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Tante
Mit den Fingerspitzen strich Ilka ganz leicht über das edle Holz. Unter der dicken Lackschicht war die Maserung kaum zu spüren und die Oberfläche glänzte wie Glas.
Ihre Gedanken waren weit weg als der Bestattungsunternehmer sie wieder in die Wirklichkeit zurückholte. „Ein wirklich edles Stück, das allerdings nicht oft ausgewählt wird.“ Er klatschte leicht mit seiner Hand auf den Deckel, spielte an den Messingbeschlägen und versuchte dann, seiner Stimme einen getragenen Klang zu geben. „Es ist natürlich alles eine Frage des Preises. Der letzte, der in einem solchen Sarg seine Ruhe gefunden hat, war ein Industrieller. Seine Familie legte großen Wert auf einen stilvollen Rahmen.“ Ilka sah stumm zu Martin auf. Ihre ernsten Augen sagten ihm, daß sie im Moment nicht sprechen wollte oder konnte.
Er verstand, ergriff ihre Hand, drückte etwas fester und zeigte ihr so, daß er ihr Halt geben würde und sie sich auf ihn verlassen konnte. „Wir glauben nicht, daß dies für unsere Tante das Richtige ist. Sie hat wiederholt von einer Feuerbestattung gesprochen, wenn es einmal soweit sein sollte.“ „Und jetzt ist es ja soweit.“ ergänzte der Bestatter mit würdevoller Miene. Er war jenseits der Fünfzig, untersetzt, hatte eine Glatze und wirkte in seinem schwarzen Anzug mit der ebenso schwarzen Krawatte wie ein Model seiner Zunft. Er nickte verständnisvoll und versicherte. „Mir ist es immer sehr wichtig, den Hinterbliebenen klarzumachen, wie ernst man den letzten Wunsch eines Angehörigen nehmen muß. Ich weiß von einigen Fällen,“ er hob er einen Finger um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, „wo man sich aus Kostengründen über diesen Wunsch hinweggesetzt hat. Später meldete sich dann das Gewissen.“ Er ging einige Schritte weiter durch den Ausstellungsraum, in dem die Särge auf kunstvollen Sockeln aufgestellt waren und deutete mit einer ausholenden Geste auf eine Reihe weiterer Stücke. „Ich kann ihnen eine Auswahl sehr schöner und stilvoller Kiefernsärge zeigen, und wenn sie sich endgültig entschieden haben, dann werden wir noch eine wunderschöne Urne aussuchen.
Die Entscheidung war schnell getroffen. Ilka blieb die ganze Zeit über an der Hand ihres Mannes, deutete auf einen Sarg und sagte leise: „Der hier. Der ist schön.“
Die Urnen standen am Ende des großen Raumes. Auf den mit Samt bezogenen Regalen wirkten sie wie wertvolle, antike Keramiken in einem Museum.
Ilka wies sofort auf eine anthrazitfarbene Urne, die trotz ihrer einfachen und modernen Form sehr edel wirkte.
Der Bestattungsunternehmer notierte die Artikelnummern und bat Ilka und Martin in den hinteren Bereich seines Geschäftes, wo sich sein Büro befand.
Dort bot er den Beiden in einer gemütlichen Sitzgruppe Platz an.
„Kann ich ihnen einen Kaffee anbieten oder möchten sie lieber Tee?“
Ilka und Martin schüttelten die Köpfe. „Nein danke, aber uns ist im Moment nicht danach, irgend etwas zu uns zu nehmen.“ Der Bestattungsunternehmer nickte verständnisvoll. „Das kann ich gut verstehen.“
„Sie hatten angedeutet, daß ihre werte Tante bereits vor langer Zeit aus der Kirche ausgetreten ist.“ Ilka und Martin nickten. „Nun, dann kann ich einen hervorragenden Redner empfehlen, der bei der Beisetzung noch einige Worte über die Verstorbene sagen könnte. Ich kann ihnen versichern, daß er wirklich in der Lage ist, einer Feierstunde den nötigen Rahmen zu geben und die Verstorbene angemessen zu würdigen.“
Ilka und Martin sahen sich an und verstanden sich stumm.
„Sie haben Recht,“ ging Martin auf den Vorschlag ein. „Es sollten einige Worte gesagt werden, und ich glaube nicht, daß ich dazu in der Verfassung sein werde.
„Das ist eine kluge Entscheidung“ bestätigte der Bestatter. „Wenn sie mir dann die Verstorbene beschreiben und vielleicht noch ihre Beziehung zueinander schildern, dann werde ich dies an den Redner weiterleiten, und er kann sich entsprechend vorbereiten.
Martin erzählte, was er von der Jugend seiner Tante wußte, von ihrer kurzen Ehe, die schon nach einem Jahr geschieden wurde und daß sie danach allein lebte. Er erwähnte, wie kontaktscheu sie war, und daß sie allgemein als schwieriger Mensch galt.
„Als meine Frau und ich dann vor zwei Jahren geheiratet haben, bot meine Tante uns an, zu ihr zu ziehen. Seitdem kümmern wir uns gemeinsam um das Anwesen. Wir haben dort ein Zimmer und freie Kost.“
Der Bestattungsunternehmer schrieb fleißig mit, heftete danach die Seiten zusammen und legte sie zu den anderen Unterlagen.
Gemeinsam klärten sie noch einige Details, die Formalitäten der Einäscherung und den Ablauf der Urnenbeisetzung.
„Ich meine, daß wir somit die Angelegenheit besprochen haben.“ Sie erhoben sich, und der Bestatter geleitete Ilka und Martin zur Tür. „Seien sie versichert, daß wir uns um Alles kümmern werden. Ich weiß, wie schwer es in solchen Situationen ist. Verlassen sie sich ruhig auf uns. Sie wissen, wir bieten einen Komplettservice und sie brauchen sich um nichts kümmern. Ist es ihnen morgen recht?“
Auf der Heimfahrt sprachen sie nicht miteinander. Die Stimmung war bedrückt und jeder hing eigenen Gedanken nach.
Martin lenkte den Wagen über die lange Zufahrt und parkte vor den breiten Stufen des Portals. Sie durchquerten die Eingangshalle und betraten den weiten Wohnbereich mit seiner breiten Glasfront, durch die man auf die Terrasse und in die parkähnliche Gartenanlage blicken konnte.
„Sei mir nicht böse.“ Ilka sah Martin bittend an. „Ich möchte bis morgen in meinem Zimmer bleiben.“ Er nickte und seine Blicke folgten ihr, als sie den Raum verließ.
Martin fühlte sich wie gelähmt. Auch er hatte Angst vor dem kommenden Tag. Die Stille im Haus wirkte bedrückend.
Bis feste Schritte, und eine energische, hohe Stimme die Ruhe zerschnitt.
„Wo seid ihr den ganzen Tag gewesen?“
Martin wirbelte herum und zwang sich zu einem liebevollen Lächeln. „Oh, Tante. Entschuldige. Wir haben für morgen Besuch eingeladen. Lass dich überraschen. Du wirst erstaunt sein.“
[ 12.05.2002, 13:06: Beitrag editiert von: Dreimeier ]