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Tanja

Seniors
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03.07.2004
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Tanja

Sie saß mit dem Rücken zu mir am Frühstückstisch. Ihre langen, glatten dunkelbraunen Haare reichten noch über ihre Jeans. Eine so dichte Mähne hatte ich noch nicht gesehen. Ich war fasziniert und wollte die Trägerin unbedingt kennenlernen. Also quetschte ich mich an den anderen Teamern vorbei und setzte mich auf einen freien Platz ihr gegenüber. Wir waren alle im Laufe der letzten Stunden im Ferienlager eingetroffen und hatten jetzt einen Vormittag Zeit, die neuen Teamer kennenzulernen und letzte Einzelheiten zu besprechen, bevor am Nachmittag zweihundert Kinder ins Lager strömen würden. Aber erst einmal hatte ich alle Hände voll zu tun, Milch und Wurst, Müsli, Brötchen und so weiter an meine Nachbarn links und rechts weiterzureichen. Nach einigen Minuten hatten alle bekommen, was sie suchten und wir konnten in Ruhe frühstücken. Endlich kam ich dazu, mein Gegenüber anzuschauen. Sie war wohl noch sehr jung. Neben den ausdrucksvollen Augen fiel mir ihre kleine Nase auf und dann schaute ich erstaunt auf ihre Arme. Auch sie trug das kurzärmelige T-Shirt mit dem Logo des Zeltlagers und dazu Unterarmstulpen. Bei 24 Grad im Schatten. Die Stulpen waren aus dunkelroter Wolle und wohl selbstgestrickt. Jedenfalls reichten sie von den Ellbogen bis über die Handgelenke. Ich glaube, ich saß ziemlich lange mit offenem Mund da und starrte auf diese überlangen Pulswärmer, bis mich meine Nachbarin anstupste: „Mach mal den Mund zu. Ist ja peinlich, wie du auf Tanja starrst.“
„Warum braucht sie diese Dinger? Hat sie Narben oder Verbrennungen?“
„Das soll sie dir selber erzählen.“ Meine Nachbarin wandte sich wieder von mir ab und ich war genauso schlau wie vorher.

Abends ging ich ins Mitarbeitercafé. Aber Tanja - immerhin wusste ich ja nun ihren Namen - war nicht da. Vielleicht hatte sie Dienst und versuchte gerade, die Kinder ihrer Gruppe ins Zelt zu bekommen und für Nachtruhe zu sorgen. Trotz der langen und ermüdenden Fahrt zum Zeltlager waren die meisten Kids am ersten Abend total aufgedreht. Also wartete ich geduldig und unterhielt mich mit mehreren Teamern, die ich schon vom letztjährigen Aufenthalt kannte. Gegen dreiundzwanzig Uhr kam dann auch Tanja, setzte sich mit einem Apfelsaft an den Tisch, an dem ich saß und stöhnte: „Ich brauch nur noch meinen Schlafsack.“ Dabei sah sie mich direkt an.
„Warum trägst du diese Unterarmstulpen? Frierst du an den Armen? Dann wäre ein langärmeliges T-Shirt doch sinnvoller.“
Tanja grinste mich an: „Im Gegenteil, ein T-Shirt würde es noch schlimmer machen.“ Dann schwieg sie.
Ich überlegte hin und her, bis mir eine Idee kam: „Hast du vielleicht empfindliche Haut, dass du den Stoff nicht abkannst?“
„Knapp daneben“, lachte sie. „Eigentlich rede ich nicht gerne darüber.“
Sie schwieg und ich lächelte sie nur an. Schließlich redete sie doch weiter: „Ich habe Neurodermitis und diese Wollschoner halten mich davon ab, mich zu kratzen, wenn es juckt.“
„Ich frage mich, ob man dir irgendwie helfen kann?“
„Am besten lenke ich mich ab. Deshalb bin ich hierhergekommen. Ich hoffe, so beschäftigt zu sein, dass ich den Juckreiz vergesse. Das schaffe ich in der Schule auch öfter, besonders bei Klassenarbeiten.“
„Dass Du noch zur Schule gehst, habe ich mir gedacht. Verrätst du mir auch, wie alt du bist?“
„Eigentlich bin ich viel zu müde für Smalltalk. Ich will ich jetzt wirklich in mein Zelt, aber na gut. Wenn du mir verrätst, wie du heißt und wie alt du bist, gebe ich dir vielleicht eine Antwort.“
Ich wurde knallrot. Da war ich so darauf bedacht gewesen, meine Fragen loszuwerden, dass ich mich nicht einmal vorgestellt hatte. „Ich heiße Lars, bin neunzehn Jahre alt und habe im Frühjahr mein Abitur gemacht. Nach den Sommerferien beginne ich ein Ingenieurstudium in Wuppertal.“ Das brachte ich hervor, als ob ich mich bei einem Personalchef vorstellte.
„Danke. Ich gehe in die zwölfte Klasse und bin siebzehn Jahre alt. Wie ich heiße, weißt du ja schon. Nun eine gute Nacht.“ Tanja stand auf und verließ das Café, bevor ich irgendwie reagieren konnte.

