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tale as old as time, part I

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05.02.2003
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tale as old as time, part I

Ich bin wirklich verrückt. Und obendrein auch neunzehn. Noch, um genau zu sein. Nicht mal mehr einen Monat lang. Vor der Zwanzig an sich habe ich keine Angst, an sich. Allein, die Zwei macht mir zu schaffen. Meine Eltern halten mich für "längst noch nicht erwachsen", wohl aufgrund meines noch vorhandenen Teenie-Status`. Neunzehn ist schon ein tolles Alter, man kann rumzappeln, Quatsch erzählen, mit Negerküssen um sich werfen und auch mal das Studium schmeißen. Alles wird dann damit entschuldigt, dass man ja noch "lääängst nicht" reif genug ist. Und schon ist alles wieder im Lot. Man zieht zuhause aus, fängt sein eigenes Leben an- die Eltern zahlen lediglich noch die Miete. Sie sind stolz, weil die Tochter dank ihrer Hilfe schon auf den eigenen Beinchen stehen kann. Schrecklich! Einfach nur schrecklich. Aber nein, ich rebelliere nicht mehr. Dafür bin ich wohl leider schon zu dicht an der Zwanzig dran. Dennoch passt mir das alles nicht so recht in den Kram.
Diese immer noch bestehende Abhängigkeit ist allerdings nicht das größte Übel. Ich lernte kurz vor dem Studium einen tollen Mann kennen. Was heißt Mann, er hat auch gerade erst diese offenbar magische Zwanzig erreicht; sieht aber älter, reifer aus. Seit nunmehr fünf Monaten sind wir ein Paar- mit großen Einschränkungen: Wir leben vierhundert Kilometer voneinander entfernt, was über kurz oder lang natürlich zu einer mittleren Krise führen musste. Meine Wahlheimat ist Welten von dem entfernt, was er seit zwanzig Jahren um sich hat. Ich bin dieser öden Stadt, meinen Eltern und eigentlich allem, entflohen, will nochmal von vorn anfangen. Dies hat letztlich dazu geführt, dass ich mein Leben hier, in Hamburg, dem "Tor zur Welt", konsequent von dem abgrenze, was ich bei den seltenen Besuchen bei meinen Eltern erlebe. Es gibt mich quasi zweimal... Und diese Gespaltenheit, ja, die verursachte die schon angesprochene Krise. Neues Leben, erstes Semester, erste eigene Bude, neue Freunde- neue Liebe. Dem Freund daheim hab` ich`s gebeichtet, er hat mir verziehen, und schon war die Daheim-Welt wieder in Ordnung. Doch der Hamburger wollte natürlich nichts mehr von mir wissen. Damit kam ich anfangs sehr gut aus, ich war über Weihnachten zwei Wochen zuhause, nur mit meinem dortigen Freund zusammen, es war entspannend, befriedigend, ja, direkt erholend.
Als ich wieder zurück im Norden war, beschloss ich, die Fachrichtung zu wechseln, ich wollte etwas anderes studieren. Dies hatte einen ganz bestimmten Vorteil- ich musste dem Typen, den ich beim Studium getroffen hatte, aufgrund des Fachrichtungswechsels nicht mehr über den Weg laufen, ihm nicht mehr in die Augen sehen. Soweit, so gut.
Kurz nach dieser Entscheidung besuchte ich dann doch noch einmal eine befreundete Kommilitonin, kurz vor der Vorlesung, die ER auch besuchen würde... Ich traf sie, wir quatschten kurz. Dann kam ER an uns vor bei. Sein Gesichtsausdruck ließ auf keine konkrete Gefühlsregung schließen. Wir redeten kurz, über das Wetter, das neue Jahr, den Professor- eben sehr banale, nebensächliche, vollkommen unwichtige Dinge. Dann verabschiedete ich mich und ging zur Studienberatung. Ich dachte die ganze Zeit nur an IHN. Fehlte ER mir? Nein, absolut und unter Garantie nicht. Ich kam mit dieser Fernbeziehung besser klar, Freiraum ist halt wichtig, wenn man neunzehn ist. Ich musste immer noch an IHN denken, wollte diese Gedanken verscheuchen. Es klappte nicht. Wahrscheinlich beschäftigte es mich, weil ich nun endlich darüber hinweg war und offensichtlich stolz auf mich sein konnte, die ganze Angelegenheit in so kurzer Zeit verdaut zu haben. Ich hatte IHN geliebt. Und da konnte er schon wirklich dankbar sein! ER ist eigentlich gar nicht mein Typ. Mäßig attraktiv, introvertiert und dennoch recht arrogant. Ein typischer Wessi eben. Es war mir schon zuwider, im selben Hörsaal zu sitzen. Und dann, als er wieder einmal einen seiner Sprüche zu reißen, sprach ich ihn an. Einfach nur, um ihm zu zeigen, dass er mit seiner Haltung auf Widerstand stößt. Um ihn seiner Überheblichkeit zu berauben und anschließend im Regen stehen zu lassen, ihn vor aller Welt bloßzustellen. Meine Reaktion war heftig- und erfolgreich! Er wurde unsicher, starrte in der Gegend