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Tanz mit dem Teufel
Um diese Uhrzeit ist kein Mensch mehr auf der Straße. Es ist so still, als existiere die Stadt nicht mehr, als stelle sie sich tot, damit man sie nicht bemerkt. Ich schaue auf das brachliegende Industriegebäude auf der anderen Straßenseite, das Dach eingefallen, die Ziegelsteinwände mit Moos bewachsen. Im schmalen Lichtkegel der Straßenlaterne sehe ich, dass es nieselt, aber ich merke davon nichts, ich sehne mich nach richtigem Regen, der meine heiße Haut kühlt.
Ich drücke mich fester gegen die kühle Hauswand in meinem Rücken und blicke ihm hinterher, wie er die Straße entlanggeht, den Blick auf die Schuhe gerichtet, leicht vornübergebeugt, als stemme er sich gegen den Wind, dabei ist die feuchte Luft ganz reglos, der Qualm meiner Zigarette steht wie eine kompakte Wolke vor mir und nimmt mir die Sicht.
Ich erschauere bei dem Gedanken, wie oft wir die Chance verpasst haben, uns kennenzulernen. Als habe die Welt uns aufeinander zugeschubst, aber wir seien einfach immer weitergegangen. Als wir uns endlich trafen, da war er schon vergeben, da war es schon zu spät.
Er sagte, wir seien eine Möglichkeit füreinander, eine, gegen die er sich entschieden habe. Dass er sie nicht verletzen wolle, dass er nicht mehr von vorn anfangen wolle, dass er einen Plan für sein Leben habe, Kinder, Heirat, das alles stehe jetzt an. Aber was ist, wenn wir nicht nur eine Möglichkeit füreinander sind, sondern eine Notwendigkeit? Er wollte das nicht hören, er schaute weg, konnte meinem Blick nicht standhalten.
Aber jetzt weiß ich, dass er es auch fühlt, heute Nacht hat er hat sich verraten. Heute Nacht, im Dunkeln, auf der Straße, als nur noch wir da waren und als keiner hinschaute und es die Welt nicht mehr gab, für die er seinen Plan gemacht hat, und als da diese finstre Ecke war, diese Hauswand, an die er mich drücken konnte, da hat er endlich nachgegeben und für einen kurzen Moment wären wir fast keine Möglichkeit mehr gewesen, sondern eine Tatsache.
Aber ich hielt ihn davon ab, weil ich für ihn nicht die andere Frau sein wollte, weil es so nicht richtig war, in der trügerischen Dunkelheit, die sich wie ein Hinterhalt anfühlte, und da schaute er mich plötzlich erschrocken an, als sei er gerade aufgewacht.
Er trat einen Schritt zurück und sagte, dass er nicht hier sein sollte, und dann drehte er sich um und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.
Eine S-Bahn legt sich ein paar Häuserblocks weiter mit einem zornigen Quietschen in die Kurve und zerschneidet die Stille der Nacht. Und ein Beben durchläuft mich und ich bin plötzlich so wütend auf mich, weil ich mich nicht hätte verstricken lassen sollen von jemandem, der nicht zugeben will, dass er mich mag! „Dann geh doch!“, schreit es in meinem Kopf. „Wenn du mich nicht magst, dann halte dich fern von mir! Dann spiel nicht mit mir, dann drück mich nicht im Schatten der Nacht an eine Hauswand! Du hast deine Entscheidung getroffen, also geh heim zu ihr, na los, geh schon, vergiss diesen Moment!“ Doch die Worte wollen meinen Mund nicht verlassen, sie verhallen wie ein Echo in meinem Kopf und als sie endlich verstummen, ist es um mich herum wieder ganz still.