Tanja blieb die Nacht in meinen Gedanken und ich kam auf die Idee, ihr über ihre Krankheit näher zu kommen. Ich war damals sehr schüchtern und hatte kaum engere Erfahrungen mit Mädchen. Am nächsten Tag stöberte ich deshalb in der Lagerbücherei, um mich schlau zu machen und fand tatsächlich im Medizinlexikon einen Artikel über Neurodermitis. Da stand auch, dass sie bei den meisten Kindern während der Pubertät verschwindet. Das brachte mich ins Grübeln. Tanja hatte ihre Pubertät mit siebzehn Jahren doch sicher hinter sich. Dass sie mir so kindlich erschien, lag wohl an ihrer Stupsnase und den weichen Gesichtszügen. Gerade das zog mich ja auch an, denn vor älteren Mädchen hatte ich eine Heidenangst - warum auch immer. Aber jetzt erfuhr ich aus dem Buch, dass es wohl einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und den körperlichen Veränderungen in der Pubertät gab. In dem Artikel wurde auch kurz erwähnt, dass psychische Faktoren den Juckreiz beeinflussen könnten. Ich überlegte, ob körperliche Nähe - ich scheute mich, das Wort Sex auch nur zu denken - eine Besserung bewirken würde.
Abends kam Tanja recht früh ins Café und noch bevor sie sich hinsetzte, fragte ich sie: „Wollen wir an den See gehen? Der Mond scheint und ich möchte mich in Ruhe mit dir unterhalten.“
Tanja schien nicht gerade begeistert, meinte dann aber: „Wenn es beim Reden bleibt, meinetwegen.“
Der runde Mond stand über dem See, der von innen zu leuchten schien. Ich hatte eine Decke mitgenommen, wir setzten uns auf den Sand am Seeufer und schwiegen eine Zeitlang. Dann fing ich an: „Ich habe in der Bücherei einiges nachgelesen und jetzt frage ich mich, ob der Juckreiz bei dir durch Streicheln eingedämmt werden könnte.“
Tanja schwieg und schaute zu Boden. Dann meinte sie leise: „Ich weiß auch, dass der Juckreiz bei den meisten Betroffenen mit der Pubertät aufhört. Ich komme aus einer gläubigen katholischen Familie und ich habe keinen Freund. Ich bin auch nicht bereit zu irgendwelchen Experimenten vor der Ehe. Aber wenn du mir versprichst, nur zu streicheln, ohne weitere Versuche, mir näher zu kommen, können wir es ja mal ausprobieren.“
„Setz dich bitte vor mich, dann komme ich an deinen Rücken, ohne dass wir uns verrenken.“
Ich spreizte meine Beine, Tanja lachte nervös und setzte sich zögernd auf die Decke. Vorsichtig begann ich meine Hände mit kleinen kreisenden Bewegungen über ihren Rücken zu führen. Ich merkte, dass sie ängstlich war und wohl sogar überlegte, fortzulaufen. Sie hatte sich nach vorne gebeugt und zwischen T-Shirt und Jeans war ein schmaler Streifen nackter Haut zu erkennen. In der Tanzstunde war ich schon Mädchen so nahe gekommen. Aber die dufteten alle derart intensiv nach „My Melody“, dass ich eher zurückschreckte. Auch Tanja konnte ich deutlich riechen, ich begann sogar, leise zu schnuppern, denn ihr Duft machte mich richtig an. Ich wollte mehr, wollte meine Hände unter ihr T-Shirt schieben und mich dann langsam nach vorne arbeiten. Ich war froh, dass zwischen uns genügend Abstand war, denn meine Vorstellung von schwellenden Brüsten, die sich in meine Hände schmiegten, führte zu heftigen Reaktionen. Dadurch wachte ich aber auch aus meinen Tagträumen auf und konnte mich so gerade zurückhalten, meine Phantasien umzusetzen.
Nach zehn Minuten Rückenmassage seufzte Tanja leise und meinte: „Vielen, vielen Dank. Ich habe tatsächlich keinen Juckreiz mehr gespürt. Jetzt möchte ich aber schlafen gehen.“ Sie stand schnell auf und lief zum Lager zurück, während ich gemütlich zu meinem Zelt schlenderte. Wie fühlte ich mich? Ich freute mich, weil ich ihr helfen konnte. Aber ich war auch frustriert, weil ich lieber viel mehr mit ihr unternommen hätte.
In den folgenden Tagen schaute ich immer wieder heimlich auf Tanjas Oberkörper. Ihre kleinen Brüste zeichneten sich deutlich ab und ich war mir inzwischen sicher, dass sie keinen BH unter ihrem T-Shirt trug. Ich erinnerte mich, dass mein Freund Dieter mal von einem „frustrierenden Rührmichnichtan“, erzählt hatte. Es gab doch gewiss andere Mädchen unter den Teamern, die nicht so abweisend waren. Außerdem war Tanja noch nicht volljährig, also sollte ich mich lieber weiter zurückhalten. Dass ich in der Nacht von langen Haaren träumte, die über aufregende Brüste flossen, trug nicht zu meiner guten Laune bei. Meine Versuche, mit anderen Teamerinnen anzubandeln, blieben auch erfolglos. Ich bekam den Eindruck, dass alle einen festen Freund und kein Interesse an einem kleinen Abenteuer hatten. Also schlug ich Tanja immer mal wieder vor, abends an den Strand oder auf die Wiese zu gehen. Dort durfte ich dann ihren Rücken massieren, bis sie wieder seufzte, sich bedankte und schnell entschwand. Dabei redeten wir kaum miteinander. Sie wollte offensichtlich nicht mehr von sich erzählen und sie gewährte mir auch keine weiteren Erkundungen an ihrem Körper. Ich war hin- und hergerissen. Sollte ich einfach die Initiative ergreifen? Was würde denn schon geschehen, wenn ich ihre nackte Haut streichelte? Als Sittenstrolch würde sie mich doch wohl kaum anschwärzen. Aber immer, wenn ich genügend Mut gefasst hatte und weitergehen wollte, entschwand Tanja. Als ob sie merkte, dass ich ihr näher kommen wollte.
Beim Abschied am letzten Tag meinte sie nur: „Ich werde nächstes Jahr wiederkommen. Vielleicht sehen wir uns ja wieder.“ Meine Adresse wollte sie nicht haben und ihre hatte ich auch nicht bekommen.