umher, suchte etwas, worauf sein Blick ruhen konnte, um den Verlust der Selbstsicherheit besser verkraften zu können. Er schaffte es nicht. Dies war der fatale Augenblick, der point of no return, und wie aus heiterem Himmel fragte ich, ob er das alles nicht mit mir mal ausdiskutieren wolle, oder besser: ich bin an ihm interessiert und möchte ihn näher kennenlernen, vielleicht sogar oral befriedigen, falls er es wünscht. Mir wurde schlecht, mein Magen drehte sich um, Schwindelgefühle plagten mich. Mein Kopf schiehn eine dermaßen hohe Temperatur zu erreichen, dass er im nächsten Augenblick explodieren könnte. Ich verabschiedete mich hastig. Am nächsten Abend trafen wir uns, gingen etwas Alokohol trinken, um etwaige Hemmschwellen herunterzuschrauben. Ich saß ihm gegenüber und fühlte mich verloren; kein Gedanke mehr an meinen Freund, der daheim auf mich vertraut. Die Übelkeit kam erneut, aber diesmal fühlte ich mich mit ihr wohl, es war diese Fröhlichkeit, sich frisch zu verlieben. Er fragte sehr direkt, ob ich in festen Händen wäre. In meinem Glücklichkeitswahn sagte ich auch noch die Wahrheit. Und damit fing alles an.
Ich bemerkte, wie intelligent er war. Mit niemandem sonst- und schon gar nicht mit meinem Freund- konnte ich mich so angeregt unterhalten, und zwar nicht nur über Bier und den Pfarrer. So etwa drei, vier Stunden philosophierten wir über Gott und die Welt.
In der darauffolgenden Woche fing es dann richtig an. Ich übernachtete bei ihm, wir wollten jede Minute gemeinsam verbringen, Nähe suchen wurde zur Sucht, den Körper des anderen erforschen wurde zum Rauscherlebnis.
Dann stellte er die Frage. Ich wusste nicht, wie ich sie umgehen konnte, also versuchte ich, eine Antwort zu basteln, die ihn nicht verletzten und gleichzeitig die Situation nicht als aussichtslos erscheinen lassen würde. Es gelang mir nicht. Er forderte eine Entscheidung: ER oder mein Freund, der vierhundert Kilometer weit entfernt nichts von alledem ahnte.
Nach einem Monat servierte ich beide ab. Der Druck wurde mir zu groß. Mein Freund kam zurück. Zwischen dem Studenten und mir hatte sich nichts verändert, wir liebten einander nach wie vor. Doch er gab vor, er hätte gar kein Problem damit, dass zwischen uns zukünftig nicht mehr sein darf, als "Freundschaft". Und das ging sogar soweit, dass er mich beglückwünschte, mit meinem Freund wieder zusammen zu sein. Ich liebte IHN immer noch, durfte es ihm jedoch nicht zeigen. Das allein war schon schwer zu ertragen. Doch sein Theaterspiel, das ich nicht als solches zu durchschauen vermochte, weil er eben schon so ein sehr gelassener und sachlicher Typ war, tat mir weh, und ich zeigte ihm, wie leicht ich damit klarkomme. Es durfte mir nicht weh tun, für ihn war`s ja auch keine große Sache. Und ich fand mich damit ab.
Vor zwei Wochen brach er den Kontakt von heute auf morgen ab- und ich war völlig am Boden zerstört. Dann trafen wir uns aber vor zwei Tagen doch, sogar offiziell, und ich tat ebenso sachlich, wie ich es von ihm erwartet hatte. ER enttäuschte mich natürlich nicht. Die Schmetterlinge protestierten. Und dann stand ich auf, wollte gehen. Erklärte ihm, dass er mir noch genauso viel wie früher bedeuten würde, wir zwei aber für ein Happy End viel zu stur und zu stolz seien. Er lief mir hinterher. Es war bitterkalt, schon dunkel. Ich wollte heim und mich nur noch verkriechen. ER sah mir in die Augen, streichelte meine Wange und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich versank in seinen Armen und wir küssten einander wohl eine halbe Ewigkeit, aus Angst, dies könnte schon im nächsten Augenblick vorbei sein, und ließen uns nicht mehr los. Wir gingen Hand in Hand in ein Café, berührten uns mit unwahrscheinlicher Zärtlichkeit ohne Befürchtungen in der Öffentlichkeit, gaben das frischverliebte Paar. Und fühlten uns damit sehr wohl.

 

Hallo Marie-Ange!

Deine Geschichte ist sehr intim, ich fühlte mich Dir beim Lesen sehr nahe und hatte den Eindruck, verbotenerweise in Deinem Tagebuch zu lesen.
Beinahe hätte ich über die Schulter geschaut, um nachzusehen, ob Du nicht hinter mir stehst und mich beim Lesen ertappst :)!
Alles ist so persönlich, so fragil, dass ich mich ein bißchen unwohl gefühlt habe beim Lesen, und gleichzeitig habe ich bewundert, wie sehr Du Dich mit diesem Text anvertraust und öffnest. Jedenfalls wirkt er so, selbst wenn alles fiktiv sein sollte.

LG!
Tanja

 

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