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Tamaras ungewöhnlichster Weg nach Hause
Tamaras ungewöhnlichster Weg nach Hause
von Anja Albus
Aufgeregt schlenderte Tamara über die Straße, die zu dieser Uhrzeit fast menschenleer vor ihr lag. „Endlich Sommerferien“ kam es ihr in den Sinn. „Jetzt nur noch heim und den Schulranzen in die Ecke, dann ab ins Schwimmbad.“ Ihr Blick wanderte zum Himmel, doch die warme Sonne blendete sie so sehr, dass sie ihre Hände zum Schutz an die Stirn nehmen musste, um dort oben überhaupt irgend etwas erkennen zu können. Es war erst Ende Juni, doch der Sommer zeigte sich bereits von seiner schönsten Seite mit traumhaftem Sonnenschein und strahlend blauen, wolkenlosen Himmel.
Eine leichte Briese wehte über ihre braungebrannte Haut und ließ ihre lange, blonde Haarmähne sanft über ihr hübsches, mit Sommersprossen übersätes Gesicht streichen. Sie nahm die Hände von der Stirn und wischte sich die, wie sie sie nannte, Fransen aus dem Gesicht. Würde es nach ihr gehen, ließe sie sich die blöden Haare sowieso abschneiden denn sie hasste die morgendliche Prozedur des Kämmens. Doch ihre Mutter war strickt dagegen und so musste sie wohl oder übel mit den langen Haaren umgehen. Sie ärgerte sich oft darüber und im Geheimen hatte sie schon lange beschlossen, die Zotteln abzuschneiden, wenn sie alt genug dafür war, es selbst zu entscheiden. Doch mit neun Jahren musste man noch auf die Mutter hören und wenn die eben entschied, die Haare bleiben dran, dann war das halt so.
So tief in ihre Gedanken versunken, bemerkte das Mädchen beinahe nicht den kleinen Hund, der plötzlich ihren Weg kreuzte. Erst, als es schon zu spät war, erblickte sie das Tier vor sich, doch im gleichen Moment stieß sie bereits mit dem Fuß dagegen, so dass sie einen Sprung zur Seite machen musste, um nicht auf das harte Pflaster zu stürzen.
„Kannst du nicht aufpassen?“ Eine Stimme wanderte durch Tamaras Kopf und verwirrt schaute sie sich um, um zu sehen, wer sie da sofort angemeckert hatte.
„Immer diese Gören, können nicht sehen, wo sie hintreten“
Wieder diese tiefe und gleichzeitig kratzige Stimme. Ihr Blick hatte die Runde beendet und festgestellt, dass außer dem Hund niemand sonst in ihrer Nähe stand. Verwirrt schaute sie auf das Tier nieder, glaube schon, ihr Verstand würde ihr einen Streich spielen, doch bald hörte sie in ihren Gedanken erneut die Stimme: „Was schaust du mich so an, wohl noch nie einen streunenden Hund gesehen? Dumme Kleine, mit euch ist es doch immer das selbe!“
Tamara sprach kein Wort, setzte jedoch verängstigt einen Fuß nach hinten und wich zurück.
„Brauchst wohl keine Angst vor mir zu haben, gib mir ein Stück Wurst und die Sache ist vergessen!“ hallte es erneut durch ihren Kopf.
„Ich habe keine Wurst“ entgegnete sie spontan und dieses mal war es der Hund, der verwirrt dreinzuschauen schien. Auch er ging nun einige Schritte rückwärts, ließ das Kind dabei jedoch nicht aus den Augen und schaute misstrauisch zu ihr empor.
„Aber Hallo! Das ist sehr schade, dass du keine Wurst hast, ich habe nämlich Bärenhunger! Nun, da wohl von dir nichts zu erwarten ist, gehe ich jetzt besser meiner Wege, schließlich muss ich noch irgendetwas Essbares auftreiben, vielleicht probier ich es mal beim Metzger auf der anderen Straßenseite.“
Tamaras Blick wich nicht von dem Tier, wie versteinert schaute sie es an, ungläubig darüber, ob sie sich alles nur einbildete, oder ob sie wirklich gerade die Gedanken des Hundes gehört hatte. Der Köter jedenfalls kümmerte sich nicht weiter um sie, drehte seinen Körper mit dem struppigem Fell herum und ohne einen weiteren Augenblick zu verweilen, schlenderte er auf die gefahrvolle Straße zu. Er verließ den Bürgersteig, würdigte dabei die Autos keines Blickes und rannte stur über die Fahrbahnen hinweg.
Tamara schaute ihm hinterher, bis sie ihn hinter der nächsten Straßenecke aus den Augen verlor. Dann schüttelte sie verwirrt den Kopf und trottete langsam in die andere Richtung davon. Obwohl ihr die ganze Sache immer noch unheimlich erschien, wanderten ihre Gedanken bald, wie ihr es schien, auf „wichtigere“ Ereignisse hin. Sie sah sich bereits in das kühle Nass des Schwimmbades springen und schnell waren alle Gedanken an sprechende Hunde vergessen.