Ich begann dann mit dem Studium und lernte neue Freunde kennen. Auf Partys und Uni-Feten tanzte ich mit vielen Studentinnen, es kam auch mal zu Knutschereien auf der Tanzfläche oder in dunklen Ecken, aber viel mehr gelang mir nicht. Die Erzählungen der Kommilitonen über ihre Eroberungen mochte ich mir gar nicht anhören. Sie schienen sich nur für ihre eigene Lust zu interessieren und nicht für die Gefühle der Mädchen. Über meine Träume, einen weichen Busen oder samtige warme Haut zu streicheln, sprach ich mit niemandem.
Einmal besuchte mich Rita, eine Mitstudentin, um mit mir für eine Klausur zu lernen. Sie schien Jungs gegenüber recht offenherzig zu sein und so merkte sie wohl auch, dass ich ihr recht verklemmt begegnete. Jedenfalls fragte sie mich plötzlich: „Hast du schon viele nackte Mädchen gesehen?“
Ich wurde knallrot und stotterte: „Eigentlich - eh - eher - eh – nicht.“
„Aber nur gucken“, lachte Rita und zog sich mit wenigen Handgriffen splitternackt aus. Dann legte sie sich auf den Fußboden und meinte: „Schau dir ruhig alles genau an.“ Als sie dann langsam ihre Beine spreizte, drohte ich zu explodieren. Wahrscheinlich hatte sie auf diesen Moment gewartet, denn flugs sprang sie auf, zog sich wieder an, gab mir ein Küsschen auf die Wange und verschwand. In der Nacht träumte ich von einer nackten Tanja, die am Strand lag und mich verträumt anlächelte.

