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Taubenblut

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26.02.2011
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Taubenblut

In beiden gehöhlten Händen wie in einer Muschel hält das Kind die junge Taube zu ihrem ersten Flug mit einem Briefchen am Fuß, Gekritzeltes an die Bäume vor der Mauer, die reisigen Wolken über der Mauer und die Berge jenseits, wo die guten Geister wohnen, wie der Vater so oft erzählt hat, bis sie ihn aus dem Haus rausgeholt haben, mit der Taube in offenen Händen angelehnt an die Wand, die sie ihnen bei Nacht und Nebel durch den Garten aufgetürmt haben, mit Drahtrollen drauf gespickt mit Messerchen wie Rasierklingen und auf den Lippen das Liedchen, das das Kind schon von der Großmutter kannte, ‚Flieg, Täubchen, flieg, die Falken machen Krieg‘, und jetzt die Klage mauerwärts von der Mutter hinter dem verbauten Fenster, bis geschreckt durch einen Schuss die Taube aufjagt, hochsteigt, oben im Drahtgeflecht anschlägt, dass Federchen regnen und rote Spritzer die gekalkte Wand beflecken, die Taube vielleicht nicht ankommen wird und wohl nicht zurückfindet, wo das Kind mit Nass in den Augen hoch blickt zur Mutter mit dem Liedchen ‚Flieg, Täubchen, flieg, die Falken machen Krieg‘ und dann noch, als Regen längst das Rot von der Mauer gewaschen und den Fuß des bleichen Monsters gefärbt hat, ‚Flieg, Täubchen, flieg…‘


Wendel Schäfer

 

Hallo vimana,

ich nehme mal an, das gehört zum zweiten Weltkrieg. Vater wurde abgeholt, Panzersperren oder sowas durch den Garten gebaut, Mutter und Kind werden gefangengehalten (oder sowas).
Von der Plakativität und der abgewetzten Symbolik her würde mich nicht wundern, wenn ich mir die beiden sogar im KZ vorstellen sollte: Die Mutter wird oben im Gebäude erschossen, während das Kind eine junge Taube fliegen läßt. Meine Güte, das ist so kitschig wie der Showdown von Bladerunner. Wo haben die tragischen Helden bzw. ihre Autoren nur immer die Tauben her, und immer im richtigen Moment!

Mich ärgert der Text in seiner sprachlichen Eitelkeit. Als versuche er mit Hängen & Würgen, den gehetzten, fatalistsichen Düsterton zu imitieren, den Autoren wie Borchert von ihren Kriegstraumata hatten. Hier komme ich mir als Leser verarscht vor, während der Autor sich hinter einem sakrosankten Thema und verschwiemelten Satzbauten versteckt.

die reisigen Wolken
meintest Du riesig oder reisend? Soll ich mir berittene Wolken vorstellen, oder kommst Du aus Österreich?
Flieg, Täubchen, flieg, die Falken machen Krieg
Das Kinderlied mag es mit mehr als einem Text geben, aber so hab ich es noch nie gehört. Durch das dritte Nachtreten am Ende wird es übrigens nicht besser.

Nein, das gefällt mir nicht. Gut gemeint mag es sein, aber mir ging es auf die Nerven. Das ist so ein Text, wie ich ihn keinem ehrlichen Protagonisten wünsche, eine arge Betroffenheitstütensuppe.

Makita.

 

Der Text erinnert mich zum einen an ein Kinderlied mit dem Titel "Maikäfer flieg", so zumindest kenn ich es vom Hörensingen, zum anderen in Ansätzen an ... - nein. Ich möchte nicht riskieren, dass du dir evtl. etwas darauf einbildest ;), wenn ich die Geschichte mit Ein-Satz-Geschichten von einem richtig guten Autor vergleiche. Zumal es nicht wirklich ein Satz ist, und sprachlich läuft der Text auch nicht ganz rund. Dass es keine Geschichte ist, höchstens eine Situation, weißt du selbst.

das das Kind schon von der Großmutter kannte, ‚Flieg, Täubchen, flieg, die Falken machen Krieg‘, und jetzt die Klage mauerwärts von der Mutter hinter dem verbauten Fenster, bis geschreckt durch einen Schuss die Taube aufjagt, hochsteigt, oben im Drahtgeflecht anschlägt, dass Federchen regnen und rote Spritzer die gekalkte Wand beflecken, die Taube vielleicht nicht ankommen wird und wohl nicht zurückfindet, wo das Kind mit Nass in den Augen hoch
Diese ganze Passage finde ich arg bemüht und handwerklich nicht überzeugend.
Das fängt bei dem "mauerwärts" an. Die Nachsilbe -wärts kann man zwar mit vielen natürlichen, allgemein bekannten natürlichen Immobilien kombinieren (himmelwärts, flusswärts etwa), aber bei künstlich Erschaffenem ist es unüblich - damit in einem solchen, auch sonst komplizierten, Text schier nicht benutzbar. Zu mal nicht an dieser Position, da ist es syntaktisch falsch.
Auch "bis geschreckt" hat mich aus dem Lesefluss geworfen, wohl weil ein Komma dazwischen fehlt >> hinter dem verbauten Fenster, bis, geschreckt durch einen Schuss, die Taube panisch aufflattert (statt: aufjagt, hochsteigt - ist ja kein Adler), ...
Und nicht zuletzt finde ich das "Nass in den Augen" wirklich dick aufgetragen. Ich will nicht behaupten, Kriegskinder hätten irgendwann aufgehört zu weinen, ich weiß es nicht. Aber als Autor die kindliche Hauptfigur in so einer Situation weinen zu lassen, nichts weiter, das ist verdammt kitschig = das Gegenteil von originell. Da bin ich als Leser geneigt keck zu vermuten, du hast beim Schreiben auch die ein oder andere Träne sausen lassen, nicht vorrangig, weil die eigene Geschichte so traurig ist, sondern weil du inständig hofftest, dass sie den Leser zum Weinen rührt. Das tut sie in meinem Fall leider nicht, aber ich gönne dir das Spiegelneuronenfeuerwerk.

Abschließender Tipp zur Übung: Versuch doch einfach mal, die Geschichte in knappen, in der Tat so knapp wie möglich gehaltenen Hauptsätzen umzuschreiben, und dabei mit ein paar mehr Details anzureichern, die den Text zu etwas besonderen machen. Mal sehen, ob er dann intensiver wirkt.


Viele Grüße,
-- floritiv.

 

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