„Heeeee du! Haloooo!“ Eine piepsige Stimme drang an Tamaras Ohr „Schau doch einfach mal hiiiiierheeeeeer!“
Tamara blickte sich verwirrt um. Niemand da.
„Hu,hu, ich bin hier unten, sieh doch, hiiiiiier bin ich!“
Erneut wanderte Tamaras Blick umher, doch verwirrt stellte sie fest, dass sie alleine war. „Hallo“ hörte sich das Kind sprechen, „Wer ist denn da?“
„Ich bin hier uuuuuuunten! Schau heraaaaab!“
Tamara sah nun zu ihren Füßen und erschrak. Dort saß eine Maus und blickte sie mit ihren stecknadelgroßen, schwarzen Augen freundlich an. Verwirrt erwiderte das Mädchen den Blick und ungläubig fragte sie: „Hast du mit mir gesprochen? Oder bin ich jetzt total verrückt geworden?“
„Natürlich war ich das!“ entgegnete die Maus, ohne jedoch dabei das kleine, spitze Maul zu öffnen. „Ich habe dich eben mit dem Hund sprechen hören und da dachte ich mir, es wäre wohl ganz interessant, mal einige Worte mit einem Menschen zu wechseln, schließlich hat man nicht so oft Gelegenheit dazu!“
„Da spielt mir doch jemand einen Streich“ rief Tamara laut auf, „Es muss ein Trick dahinter sein.“
Erneut schaute sie umher, suchte nach ihren Freunden, die schon in der Schule damit gedroht hatten, ihr diesen Sommer einen Streich zu spielen, doch sie erkannte schnell, dass sie sich allein auf der Straße befand. Nur ein unbekannter Passant kreuzte kurz ihren Weg, dann stand sie wieder verlassen vor der Maus. „Tom? Bist du das? Komm raus, das find ich nicht witzig!“ rief sie empört
„Ich heiße aber nicht Tom“ entgegnete die Maus, „aber witzig kann ich auch sein! Wenn du möchtest, erzähl ich dir mal den Witz mit dem Häschen, dass in einem Geschäft unbedingt Löschpapier kaufen will! Soll ich? Soll ich?“
Wieder wanderte Tamaras Blick ungläubig auf die kleine braune Maus hernieder. „Vielleicht später einmal“ rief sie „aber jetzt muss ich erst nachhause, meine Oma wartet dort schon auf mich!“
„Das ist aber schade.“ Traurig ließ die Maus ihren Kopf sinken. „Und ich dachte, ich könnte dir mal was wirklich witziges erzählen, aber wenn du halt keine Zeit hast....!“
„Nein wirklich“, entgegnete Tamara, „vielleicht ein anderes Mal!“
„Na gut, ich bin jeden Tag hier, kannst mich ja besuchen kommen, wenn du Lust hast!“
Noch während die Maus diese Worte sprach, huschte sie zurück in ihr Mauseloch, dass sich ganz in der Nähe, im nächsten Garten unter einem großen Strauch befand.
Auch Tamara trottelte weiter. „Ich komme ganz bestimmt vorbei“, rief sie der Maus hinterher, als würde sie sich von einem alten Freund verabschieden, dann sprang sie schnell die Straße entlang. Noch einmal schaute sie sich um, doch die Maus war bereits verschwunden.
„Jetzt muss ich aber sehen, dass ich schnell nach Hause komme“ dachte sie. „Nur noch an der großen Pferdekoppel vorbei, dann hab ich es geschafft. Vielleicht sollte ich heute doch nicht ins Schwimmbad gehen. Es wird wohl besser sein, wenn ich in meinem Zimmer bleibe.“
Noch immer äußerst aufgeregt bog Tamara im Laufschritt in den breiten, ausgefahrenen Feldweg ein, der zu dem Haus ihrer Großmutter führte. Dort wohnte ihre ganze Familie, mitten zwischen grünen Wiesen und duftenden Feldern.
Bald beruhigte sich das Kind wieder etwas und ihre gute Laune kehrte zurück. Sie ließ den Mittel- und Zeigefinger über den Holzzaun der Pferdekoppel galoppieren und stellte sich vor,
die beiden Finger wären die Beine eines herrlichen Araberhengstes, der schnell wie der Wind über den Zaun hinwegpreschte. Ihren Blick starr auf das Holz gerichtet, bemerkte sie nicht das schwarze Pony, dass sich ihr gemächlich von hinten näherte. Erst als es mit ihr auf gleicher Höhe lief, registrierte sie das kleine Pferd.
„Hallo Mäxchen, wie geht es dir? Heute morgen schon jemanden aus dem Sattel geworfen“, sprach sie das Tier freundlich an. Mäxchen war ihr heimlicher Liebling und dazu noch das Pony ihrer Nachbarn. Ab und an durfte sie ihn putzen und manchmal auf ihm reiten. Doch Mäxchen liebte es, die Menschen, die es wagten, auf seinem Rücken Platz zu nehmen, in den Sand zu befördern.