Ein Jahr später setzte ich mich am ersten Abend im Ferienlager zu Tanja an den Tisch. Als Tourenbegleiter war ich bei den Mahlzeiten keiner bestimmten Gruppe zugeteilt. Tanja begrüßte mich freundlich, nahm aber sonst keine Notiz von mir. Stattdessen unterhielt sie sich mit ihrer Nachbarin. „Ist sie eine Neue?“, platzte ich schließlich in ihr endlos scheinendes Gespräch.
„Ich heiße Jaqueline und ich komme aus Montpellier mit einer Schüleraustauschgruppe.“
„Alles klar oder hast du noch Fragen?“ Tanja schaute mich eigenartig an, irgendwie mitleidig. Aber dann warf sie noch etwas ein: „Jaqui hat auch Neurodermitis und wir wollen mal ausprobieren, ob wir auch miteinander den Juckreiz angehen können.“
„Gegenseitig wegstreicheln?“, flapste ich, erhielt aber keine Antwort. Plötzlich machte mir der Sommer keinen Spaß mehr. Wir blieben weiter Freunde. Nur Freunde und meistens aus der Ferne, bedauerte ich mich. Eines Abends sah ich Tanja am See und setzte mich neben sie. Sie blieb auch sitzen. „Jaqui hat Nachtdienst bei ihrer Schülergruppe. Ich bin jetzt in die letzte Klasse gekommen. Es ist schwer, aber ich muss ein gutes Abitur machen.“
„Möchtest du Medizin studieren und ein Mittel gegen Neurodermitis finden?“
„Nein und Ja, ich habe mich für Pharmazie entschieden. Aber da brauche ich nicht nur Latein, sondern auch gute naturwissenschaftliche Kenntnisse. Ein Privatleben hatte ich in den letzten Monaten gar nicht. Deshalb möchte ich mich in diesen zwei Wochen erholen und keinesfalls mit Problemen und Konflikten auseinandersetzen. Also sei lieb und nimm es hin, dass alles so bleibt wie im letzten Jahr.“
„Wenn es so bleibt, bin ich ja beruhigt. Nächstes Jahr kann sich hoffentlich eine neue Situation ergeben. Und wo Jaqueline jetzt nicht hier ist, kann ich dich doch streicheln.“
Tanja rückte ein wenig von mir ab und meinte: „Lass mich erst einmal weiter erzählen. Bitte höre mir einfach zu. Es fällt mir so schon schwer, aber ich habe gemerkt, dass du auch ein zurückhaltender Mensch bist und ich hoffe, du kannst mich verstehen.“
Ich schaute sie mit großen Augen an und brachte kein Wort hervor. Sie klang, also ob sie mir sagen wollte, unsere Beziehung sei am Ende. Aber sie hatte ja noch gar nicht begonnen. Was war los? „Bist du krank?“ platzte ich heraus.
Nun lachte Tanja doch wieder. „Entschuldige, es ist gar nichts Dramatisches, aber mich beschäftigt, was ich erlebt habe. Ich war nämlich vor zwei Wochen bei meiner Frauenärztin und sie fragte mich am Schluss, ob ich Probleme hätte. Da erzählte ich ihr von dir und dem Streicheln und dass du gerne mehr wolltest, ich mich aber nicht traute. Die Ärztin meinte dann, dass körperliche Nähe zwar helfen könnte, aber die Erfolgsaussichten wohl doch recht vage seien.
Ich erzählte ihr, dass ich tatsächlich an den Streichel-Abenden keine Beschwerden bis zum Morgen hatte. Aber ich hatte ja gemerkt, dass du gerne noch weitergegangen wärst und fragte die Ärztin, wie ich mich verhalten sollte. Sie meinte dann, es gebe immer mal Berichte, dass sexuelle Erfahrungen die Neurodermitis erfolgreich beendet hätten. Aber es handele sich dabei eher um Artikel aus der Bravo und nicht um wissenschaftliche Arbeiten. Dann meinte sie, dass die seelischen Wirkungen entscheidender seien als der körperliche Aspekt. Ich verstand das nicht und fragte sie, was sie damit meine und sie erklärte mir, dass eine anhaltende vertrauensvolle Partnerschaft und Lebensgemeinschaft sich viel stärker auf hormonelle Prozesse auswirke als ein ohnehin nicht lange dauernder Geschlechtsverkehr, der eher zu Schuldgefühlen oder Verlustängsten führen könne.
Und deshalb habe ich beschlossen, hier eine deutliche Grenze zu ziehen. Ich weiß nicht, wie gut ich dir widerstehen kann, wenn du mich streichelst. Also sei mir bitte nicht böse, aber da wir beide keine ernsthafte Beziehung wollen, lass uns lieber ohne körperliche Nähe Freunde bleiben “
Ich nickte nur stumm und wir gingen beide ins Zeltlager - ohne Händchenhalten und ohne Abschiedsküsschen.
Als ich mich in meinen Schlafsack verkroch, nahm ich mir vor, mich doch um irgendein anderes Mädchen zu bemühen, auch wenn alle vergeben schienen. Aber dann träumte ich erneut von einer nackten Tanja, die vor mir davonlief und mir wurde klar, dass ich es nicht schaffen würde, Tanja oder ein anderes Mädchen für ein sexuelles Abenteuer zu gewinnen.
Am letzten Abend sah ich zwei Mädchen am See miteinander knutschen. Aber sie saßen so ineinander verschlungen auf dem Sand, dass ich nicht erkennen konnte, ob es vielleicht Tanja und Jaqui waren. War ich etwa eifersüchtig? Ich konnte einfach nicht von Tanja freikommen, obwohl ich keinen Schritt weitergekommen war. Beim Abschied freute ich mich noch auf unser Wiedersehen im kommenden Jahr. Aber wir sahen uns nach diesem Sommer nicht mehr.

