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Tarnlack
Bei einer meiner letzten Bahnreisen, kam ich, im ansonsten leeren Abteil, mit einem traurig aussehenden Mann mittleren Alters ins Gespräch.
„Auch vorzugsweise mit der Bahn unterwegs?“, fragte ich, um einen Dialog zu beginnen.
„Eigentlich nicht“, antwortete er. „Lieber fahre ich mit dem Auto. Aber die nächsten Wochen muss ich noch Bahn fahren, bevor ich meinen Führerschein wieder habe.“
„Zu schnell gefahren und geblitzt worden?“ fragte ich mitfühlend.
„Zu schnell, ja – aber mit voller Absicht!“, in seinen Augen funkelte etwas.
„Wie kam denn das?“ erwiderte ich verwirrt.
„Da muss ich etwas ausholen.“ begann er zu erzählen. „Von Beruf bin ich Chemiker und arbeite in einer Firma, welche Speziallacke für die Luft- und Raumfahrt herstellt. Mein letztes Projekt, war die Weiterentwicklung eines Stealth-Lackes.“
Hier machte er eine kurze Pause, um dann erklärend fortzufahren:
„Sie haben bestimmt schon mal Tarnkappenflugzeuge im Fernsehen gesehen. Die besondere Form verhindert weitestgehend eine Radarerfassung. Besondere Farbanstriche oder Beschichtungen sorgen dafür, dass sich auftreffende Radarwellen durch Interferenz gegenseitig abschwächen oder auslöschen. Die ersten Versuche mit der neuen Lackrezeptur wurden in unserem Labor durchgeführt. Wir haben verschiedene Bleche lackiert und dann mit Laser- und Radarstrahlen beschossen. Die Aufnahmegeräte zeigten nur noch verschwommene Flecken. Ein riesiger Erfolg. Das Verhängnis war, dass der Lack transparent war.“
Fragend schaute ich den Mann an.
„Ich kam auf eine richtig blöde Idee. Ich montierte das vordere Nummernschild meines Autos ab und führte den Versuch hiermit durch. Der gleiche Erfolg! Die Aufnahmekamera zeigte nur noch ein verschwommenes Bild. Zum Feierabend montierte ich das Nummernschild wieder und fuhr nach Hause.“
„Und dann wurden Sie geblitzt!“, konnte ich nicht mehr an mich halten.
„Normalerweise bin ich ein defensiver Fahrer, ich habe nur zwei Geschwindigkeiten: Langsam und Stopp. Aber, als ich den Blitzer vor mir erkannte, hat mich wohl der Teufel geritten. Ich gab Gas und wurde natürlich geblitzt.“ Er seufzte. „Zunächst war ich bester Laune – bis dann der Bescheid in der Post war. Ich öffnete den Brief und sah auf den ersten Blick, dass das Nummernschild auf dem Beweisfoto total verschwommen und nicht erkennbar war.
Allerdings war der grüne Umweltzonenaufkleber, auf dem deutlich meine Autonummer zu lesen stand, mit rotem Filzstift eingekreist und daneben ein grinsender Smiley gemalt worden.“