„Ach nein“ erwiderte Mäxchen selbstverständlich, als würde er jeden Tag einen kleinen Plausch mit dem Kind halten. „Heute haben sie mich nur hier auf die Koppel gesperrt und jetzt ist mir langweilig. Willst du nicht gleich einmal zu mir kommen, dann könnte ich dich mal abwerfen? Das wäre ein Spaß!“
Tamara blieb stehen, schaute das Tier jedoch nicht an. „ Das ist wirklich verrückt“ dachte sie, „ich muss wirklich verrückt sein. Hat er gerade mit mir gesprochen oder hat er nicht? Das gibt es doch gar nicht!“ Langsam schweifte ihr Blick zu dem Pony herüber, der sie mit seinen frechen Augen starr fixierte.
„Aber wie ich denke, hast du bestimmt schon was anderes vor und keine Zeit für ein kleines armes Pony wie mich. Und ich hätt doch so viel Lust, dich ein bisschen in den Hintern zu kneifen. Hi, hi, hi, ich lache jetzt schon bei dem Gedanken daran!“ rief das Pony mit traurigem Unterton.
„He, da kommen sie, die wollen mich bestimmt reiten! Das ist ja toll! Na dann schauen wir mal, wie lange sie sich dieses mal oben halten können. Tschuldige Tamara, ich muss jetzt gehen. Aber komm auch noch mal bei mir vorbei, dann kann ich mit dir viel Spaß haben, hi, hi, hi!“
Ohne Umschweife wendete sich das Pony ab und im wilden Schweinsgalopp stürmte es über die Koppel hinweg, auf den einzigen Ausgang zu, wo bereits seine Besitzer nach ihm riefen.
Auch Tamara löste sich aus ihrer Starre und rannte los.
Was zuviel war, war eindeutig zuviel. Erst der komische Hund, über den sie versehentlich gestolpert war, wobei sie sich noch vorstellen konnte, dass ihr der Schreck über sein unerwartetes Auftreten einen Streich gespielt hatte, dann die kleine Maus, die unbedingt einen Witz erzählen wollte, doch das konnte auch der angedrohte Streich von Tom gewesen sein, aber jetzt noch Mäxchen? Nein, nicht Mäxchen, der würde bei so einem Streich nicht mitspielen. Nicht dieses Pony!
Nach hundert Metern hatte Tamara endlich das Haus ihrer Großmutter erreicht. Keuchend erklomm sie die Veranda und mit zittrigen Fingern suchte sie in ihrer Hose nach dem Schlüssel. Da war er endlich. Sie zog ihn mit Gewalt aus der Hose heraus und dabei fiel einiger Krimsgrams, wie z.B. der Liebesbrief ihres heimlichen Verehrers Stefan aus der Schule auf den Holzboden. Doch egal. Tamara kümmerte sich nicht darum, zielstrebig steuerte sie das Schlüsselloch an, um die Tür endlich aufsperren zu können.
Doch ihre Oma kam ihr zuvor. Schnell öffnete sie die Tür und schaute sich das verstörte Kind prüfend an. „Komm herein“ sagte sie, „ich werde nicht ewiglich die Tür offen halten“ Tamara drängte an ihrer Großmutter vorbei in das gemütliche Haus hinein. Sie überlegte kurz, ob sie der Frau etwas von den seltsamen Vorkommnissen, die sich auf ihrem Nachhauseweg zugetragen hatten erzählen sollte, doch schnell besann sie sich eines besseren, als sie in das ernst dreinschauende Gesicht ihrer Großmutter blickte.
„Nun junge Dame, du kommst recht spät“ sagte die alte Frau, „wo bist du nur so lange gewesen? Ich habe dich vom Fenster aus beobachtet. Was hast du denn mit dem Pony zu schaffen gehabt? Hat er dir etwa eine Geschichte erzählt, oder warum hast du ihn eben so ungläubig angesehen?“
„Oh nein“, schoss es Tamara durch den Kopf, „Sie hat mich beobachtet! Was soll ich nur sagen? Die wird mich ja für völlig verrückt halten, wenn ich ihr erzähle, dass heute sämtliche Tiere aus der Nachbarschaft mit mir gesprochen haben!“
„I...iiich....“ stotterte sie hervor, doch sie sprach schneller, als ihre Gedanken fließen konnten.
„ich habe ihm nur schnell guten Tag gesagt!“ erwiderte sie prompt.
„So...., hast du das?“ sagte die Frau und fixierte das Kind mit einem durchdringendem Blick, „Sonst hast du also nichts zu ihm gesagt?“
Was sollte nur diese dumme Frage? Was konnte sie sonst noch zu ihm gesagt haben, wunderte sich Tamara. Und frech heraus entgegnete sie ihrer Oma: „Nö, aber er wollte, das ich zu ihm herüber komme, damit er mich in den Hintern beißen und mich aus dem Sattel werfen kann; er meinte, das wäre ein großer Spaß!“
„Dieser kleine Schlingel, das hat er auch schon oft zu mir gesagt!“ erwiderte die Großmutter, „Hör blos nicht auf den, der hat sowieso nur Unsinn im Kopf, was der mir schon für Geschichten erzählt hat....!“
Tamaras Augen weiteten sich.