Im Herbst erhielt ich den Einberufungsbescheid und so konnte ich am Sommerlager nicht teilnehmen. Im Jahr darauf war Tanja nicht zum Lager gekommen und niemand konnte mir etwas über sie sagen. Für mich war sie spurlos verschwunden, aber ich hatte auch keine Zeit mehr, ins Ferienlager zu kommen und ich unternahm auch keine besonderen Anstrengungen, nach ihr zu suchen. Schließlich hatte ich nicht einmal ihre Adresse, ihren Nachnamen oder gar ihr Geburtsdatum. Die Lagerleitung würde mir sicher nicht helfen, nach dem Motto: „Wenn du die Daten nicht bekommen hast, sollst du sie auch nicht haben.“

Jetzt arbeite ich als Elektroingenieur im Ruhrgebiet. Ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet, habe drei Kinder und eine wunderbare Ehefrau. Wir wollen in diesem Sommer mit den Kindern in mein altes Ferienlager fahren. Die bieten nämlich inzwischen auch Familienfreizeiten an und die Kinder werden langsam erwachsen, so dass es ist vielleicht der letzte Sommer ist, an dem wir zusammen als Familie Urlaub machen können.
Die bevorstehende Fahrt weckte auch meine Erinnerungen an Tanja. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich nicht mit anderen Mitteln zum Ziel gekommen wäre. Beim Nachsinnen über diese lange zurückliegende Zeit dachte ich auch an meinen weiteren Lebensweg. Am Ende meines Studiums hatte ich wechselnde Mädchenbekanntschaften. Wir gingen zusammen in die Kiste, vergnügten uns und trennten uns wieder, ohne Bedauern, ohne Komplikationen. Ich spürte auch kein Mal das Verlangen den Körper meiner Partnerin zu erforschen. Streicheln und Knutschen diente der gezielten Vorbereitung, besonders auf den gewünschten Orgasmus. Heute sind Sexualität und Nacktheit keine Tabuthemen mehr. Man kann über alles offen und unverblümt reden. Da ist nichts Geheimnisvolles, Unbekanntes mehr. Und das stimmt mich eher traurig. Mir wurde dann aber auch deutlich, dass die Tage mit Tanja meinen Wunsch, auf Entdeckungsreise zu gehen, nicht befriedigt haben. Ich sehnte mich weiter nach dieser intensiven emotionalen Nähe, bis ich sie bei einem anderen Mädchen fand. Unsere Kommilitonen belächelten uns, weil wir immer miteinander turtelten, uns streichelten und küssten. Aber wir waren glücklich und zufrieden und sind es heute noch.
Gestern bekam ich einen Brief von einer Löwen-Apotheke in einem kleinen Ort in Niedersachsen. „Sicher Werbung“, dachte ich. „Aber aus Niedersachsen und mit handschriftlicher Adresse?“
Ich öffnete den Brief und nahm die Doppelkarte heraus. Das Foto auf der Vorderseite zeigte mein Ferienlager in einer schönen Luftaufnahme, die ich noch nicht kannte. „Eine Begrüßung, weil wir dorthin fahren!?“
Ich öffnete die Karte:
„Lieber Lars,
vor fünfundzwanzig Jahren sind unsere Wege nach dem Ferienlager auseinandergelaufen. Wir freuen uns deshalb sehr auf unser Wiedersehen und das Kennenlernen deiner Familie.
Für das Leitungsteam
Jaqueline und Tanja.“