Und dann kippt etwas in mir. Während ich da stehe und ihm zusehe, wie er weggeht, wird mein Herz ganz ruhig und ich werde so kalt wie die Nacht um mich herum. Also drücke ich mich von der Wand ab und setze einen Fuß vor den anderen. Ich atme ein und ich atme aus und ich werde immer kälter und ich blähe die Nüstern und jetzt hat das alles ein Ende, jetzt lasse ich mich nicht mehr so herumschubsen. Heute Nacht gehe ich auf die Jagd.
Mit festen Schritten und schwarzen Augen gehe ich in den nächsten Club, verlasse die Welt da draußen und betrete diesen heißen, feuchten Moloch, wo der Atem von hunderten Leuten von der Decke tropft. Die Musik dröhnt mir im Kopf und lässt meine Knochen vibrieren und ich trinke, um das kalte, blaue Feuer in mir zu löschen, und ich schaue mich um und sehe am anderen Ende des Raumes einen Mann, in dessen Augen es genauso flackert. Der den Teufel im Leib hat. Jemand, der so kalt ist wie ich heute, der genauso dreckige Gedanken hat und einen Körper, so stark, dass er mich mit einer Hand zerquetschen könnte. Also gehe ich rüber und wir sehen uns an und er weiß es auch.
Und dann tanze ich mit dem Teufel, der zwischen all diesen schwitzenden Menschen und der dröhnenden Musik schon anfangen will, mit mir zu spielen. Er lässt mich seine Kraft spüren, aber ich halte immer wieder dagegen, dränge ihn zurück, entwinde mich. Und so tragen wir unsere Machtkämpfe aus, ringen miteinander. Zwei Teufel, die da tanzen, Feuer in den Augen, Übles im Kopf und zwei Körper, die sich zerschmettern wollen.
Ich frage nicht nach seinem Namen und es interessiert mich nicht, wer er ist, ich will ihn nur in meinem Bett. Also flüstere ich ihm etwas ins Ohr und dann gehen wir zu mir. Ich hab ein bisschen Angst vor ihm, aber das hält mich nicht ab, das gefällt mir. Sein Körper ist wie aus Stein geschlagen, so groß und so schwer, dass ich darunter ganz klein werde, ganz verschwinde. Und er macht mit mir, was er will, und er ist brutal dabei, fasst mich zu fest an und hinterlässt mit seinen riesigen Händen überall blaue Flecken auf meiner Haut, er reißt an meinen Haaren und er kratzt mich und ich reize ihn nur noch mehr und ich lache dabei und das macht ihn nur noch rasender und so wüten wir wie die Tiere in meinem Bett, zerfleischen uns und lassen nichts übrig.
Als mir die Kraft ausgeht, hänge ich schlaff in seinen Armen und nur ein Blick aus meinen eiskalten Augen kann ihn daran hindern, immer weiter zu toben. Weil er weiß, dass ich es ihm verbiete, noch einmal die Hand an mich zu legen, und da gibt er nach, weil ich in meiner Rage nicht weniger Tier bin als er.
Als es vorbei ist, will er Abbitte leisten - will mir die Haare streicheln, an denen er mich festhielt, will mir den Rücken kraulen, der ganz zerkratzt ist, seinen Kopf in meinen Schoß legen. Aber ich habe keine Lust, ich lasse ihn nicht. Ich bin ganz kalt, ganz ruhig, ich will keine Versöhnung. Ich stehe auf, wandere durch meine Wohnung, streife mit den Händen meine Wände, lehne mich in den Türbogen und sehe ihm zu, wie er sich anzieht.
Er weiß nichts über mich, nicht einmal meinen Namen. Aber noch eine ganze Woche lang steht er Nacht für Nacht vor meiner Haustür. Zwischen den Gardinen meines Schlafzimmerfensters hindurch kann ich ihn sehen, wie er von der anderen Straßenseite aus zu mir hochschaut und wartet, der Qualm seiner Zigarette sieht blau aus im Licht der Laterne. Von jetzt an wird er in jeder Frau, die er in sein Bett schleppt, nach mir suchen. Für ihn werde ich immer die Eine sein.