

Ich hetze durch die Stadt, laufe bei rot über die Straße, springe vor dicke, unbewegliche Lastwagen, und verursache Herzinfarkte bei jungen bebrillten Fahrschülerinnen. Ich verzweifele an der Hilfsbereitschaft der Mitmenschen, die mich hingebungsvoll zur Seite ziehen, stoßen, werfen, und an mir ihre Mund zu Mund Beatmungskenntnisse auffrischen. Meine Füße brennen und fühlen sich an wie harte, Tausendjahre alte Schnitzel. In einem Schwindelanfall kann ich noch einen Streit mit Zelthosenträgern unbestimmter Herkunft anzetteln, ich sehe mich schon aufgeschlitzt zum Himmel emporsteigen, endlich! Doch dann taucht eine kleine Oma auf, mit Stock und Handy bis an den Hals bewaffnet und nuschelt in einem lauten omisch „POLIZEI!!!!“ in den Hörer. Ach Oma! Vor Rührung um so viel Zivilcourage schluchzend, mache ich mich davon, in den nächsten Park.

Ich sitze resigniert auf einer Bank. Bald wird es dunkel. Ich fühle mich schon halb tot, wieso bin ich es denn immer noch nicht? Mein Gott, wieso kann ich denn nicht sterben, einfach so?!

„Hey!“

Ich hebe meinen müden Kopf. Das hat mir noch gefehlt!

„Verzieh dich“ sage ich zu der hageren wild angepinselten Tussi im Minirock. Aber sie denkt nicht dran.

„Arschloch. Du hast mich doch selbst gerufen. Pins jetzt bloß nicht rum!“

Schwungvoll setzt sie sich neben mir, legt ein Bein kokett über das andere. Ich gucke bestimmt saudumm, jedenfalls beginnt sie ganz dämlich zu wiehern, als sie zu mir rüber schielt.

„Also, wenn du Gott bist, möchte ich dass die Welt gleich jetzt untergeht.“

„Gott, Tod, Leben... du bist sowieso zu dumm um das zu verstehen. Du kriegst ja nicht mal dein eigenes Leben auf die Reihe und hast schon den ganzen Himmel in Aufruhr gebracht mit deinem Gejammer.“

Ich blicke nur entgeistert in ihren Ausschnitt.

„Ach ja, und was willst du dann von mir?“

Sie seufzt.

„Ich persönlich würde dich liebend gerne zum Teufel schicken, aber du bist so eine Niete, dass du es nicht mal auf ein-zwei Todessünden in deinem langweiligen Leben gebracht hast...

Sie zieht eine angewiderte Grimasse und klebt mir ihre zwei Meter Lippenschriftschicht auf die Lippen.

„Na toll“ denke ich, während mein Geist über der trivialen Szenerie zum Himmel hoch steigt, „Ich werde im Park von einer Nutte umgebracht gefunden. Echt geil.“

Einige selige Zeit später....

Ich bin glücklich. Ich bin endlich vollkommen glücklich. Wer hat dieses Gerücht verbreitet, dass Engel geschlechtslos sind? Ich lächele in mich hinein, während ich von einem Dutzend lieblicher sexy Engelchen auf einer Wolke schwebend vernascht werde. Wow...

„Weg, aus dem Weg, dämliche Kühe!“

Oh nein! Schon wieder diese Stimme! Nicht die schon wieder! Meine Engelchen flattern ängstlich auseinander, und da sehe ich sie, diese ewig nörgelnde Obermeckerchefin von hier.

„Was willst du? Was hab ich schon wieder getan? Ich hab doch schon ewig keine Anträge mehr auf selige Vergünstigungen gestellt!“

Sie feixt irgendwie gemein, und ihre perfekten Zähne glitzern in der Sonne.

„Du darfst nach Hause“, sagt sie honigsüß, „Du bekommst eine zweite Chance!“

„Waaaaas!??? Wie kann das sein?!“

„Deine Freundin wollte dich unbedingt zurück haben. Tut mir leid, ich weiß nicht woher sie die Regel kennt. Du weißt schon, tausendmal „ich liebe dich“ sagen... Wir müssen dich zurück schicken, reine Himmelbürokratie!“

Ich fühle wie meine Nackenhaare sich vor Schreck aufstellen und wie die Wolke unter mir sich aufzulösen beginnt. Schon kann ich hören wie mein Herz gegen meinen Willen wieder zu schlagen beginnt, schon verdunkelt sich der Himmel über mir und mir schießen die Tränen aus den Augen! Nein! Oh nein!

„Liebling? Liebling! Oh Schatz! Wenn du nur wüsstest wie sehr wir alle dich vermisst haben! Es ist ein Wunder, dass du noch lebst!“

Ich fühle wie ein nasses , vor Weinen gerötetes Gesicht sich auf meine schmerzende Brust drückt.

„NEEEEEEEIIIIIIIIIIIINNNNNNNNNNNNNNNNNN!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“

[ 22.06.2002, 17:23: Beitrag editiert von: Yami ]

 

Was soll ich sagen?
Die Geschichte gefällt mir irgendwie... vielleicht etwas grotesk, aber gut. Ich hatte mal so ein ähnliches Thema aufgegriffen, aber das fand ich bei weitem nicht so gelungen wie diese Geschichte hier (weshalb meine Geschichte auch immer noch in irgendeiner Schublade vor sich hin modert ;) ).

Würde mich freuen, bald wieder von Dir zu lesen.

Gruß
Skywise

 

Hm, ist nicht meine Art von Humor. Ziemlich einfach gestrickt. Leichte Kost.

Sprachlich auch nicht ganz fehlerfrei.

Nuja, Übung macht den Meister...

 

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