 

Hallo jobär

Mir gefallen solche Erinnerungen an die Jugendzeit sehr. Und deine Geschichte hat alle Zutaten, die es dafür braucht. Vor allem diese Mischung aus „Helfen-wollen“ und „Näher-kommen-wollen“ fand ich gut, das ist rührend und macht den Prot sympathisch. Wie’s halt so ist als Teenie. Und dann die zarte Schwärmerei, die unbeholfenen Versuche. Und wie es am Ende rauskommt. Also, die Grundidee der Geschichte gefällt mir wirklich gut.

Weniger anfreunden kann ich mich mit der Ausführung. Mir ist vieles zu explizit, vor allem auch in den Dialogen. So nimmst du alles Geheimnisvolle aus der Geschichte raus. Als Beispiel: Kurz nachdem die Armstulpen erwähnt werden, werden sie sogleich als Hautschützer bezeichnet. Da kommt dann auch keine Überraschung mehr. Da könnte man doch noch etwas damit spielen. Versteckt sie eventuell Narben?

Zweites Beispiel: Der Dialog über die Neurodermitis und die anschliessende Recherche. Das ist alles so abgeklärt-rational. Erklärung und Aufklärung. Über die Krankheit, über das Alter, wie die beiden heissen. In welche Klasse sie gehen. Also, diese Begegnung hatte für mich zu wenig Zauber, das liest sich fast so, wie wenn sich zwei Arbeitskollegen vorstellen. Die Dialoge sind mir da nicht authentisch genug, zu wenig verspielt.

(Viel besser hat mir diesbezüglich gefallen, wie du die Beziehung von Tanja und Jaqueline im Dunkeln lässt. Der Prot sieht ein Paar, das sich küsst, weiss aber nicht, ob es die beiden sind. Das fand ich in dieser Hinsicht die stärkste Passage im Text.)

Drittes Beispiel: Das Streicheln. Dass er diese Idee hat, ist ja witzig. Aber wie er das dann vorbringt:

„Ich habe in der Bücherei einiges nachgelesen und jetzt frage ich mich, ob der Juckreiz bei dir durch Streicheln eingedämmt werden könnte.

Das nenne ich mal mit der Tür ins Haus fallen. Das könnte sich doch organischer, natürlicher, aus der Situation heraus ergeben. Vielleicht dass er zuerst die (Ober)-arme berührt und sie fragt, was das solle und er fragt, ob der Juckreiz nachlasse. Und sie fragt, weshalb? So in die Richtung.

Ein Problem habe ich mit dem auktorialen Einschub. Wer erzählt uns diese Geschichte? Du schaffst hier eine zweite Erzählinstanz, die die ganze Erzählsituation prekär macht. Als Leser lasse ich mich ganz auf den Ich-Erzähler ein und dann kommt plötzlich dieser Einschub und unvermeidlich muss ich an den Autor denken, was ich in dieser Situation in dieser Form nicht möchte. Das hat für mich nicht funktioniert.

Jetzt habe ich viel gemeckert. Aber ich denke, in dieser Geschichte steckt viel drin. Ich wünschte sie mir einfach noch etwas atmosphärischer, emotionaler.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber jobär,

ich habe deine Geschichte gelesen und möchte dir gerne eine Rückmeldung geben. Da spielt sich etwas ab, was ich leider nur von außen erlebe: Die Innenseite deiner Personen bleibt mir verschlossen. Selbst der Ich-Erzähler lässt nicht zu, dass seine Gefühle wirklich zum Thema werden. Möglicherweise ist der Satz

-ich scheute mich, das Wort Sex auch nur zu denken
,

gesprochen von einem Neunzehnjährigen der Schlüssel zum Verständnis der Gedankenwelt deiner Protagonisten. Da schwingt so etwas wie Begehren mit, wird aber nur zaghaft thematisiert und auch der Autor wagt sich nicht an das Thema ran, lässt Tanja sagen:

Ich komme aus einer gläubigen katholischen Familie und ich habe keinen Freund. Ich bin auch nicht bereit zu irgendwelchen Experimenten vor der Ehe. Aber wenn du mir versprichst, nur zu streicheln, ohne weitere Versuche, mir näher zu kommen, können wir es ja mal ausprobieren.“

Deine Geschichte spielt vermutlich in den Sechzigern, kurz bevor der Kinsey-Report Deutschland erreichte und Oswalt Kolle mit seinen ‚Aufklärungsfilmen’ eine nach außen asexuelle Gesellschaft allmählich zu entstauben begann. Nur so kann ich das Verhalten des Ich-Erzählers und Tanjas einordnen. Denn dass da unter der Oberfläche etwas mit ihnen passiert, deutest du ja an:

Dass ich in der Nacht von langen Haaren träumte, die über aufregende Brüste flossen, trug auch nicht zu meiner guten Laune am nächsten Tag bei.
„Jaqui hat auch Neurodermitis und wir wollen mal ausprobieren, ob wir auch miteinander den Juckreiz angehen können.“
„Gegenseitig wegstreicheln?“, flapste ich, erhielt aber keine Antwort.

So erscheint mir deine Geschichte unterm Strich wie ein Zeitgemälde, das allerdings recht unreflektiert nur die Oberfläche ankratzt, deshalb aber nicht weniger aussagekräftig ist. So war das damals eben: Man sprach nicht über Sexualität und wenn, dann nur in Andeutungen. Allerdings verstehe ich nicht, warum der Ich-Erzähler nach dieser langen Zeit in seiner Darstellung immer noch so behutsam mit dem Thema umgeht, als hätte er immer noch nicht gelernt, auszusprechen, was eigentlich gemeint ist.

Zu den Aussagen über Neurodermitis kann ich mich nicht äußern. Ich kenne mich nicht damit aus, aber das erscheint mir auch nicht wirklich wichtig für mein Verständnis deiner Geschichte.

Ein paar Anmerkungen noch:

Ihre langenK glatten dunkelbraunen Haare reichten noch über ihre Jeans. Eine so dichte und lange Mähne hatte ich noch nicht gesehen.
Einmal ‚lang’ reicht.

Sie war wohl noch sehr jung,(.) Neben

Meine Nachbarin wandte sich wieder von mir ab und ich war genauso schlau (war) wie vorher.

Vielleicht hatte sie Dienst und versuchte gerade, die Kinder ihrer Gruppe ins Zelt und ruhig zu bekommen.

Natürlich kann man beides auf bekommen beziehen, aber so finde ich es sprachlich nicht schön,

Gegen dreiundzwanzig Uhr kam dann auch Tanja, setzte sich mit einem Apfelsaft an den Tisch, an dem ich auch saß und stöhnte

Aber ich hielt mich energisch zurück, ihre Haut zu berühren oder gar (mit der Hand) unter ihr T-Shirt zu schlüpfen.

die nicht so zurückhaltend waren. Außerdem war Tanja noch nicht volljährig, also sollte ich mich lieber weiter zurückhalten.

dass er gerne noch weiter gegangen wäre.
weitergegangen

Ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet, habe drei Kinderund eine wunderbare Ehefrau.

Lieber jobär, deine Geschichte kommt mir vor, wie ein Schwarz-Weiß-Bild aus den Sechzigern. Ihre Stärke sehe ich deshalb vor allem in ihrem dokumentarischen Charakter.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Peeperkorn barnhelm

Wahnsinn, zwei so inhaltsschwere Kritiken. Ich bin begeistert, aber auch ein wenig frustriert. Ich bereite mich gerade auf eine fünftägige Reise vor, die mir auf den Magen schlägt, weil ich nicht weiß, ob alles gut geht. Deshalb werde ich erst später auf eure Vorschläge und Anmerkungen eingehen können. Aber beim Überfliegen sind mir schon einige Ideen gekommen.

Liebe Grüße

Jobär

 

Lieber Peeperkorn, liebe barnhelm,

ein halbes Jahr ist nun vergangen, aber nachdem ich gemerkt habe, dass ich nicht weiter kam mit dieser Geschichte, habe ich mich selbst überredet, keine neuen Geschichten zu veröffentlichen, bevor ich die alten Kritiken nicht verarbeitet hätte. Wir ihr seht, hat das sehr lange gedauert.

Aber ich habe den auktorialen Einschub umgebaut zu einer Erzählung von Tanja und ich habe versucht, die Szenen auszubauen. Ich hoffe, dass etwas mehr Stimmung rüberkommt.

Liebe Grüße

Jobär

 

Lieber jobär,

leider kann ich mich an die erste Version nicht mehr so recht erinnern. Allerdings bleibt der Eindruck, den ich damals hatte:

So erscheint mir deine Geschichte unterm Strich wie ein Zeitgemälde, das allerdings recht unreflektiert nur die Oberfläche ankratzt, deshalb aber nicht weniger aussagekräftig ist. So war das damals eben: Man sprach nicht über Sexualität und wenn, dann nur in Andeutungen. Allerdings verstehe ich nicht, warum der Ich-Erzähler nach dieser langen Zeit in seiner Darstellung immer noch so behutsam mit dem Thema umgeht, als hätte er immer noch nicht gelernt, auszusprechen, was eigentlich gemeint ist.
Auch heute bin ich hin- und hergerissen in meiner Bewertung: Einerseits ist das natürlich der Stil der Zeit, die Dinge nicht beim Namen zu nennen, andererseits bringt mir der Autor so die Personen, ihre Gefühle und Begierden nicht wirklich nahe. Zu erahnen, was gemeint ist, bleibt die Aufgabe des Lesers. Mich, die ich diese Zeit erlebt habe, erreichst du, weil mir diese indirekte Art, über Liebe und Sexualität zu reden, bekannt ist. Ob heutige junge Menschen erfassen können, was sich da gefühlsmäßig abspielt, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Und vermutlich fehlt mir auch immer noch das, was Peeperkorn in seinem Kommentar anspricht:

Peeperkorn schrieb:
Ich wünschte sie mir einfach noch etwas atmosphärischer, emotionaler.

Der Text liest sich für mich immer noch eher wie ein Bericht, in dem der Ablauf der Ereignisse recht nüchtern dargestellt wird, nicht wie der Rückblick eines gereiften Mannes, der sich an das Hin und Her seiner Emotionen und Sehnsüchte, aber auch seiner Hemmungen als junger Mann erinnert. Hier fehlt mir ein bisschen Selbstreflexion.

Noch ein paar Kleinigkeiten:

ich begann sogar, leise zu schnuppern, denn ihr Duft turnte mich geradezu an.

Das ‚turnte’ passt nun wirklich nicht in diesen Zusammenhang und auch nicht zur Diktion der damaligen Zeit.

„Entschuldige, es ist gar nichts dramatisches,
nichts Dramatisches

und fragte die Ärztin, wie ich mich (v)erhalten sollte.

Ich konnte einfach nicht von Tanja frei kommen, obwohl ich keinen Schritt weiter gekommen war.
MMn: freikommen und weitergekommen

Lieber jobär, ich finde es anerkennenswert und es ehrt dich, dass du dich noch einmal an deinen Text gemacht hast. Das fällt uns ja oft recht schwer und man hat nach einer gewissen Zeit kaum noch die Lust dazu.
Ich würde deine Geschichte so stehen lassen, wie sie jetzt ist. Um sie atmosphärisch noch dichter und emotionaler zu gestalten, müsstest du sie mMn sprachlich und auch inhaltlich ganz neu angehen und gestalten. Aber damit würde ich mir Zeit lassen. Irgendwann hast du vielleicht einen ganz anderen Zugang zu dem dargestellten Geschehen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Liebe barnhelm

die Geschichte spielt wohl eher in den siebziger Jahren, als die sexuelle Revolution in der Stadt schon fröhliche Urständ feierte, aber noch nicht überall angekommen war. Ich habe es zwar nur angedeutet, aber die Geschichte ist in einer ländlichen katholisch geprägten Gegend angesiedelt.

Ich habe jetzt den Schluss noch erweitert und hoffe, dass so die Entwicklung des Prot etwas deutlicher wird. Dass die Geschichte von Jugendlichen nicht so recht verstanden wird, kann sein. Ich hatte mir aber vorgestellt, dass sie diese fremde Welt durch die zurückhaltende Geschichte kennenlernen könnten.

Danke für die Fehlersuche, ich habe die Lapsi korrigiert.

Liebe Grüße

Jobär

 

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